„Medien machen sich von mächtigen Techunternehmen abhängig"

Marietje Schaake warnt schon seit langem vor der verborgenen Macht der Tech-Unternehmen, die nun immer offensichtlicher wird. Foto: Judith Jockel
Früher stand das Silicon Valley für Innovation und Freiheit, heute zerstören Tech-Giganten die Demokratie. Die ehemalige EU-Abgeordnete Marietje Schaake kämpft gegen den zunehmenden Einfluss der Tech-Konzerne auf Politik. Sie warnt Medien davor, sich von Big Tech abhängig zu machen – und hofft auf einen Journalismus, der nicht länger auf die Narrative der Tech-Giganten hereinfällt.
Text: Sonja Peteranderl
02.06.2025
Marietje Schaake war zehn Jahre lang Abgeordnete im EU-Parlament und ist Expertin für Digitalpolitik. Sie beobachtet mit Sorge, wie große Tech-Unternehmen immer starker werden und mittlerweile in politische Prozesse eingreifen – oft ohne demokratische Kontrolle. Im journalist-Gespräch erklärt sie, wie sich Machtverhältnisse verschieben, welche Rolle Elon Musk und andere Tech-CEOs spielen und wie stark auch Europa betroffen ist.
journalist: Frau Schaake, wie verändert der Tech-Coup die Welt?
Marietje Schaake: Tech-Konzerne übernehmen immer mehr Macht und Entscheidungen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Es wird immer problematischer, dass es nicht genügend große Gegenkräfte gibt, Instanzen, um sie zur Verantwortung zu ziehen. Die Unternehmen müssen kaum Rechenschaft ablegen, sie handeln weitgehend unreguliert und intransparent und übernehmen immer mehr Verwaltungsaufgaben. Dieser Tech-Coup hat sich schrittweise über Jahre hinweg und unsichtbar vollzogen und war bereits gefährlich für die Demokratie.
Bis vor kurzem dachten viele, Sie übertreiben.
In den USA ist nun die Verflechtung von politischer und staatlicher Macht mit der Macht des Silicon Valley, Kryptowahrungen und Risikokapital für viele Menschen sehr offensichtlich geworden. Tech-CEOs saßen bei der Amtseinführung von Donald Trump in der ersten Reihe und haben ihm zugejubelt, Elon Musk spielt ohne offizielles Mandat eine Schlüsselrolle in der Trump-Administration. Mir wurde oft gesagt, dass das Wort Coup unpassend sei für das, was da passiert.
Viele Tech-CEOs haben früher Barack Obama unterstützt. Facebook hat gleichermaßen demokratische sowie autoritäre Politiker*innen für den digitalen Wahlkampf trainiert – darunter den philippinischen Ex-Präsident Rodrigo Duterte, der im „Drogenkrieg“ Tausende Menschen töten ließ und nun dem Internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert wurde. Haben die Tech- Giganten eine politische Agenda oder geht es vor allem um Macht?
Sie folgen den Möglichkeiten, die sich ihnen bieten, wie zum Beispiel dem Zugang zu Markten oder dem Einfluss auf die Politik oder Skalierungsmöglichkeiten. Aber im Moment haben die Tech-Unternehmen eine sehr explizite Entscheidung getroffen, indem sie Donald Trump so demonstrativ unterstutzen. Das ist neu. Bei Obama oder Biden saßen sie nicht in der ersten Reihe. Technologie und Politik verschränken sich nun hinter einer offen antidemokratischen und antieuropaischen Agenda.
Was bedeuten das Trump-Regime und das politische Gewicht der Tech-Giganten für Europa?
Wir erleben gerade den gefährlichsten Moment für die europäische Sicherheit seit dem Zweiten Weltkrieg – einen radikalen Wandel, bei dem die USA sich von demokratischen Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung wegbewegen. Minderheiten werden attackiert, Staatsmacht wird für persönliche und politische Racheakte missbraucht, die akademische Freiheit eingeschränkt. Die sofortige Zerstörung von Institutionen wie USAID, Massenentlassungen oder wie Elon Musk weitreichend Zugang zu Regierungsdaten und Behörden gewahrt wurde, sind schon erstaunlich.
