Stimme, Podcast, Audio

Audiomania

05.04.2023

Die Stimme hat ein Comeback erlebt: Der Podcast-Markt wächst, Text-to-Speech-Anwendungen verwandeln Berichte in Hörbares, und Audio-Abteilungen experimentieren mit Sprachoberflächen und personalisierten Audio-Apps. Doch vielerorts fehlt noch Investitionsbereitschaft und Mut. Text: Sonja Peteranderl, Illustration: Francesco Ciccolella

"Radio wirkte lange eher unspektakulär. Doch mittlerweile boomt das Audio-Genre."(Illustration: Francesco Ciccolella)

An der Wand hinter Christian Hufnagel schimmert blaues Neonlicht, eine digitale Stimme präsentiert ihm die Nachrichten: „Christian, hier sind deine Neuigkeiten. In der Ukraine ...”, Hufnagel unterbricht Sprachassistentin Alexa mit dem Sprachbefehl „skip”, um zur nächsten Schlagzeile zu springen.

Der Leiter des ARD Audio Labs erforscht mit seinem Team, wie das Radio der Zukunft aussehen könnte. Sich mit Stimmbefehlen durch Audio-News zu navigieren und bei Interesse tiefer in Themen einzutauchen, deep dive – ist das die Audio-Zukunft?

Eines ist klar: Die Stimme hat als Medium ein Comeback erlebt. Radio wirkte in Deutschlands Medienlandschaft lange eher unspektakulär: ein Haushaltsmedium, das beim Frühstück oder beim Kochen im Hintergrund lief; berieselnder Begleiter beim Autofahren. Doch mittlerweile hat das Audio-Genre unter anderem mit dem Aufstieg von Podcasts und neuen Technologien an Bedeutung gewonnen.

„Audio war im Internet neben Bewegtbildplattformen wie Youtube lange Zeit in einer Loserrolle“, beobachtet Hufnagel. „Jetzt erleben wir einen Audioboom, der sich in vielfacher Hinsicht zeigt – und wir intensivieren unsere Bemühungen im digitalen Audio-Bereich.” Er glaubt auch, dass die aus den USA nach Europa geflutete Podcast-Welle immer noch nicht voll in Deutschland angekommen ist.

Die Verlagerung von Aufmerksamkeit und Budget hin zu Audio-Projekten ist ein globaler Trend: Der Anfang 2023 veröffentlichten Studie „Journalism, Media, and Technology Trends and Predictions 2023” des Reuters Institute zufolge wollen knapp drei Viertel der befragten Medienmacher*innen aus mehr als 50 Ländern mehr in Podcasts und digitale Audio-Formate investieren. Und egal wo man sich gerade in der deutschen Medienbranche umhört: Alle sehen noch Potenzial im Audio-Markt.

„Bei Audio passiert gerade enorm viel, Nutzungsgewohnheiten ändern sich, darauf müssen wir uns einstellen”, sagt auch Ole Reißmann, Ressortleiter Audio beim Spiegel. „Wenn nicht alle Texte lesen wollen, müssen wir überlegen, wie wir unsere Inhalte trotzdem zu ihnen bringen – aber so, dass es geschäftlich für uns Sinn ergibt.” Podcasts würden Nutzer*innen etwa „einen persönlichen Zugang und gefühlte Nähe” bieten.

Rund 94 Prozent der Menschen ab 14 Jahren hörten der Vaunet-Mediennutzungsanalyse zufolge 2022 regelmäßig Audio und Radio, durchschnittlich vier Stunden und 17 Minuten pro Tag – mehr als vor der Pandemie, die den Audio-Konsum mit mehr Zeit im Homeoffice und einem veränderten Freizeitverhalten beeinflusst hat. Besonders bei den jüngeren Zielgruppen verlagert sich die Audionutzung laut ARD/ZDF-Onlinestudie 2022 immer stärker ins Digitale.

