Offener Brief

Über einen Traumberuf – und über Isomatten

01.04.2020

Dies ist ein offener Brief der Journalistin Kathrin Wesolowski. Er ist adressiert an zwei Redaktionsleiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Aber er richtet sich an alle Verantwortlichen in der Medienbranche, die sich um den Nachwuchs kümmern. Es ist ein Appell an Respekt und Ehrlichkeit. Dass es nötig ist, all dies aufzuschreiben, ist ein Alarmsignal für die gesamte Branche.

"Aber ich muss mir nicht sagen lassen, dass ich auf einer Isomatte schlafen soll." Kathrin Wesolowski hat einen offenen Brief an zwei Redaktionsleiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geschrieben. (Illustration: Monja Gentschow)

Liebe Redaktionsleiterin, lieber Redaktionsleiter,

Sie können Träume erfüllen, Herzen höherschlagen lassen, Chancen geben – und gleichzeitig dafür sorgen, dass ich, eine junge, freie, selbstbewusste Journalistin, daran zweifle, ob ich journalistisch jemals etwas Gutes zustande gebracht habe. Sie machen Versprechungen, die Sie nicht halten, halten Kritik zurück, die ich bitter nötig habe, kritisieren gleichzeitig häufig ohne jegliche Grundlage. Wenn ich von mir spreche, spreche ich im selben Moment wohl für tausende junge, freie Journalisten in Deutschland, die leidenschaftlich gerne arbeiten möchten. Die nichts geschenkt bekommen möchten. Die sich nur eines wünschen: Offenheit, Ehrlichkeit und Respekt. Und gerade den habe ich in den letzten Jahren an einigen Stellen vermisst. „Frau Wesolowski, Sie bekommen bei uns eine Chance. Aber besorgen Sie sich keine Wohnung, schlafen Sie am besten in einem Schlafsack auf einer Isomatte bei einem Freund oder einer Freundin. Wenn ich Sie anrufe, sollten Sie erreichbar sein und meinen Auftrag für Sie zusagen. Wenn Sie zwei-, dreimal absagen, dann war’s das leider. Wir können nach zwei Monaten feststellen, dass es mit Ihnen nicht passt. Oder nach sechs. Oder nach zwölf."

"Wenn Sie mir schon anbieten, auf einer Isomatte zu schlafen, dann bezahlen Sie mir wenigstens genug, dass ich sie mir leisten kann."


Dieses „attraktive Jobangebot“ für eine lockere, freie Mitarbeit bekam ich vor einigen Monaten von einer Kollegin von Ihnen, die eine Redaktion bei den öffentlich-rechtlichen Medien leitet. Bei diesen Worten stockte mir nicht nur der Atem, mir wurde regelrecht die Isomatte unter den Füßen weggezogen. Ich, damals noch 23 Jahre alt, hatte einen Monat lang in dieser Redaktion zur Probe gearbeitet. Stundenlang war ich da, habe jede kleinste und größere Arbeit erledigt, habe mich abgerackert und von den Redaktionskollegen stets konstruktives und meist positives Feedback erhalten. Ich habe so viel gearbeitet, dass ich nach Feierabend keinen anderen Gedanken mehr fassen konnte als an den nächsten Beitrag, den nächsten Arbeitstag. Aber hey, ich fand das prima. Ich arbeite leidenschaftlich gerne, ich bin jung und muss allzeit fleißig und bereit sein. Zumindest ist das seit etwa fünf Berufsjahren meine Arbeitsmoral. Ich muss allzeit bereit sein, alles zu geben, aber ich muss mir als junge Frau nicht sagen lassen, dass ich auf einer Isomatte schlafen soll, keine sicheren Aufträge bekomme und jede freie Sekunde telefonisch erreichbar und vor Ort sein muss. Und ein kleiner Zusatz: Die Redaktionsleiterin gab mir nicht mal das Gefühl, ich hätte gute Arbeit geleistet in diesem Probemonat. Nach vier Wochen ohne jegliches Feedback musste ich mir anhören, ich könne keine Nachrichtenfilme drehen und sei in Krisensituationen nicht stressresistent. Gleichzeitig fragte ich mich, warum sie mich nach diesem Gespräch trotzdem nochmal rausschickte, warum meine so schlechten Filme täglich gesendet wurden und warum ich nicht ein einziges Mal zuvor gehört hatte, wie schlecht ich angeblich arbeite. Vielleicht weil ich gar nicht so schlecht gearbeitet hatte und gleichzeitig mit etwa 49 Euro am Tag in der Probezeit eine unverschämt günstige Arbeitskraft war?

