Journalistennachwuchs

"Vielen Redaktionen dämmert inzwischen, dass sie sich um den Nachwuchs bemühen müssen"

03.09.2019

Tanjev Schultz, Journalistik-Professor an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, hat zusammen mit der University of Oxford und mit Unterstützung der Telekom-Stiftung eine Studie zum Ringen der Redaktionen um Talente herausgebracht.

"Der Nachwuchs ist nicht mehr bereit, sich bis zum Letzten ausbeuten zu lassen", sagt Journalistik-Professor Tanjev Schultz (Foto: Heike Hauslage Koch)


journalist: Herr Schultz, in Ihrer Studie geht es unter anderem um die Frage, wie attraktiv der Beruf des Journalisten momentan für junge Leute ist. Was haben Sie herausgefunden?
Tanjev Schultz: Es gibt noch immer viele junge Menschen, für die Journalismus ein Traumberuf ist. Aber die unsicheren Zukunftsaussichten halten auch viele davon ab, ihren Traum letztlich umzusetzen. Außerdem ist gerade der Nachwuchs heute nicht mehr bereit, sich bis zum Letzten ausbeuten zu lassen. Und das Thema Work-Life-Balance ist in vielen Redaktionen noch lange nicht angekommen. Viele junge Leute wollen zwar flexibel arbeiten, aber zu ihren eigenen Bedingungen.

Wissen die Redaktionen das?
Unser Eindruck ist, dass es vielen langsam dämmert, dass sie sich um den Nachwuchs bemühen müssen. In vielen Redaktionen gibt es in den nächsten Jahren eine große Rentenwelle – der Nachwuchs wird also gebraucht, sonst gibt es einen Fachkräftemangel. Immer mehr Redaktionen ermöglichen ihren Mitarbeitern inzwischen, von zu Hause aus zu arbeiten und sich die Arbeit flexibel einzuteilen, wenn es zur momentanen Aufgabe passt. RTL hat beispielsweise die Möglichkeit eingeführt, dass sich mehrere Mitarbeiter eine Führungsposition teilen. Dadurch sollen diese Stellen für Redakteure mit Familie attraktiver werden.

In Ihrer Studie geht es auch darum, dass viele Verlage ihre Redaktionen besser durchmischen möchten: zum Beispiel indem sie mehr Migranten und Menschen aus ärmeren Schichten einstellen. Wie erfolgreich sind sie damit bisher?
Bislang sind deutsche Redaktionen dabei vergleichsweise hilflos. Unsere Studie beschäftigt sich auch mit der Situation in Schweden und Großbritannien, wo Redaktionen zum Teil schon deutlich weiter sind. Die BBC hat sich richtige Quoten auferlegt: 50 Prozent der Angestellten und der Menschen in Führungspositionen sollen Frauen sein. 15 Prozent sollen einen BAME-Hintergrund haben (Red.: BAME= black, asian and minority ethnic), 8 Prozent aller Positionen sollen von Menschen mit Behinderung ausgeübt werden und ebenfalls 8 Prozent von LGBT (Red.: lesbian, gay, bisexual and transgender). Noch erfüllt die BBC diese Quoten nicht komplett, aber sie ist auf einem guten Weg. Davon sind deutsche Redaktionen noch weit entfernt.

Warum bewerben sich in Deutschland so wenige Migranten aus eigenem Antrieb?
In vielen Einwandererfamilien gilt Journalismus nicht als prestigeträchtig. Prestige ist vielen Eltern, die nach Deutschland eingewandert sind, aber sehr wichtig. Ihre Kinder sollen es einmal besser haben als sie. Sie sollen in guten Berufen arbeiten, gute Aufstiegschancen haben und gut verdienen. Diese Attribute verbinden viele klassischerweise mit Berufen wie Arzt, Ingenieur oder Rechtsanwalt. Journalismus gilt häufig als Künstlertum – und wird erst gar nicht in Betracht gezogen.

Und wie sieht es mit der sozialen Durchmischung in Redaktionen aus?
Da gibt es in allen drei Ländern, die wir untersucht haben, noch großen Nachholbedarf. Nach dem Brand des Grenfell Towers in London im Juni 2017 mussten sich zum Beispiel viele britische Medien eingestehen, dass sie zu diesem sozial schwierigen Viertel gar keinen Kontakt hatten. Dort waren die Probleme rund um das Wohnhaus ja lange bekannt, aber in den Medien war nie darüber berichtet worden.

Wie können Journalisten diesen Scheuklappenblick loswerden?
Einen interessanten Ansatz haben wir in Schweden gefunden: In der Journalistenausbildung an der Uni Göteborg nutzen die Dozenten eine interaktive Stadtkarte, auf der die Studenten markieren müssen, in welchen Stadtteilen ihre Geschichten spielen. Dadurch wird auf einen Blick deutlich, über welche Viertel häufig berichtet wird und welche nur selten oder nie vorkommen. Ich würde mir wünschen, dass solche Modelle auch bei uns in Deutschland genutzt werden.

Dieses Interview ist Teil unseres Titel-Schwerpunkts zum Journalistennachwuchs in der September-Ausgabe.
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