Auch längere Formate

Während der Pandemie suchten Millionen Menschen Orientierung bei dem Coronavirus-Update mit Virologe Christian Drosten von NDR Info. Medien unterhalten News-Podcasts, die rund fünf, zehn oder zwanzig Minuten über das tagesaktuelle Geschehen informieren – wie Was jetzt? (Zeit Online), Auf den Punkt (SZ) oder Die Lage (Spiegel), eine rund fünfminütige vertonte Kompaktversion des Spiegel-Newsletters Die Lage. Der aufwendigere, rund 30-minütige Spiegel-Daily-Podcast wurde kürzlich eingestellt – die Finanzierung des Projekts durch Audible war nach zwei Jahren abgelaufen. „Jetzt machen wir eine kleine Pause und denken den täglichen Podcast noch mal neu”, sagt Reißmann dazu.

Auch längere Interviewformate drängen 2023 weiter auf den Markt, wie Ehrlich Jetzt? mit Zeit-Online-Redakteurin Yasmine M‘Barek, In aller Ruhe mit Carolin Emcke (SZ) und Moreno+1 mit Juan Moreno (Spiegel). Auch der Video-Talk Spitzengespräch mit Markus Feldenkirchen ist beim Spiegel seit Februar alternativ als Podcast verfügbar.

„Für Medienhäuser ist es gerade ein großes Thema, zu überlegen, welche Routinen wir schaffen können”, beobachtet Laura Terberl, Leiterin Audio und Video der Süddeutschen Zeitung. „Was kann das digitale Äquivalent dazu sein, morgens die Zeitung aus dem Briefkasten zu holen und gleich zu lesen?” Dem SZ-News-Podcast Auf den Punkt sei es gelungen, eine neue Routine zu schaffen: „Für viele gehört der Podcast zu ihrem Tagesablauf – sie hören zu, egal um welches Thema es geht.” Terberl zufolge erreicht das Format eine der jüngsten Zielgruppen innerhalb des SZ-Portfolios. Podcasts sind für die SZ generell eine Art Verjüngungskur: „Wir sehen in Umfragen vermehrt, dass Leute unter 30 uns immer häufiger von Podcasts kennen – und nicht von der gedruckten Zeitung”, sagt Terberl.

„Audio war im Internet neben Bewegtbildplattformen wie Youtube lange Zeit in einer Loserrolle und kam einfach nicht sichtbar durch. Jetzt erleben wir einen Audioboom“

Christian Hufnagel, Leiter des ARD Audio Labs

Deutsche Medien erhoffen sich vieles von Audio-Formaten: Kostenlose Podcasts, die auch auf anderen Audioplattformen verfügbar sind, sollen Reichweite und Bekanntheit steigern, exklusiver Content hinter der Paywall neue Abonnent*innen locken und Kündigungen verhindern. Und idealerweise wirken Podcasts wie eine Einstiegsdroge – so dass Hörer*innen über den Audio-Umweg das Printprodukt für sich entdecken. Die Zeit warb etwa mit der Kampagne Die Zeit ist anders in ihren Podcasts um neue Leser*innen – in Einspielern erklärten Zeit-Podcast-Hosts, warum sich auch die Zeitung lohnt.

Irgendwie müssen sich Podcasts, deren Produktion teils aufwendig und teuer ist, auf jeden Fall wieder auszahlen – die meisten Medien setzen auf eine Mischkalkulation aus Direkterlösen über Abos, Werbung und Auftragsproduktionen. „Wir machen auch Experimente, die nicht sofort auf die Abostrategie einzahlen, aber auch Innovationen müssen sich irgendwann rechnen”, sagt Laura Terberl von der SZ. „Das Modell funktioniert, bringt Geld, und wir glauben, dass es in Zukunft noch attraktiver sein wird, als es jetzt ist.”

Durch den Podcast-Hunger von Plattformen wie Spotify, Audible oder Podimo ist in den vergangenen Jahren eine neue journalistische Einkommenssäule entstanden: Die Plattformen versuchen zunehmend, sich mit hochwertigen, exklusiven Inhalten von Wettbewerbern abzuheben; sie erweitern ihr Portfolio auch um Nachrichten, mehrteilige Audio-Reportagen, investigativen Journalismus – und kaufen unter anderem bei deutschen Medien Inhalte ein.

