Endlich ein Redigatur-Buddy!

Wie arbeiten Journalist:innen mit KI?
Wir haben uns unter freien Journalistinnen und Journalisten umgehört, welche KI-Tools sie besonders nützlich finden, wie die neuen Möglichkeiten ihre Arbeit verändern – und wo sie Risiken sehen.
Umfrage: Kathi Preppner
13.06.2025
„Da muss ich mir nicht das Hirn zermartern“
Torben Becker arbeitet unter anderem für verschiedene Ressorts der Zeit, als Rechercheur für den Podcast Hotel Matze und für den Deutschlandfunk
Ich bin noch recht neu im KI-Game, weil ich mir lange nicht die Zeit genommen habe, mich damit zu beschäftigen. Mir ist jedoch aufgefallen, dass das Thema bei Journalismus-Workshops immer präsenter wurde – und ich habe mich gefragt: Was ist da wirklich dran? Vor etwa einem Dreivierteljahr habe ich mich dann hingesetzt und ChatGPT ausprobiert. Das Sprachmodell und die Suchmaschine Perplexity AI nutze ich jetzt gerne für Recherchen, zum Beispiel wenn ich mir einen schnellen Überblick verschaffen will. Dabei frage ich beide Tools meist nach bestimmten Quellen. Auch lange Texte und Studien lasse ich mir gerne in Stichpunkten zusammenfassen.
Wenn es um Kontaktdaten und biografische Angaben zu Personen geht, vertraue ich der KI allerdings nicht. Da habe ich den Eindruck, dass sie oft etwas durcheinanderwirft. Auch für aktuelle Themen und Faktenchecks sind die Tools aus meiner Sicht nicht geeignet. Wenn mein Rechercheplan steht, hole ich mir gerne eine zweite Meinung von der KI ein: Ich schreibe einen Pitch mit meinen Recherchebestandteilen und lasse ihn auf Stringenz prüfen. So sehe ich, ob mein Aufbau passt und die zentrale Frage deutlich wird. Auch beim Kurzen meiner Texte hilft mir KI hin und wieder, sie ist da herrlich unvoreingenommen, nach dem Motto: Kill your darlings. Da muss ich mir nicht das Hirn zermartern, wo ich noch etwas weglassen könnte.
Ansonsten finde ich die Tools auch nützlich zum Transkribieren und zum Prüfen von Rechtschreibung und Grammatik, zum Beispiel in wichtigen E-Mails. Zuletzt habe ich sogar eine Mahnung mit KI-Hilfe geschrieben. Die habe ich dann von der Rechtsberatung meiner Gewerkschaft prüfen lassen und konnte sie sofort verwenden. All das spart enorm viel Zeit und bringt mich auf neue Ideen – beides wichtig für freie Journalisten wie mich, denn wir haben ja meist ein hohes Arbeitspensum und sind nicht an eine Redaktion angebunden, mit der wir uns jederzeit über Themen austauschen können.
„KI kann helfen, ins Thema zu finden“
Pierre Gehmlich arbeitet für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und macht Podcasts wie „Wir sind das Volk“ über die Ost-West-Debatte
Wenn ich mit meinem Kollegen Podcasts mache, experimentieren wir seit etwa einem halben Jahr gerne mit ChatGPT. Unser Fazit bisher: KI kann uns helfen, ins Thema zu finden und neue Aspekte auszumachen. Allerdings schlagt die KI nie etwas Neues vor, alles beruht auf Altbekanntem. Auch die Suche nach Menschen funktioniert meiner Erfahrung nach nicht gut, da ist die KI nicht kreativ genug. Aber für erste Ideen lohnt es sich, sie zu befragen. Unsere O-Tone wurden wir allerdings nicht bei einem kostenlosen Tool hochladen, da haben wir datenschutzrechtliche Bedenken. Wir verfolgen aber weiter, wie uns die neuen Möglichkeiten die Arbeit erleichtern können.
„Ich bin permanent im Experimentiermodus“
Barbara Weidmann ist freiberufliche Crossmedia-Trainerin unter anderem für die Akademie der Bayerischen Presse, das Goethe-Institut und verschiedene Universitäten und Hochschulen
Als KI-Trainerin muss ich ständig Tools erproben und auf dem Laufenden bleiben. Darum ist mein erster Impuls, egal bei welchem Projekt: Kann mich KI dabei unterstutzen? Ich bin permanent im Experimentiermodus. Meine Artikel schreibe ich aber weiterhin ohne KI. Da will ich meine eigene Stimme hören, nicht die eines Algorithmus. Beim Recherchieren, Sortieren und Strukturieren darf KI hingegen gerne ein bisschen mitreden.