Was passiert, wenn Tech-Unternehmern so viel politisches Gewicht zukommt?
Musk hat klare eigene Interessen, er hat Vertrage mit Regierungsbehörden. Jetzt hat er Zugriff auf Behörden, die eigentlich eine unabhängige Aufsicht über seine Unternehmen und viele andere ausüben sollten. Es herrscht ein enormer Interessenkonflikt, den es in dieser Form noch nie gab.
Was bedeutet das für den Staat der Zukunft?
Viele der Machthaber in Washington wollen die Gesellschaft wie ein Unternehmen regieren und das wird zu ganz anderen gesellschaftlichen Ergebnissen führen. Es geht hier nicht um Reformen für mehr Effizienz. Das Ziel ist es, das Alte zu zerstören und durch etwas Neues zu ersetzen. Unternehmen konzentrieren sich auf die Gewinnmaximierung, auf den Nutzen für die Aktionäre, die Marktgröße, darauf, schneller als die Konkurrenz zu sein. Das sind relativ eng gefasste Ziele, während Regierungen eigentlich viel umfassendere, mehr öffentliche Interessen im Auge behalten, die Interessen verschiedener Gruppen von Burger*innen abwägen müssen.
„Es fehlt Technologie-Wissen, aber auch der Zugang zu Informationen über die Tech-Konzerne und ihre Produkte“
Inwieweit bilden Medien die Umbrüche angemessen ab, die gerade stattfinden?
Die Medien ziehen tendenziell mit beim Hype um Tech-Innovationen und Leitfiguren wie Elon Musk. Dabei sollte die EU sich nicht klein machen. Es ist einfach, sich auf Musk zu fokussieren, aber die Rolle der anderen Tech-CEOs sollte nicht vergessen werden. Milliardäre wie Amazon-Grunder Jeff Bezos, Meta-Chef Mark Zuckerberg, Apple-CEO Tim Cook, Google-Chef Sundar Pichai oder Palantir-Gründer und Investor Peter Thiel unterstutzen zwar explizit Trump, aber sie repräsentieren auch große Technologieunternehmen mit wichtigen Kunden in Europa.
Wie konnten Tech-Unternehmen überhaupt so mächtig werden, warum hat die Politik bei der Regulierung versagt?
Alle haben der vielversprechenden Erzählung, wie Technologie unsere Welt verbessern wird, zu viel Vertrauen geschenkt. Wir haben lange aus dem Silicon Valley gehört, dass die Ziele darin bestehen, die Demokratie voranzubringen, bisher ungehörten Stimmen Gehör zu verschaffen, die Grundrechte und Freiheiten zu respektieren – aber dafür gab es keine Garantien oder Kontrollmechanismen, und die Unternehmen haben sich nicht zu Demokratie und Grundrechten bekannt.
Und Regierungen weltweit lassen die Tech-Konzerne einfach wuchern?
Es fehlt Technologie-Wissen, aber auch der Zugang zu Informationen über die Tech-Konzerne und ihre Produkte. Dazu kommt eine gewisse Schüchternheit, vermeintlich naive Fragen zu stellen oder als altmodisch angesehen zu werden. Die Tech-Konzerne haben erfolgreich das Narrativ gesponnen, dass Politiker*innen Technologie nicht verstehen und alles, was sie tun, sei dumme Fragen zu stellen – das verunsichert viele. Politiker*innen treffen Entscheidungen über Medizin oder Landwirtschaft, obwohl sie keine Arzt*innen oder Landwirt*innen sind. Sie müssen sich auch sicher fühlen, Entscheidungen über Technologie zu fallen, ohne Programmierer*innen zu sein.
Das Silicon Valley als Ort von Freiheit und Innovation – ist das überhaupt mehr als ein Mythos?
Ein bisschen Wahrheit ist dran am Gründungsmythos. Es kam gelegentlich vor, dass ein paar junge Leute in Flip-Flops in einer Garage einfach irgendeine Innovation programmierten und damit den großen Durchbruch hatten. Was aber viel häufiger vorkam, war, dass Technologieunternehmen staatliche Zuschüsse oder große Investitionen von Risikokapitalgesellschaften erhielten. Die Vorstellung, dass der Staat keine Rolle spielt, bei der Digitalisierung nicht hilfreich ist, ist Unsinn, eine Art Karikatur. Selbst Elon Musk, der so tut, als sei der Staat völlig unfähig, hat eine Menge staatlicher Aufträge. Es klafft eine Riesenlücke zwischen dem, was öffentlich gesagt wird, und dem, was oft getan wird.