Der Spiegel hat etwa für Spotify mit dem Podcast Ausverkauft die WM in Katar beleuchtet; die von Podimo präsentierte Podcast-Serie Ein rätselhafter Patient handelt von Menschen mit seltsamen Symptomen. Die SZ hat für Spotify Podcasts wie Verzockt – Das System Sportwetten oder Wirecard: 1,9 Milliarden Lügen realisiert. „Der Stoff kommt zuerst“, sagt SZ-Audio-Chefin Terberl. „Wir überlegen uns als Team, an welchen Geschichten wir Interesse haben, was zur Marke passt – und entscheiden dann, ob wir das intern oder mit einem Partner realisieren.”

Viel zu langsam reagiert

Julia Krempin zufolge haben die meisten deutschen Verlage viel zu langsam auf den globalen Podcast-Trend reagiert: „Wer zu den Pionieren gehören will, muss ins Risiko gehen und Geld in die Hand nehmen, aber das machen nur sehr wenige”, sagt die Chefredakteurin des Wirtschaftsmagazins Business Punk. „Einige haben da viel Potenzial verspielt.” Dennoch glaubt sie, dass es immer noch eine gute Zeit für neue Podcasts sei: „Es ist faszinierend, wie bunt der deutsche Podcastmarkt ist – und ich glaube, dass da noch viel kommt.”

Zahlreiche Nischen seien noch zu besetzen, etwa in Bereichen wie Mobilität oder Gesundheit, in denen auch technologische Weiterentwicklungen Gesprächsstoff bieten. Auch bei längeren Reportagen sieht Krempin Potenzial: „Geschichten gibt es genug, die man erzählen könnte – Medien können sich noch richtig austoben.”

„Wer zu den Pionieren gehören will, muss ins Risiko gehen und Geld in die Hand nehmen, aber das machen nur sehr wenige”

Julia Krempin, Chefredakteurin Business Punk

Die Podcasts von Business Punk werden durch Partner oder Werbung finanziert. In dem seit 2018 laufenden Podcast How to Hack, den Krempin entwickelt hat, geben Gründer*innen aus der Start-up- und Kreativbranche Tipps, wie Hörer*innen nachhaltiger leben oder erfolgreich ein Start-up gründen können. Hosts sind Krempin zufolge wichtiger für den Podcast-Erfolg als die Gäste. „Bei den meisten gut laufenden Podcasts sind die Hosts Promis oder Influencer, sie bringen direkt eine große Community mit”, beobachtet sie. „Aber für uns als Wirtschaftsmagazin ist Glaubwürdigkeit noch mal wichtiger als Reichweite.” How to Hack wurde lange von Beraterin Tijen Onaran moderiert, die Frauen und Themen wie Diversity in das männlich dominierte Business-Punk-Universum brachte.

Auch bei Regionalmedien ist die Podcast-Vielfalt groß – doch Monetarisierung ist Patrick Körting zufolge eine Herausforderung. „Wenn du lokal relevant sein möchtest, fehlt dir wiederum Reichweite”, sagt Körting, Head of Audio bei NOZ Digital. „Die regionale Presse hat häufig im Regionalsport eine besondere Expertise und ist exklusiv, weil es sonst niemanden gibt, der darüber schreibt oder spricht – aber wenn ich über einen Drittligisten im Bereich Fußball berichte, dann bietet dir ein Sponsor keine attraktiven Vergütungsmodelle, um kostendeckend oder sogar gewinnbringend arbeiten zu können.”

NOZ Digital experimentiert mit Mischformen, um Podcasts zu vermarkten; das Team schnürt Themenpakete wie das Fan-Abo rund um den VfL Osnabrück, das für knapp fünf Euro monatlich neben dem VfL-Podcast Brückengeflüster auch Texte und Videos enthält. „Bei unserem Fußball-Podcast schreiben wir mit jeder Episode Abos – und zwar mehr Abos, als wir mit dem Text-Content bekommen”, so Körting. Mittlerweile werbe ein Werbekunde sogar hinter der Paywall im Podcast-Umfeld; Live-Podcasts seien geplant, auch Tickets und Merchandise könnten an Fußball-Fans vertrieben werden. Über ein ähnliches True-Crime-Themenabo denkt der Verlag noch nach.

