Fachkräftemangel in der Medienbranche

Wirtschaftsjournalisten gesucht!

24.06.2022

Wenn Journalisten zum Thema Fachkräftemangel recherchieren, dann geht es selten um die eigene Branche. Doch in vielen Redaktionen offenbart auch der Blick nach innen, wo es an fähigen Spezialisten mangelt: Immer häufiger ist das in Ressorts wie Wirtschaft und Finanzen der Fall. Text: Anne Hünninghaus

Journalist*innen gesucht: Besonders die Ressorts Wirtschaft und Finanzen brauchen Fachkräfte. (Illustration: Jan Kruse)

Du interessierst Dich für Unternehmen, für Finanzen und Wirtschaftspolitik? Du hast Lust, mit uns den Qualitätsjournalismus neu zu erfinden?", fragt der Tagesspiegel in einer aktuellen Stellenausschreibung. Die Redaktion sucht Wirtschaftsredakteure, gleich mehrere offenbar. Die Anzeige ist schon seit vielen Wochen online. Und es ist bei weitem nicht das einzige Wirtschaftsjournalisten-Gesuch. 

Es ist noch gar nicht lange her, da wurden angehende Journalisten ob ihrer Berufswahl mit eher mitleidigem Lächeln bedacht. Und diejenigen, die sich im Studium Wirtschaftswissen aneigneten mit dem Ziel, Journalist zu werden, ernteten erst recht skeptische Blicke: Mit solchem Know-how könnte man Lukrativeres anfangen, als in einen stressigen Redaktionsalltag abzutauchen, oft unsicher beschäftigt und mittelmäßig bezahlt. 

Wenn in Deutschland über Fachkräftemangel gesprochen wird, dann geht es meistens um ITler, Ingenieure oder um Handwerker und Pflegekräfte. Doch auch im Journalismus sind seit Monaten auffallend viele Stellen ausgeschrieben. Insbesondere Wirtschafts- und Finanz-Fachwissen ist vielerorts Mangelware. Diesen Eindruck teilt Headhunterin Jessica Bunjes, die sich bei der Personalberatung Hapeko auf Stellenbesetzungen für Medien und Verlage spezialisiert hat. Bunjes, die sich in der Medienbranche selbst von der Journalistin bis zur Geschäftsführerin entwickelt hat, kennt noch die Szenen von früher, als die Korken knallten, wenn man als "eine von Hunderten Bewerbern auf eine Stelle einen festen Job ergattert" hat. Heute ist es andersherum: Chefredaktionen jubeln, wenn ein qualifiziertes Talent ausfindig gemacht werden konnte.

"Selbst um reguläre Wirtschaftsredakteursstellen ohne Leitungsfunktion zu besetzen, werden bereits Headhunter eingeschaltet."

"Bei mir brennt komplett die Hütte", sagt die Headhunterin. Vor allem in den vergangenen Jahren stapelten sich bei ihr die Gesuche nach Medienpositionen aller Art sowie nach Redakteuren, auch nach jenen mit speziellen fachlichen Anforderungen wie Wirtschaft und Finanzen. "Gerade seit Ausbruch der Pandemie hat sich die Zahl der Anfragen von Mandanten verdoppelt", berichtet Bunjes. Ihre Kunden sind sowohl kleine als auch große Medienhäuser, viele renommierte Namen sind darunter. Vor ein paar Jahren hätten die Unternehmen bei einer freien Stelle nicht einmal ausschreiben müssen, stattdessen aus einer Fülle von Initiativbewerbungen schöpfen können. 

Heute sieht es deutlich anders aus. Selbst um reguläre Wirtschaftsredakteursstellen ohne Leitungsfunktion zu besetzen, werden bereits Headhunter wie Bunjes eingeschaltet. Warum? "Weil auf die Ausschreibungen der Medienhäuser generell kaum noch Bewerbungen hereinkommen – und wenn, dann zumeist aus vielerlei Gründen unbrauchbare", sagt die Personalberaterin. "Unbrauchbar" heißt: Bewerbungen von Menschen, die weder die gewünschte Fachexpertise mitbringen noch das journalistische Handwerk beherrschen. "Gerade qualifizierte Fachjournalisten – aber auch nahezu jedwede Führungskraft müssen Sie handverlesen suchen", fasst Bunjes zusammen.

