Floskel des Monats

Torschlusspanik

26.05.2023

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ließ es sich im vergangenen Monat nicht nehmen, medienwirksam vor einer Torschlusspanik zu warnen: „Über einen Zeitraum von 18 Jahren rechnet sich die Wärmepumpe. Außerdem werden die Preise bald sinken. Deswegen wäre Torschlusspanik wirklich falsch.“ Auch sein Nachsatz lag verkehrsgünstig: „Die fossilen Energien sind eine Sackgasse.“ Doch woher kommt das Determinativkompositum aus Tor(es)schluss und Panik, das eine Angst oder Furcht beschreibt, „etwas Entscheidendes zu versäumen“, wie der Duden es erklärt?

Schon im Zwiebelfisch vor bald 20 Jahren griff Bastian Sick das Thema kurz auf und nannte mit „kurz vor Toresschluss“ (gerade noch rechtzeitig) und „nach Toresschluss“ (zu spät) verwandte Redewendungen von Torschlusspanik.

Der Begriff ist Jahrhunderte alt – und naheliegend: Als Städte noch von Mauern umschlossen und nur über Tore zugänglich waren, gab es Betriebszeiten. Schriftlich überliefert sind beispielsweise die Sperrzeiten des Hamburger Steintors, das im Jahr 1798 nur bis 23 Uhr geöffnet war. Viele andere Tore in Deutschlands schlossen oft schon zur Abenddämmerung. Reisende, die die Stadt besuchten, Arbeitende, die im Umland ihr Werk verrichteten, und Stadtbewohnende, die tagsüber einen Ausflug unternahmen, mussten sich sputen, rechtzeitig an- und reinzukommen.

Vor den Toren herrschte zudem nicht selten auch ein ordentliches Gedränge und die Zeit wurde immer knapper. Wer zu spät kam, bestrafte das Leben gleich mehrfach: Das Tor wurde bis zum nächsten Morgen geschlossen. Man kam nicht mehr rein, musste draußen in der Wildnis ausharren und auch noch hoffen, nicht von Räubern überfallen zu werden.

Die Panik war also gerechtfertigt, denn es ging im schlimmsten Fall sogar um Leib und Leben. Der heutige Sinn der mittlerweile festen Redewendung hat sich im Kern nicht verändert.

Eine umgangssprachliche Abweichung gibt es mit Blick auf persönliche und oft altersbedingte Ziele, wenn man einen erhofften Meilenstein auch absehbar nicht mehr erreichen kann und als Konsequenz eine falsche Entscheidung trifft: Das kann zum Beispiel eine platonische Liebe oder fehlende Partnerschaft sein, die mit dem Kauf eines fossil betriebenen und schnellen Fortbewegungsmittels kompensiert wird. Vielleicht kommt daher die Torschusspanik [sic!], die im Sport, vor allem im Fußball gerne mal verrutscht? Die kann es durchaus geben, hat aber mit der eigentlichen Redewendung nichts zu tun.

Wenn man sich die Entwicklung in den verschiedenen Korpora des digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache (DWDS) anschaut und Torschlusspanik mit Torschusspanik verknüpft, sieht man in der Verlaufskurve einen leichten Anstieg der fehlerhaften Formulierung seit den 1960er Jahren. In Zeitungen tauchte das Original laut DWDS Anfang des 20. Jahrhunderts auf; in der Belletristik etwas früher. Die Google-Suche gibt immerhin 30.000, bei der richtigen Schreibweise gleich 700.000 Treffer aus. Im Bundestag fiel die Torschlusspanik erstmals im Jahr 1951 in einer Rede des SPD-Abgeordneten Carlo Schmid.

Wir im Journalismus kennen die Torschlusspanik ebenfalls: Wir nennen sie aber Redaktionsschluss.

Wie sich Floskeln und Phrasen im Journalismus ausbreiten, machen Sebastian Pertsch und Udo Stiehl mit der sprach- und medienkritischen Floskelwolke sichtbar. Hier stellen sie Begriffe oder Formulierungen vor, mit denen KollegInnen besonders häufig danebenliegen.

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