Liebe Redaktionsleiterin, ich möchte ehrlich sein. Nach diesem Gespräch habe ich vor der Tür erst mal geschluckt, dann habe ich geweint, dann habe ich mich zusammengerissen und mit anderen Redaktionskollegen gesprochen. Die Ihr negatives Feedback überhaupt nicht verstehen konnten – obwohl Sie die Informationen doch von diesen Personen bekommen haben müssen, da Sie doch gar nicht mit mir in der Redaktion gearbeitet haben. Ich erwarte nicht, dass Sie meine Füße küssen und sich um mich reißen. Ich erwarte nur eine ehrliche, konstruktive Kritik und ein respektvolles Behandeln einer jungen, potenziellen neuen Arbeitskraft. Hätten Sie mir doch wenigstens angeboten, in der Redaktion auf einer Isomatte zu schlafen. Dann wäre ich sogar in Sekundenschnelle einsatzbereit. Vielleicht hätte ich es mir dann nochmal anders überlegt. Zum Glück bin ich eine schlaue, junge Frau und habe mich gleichzeitig für eine andere Stelle in einem Auslandsstudio der ARD beworben. Ein Traum, den ich seit Jahren hege und den ich mir kaum auszumalen erhoffte. Doch tatsächlich, ich wurde zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Per Skype stellte ich mich fünf Mitarbeitern des Studios. Es war das schwierigste Vorstellungsgespräch meines Lebens, das anspruchsvollste, das mit dem meisten Herzklopfen verbundene. Ich wusste nicht, wie ich abgeschnitten hatte, ich wusste nur, dass ich mein Bestes gegeben hatte. Nach einigen Wochen Funkstille, mehreren Mails meinerseits bekam ich endlich einen Anruf des Redaktionsleiters. Kurz und knapp etwa: „Frau Wesolowski, Sie haben mich wirklich überzeugt und beeindruckt. Wir haben zwei potenzielle Stellen. Ich weiß noch nicht, welche Sie bekommen, aber wir sehen uns kommendes Jahr auf jeden Fall hier im Studio.“ Ich antwortete noch verhalten, dass sich das ja nicht schlecht anhöre. Der Studioleiter darauf: „Auf keinen Fall. Äußert positiv, Frau Wesolowski. Ich hole Sie zu uns.“

„Der Studioleiter vertröstete mich auf eine Antwort in den nächsten Monaten, reagierte auf Mails und Anrufe gar nicht oder immer wieder aufschiebend.“

Während ich diese Zeilen schreibe, kann ich immer noch nicht glauben, wie die Story weitergeht. Kurz und knapp: Der Studioleiter vertröstete mich auf eine Antwort in den nächsten Monaten, reagierte auf Mails und Anrufe gar nicht oder immer wieder aufschiebend. Dabei hatte er mich dazu aufgefordert, mich selbstständig wieder bei ihm zu melden. Nach drei Monaten dann die kurze Mail einer Mitarbeiterin: „Liebe Frau Wesolowski, wir haben aktuell keine Stellen frei.“ So als hätte es das Vorstellungsgespräch nie gegeben, nicht das beste Feedback auf ein Gespräch, das ich je bekommen hatte.