Körting sieht Podcasts als „Türöffner”, um Menschen für Audio-Berichterstattung zu begeistern – für relevanter mit Blick auf die Audio-Revolution bei Print-Marken hält er aber TTS. Mit Text-to-Speech-Verfahren werden Texte automatisiert in akustische Sprachausgabe umgewandelt – Nutzer*innen können sich dann on demand entscheiden, ob sie einen Text lesen oder als Audio hören. „Wir haben lange gezögert, weil wir sicherstellen wollten, dass die Qualität stimmt”, sagt auch Ole Reißmann, Ressortleiter Audio beim Spiegel. „Jetzt haben wir den Zeitpunkt erreicht, an dem wir uns nicht mehr dafür schämen müssen, wie der Computer spricht.” Ausgewählte Magazinstücke werden nach wie vor von Sprecher*innen eingelesen, ein großer Teil des Spiegel-Angebots steht aber per TTS als Audio-Version bereit. Die Nutzer*innen hätten sich Reißmann zufolge an automatisierte Vertonung gewöhnt.

„Ich bin überzeugt, dass sich hier eine neue Branche auftut, die irgendwo zwischen Zeitung und Radio liegt”, glaubt Patrick Körting von NOZ Digital – „und das wird für die regionalen Medien noch spannender als für die Zeit oder SZ.” Denn: Künftig könnten Regionalzeitungen all ihre Texte automatisch als Audio-Content bereitstellen und als personalisierten, hyperlokalen Audio-Mix aufbereiten. Im zweiten Halbjahr 2023 soll die personalisierte Audio-App von NOZ Digital launchen: „Du öffnest die App, drückst einen Knopf und hörst das auf dich abgestimmte Programm”, so Körting.

Raus aus der Leanback-Haltung

Statt wie beim traditionellen Radio ein vorgefertigtes Programm zu erstellen, werden verfügbare Audio-Inhalte also in einzelne Elemente aufgeteilt (atomized news) und je nach Bedarf wieder neu remixt. Das Projekt soll sich über Werbung finanzieren. „Gerade auf regionale Zeitungsverlage wartet ein goldenes Zeitalter, wenn man es schafft, in den nächsten ein bis zwei Jahren auf den Zug aufzuspringen”, glaubt er. Ob das alle Verlage so sehen? „Unterschiedlich – es haben weniger begriffen, als es gut wäre”, schränkt er ein. „Zum jetzigen Zeitpunkt braucht man große Investitionen.”

„Gerade auf regionale Zeitungsverlage wartet ein goldenes Zeitalter, wenn man es schafft, in den nächsten ein bis zwei Jahren auf den Zug aufzuspringen”

Patrick Körting, Leiter des Audio-Bereichs bei NOZ Digital

Auch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten entwickeln personalisierte Audio-Ansätze. Das ARD Audio Lab experimentiert nicht nur bei Smart Speakern mit Funktionen, mit denen die Hörer*innen das Angebot beeinflussen können. In der SWR3-App können sie sich etwa wie bei Spotify eine eigene Playlist mit Lieblingssongs anlegen, aber auch News und Beiträge speichern, die sie nachhören wollen. Wer gerade digitales Radio hört und abgelenkt wird, kann im Livestream zurückspulen und sich die Stelle noch mal anhören – und Nutzer*innen können live Songs austauschen, wenn ihnen das Standardprogramm nicht gefällt. „Sie wollen raus aus der Leanback-Haltung, sie haben Lust, sich einzumischen und einzugreifen”, beobachtet Christian Hufnagel vom ARD Audio Lab. Auf ein ähnliches Bedürfnis stieß auch die BBC, als sie die Mediennutzung der Generation Z in Großbritannien erforschte. „Sie erwarten Interaktion und Kontrolle bei digitalen Formaten – bei allem anderen wischen und tippen sie, warum also nicht auch bei Nachrichten?”, heißt es aus dem BBC News Lab über das Publikum.

