Floskel des Monats

Weichen stellen

10.07.2019

Diese Floskel ist derzeit in aller Munde. Doch wenig bekannt dürfte sein, dass die Weiche ihren Ursprung nicht auf dem Gleis, sondern in der Flussschifffahrt hat: Sogenannte Ausweichstellen bei engen Flüssen und Kanälen sorgten dafür, dass entgegenkommende Boote und Schiffe nicht zurückkehren mussten. Durch das Ausweichen in eine – zumeist künstlich geschaffene – Bucht konnten beide weiterfahren.

Erst mit der Industrialisierung wurde die Weiche als Begriff zunehmend bei Eisenbahnen verwendet: Auch hier gab es Ausweichstellen bei einspurigen Strecken. Erst später wurde sie synonym für Kreuzungen unterschiedlicher Strecken und damit auch Richtungen verwendet – und bekam dadurch eine neue, aber auch nicht ersetzende Bedeutung.

Als Redensart steht Weichen stellen weniger für das Ausweichen, sondern mehr für so etwas wie Richtung vorgeben. Zugleich bleibt der ursprüngliche Vorgang sinnbildlich erhalten. Ob nun damals als Weichenwärter per Hand oder heute vollautomatisiert in einem Stellwerk: Wer die Weichen stellt, bestimmt den künftigen Kurs.

Das macht die Formulierung zu einem gelungenen und schnell verständlichen Bild – und zu einer nervtötenden Floskel, wenn es um Politikergeschwurbel zu Entscheidungen oder Vorhaben und Nachrichtenmeldungen zur Eisenbahn geht. Journalismus und PR reichen sich hier die Hand.

Im vergangenen Monat schaffte es Hamburgs Justizsenator Till Steffen mit dem Satz „Wir stellen heute die Weichen, um die Staatsanwaltschaft personell und organisatorisch fit für die Zukunft zu machen“, gleich zwei Felder im Floskelbingo anzukreuzen. Die Nachricht „Bremer Grüne stellen Weichen für Rot-Grün-Rot“ war da nicht besser. Außerdem: „Spahn will Weichen stellen für Verbot von Konversionstherapien.“

Nur selten wird die Redensart löblich genutzt: „Weichen werden Richtung Wustermark gestellt“, lautete die Schlagzeile. Gemeint ist eine wiederaufgebaute Bahnstrecke im brandenburgischen Havelland. Zur Eröffnung wurden die Weichen tatsächlich gestellt.

Wenn allerdings „Weichen für 900 Wohnungen gestellt“ sind und die Frage unbeantwortet bleibt, ob die Schienen dann direkt bis vor die Wohnungstür gelegt werden, gehört das Weichenstellen endgültig aufs Abstellgleis.

Für den journalist analysiert das sprach- und medienkritische Webprojekt Floskelwolke.de von Sebastian Pertsch und Udo Stiehl in jeder Ausgabe eine Floskel oder Phrase, mit der Journalisten im Monat zuvor besonders häufig danebenlagen.


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