Inwieweit haben auch Medien an verzerrten Vorstellungenüber die Tech-Branche mitgewirkt?
Besonders in Europa besteht die Gefahr, dass wir das Silicon Valley romantisieren. Lange Zeit wollten Europäer*innen ihr eigenes Silicon-Valley-Marchen haben. Politik, Medien und Zivilgesellschaft tun sich auch schwer damit, zu verstehen, was ein angemessenes Versprechen von Tech-Unternehmen und neuen Technologien ist und was nicht.
Weil Tech-Expertise fehlt?
Ich werfe Journalist*innen nicht vor, dass sie Technologie nicht verstehen, aber wenn sie keine zusätzlichen Quellen heranziehen, dann unterwerfen sie sich dem Hype eines bestimmten Unternehmens. Bei der Politikberichterstattung wurde das nicht so leicht passieren, zumindest gab es während meiner Zeit als Politikerin bei allen Aussagen jede Menge Skepsis von Journalist*innen. Die gleiche Skepsis wäre bei Behauptungen von Technologieunternehmen angebracht, die natürlich versuchen, ihre Produkte positiv darzustellen. Als ich mit Journalist*innen über mein Buch gesprochen habe, haben einige zugegeben, dass sie sich vielleicht etwas zu sehr von dem Tech-Hype haben anstecken lassen.
„Eigentlich ist es angesichts ihrer Geschäftsinteressen in Europa ein echtes Glücksspiel für die Tech-CEOs, diese antieuropäische US-Regierung zu unterstützen“
Wieviel Macht haben Tech-Oligarchen und ihre Algorithmen heute über gesellschaftliche Debatten und was bedeutet das für den Journalismus?
Wir wissen es nicht genau, weil es bisher fast unmöglich war, unabhängige wissenschaftliche Untersuchungen zum Beispiel zur algorithmischen Verstärkung durchzufuhren – also inwieweit Algorithmen die Reichweite bestimmter Inhalte verstärken und andere Inhalte unterdrucken oder weniger sichtbar machen. Hoffentlich lernen wir dank des Digital Services Act (DSA), dem Gesetz über digitale Dienste innerhalb der EU, bald mehr dazu.
Zum Beispiel?
Der DSA verpflichtet Plattformen unter anderem zu mehr Transparenz, die EU-Kommission hat bei X zeitnah zu den Wahlen in Deutschland Dokumente zu kürzlichen und geplanten algorithmischen Veränderungen angefordert. Die EU-Kommission will untersuchen, inwieweit Musk mit Empfehlungsalgorithmen auf X zum Beispiel den deutschen Wahlkampf beeinflusst hat – sie analysiert auch die Rolle von TikTok bei den letzten Präsidentschaftswahlen in Rumänien. Dass die Kuratierung von Informationen kommerziellen Akteuren überlassen wurde, ist für Nachrichtenmedien und auch für die öffentliche Debatte problematisch.
Sind Medienhäuser bisher zu naiv mit Big-Tech-Konzernen umgegangen?
Viele haben sich weitgehend in die Hände der großen Technologieunternehmen begeben, Medien machen sich von Tech-Unternehmen abhängig, die sehr mächtig sind. Sie haben sich zu stark auf die Werbemodelle der Techkonzerne verlassen und dass sie über soziale Netzwerke Traffic erhalten, anstatt alternative Plattformen aufzubauen, die starker darauf ausgerichtet sind, das Publikum bei den Nachrichtenmedien zu halten. Eine kleine Änderung in den algorithmischen Einstellungen der Tech-Unternehmen kann von einem Tag auf den anderen zu einem deutlichen Rückgang der Abrufe fuhren.
Facebook hat in der Vergangenheit die Nähe zum Journalismus gesucht, hat internationale Factchecking-Redaktionen gefördert – kürzlich wurde diese Initiative komplett eingestellt.
