Richtig Streiten

Journalistischer Streit: Wie behandeln wir kontroverse Themen verantwortungsvoll? Foto: ZDF

Verhärtete Fronten, hitzige Debatten, schwindender Dialog – kein leichtes Umfeld für den Journalismus. Wir haben bei drei Formaten nachgefragt: Wie geht Diskussion über kontroverse Themen, ohne zu polarisieren?

Text: Sarah Neu und Mia Pankoke

04.08.2025

Die Gesellschaft ist gespalten. Zumindest empfinden das 82 Prozent der Deutschen so. Das zeigt eine Studie der diakonienahen midi-Arbeitsstelle. Gleichzeitig scheint es, als würden persönliche, unbequeme Auseinandersetzungen zunehmend vermieden oder in die anonyme Welt von Chats und Kommentarspalten verlagert. Immer mehr Themen wirken so kontrovers, dass ein Dialog unmöglich scheint. Redaktionen müssen sich fragen: Wie gehen wir mit Konflikten um, ohne sie zu verschärfen?
 

Streit-Seite der Zeit: Ein klassisches Für und Wider

Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine.“ Rot gefettet steht das Zitat von Helmut Schmidt auf der letzten Seite des Zeit-Politikteils. Seit dem Jahr 2019 finden Leser*innen hier die Streit-Seite. Mit ihr will die Hamburger Wochenzeitung die sogenannte politische Mitte streiten lassen. „Denn wenn die Mitte nicht streitet, stärkt das die Ränder“, verlautete die Zeit bei Gründung des Formats. Das Konzept: Zwei Personen diskutieren miteinander über aktuelle Streitfragen – ein Staatsminister der Freien Wähler und eine Linken-Abgeordnete über die Bezahlkarte für Geflüchtete, ein Ökonom und eine Gewerkschaftschefin über Arbeitszeiten, eine Kulturwissenschaftlerin und eine Professorin der Bundeswehr-Universität über die Wehrpflicht für Frauen. Die Redakteur*innen der Zeit moderieren das Gespräch und verschriftlichen es anschließend.
 

Argumente im Vordergrund

„Dabei ist uns wichtig, auch weniger prominente Menschen zu Wort kommen zu lassen“, sagt Mark Schieritz, stellvertretender Ressortleiter Politik. Er verantwortet gemeinsam mit Stefan Schirmer das Format. „Zwar bringen Promis Reichweite und machen die Diskussion interessant, aber unbekanntere Experten haben oft mehr Ahnung von Themen.“

Dass die Interviewten sich wirklich gut mit den Themen auskennen, über die sie streiten, ist für Schieritz und seine Kolleg*innen ein Muss. Die meiste Arbeit fließe in die Suche nach kompetenten Streitenden. Das Ergebnis: Über ein AfD-Verbot streiten Juristen, über das bedingungslose Grundeinkommen Ökonomen. Denn das Format soll Argumente in den Vordergrund rücken, nicht reißerische Thesen. Das sei vor allem bei kontroversen Themen wichtig. Der Redaktion geht es nicht nur darum, verschiedene Positionen aufzuzeigen, sondern sie mithilfe schlüssiger Argumente nachvollziehbar zu machen.

Dafür erntet die Redaktion viel Lob, laut eigener Aussage zum Beispiel aus der Leserschaft, aber auch Kritik. So kritisiert die taz drei Monate nach Start der Streit- Seite, dass die Zeit Randpositionen normalisiere. „Wir laden kontroverse Figuren ein, aber niemanden, der die Diskursregeln verletzt“, sagt Schieritz dazu. Laut ihm ist die Streit-Seite gerade aufgrund dieser klaren Grenzen eine gute Möglichkeit, ab und zu auch Positionen abzubilden, die für ein herkömmliches Interview zu radikal wären. „Ich sehe im Streit auch die Chance, die Schwächen einer Position zu verstehen“, sagt er.

In einigen Streitgesprächen greift die Redaktion ein, deckt Fehler in der Argumentation auf und stellt Dinge richtig. Ein Beispiel ist das Streitgespräch zwischen Karl Lauterbach und Thea Dorn über die Aufarbeitung der Coronapandemie. Während des Gesprächs behauptet Lauterbach, die FDP habe die Aufarbeitung in der Ampel blockiert. Antwort der Zeit: „Stimmt nicht. Die FDP war auch für eine Enquete-Kommission im Bundestag offen.“ Hier liegt ein entscheidender Vorteil des Print-Formats. Aussagen und Fakten können im Nachgang gecheckt und berichtigt werden.


Klar von NDR und BT: „Verlorene Zielgruppen“ erreichen?

Was jetzt kommt, wird vielleicht nicht jedem gefallen“ – so beginnt Julia Ruhs die erste Folge des neuen NDR/BR-Formats Klar, die sie moderiert. Wie wahr: Auf die erste Sendung folgte eine breite mediale Debatte. Ein Journalist forderte in einem offenen Brief auf der Petitionsplattform WeAct, dass die Sendung abgesetzt wird. Er warf Klar vor, mit populistischen Methoden wie Emotionalisierung oder Verallgemeinerung zu arbeiten und bezeichnete die erste Folge als journalistische Fehlleistung. Aufgrund der Reaktionen verschob der Sender die Ausstrahlung der zweiten Folge. Die letzte der drei geplanten Pilotfolgen soll am 30. Juli erscheinen.

Persönlich, emotional

Die Idee des Formats: Ein stark debattiertes Thema wird auf persönliche und emotionale Weise, anhand individueller Erfahrungen erzählt. Es geht um Migration oder die Bauernproteste und unterschwellig immer darum, dass Menschen zu Wort kommen, die sonst angeblich zu wenig Gehör in der Debatte erhielten.