Auch andere Personaler aus der Medienbranche bestätigen die Marktsituation. "Wir spüren den Fachkräftemangel in dieser Zielgruppe bereits seit einiger Zeit, die Anzahl an Bewerbungen ist rückläufig", heißt es von Lucas Galas, Head of Talent Attraction bei Axel Springer National Media & Tech. Dank der hauseigenen Journalistenschule Freetech könne man für Nachwuchs aus den eigenen Reihen sorgen und so einen Teil des Recruitingbedarfs decken. "Aber auch hier merken wir, dass sich Nachwuchskräfte im Journalismus zunehmend auch auf andere Themen spezialisieren." Bei Springer setzt man neben der eigenen Karriereseite auf klassische Jobportale und auf für die journalistische Zielgruppe relevante Jobbörsen. "In manchen Fällen sprechen wir mögliche Talente über soziale Netzwerke direkt an, was für Wirtschaftsredaktionsstellen herausfordernd ist", erklärt Galas.

Drei Monate Suche

Auch Gruner+Jahr ist zurzeit auf der Suche nach Wirtschaftsredakteuren – für Capital und RTL News. Neben der internen Ausschreibung nutzen die Hamburger die gängigen Plattformen. Im Schnitt dauere es drei Monate, passende Redakteure zu finden, heißt es vom Verlag. Horst von Buttlar, Capital-Chefredakteur, Mitglied der Stern-Chefredaktion und Leiter des Hauptstadtbüros, beobachtet zwar keinen verstärkten Fachkräftemangel im Wirtschaftsbereich, sagt aber: "Vor allem im Finanzjournalismus sind Bewerberinnen und Bewerber seit jeher eher rar, und die Branche konkurriert um neue Talente." Nikolaus Blome, Ressortleiter Politik & Wirtschaft bei RTL und NTV, pflichtet dem bei: "Wirklich gute Wirtschaftsjournalistinnen und -journalisten zu finden, war schon immer nicht ganz einfach." Gerade jetzt, während des Krieges in der Ukraine, sehe man, wie unlösbar eng verzahnt Politik- und Wirtschaftsthemen sind. "Dem wollen wir mit möglichst vielen Nachwuchskolleginnen und -kollegen Rechnung tragen."

"In mancher Ausschreibung für beispielsweise Wirtschaftsredakteure heißt es inzwischen nur noch: 'Fachliche Expertise oder das Interesse an der Branche ist wünschenswert.'"

Um die Ausbildung der begehrten Spezialisten kümmert sich in Deutschland unter anderem Henrik Müller. Der Spiegel-Online-Kolumnist und ehemalige stellvertretende Chefredakteur des Manager Magazins leitet an der Technischen Universität Dortmund den Bachelor-Studiengang Wirtschaftspolitischer Journalismus und den Master-Studiengang Economics und Journalismus. Auch er bekommt immer wieder Anfragen aus Redaktionen, ob er nicht jemanden vermitteln könne. Die Hochschule kooperiert mit mehreren Medienhäusern, darunter die Wirtschaftsredaktionen von Wirtschaftswoche, Süddeutscher Zeitung und Handelsblatt, um sicherzustellen, dass allen Absolventen nach Studienabschluss ein Volontariatsplatz zur Verfügung steht. Zuletzt gab es eine neue Situation: Es standen mehr Plätze zur Verfügung als Absolventen, die sie besetzen konnten. Nur ein gutes Dutzend schließt jedes Jahr das Studium an der TU ab, die Konstruktion des Lehrplans, bestehend aus journalistischem Handwerk und Volkswirtschaftslehre, ist in Deutschland zwar begehrt – aber eher ein Unikum. 

Dass die Nachfrage nach spezialisierten Redakteuren auf dem Arbeitsmarkt größer ist als das Angebot, ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Lange ist in vielen Redaktionen gespart worden, der Gewöhnungseffekt eingetreten: Ambitionierte Leute finden wir immer. Doch seit einigen Jahren kommt verstärkte Konkurrenz von Unternehmen und Agenturen: Auch für deren Kommunikation sind Talente hochwillkommen, die Wirtschaftsexpertise haben und sie multimedial vermitteln können. "Wer ein Wirtschaftsstudium in der Tasche hat, wird lukrative Alternativen auf dem Arbeitsmarkt finden", sagt Müller von der TU Dortmund. "Unternehmen bieten häufig bessere Gehaltsbedingungen und werben Redakteure ab. Das hat eine Lücke geschaffen und trifft Medienmarken ebenso wie Nachrichtenagenturen." Erst kürzlich bekam er für seinen Studiengang die Kooperationsanfrage von einer führenden internationalen Nachrichtenagentur. Der Bedarf ist groß. Und viele von Müllers Studenten haben keine eindeutigen Präferenzen, wo es sie hinzieht. "Einige der großen Medien und vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk sind als Arbeitgeber bei den Jungen nach wie vor beliebt – aber die Anziehungskraft einzelner Marken hat abgenommen."