Ein kommerzielles Technologieunternehmen hat andere Ziele als der Journalismus. Strategien und Anreize können sich jederzeit ändern. Medien haben sich zu sehr auf den gemeinsamen Erfolg von Journalismus und Suchmaschinen und Social-Media- Plattformen verlassen. Und sie wiederholen jetzt vielleicht bei KI-Unternehmen denselben Fehler.
Inwiefern?
Gerade schließen Medien viele Verträge mit KI-Unternehmen, sie experimentieren auch mit Generativer KI wie ChatGPT. Ich wurde jetzt sorgfältig darüber nachdenken, wie zuverlässig diese Dienste sind, was die unbeabsichtigten Folgen sein konnten und auch, was die Einbindung in diese Geschäftsmodelle auf lange Sicht bedeuten wird. Es ist offensichtlich, dass die Funktionen und Ziele von Nachrichtenmedien, sozialen Netzwerken und Technologieunternehmen nicht dieselben sind. Das wird zu Spannungen fuhren – und es herrscht eine Machtasymmetrie zwischen den globalen Tech-Unternehmen und Medienorganisationen.
Der KI-Hype macht alles schlimmer?
Genau. Die großen Tech-Konzerne besitzen und kontrollieren die Infrastrukturen und Elemente, die für die Entwicklung und den Einsatz von KI im großen Maßstab erforderlich sind. Weil diese Unternehmen so groß, einflussreich und unterreguliert sind, gibt ihnen das die Möglichkeit, weitere Schritte zur Konsolidierung ihrer Macht zu unternehmen, um mit einer neuen Innovationswelle einen Vorsprung zu haben. KI wirkt wie ein Katalysator: Macht bringt neue Macht.
Haben die US-amerikanischen KI-Anbieter mit der Trump-Administration jetzt uneingeschränkte Handlungsfreiheit?
Die USA hatten einige vorsichtige Schritte unternommen, um KI zu regulieren. Die Biden-Regierung erlies ein Dekret zur KI-Sicherheit, es wurde auch viel darüber nachgedacht, wie bestehende Gesetze KI regulieren können. Natürlich hat die Trump-Administration all das in den Schredder geworfen. So haben wir mit den USA ein sehr mächtiges Zentrum für KI-Entwicklung und ein mächtiges politisches Zentrum, das sich nicht mehr an Regulierungsbemühungen beteiligt, die den Rest der Welt beeinflussen – und das auch nicht mehr daran interessiert ist, eine demokratische Führungsrolle zu spielen.
„Technologie und Politik verschränken sich nun hinter einer offen antidemokratischen Agenda“
Vergangenes Jahr hat die EU den AI Act verabschiedet, um KI-Systeme künftig besser zu regulieren. Wie ist die Lage aktuell?
Es gibt zu wenig öffentlich zugangliche Informationen zu KI. Wie die Geschäftsmodelle funktionieren und welche Auswirkungen sie haben, ist derzeit einfach nicht zu überblicken, weil KI-Unternehmen ihre Informationen vor der Öffentlichkeit verbergen und neue Modelle so schnell wie möglich auf den Markt bringen wollen. Bei anderen Innovationen, die Nutzen und Risiken bergen, zum Beispiel in der Medizin, wurden wir niemals akzeptieren, dass neue Medikamente einfach so auf den Markt geworfen werden. Zwischen Erfindung und Nutzung gibt es normalerweise viele Zwischenschritte. Bei KI nicht, obwohl KI-Expert*innen seit Jahren vor Auswirkungen wie Diskriminierung warnen.
Tech-Konzerne haben zudem interne Ethik- und Sicherheitsteams geschwächt. Gerade werden auch Programme eingestellt, die Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion fördern sollten. Die sollten die Tech-Branche vielfältiger machen, sodass Tech-Produkte nicht nur auf Bedürfnisse der weißen, männlich geprägten Tech- Branche zugeschnitten sind. Beobachten Sie Ähnliches in Europa?
Ich höre, dass sich europäische Unternehmen ihren Zugang zum US-Markt sichern wollen, indem sie ähnliche Schritte vorwegnehmen, und ich denke, das wird langfristig schlecht für die Produkte sein. Vor allem aber bedeutet es einen Ruckschritt für die Anstrengungen, mit denen historische Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen überwunden werden sollten. Die Art und Weise, wie die Streichung dieser Programme jetzt ablauft, ist sehr kurzfristig gedacht.