Dass Menschen Lust haben, sich per Stimme auszutauschen und sich an Gesprächsformaten zu beteiligen, offenbarte auch der Hype um die Social-Audio-App Clubhouse Anfang 2021. Zeit Online lud Interessierte bei Clubhouse-Redaktionskonferenzen dazu ein, Themen einzubringen; Spiegel-CvD Jonas Leppin moderierte Diskussionsrunden. Nach ein paar Monaten brach das Interesse an der App ein. Auch Twitters Audio-Talk-Feature Twitter Spaces ist für den deutschen Medienmarkt irrelevant – doch für Medien, die stark auf Social Media setzen und ihre Community dort auf- und ausbauen wollen, kann sich das durchaus lohnen: Die salvadorianische Investigativplattform El Faro hält etwa regelmäßig interaktive Diskussionen zu Recherchen ab. Alle vom journalist befragten Audioexpert*innen sind überzeugt, dass zumindest das Clubhouse-Prinzip als interaktives Audio-Talk-Feature in künftigen Formaten neu aufleben wird – vielleicht werden interaktive Live-Video-Podcast-Talkformate bald zum nächsten großen Trend.

Interaktive Formate für Sprachoberflächen, die über einfache Sprachbefehle hinausgehen, sind bisher noch rar. Die Aufregung um Voice-AI wie Alexa und Co ist deutlich abgeflacht – vor rund fünf Jahren begannen erste Medien hierzulande mit Alexa-Skills zu experimentieren (siehe journalist 5/2017). Heute ist das Stimmungsbild gemischt: Einige Pioniere haben ihre Skills wieder entsorgt, richtig aufregende Formate existieren bis heute nicht. Andererseits bereiten sich einige nach wie vor auf eine Zukunft vor, in der Sprachoberflächen an Bedeutung gewinnen.

Jakob Vicari, Gründer von tactile.news, einem Innovationslabor für neuen Journalismus, findet es schade, dass Audio-Innovation für viele vor allem „Podcast, Podcast, Podcast” bedeute. „Sprachassistenten wie Alexa sind toll für Dialog und personalisierten Journalismus”, sagt er. „Man hat aber in der ersten Welle vergessen zu überlegen, was dieses Gerät speziell macht.” Deutsche Medien hätten oft einfach „irgendwelche Inhalte da reingeschmissen, die vorgelesen werden – und die Skills nach einer ersten Euphorie, in der alle Alexa-Skills wollten, in den Schubladen vergessen”, kritisiert er.

Mit Journalistenschüler*innen entwickelt Vicari in Workshops Prototypen wie geobasierte Formate für Sprachassistenten, die Menschen mit schmalem Geldbeutel Spartipps für ihre Umgebung geben oder durch die Stadt führen. 2022 stellten tactile.news und Radio Euskirchen eine „Dialogbox” auf, ein mit Sprachassistent ausgestattetes Möbelstück, das sich mit Menschen vor Ort über ihre Bedürfnisse unterhielt (siehe journalist 11/2022). Der Aufwand, eigens für Sprachassistenten entwickelte Formate zu unterhalten, zahle sich meist noch nicht aus, schränkt Vicari selbst ein – „was schade ist, bisher werden Smart Speaker vor allem dazu genutzt, Pizza zu bestellen und das Licht auszumachen”.

