Floskel des Monats

Kampfabstimmung

27.01.2020

Die vielen gescheiterten Versuche, ein originelles Wortspiel mit dem Vornamen von Kevin Kühnert zu kreieren, finden Sie ganz unten in der Schublade. Ganz obenauf liegt der Begriff Kampfabstimmung, der während des SPD-Parteitages in Berlin so gerne bemüht wurde. Damit gemeint war dieser demokratische Vorgang, dass sich mehrere Personen um ein politisches Amt bewerben und dann in einer Wahl entschieden wird. Eine Selbstverständlichkeit, die Basis unseres politischen Systems ist und natürlich auch im Grundgesetz steht. Von Kampfabstimmung ist in Artikel 38 – ebenfalls selbstverständlich – keine Rede. Die Absurdität dieses Begriffs wird bei der Lektüre der Definition deutlich, die zum Beispiel der Duden zur Kampfabstimmung vermerkt: „Abstimmung, bei der sich zwei Gruppierungen mit etwa gleichen Aussichten auf Annahme oder Ablehnung gegenüberstehen.“ Mit anderen Worten: Eine Wahl mit mehreren chancenreichen Kandidaten. Oder noch kürzer: Eine stinknormale demokratische Wahl. Was ist nun daran so besonders, dass diese Abstimmung zur Kampfabstimmung wird? Nichts. Besonders ist allerdings die Vorbereitung. Das vielzitierte Hinterzimmer, das gerne auch die Vordertheke ist, spielt die unrühmliche Rolle in diesem undemokratischen Schauspiel. Denn ausgerechnet und vor allem bei Parteien, die Demokratisch in großen Lettern im Namen tragen, wird möglichst so lange geschubst und geschoben, bis – so ein Zufall – ein Kandidat pro Posten übrig bleibt. Und dann haben die treuen Delegierten jeweils einen Namen zur (Aus-)Wahl auf dem Zettel. Was für eine demokratische Meisterleistung! Selten kommt es zu einem echten Wettbewerb, zu einer wirklichen Auswahl. Und so wird der demokratische Normalfall zur Besonderheit erklärt und der verbale Hammer kreist: Die Kampfabstimmung steht bevor, ein Wettbewerber hat tatsächlich eine Kampfkandidatur angekündigt, die Partei „steht vor der Zerreißprobe“. Erstaunlich, dass sich diese Sichtweise auch in der Berichterstattung durchgesetzt hat. Wie lautet eigentlich der Fachbegriff für Wahlgänge mit nur einem Kandidaten? Krampfabnickung?
Wie sich Floskeln und Phrasen im Journalismus ausbreiten, machen Sebastian Pertsch und Udo Stiehl mit der sprach- und medienkritischen Floskelwolke sichtbar. Hier stellen sie Begriffe oder Formulierungen vor, mit denen KollegInnen besonders häufig danebenliegen.
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