Extrem praktisch finde ich die Sprachfunktion von ChatGPT. Darüber kann ich unterwegs mit dem Chatbot brainstormen oder ihn in Echtzeit dolmetschen lassen. Dank KI kann ich außerdem bequem norwegische Zeitungen oder chinesische Tutorials lesen und inzwischen sogar Inhalte international vermarkten. Der größte Mehrwert entsteht, wenn ich Workflows automatisiere. Zum Beispiel lasse ich mir jeden Tag die Flut an Newslettern auswerten und bekomme das Spannendste zusammengefasst. So bleibt mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge.
Logisch, dass die Entwicklung ganze Berufsgruppen gefährdet, auch Journalist:innen. Honorare werden gekürzt, weil mit KI alles so viel schneller geht! Medienhäuser blenden gerne aus, dass KI kostspielig ist und wir uns das Know-how erst mal erarbeiten müssen. Während Redaktionen ihren festangestellten Kolleg:innen Schulungen, Infrastruktur und spezialisierte Teams zur Verfügung stellen, stehen Freie meist allein da und müssen gleichzeitig zusehen, wie KI-generierte Inhalte die Aufträge verdrängen.
Wir dürfen uns auf keinen Fall abhängen lassen und müssen den Fokus auf Bereiche legen, in denen menschliche Expertise und kreative Fähigkeiten unverzichtbar sind.
„In der Investigation bringt mir das nicht viel“
Eine freie Journalistin, die investigativ für öffentlich-rechtliche Sender arbeitet und hier anonym bleiben möchte
Ich verwende nur wenige KI-Tools. Hin und wieder ChatGPT – hauptsachlich um Pitches zu verbessern. Für die reine journalistische Arbeit stehe ich dem Ganzen eher kritisch gegenüber, da bei ChatGPT nicht unbedingt etwas faktisch Richtiges herauskommt. Gerade in der Investigation bringt mir das nicht so viel. Trotzdem finde ich es wichtig, da dranzubleiben und Dinge auszutesten. Bei heiklen Recherchen sollten Auftraggeber allerdings möglichst ihre eigene interne Software bereitstellen, um keine Daten zu leaken.
„Generative KI verstärkt Vorurteile“
Esther Menhard schreibt als freie Autorin vor allem für netzpolitik.org über Verwaltungsdigitalisierung, KI und digitale Teilhabe
Ich nutze vier KI-gestutzte Werkzeuge: die Suchalgorithmen von Google und DuckDuckGo, den DeepL-Übersetzer sowie ein Transkriptionstool für Audio-Mitschnitte. Diese und vergleichbare Tools verwende ich seit Beginn meiner journalistischen Arbeit. Der Output oder auch einfach nur die Erfahrung damit hat sich mit der Zeit verbessert. Generative KI wie ChatGPT vermeide ich weitgehend, da sie Nachteile hat: Sie kann zwar viel Output in kurzer Zeit generieren, eine tiefgreifende und kritische Auseinandersetzung mit Themen kann sie aber nicht ersetzen. Während Journalist:innen recherchieren, verifizieren und einordnen, erzeugt GenAI lediglich eine tendenziell bias-verstärkende, fiktive Wirklichkeit – mit wirklichkeitsähnlicher Anmutung. Zudem gehen in der Debatte die Schattenseiten von GenAI häufig unter: zum Beispiel die hohe Fehlerrate, der Umweltverbrauch, prekäre Arbeitsbedingungen im globalen Süden und algorithmische Verzerrungen.
„Wer jetzt noch punkten will, muss gute Inhalte liefern“
Eva Augsten schreibt vor allem über Erneuerbare Energien, meist für Fachzeitschriften, aber auch für VDI-Nachrichten, Technology Review oder Ökotest
Die AI Academy von tactile.news war für mich der Einstieg, mich intensiver mit KI und dem Prompten zu befassen. Ich habe mit Voiceflow den Chatbot Sonnja programmiert, der auf Basis der Datenbank eines Kollegen Fragen zu Balkonsolaranlagen beantwortet. Im Alltag nutze ich jetzt vor allem Sprachmodelle, um Routinen zu beschleunigen. Sie lektorieren schnell und erstaunlich verlässlich meine Texte, machen aus dem Marketing-Sprech von Pressemitteilungen solide Meldungen und übersetzen diese auch noch ins Englische. Auch manches IT-Problem hat ChatGPT schon für mich gelost.
Bei Recherchen hilft mir die KI auch – allerdings mit sehr gezielten Fragen und nie für sich allein. Was ich selbst recherchiert habe, formuliere ich immer selbst. Das ist und bleibt meine Kernkompetenz, vor allem bei komplexen Themen.