Smart Audio fürs Kinderzimmer

Vicaris Projekte sind dem Branchendurchschnitt meist ein paar Jahre voraus und nicht immer skalierbar. Vor ein paar Jahren versuchte er, Medien für die Toniebox zu begeistern. Ein Düsseldorfer Start-up hatte den Kinder-Audioplayer damals erfunden: Kinder können aus Hartgummifiguren („Tonies”) eine Figur wählen, die sie auf die „Toniebox”, einen bunten Würfel, stellen – dann ertönt ein bestimmtes Hörspiel. Vicari sah darin Smart Audio fürs Kinderzimmer, eine interessante Plattform auch für journalistische Formate. „Wir waren damals bei vielen Medienhäusern mit den Tonies, aber die Firma war noch klein und unbekannt”, erzählt er. „Ein Spielzeug, das man auf eine Box stellt und das Nachrichten ausspuckt, war denen suspekt.” Das Unternehmen wird mitterweile an der Börse mit rund einer Milliarde Euro bewertet, es kooperiert mit Konzernen wie Disney. „Heute wären die Medien wahrscheinlich froh, auf der Box zu sein”, glaubt Vicari.

„Bei Audio passiert gerade enorm viel, Nutzungsgewohnheiten ändern sich, darauf müssen wir uns einstellen”

Ole Reißmann, Ressortleiter Audio beim Spiegel

Die meisten Medien sind eher mit Hausaufgaben als mit futuristischen Spielereien beschäftigt. Der Spiegel hat etwa für die Sprachassistenten Amazon Alexa und Google Voice Anwendungen entwickelt, mit denen Abonnent*innen durch die eingelesenen Magazinstücke steuern können; beim Autofahren können Nutzer*innen von Apple Carplay und Android Auto per Spiegel-App Audioinhalte abrufen. „Wir sehen uns Sprachoberflächen an und finden das spannend, aber wir glauben nicht, dass morgen alle mit dem Spiegel reden und sich per Sprache durch das Magazin blättern”, sagt Ole Reißmann. „Das ist in den Anfängen, mal gucken, was sich da durchsetzt, ob diese Sprachassistenten in Zukunft zu mehr genutzt werden, als in der Küche eine Maßeinheit umzurechnen oder ein Lied zu hören.”

Auch das ARD Audio Lab beschäftigt sich viel mit Sprachoberflächen, testet Navigationsmöglichkeiten durch die Angebote, kooperiert mit den großen Herstellern, versucht, Voice-Standards mitzuentwickeln. Die Audiothek ist direkt in Alexas Angebot integriert. „Für uns ist es wichtig, dass wir einen Fuß in der Tür haben, wenn wirklich der große Durchbruch gelingt”, sagt Christian Hufnagel. „Der Markt entwickelt sich volatil, und es fühlt sich ein bisschen so an wie in den Anfängen des Internets.”

Auch das Auto als Audio-Nutzungsszenario ist für das ARD Audio Lab ein wichtiges Spielfeld. Im Sommer 2023 soll etwa das Angebot „Audiothek unterwegs” in Süddeutschland an den Start gehen: Fahren Autofahrer*innen an touristischen Hinweisschildern vorbei, können sie geogetaggte Inhalte zu den Sehenswürdigkeiten anhören – eine Art Drive-by-Sightseeing-Tour. Hufnagels Team kämpft aber auch um die künftige Auffindbarkeit der öffentlich-rechtlichen Audio-Inhalte: Der zentrale Radioknopf wird künftig aus Fahrzeugen verschwinden, Hersteller rüsten auf digitale, immer größere Displays um, auf denen zahlreiche Apps miteinander konkurrieren. „Radio ist dann ein Teil von einer App-Umgebung mit vielen Apps, und da entsteht ein großer Wettbewerb um den Einzug auf den Flächen”, sagt Christian Hufnagel. „Wir versuchen da mitzuentwickeln, weiter gut auffindbar zu sein und auf diesem See, der langsam zufriert, weiter Schlittschuh zu laufen.”

Trotz aller Podcasts, Umbrüche und Experimente wird das lineare Radio aber nicht gleich sterben – Hufnagel geht davon aus, dass klassisches Radio bis mindestens 2030 noch „unverzichtbarer Teil des Portfolios” bleiben wird.

Sonja Peteranderl ist Gründerin des Thinktanks BuzzingCities Lab und Algorithmic Accountability Reporting Fellow bei AlgorithmWatch. Sie berichtet vor allem über organisierte Kriminalität, urbane Gewalt und Technologie – zuletzt etwa für den SWR oder den Spiegel.

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