Techkonzerne beeinflussen europäische Digitalpolitik wie den AI-Act auch durch massives Lobbying. Wie haben Sie das während Ihrer Zeit als EU-Abgeordnete erlebt?
Tech-Unternehmen geben unglaublich viel Geld aus, um die Politik und Gesetzgebungsverfahren zu beeinflussen, in den USA oder zunehmend auch in Europa. Seit ich vor sechs Jahren aus der Politik ausgeschieden bin, hat sich dies noch weiter verstärkt. Aber es ist noch wichtiger, nicht nur die direkte Lobbyarbeit zu betrachten, bei der Tech-Lobbyisten an die Türen von Politikern klopfen.
Sondern?
Die Beziehungen zwischen den europäischen Institutionen und dem Silicon Valley sind komplex. Viele Unternehmen werben zum Beispiel Politiker*innen ab. Facebook heuerte den ehemaligen britischen Vizepremierminister Nick Clegg an, Osterreichs Ex- Kanzler Sebastian Kurz arbeitete für Peter Thiel und Palantir. Es wäre wichtig, die eher unsichtbaren Wege besser zu analysieren, auf denen Tech-Unternehmen Debatten beeinflussen.
Was meinen Sie damit?
Tech-Konzerne finanzieren zum Beispiel zivilgesellschaftliche Organisationen, akademische Einrichtungen, Think Tanks oder Konferenzen, die den Rahmen für Tech-Debatten bilden und unser Verständnis von Technologie und Digitalpolitik prägen. Big Tech versucht, uns alle darin zu beeinflussen, wie wir die Funktionsweise und die Rolle von Technologien verstehen. Wenn wir mehr Einblick in diese Art von Lobbyarbeit hatten, wurde das uns helfen zu verstehen, dass auch unser Denken über Technologie oder die Regulierung von den Tech-Konzernen unterwandert wurden.
In Deutschland wird derzeit über die bundesweite Einführung von Polizeisoftware des US Unternehmens Palantir diskutiert. Dabei ist bekannt, dass Palantir-Gründer Peter Thiel und CEO Alex Karp Unterstützer von Donald Trump sind.
Es ist zwar schwer, Alternativen zu entwickeln. Aber mir ist unklar, warum Deutschland denkt, dass das klug ist. Es ist wichtig, dass die Burger verstehen, welche Dienstleistungen von der nationalen Polizei gekauft werden. Entscheidungen darüber sind im Moment intransparent. Auch die NATO hat gerade einen neuen Vertrag mit Palantir geschlossen, obwohl die Firma eine starke Befürworterin der Trump-Administration ist – die eine zunehmend feindliche Haltung gegenüber der EU und der NATO eingenommen hat.
„Wir erleben gerade den gefährlichsten Moment für die europäische Sicherheit seit dem Zweiten Weltkrieg“
Was kann Europa der Macht des Silicon Valley, möglicherweise auch künftigen eigenen autoritären Regierungen entgegensetzen?
Eigentlich ist es angesichts ihrer Geschäftsinteressen in Europa ein echtes Glücksspiel für die Tech-CEOs, diese antieuropäische US-Regierung zu unterstutzen. Idealerweise schützen Gesetze vor Machtmissbrauch durch Regierungen und Unternehmen gleichermaßen, unabhängig davon, wer die politische Führung ist. Es sollte also nicht darum gehen, ob wir CEO A, B oder C mögen, oder ob wir Politiker A, B oder C mögen. Es sollte um das grundsätzliche Risiko des Machtmissbrauchs gehen, dem vorgebeugt werden sollte. Im Technologiesektor sollte es stärkere Aufsichts- und Kontrollmechanismen geben.
Hat die EU einen Plan, wie sie die Demokratie vor Big Tech schützen kann?
Sie hat eine Art Plan, aber keinen besonders umfassenden. Ich beobachte, dass die EU gerade zu wenig Ambitionen hat, richtig durchzugreifen. Während sich die EU lange Zeit als Superregulierer präsentierte, stolz darauf war, eine regulierende Rolle zu spielen, geht der Ton jetzt in Richtung Deregulierung und mehr Investitionen.