Problematisch finde ich an der KI, dass Menschen immer mehr verlernen, leeres Gelaber von echten Inhalten zu unterscheiden. Diese Gefahr besteht in doppelter Hinsicht: auf Seiten der Verlage ebenso wie in der Leserschaft. Jeder Ahnungslose kann nun ratz-fatz digitale und analoge Seiten mit Text füllen. Die Verlage senken ihre Kosten auf nahezu null, und angesichts der Qualität mancher Medien fallt das womöglich nicht einmal auf. Wer jetzt noch punkten will, muss also erstens gute Inhalte liefern. Das ist anstrengend, aber machbar – zumindest, wenn man diese Arbeit bezahlt bekommt. Und zweitens: Wir müssen erklären, was der Mehrwert von guten, faktenhaltigen, lebendigen Texten ist und woran man sie erkennt. Ob das gelingt, ist offen.
„KIs geben viel Applaus für Bullshit“
Pascal Mühle arbeitet als freier Journalist vor allem für den Spiegel und Zeit Online
Ich habe mir gerade vorgenommen, jeden Monat ein neues KI-Tool auszuprobieren, um herauszufinden, welche mir den größten Mehrwert bringen. Bis jetzt ist meine Arbeit schon effizienter geworden, einzelne Arbeitsschritte wie Themenrecherche und das Ausfeilen des fertigen Textes gehen schneller.
Inzwischen habe ich eine Reihe von individuellen GPTs für verschiedene Aufgaben erstellt. Von der Themenfindung bis zur Textarbeit, wie ein kleines KITeam, das mich bei der Arbeit unterstutzt. Wichtig: KIs geben viel Applaus für Bullshit – und produzieren selbst viel davon. Also immer kritisch auf die Vorschläge schauen. Viele sind unbrauchbar, aber hin und wieder findet man einen Diamanten. Für Freie bieten KIs die Chance, ihre Arbeit effizienter zu gestalten. Bei den oft viel zu niedrigen Honoraren arbeiten Freie oft aus Idealismus unwirtschaftlich. Jetzt kann ich viel mehr Zeit in die Arbeitsschritte investieren, die mir am meisten Spaß machen. Rausgehen, beobachten, mit Menschen sprechen, das wird die KI nie können. Auch im kreativen Schreiben werden gute Journalistinnen und Journalisten immer besser sein als eine KI, deren Output aus der Konserve kommt.
Die Technologie hat aber auch Nachteile. Ich befürchte, dass einfache Schreibarbeiten von KIs wegrationalisiert werden. Für Freiberufler ist das ärgerlich. Und dann ist da noch die große Frage der Fairness. KI-Modelle sind auch deshalb so gut, weil sie mit Texten von Journalistinnen und Journalisten trainiert wurden. Die großen Tech-Konzerne machen sich damit die Taschen voll. Wie können wir beteiligt werden, wenn unsere Texte für die Entwicklung von KI genutzt werden?
„Nutzt die Tools als Sparringspartner und Redigatur-Buddy“
Anne-Kathrin Gerstlauer schreibt den Newsletter TextHacks. Sie arbeitet als Schreibtrainerin für Medien und Wirtschaftsunternehmen
Schafft KI deine Arbeit als Schreibtrainerin ab? Diese Frage bekomme ich oft gestellt. Meine Antwort ist: Nein. Wer starke Texte von der KI erwartet, muss verstehen, wie ein starker Text überhaupt aufgebaut und geschrieben ist. Die KI ist trainiert auf mittelmäßigen Texten. Selbst in Prompting-Workshops bringe ich allen Teilnehmer:innen zuerst bei: So schreibst du selbst einen starken Text. Danach üben wir Prompts, die der KI-Kontext geben: Wer ist die Zielgruppe? Wie soll mein Text aufgebaut sein? In welchem Ton soll er geschrieben sein? Wer keine Texte mit KI schreiben will, kann die Tools als Sparringspartner für Themenideen und als Redigatur-Buddy nutzen.
Meine Lieblings-Frage an die KI: Was ist die Hauptthese des Textes und an welchen Stellen im Text findest du sie? Probiert damit mal aus, ob ihr wirklich einen roten Faden habt. Ich selber nutze KI täglich für meine Newsletter-Texte – obwohl ich jeden Text zu 80 Prozent selbst schreibe. Ich habe eine Prompt-Bibliothek mit Prompts, die zum Beispiel Newsletter in meinem Stil schreiben können. Ich nutze diese Texte nicht 1:1, aber hole mir Inspiration und starke Formulierungen. Dafür nutze ich Claude AI, das funktioniert für kreative Texte besser als ChatGPT. Meine Lieblings-Prompts: Überschriften und Betreffzeilen. Schon vor KI galt: Je mehr Ideen, desto starker wird die Überschrift. Ich lasse mir also mindestens 20 Vorschlage generieren und nutze davon manchmal nur ein Wort.