Flexibilität und Benefits

Um ein attraktives Arbeitsumfeld zu schaffen, haben viele Verlage unlängst umgesteuert. So bietet die Handelsblatt Media Group auch nach der Pandemie die Möglichkeit an, die Hälfte der Zeit remote zu arbeiten. Außerdem lockt das Haus mit Gesundheitsangeboten und diversen Corporate Benefits. Zwar reiche die Strahlkraft von Handelsblatt und Wirtschaftswoche aus, um Wirtschaftsredakteursstellen in der Regel innerhalb von drei Monaten zu besetzen, aber je spezifischer die Rolle, desto schwieriger werde es, heißt es aus der Personalabteilung. 

"Bislang suchen die meisten Redaktionen komplett fertig ausgebildete Leute, die gleich voll loslegen. Hier mehr zu investieren, wird angesichts des Mangels immer nötiger."  

Ungeachtet aller Benefits: Am Thema Gehalt – aber auch an den gewachsenen Ansprüchen der potenziellen Mitarbeiter scheitere es immer wieder, beobachtet Headhunterin Bunjes. "Oft rufen schon Bachelor-Absolventen oder Werkstudenten, die in einem Medienhaus Projektmanagement übernehmen sollen, Spitzenpreise auf." Insgesamt sind auch die Anforderungen an einen Idealkandidaten weiter gestiegen. Der perfekte Wirtschaftsjournalist hat ein entsprechendes Studium und natürlich ein tiefes Wirtschaftsverständnis vorzuweisen, ist aber nicht nur gut im Fach, sondern auch im journalistischen Handwerk, hat einen exzellenten Schreibstil, ein belastbares Netzwerk und ist auch in Sachen Crossmedia auf der Höhe. Außerdem ist er bereit, die Präsenzpflicht zu akzeptieren, die nach wie vor in den meisten Redaktionen an mehreren Tagen pro Woche herrscht, ebenso wie die – seit jeher – ungewöhnlichen oder ausufernden Arbeitszeiten. "Dieses Paket finden Sie nur schwer, und wenn doch, müssen Sie dafür ein adäquates Gehalt anbieten, das oftmals über den Vorstellungen der Verlage liegt", sagt die Recruiting-Expertin.

In mancher Ausschreibung für Wirtschaftsredakteure heißt es inzwischen nur noch: "Fachliche Expertise oder das Interesse an der Branche ist wünschenswert." Auf einem Wirtschaftsstudiengang wird nicht mehr unbedingt beharrt. Bunjes rät ihren Mandanten aber dazu, eher Abstriche zu machen, wenn es um die Schreibe geht, als beim Fachlichen: "Nicht jeder muss eine Edelfeder sein." Zuweilen würde sie eine Stelle ihrer Mandanten notgedrungen mit zwei Personen besetzen, die zusammen alle geforderten Kompetenzen mitbringen. Und die Arbeitgeber müssen sich gut um die einmal gewonnenen Talente bemühen. "Sonst komme ich und werbe sie ab", sagt Bunjes. "Denn gesucht werden sie überall."

Jessica Bunjes und Henrik Müller glauben nicht, dass es weniger Journalisten gibt, weil es an Idealismus und Arbeitsbereitschaft mangelt – gemäß des Klischees über die junge Generation Z. "Ich erlebe meine Studenten nicht so, eher als engagiert und leistungsbereit", sagt Müller. Das Interesse an seinem Studiengang hat bislang nicht nachgelassen, doch er könne sich nicht sicher sein, dass das so bleibt. Die Jahrgänge werden allein schon demografisch bedingt kleiner. Von den späteren Ausbildern der jungen Akademiker wünscht sich der Professor einen längeren Atem. "Wer ins Volontariat oder den ersten Job startet, muss sich erst mal ausprobieren können. Bislang suchen die meisten Redaktionen aber komplett fertig ausgebildete Leute, die gleich voll loslegen. Hier mehr zu investieren, wird angesichts des Mangels immer nötiger."

Anne Hünninghaus ist Redakteurin in der Kölner Wirtschaftsredaktion Wortwert. 

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