Lieber Redaktionsleiter, können Sie sich vorstellen, wie weh es tat, dass mir wieder die Isomatte unter den Füßen weggezogen wurde? Warum haben Sie nicht einfach angerufen oder eine E-Mail gesendet? Warum haben Sie nicht abgesagt, mit einer kurzen Begründung? Wie können Sie mir mündlich zusagen, mich ins Höchste loben, wissend, dass der Job bei Ihnen in der Redaktion mein größter Traum ist? Und nehmen wir an, Empathie sei Ihnen nicht so wichtig – wie können Sie das mit Ihrer beruflichen Professionalität vereinen? Ich würde gerne sagen, dass das die einzigen Beispiele sind, die mir einfallen. Ich würde gerne sagen, dass ich die einzige junge, freie Journalistin bin, die solche Erfahrungen gemacht hat. Doch wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis umhöre, bin ich eben nicht die einzige. Ich spreche von jungen Kulturjournalisten, die ohne Bezahlung für Independent-Magazine schreiben und Worte zu hören bekommen wie „Es ist doch eine Ehre, dass du für uns schreiben darfst“ und „War es nicht immer dein Traum, Promi XY zu interviewen? Das ist doch besser als jede Bezahlung.“ Ich spreche von jungen Praktikanten, die günstig eingestellt werden und plötzlich wochenlang als volle Arbeitskraft für jemanden einspringen, der nicht plötzlich entlassen wurde. Ich spreche von jungen Volontären, die sich die Finger wundschreiben für Texte und dann nur ein „Alles Scheiße“ als Feedback bekommen. Ist das überhaupt Feedback? Liebe Redaktionsleiterin, lieber Redaktionsleiter, ich weiß, Sie haben einen harten Job. Sie schlagen sich täglich mit tausend Themen herum, müssen Personalentscheidungen treffen, sich mit festen und freien und potenziellen neuen Mitarbeitern herumschlagen. Ich weiß, dass es schwierig sein kann, sich mit jungen Journalisten zu beschäftigen, die sich teilweise selbst in den Himmel loben und gleichzeitig auch schwache Themenideen senden. Gleichzeitig bin ich mir aber sicher, dass Sie unheimlich gerne mit jungen leidenschaftlichen Journalisten zusammenarbeiten wollen und Ihre Redaktionen bereichern wollen. Sie allein können dafür sorgen, dass aus den jungen Journalisten erfahrene Journalisten werden. Dazu gehören Kritik, Absagen, Enttäuschungen. Dazu gehört aber eben konstruktive Kritik, dazu gehören respektvolle Absagen. Vor ein paar Wochen bekam ich per Anruf ein Jobangebot für eine halbe feste Stelle. Nach dreitägigem Probearbeiten und viel späterer Rückmeldung als vereinbart, bekam ich eine Absage: „Frau Wesolowski, ich will ehrlich sein: Wir haben doch keine Stelle mehr frei.“ Woher soll ich wissen, ob ich einfach nicht gut genug war? Ob es jemals eine Stelle gab? Oder ob ich wieder nur als günstige Arbeitskraft ausgenutzt wurde? Ich möchte weiterhin als Journalistin arbeiten. Ich liebe meinen Job – und habe das Glück, dass ich in meinem jungen Arbeitsleben schon einige Erfahrung gesammelt habe und meine Arbeitgeber auch zufrieden mit mir sind. Gleichzeitig wünsche ich mir Offenheit, Ehrlichkeit und Respekt. Und wenn Sie mir schon anbieten, auf einer Isomatte zu schlafen, dann bezahlen Sie mir wenigstens genug, dass ich sie mir leisten kann. Denn nicht mal das ist eine Selbstverständlichkeit. Freundliche Grüße
Kathrin Wesolowski
Kathrin Wesolowski ist freie Journalistin und arbeitet unter anderem für den Hessischen Rundfunk. Zuvor hat sie Journalistik und Anglistik/Amerikanistik in Dortmund und Monterrey, Mexiko, studiert. Thematisch fokussiert sie sich hauptsächlich auf Investigatives, Internationales und Gesellschaft.


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