Warum?
Diese neue Perspektive ist auch von nationalen Sicherheitsbedenken geprägt. Wir sollten aber nicht nur über Verteidigungsausgaben sprechen, ohne die technologischen Komponenten zu erwähnen. Es wird gerade viel über Souveränität gesprochen, für mich bedeutet das aber auch, dass man demokratisch verabschiedete Gesetze durchsetzt und sich nicht dem Druck beugt. Es ist ein Wendepunkt für die Regulierung von Technologie: Wird die EU ihr Erbe, eine Gegenmacht zu den Technologieunternehmen, aufrechterhalten und alles tun, um die Entwicklung europäischer Alternativen zu erleichtern? Denn das wäre im Moment am dringendsten.
Was müsste jetzt konkret passieren?
Strategien müssen in konkrete politische Schritte heruntergebrochen werden: Was werden wir bei der Auftragsvergabe tun? Werden wir bestimmte Dienste in Europa verbieten und welche Risiken beinhaltet das? Welche Signale werden den Märkten gegeben? Dies sind alles kritische Fragen, die schnell und entschlossen beantwortet werden müssen. Es braucht mehr Führung in Europa, um den Veränderungen, die aus den USA kommen, entschlossen entgegenzutreten.
Die EU-Kommission hat gegen Apple und Meta gerade Strafen in Höhe von 500 Millionen und 200 Millionen Euro verhängt. Die Konzerne wollen juristisch dagegen vorgehen. Auch gegen Musk läuft ein Bußgeldverfahren. Was nützen Bußgelder?
Ein Bußgeld wurde zeigen, dass es eine Rechenschaftspflicht geben kann, wenn es einen politischen Willen gibt. Aber eine Geldstrafe für die reichste Person der Welt verändert wahrscheinlich nicht wirklich ihre Position oder die Gesamtsituation, weil die Sanktionen für sie gerade mal fehlendes Taschengeld sind. Was wir wirklich brauchen, ist ein besseres Verständnis dafür, wie algorithmische Verstärkung funktioniert, also mehr Transparenz.
Tesla verliert durch Boykotte an Umsatz, so dass Musk jetzt als Regierungsberater etwas kürzertreten will. Viele Nutzer wandern von X zu Bluesky ab. Wieviel bewirkt strategischer Konsum?
Natürlich hilft jeder Schritt – wenn nicht für das Gesamtbild, dann zumindest für die individuelle Erfahrung. Seit Musk Twitter übernommen hat, hat es sich verschlimmert. Früher hatten die Tech-Unternehmen einen Imageschaden gescheut, aber heute haben Auswirkungen wie ein Tesla-Boykott oder eine Geldbuße der Europäischen Kommission nicht die gleiche Wirkung.
Nutzen Sie als Analystin X noch?
Ja. Viele glauben, dass es wichtig ist, dort klare Botschaften zu teilen, statt es den rechtsextremen Stimmen zu überlassen. Ich bin immer noch da, weil ich mir eine Meinung zu X bilden will. Aber es macht mir keinen Spaß.
Was wünschen Sie sich von Journalist*innen?
Wir alle sollten kritischer sein gegenüber vermeintlichen Trends und Zukunftstechnologien. Viele von ihnen sind von den PR-Erzählungen beeinflusst, die von Tech-Unternehmen verbreitet wurden. Es ist wichtig, die Rolle der Technologien in unseren Demokratien kritisch zu betrachten.
Marietje Schaake, 1978 in Leiden geboren, forscht und lehrt am Stanford Cyber Policy Center und am Institute for Human-Centered AI und ist Mitglied des UN-Beratungsgremiums für KI. Sie analysiert den Einfluss von Tech-Konzernen auf die Politik, unter anderem in ihrem Buch „The Tech Coup: How to Save Democracy from Silicon Valley“, das im Herbst 2025 auf Deutsch erscheinen wird.Von 2009 bis 2019 war sie Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Das Wall Street Journal bezeichnete Schaake als „Europas am besten vernetzte Politikerin“.
Sonja Peteranderl berichtet als freie Journalistin vor allem über organisierte Kriminalität und Technologien.
Judith Jockel arbeitet als Fotografin in Amsterdam.