„Wir schauen hin, zeigen, was falsch läuft, und dokumentieren so Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft”, heißt es in der Sendungsbeschreibung. Ruhs selbst bezeichnet Klar bei Instagram als „neues Format für mehr Meinungs- und Perspektivenvielfalt“. In den vergangenen Jahren seien zu oft unliebsame Themen und Meinungen ausgeblendet worden, schreibt sie weiter. Damit gibt sie indirekt einem lange von Rechtspopulist:innen vertretenen Narrativ zusätzliches Futter: Die öffentlich-rechtlichen Medien würden einseitig berichten.

In der ersten Folge geht es um Migration. Beziehungsweise vor allem: um Straftaten, die Geflüchtete begangen haben. Erzählt vor allem anhand eines persönlichen Schicksals – dem eines Vaters, dessen Tochter bei einem Messerangriff getötet wurde. Eine furchtbare Tat, die Ruhs in einem Absatz mit den Folgen der Asylpolitik nennt: Wir schauen auf die Folgen unserer Asylpolitik – es passieren Verbrechen,” zählt sie auf. Was fehlt, ist Kontext. Die Mühe, gesellschaftliche Zusammenhänge zu erklären, macht das Format sich nicht.
 

Alles, was spaltet

Die erwartbare Kritik ist vielstimmig. Die Neuen deutschen Medienmacher*innen etwa verweisen darauf, dass die Sendung migrationsfeindliche Narrative bediene, ohne sie kritisch einzuordnen, und damit Ängste schürt, statt aufzuklären. Autorin und Journalistin Gilda Sahebi kritisiert in der taz, es gehe Klar nicht darum, ein Thema journalistisch zu beleuchten, vielmehr sei das Ziel: „alle spaltenden Erzählungen, die es zum Thema Migration gibt, in 45 Minuten zu pressen, und das mit der Behauptung zu rechtfertigen, man spreche eben ‚Klartext‘“.

Mit Klar will Julia Ruhs zeigen, „was falsch läuft“. Dafür bekommt die Sendung auch Applaus. In den Kommentaren bei Youtube liest man vielfach Lob. „Das ist die Art von öffentlichem Rundfunk, die wir uns so sehr wünschen. Da würden Millionen Menschen auch wieder gerne den Rundfunkbeitrag zahlen“, schreibt ein Nutzer. Das konservative Magazin Cicero lobt „die ungewohnte Migrationskritik“ und bezeichnet die Kritik als Shitstorm aus dem linken Meinungsmilieu. Das „moderne Triumvirat aus Politik, NGOs und Medien“ kenne bei Abweichlern kein Pardon, heißt es weiter. Der journalist hätte gern mit Ruhs oder der Redaktionsleitung gesprochen – bis die dritte Pilotfolge erschienen ist, gibt die Redaktion aber keine Interviews.


13 Fragen von ZDFKultur: Kompromisse gegen verhärtete Fronten

Bastian Asdonk und Lisa Hafemann möchten mit ihrem Gesprächsformat 13 Fragen jungen Menschen kontrovers diskutierte Themen näherbringen – von politischen Verboten für den Klimaschutz über toxische Männlichkeit bis zum Generationenkonflikt zwischen Gen Z und Boomern. Dafür sitzen sich die Pround Contra-Seiten nicht einfach am klobigen Tisch gegenüber. In dem Youtube-Format, das Asdonks Produktionsfirma Hyberbole Medien seit 2020 für ZDFKultur produziert, bewegen Befürworter und Gegner sich auf einem Spielfeld aufeinander zu oder voneinander weg. Nach jeder Diskussionsrunde dürfen beide Seiten entweder einen Schritt in Richtung der anderen machen, einen zurückgehen oder auf der Stelle stehenbleiben.
 

Themen, die Gen Z umtreiben

Diese Möglichkeit, aufeinander zuzugehen, war Asdonk und seinem Team von Anfang an wichtig. „Wir wollten ein Debattenformat entwickeln, das die Leute eher zusammen- als auseinanderbringt“, sagt er. Es soll zeigen, dass Menschen mit vermeintlich sehr unterschiedlichen Positionen oft gar nicht so weit voneinander entfernt sind. Und das scheint zu funktionieren: In den meisten Folgen steht am Ende ein Kompromiss. Das dürfte neben der Vermittlungsarbeit von Moderatorin Salwa Houmsi und Moderator Jo Schück während der Diskussion vor allem daran liegen, dass bei 13 Fragen nicht nur zwei Personen miteinander diskutieren, sondern gleich sechs. Zwar treffen auch diese als je dreiköpfige Pro- und Contra-Seite aufeinander, „aber dadurch, dass auf jeder Seite mehrere Personen mit unterschiedlichen Argumenten stehen, können wir eine viel größere Pluralität abbilden und zeigen, dass es zwischen ‚Ja‘ und ‚Nein‘ noch viele Nuancen gibt“, sagt Asdonk.

Die Themen wählt die Redaktion danach aus, was junge Menschen umtreibt, was an Schulen, Unis und in den sozialen Medien diskutiert wird. „Unser Team ist jung, die meisten sind zwischen 20 und 35 Jahren alt“, sagt Redaktionsleiterin Hafemann. „Wir sind also automatisch nah dran an den Themen unserer Zielgruppe.“ Das zeigen auch die Zahlen: Jede Folge hat im Schnitt 200.000 Aufrufe. Aber es gibt auch Folgen, die weniger gut laufen. „Wir haben letztes Jahr eine zu KI in der Popkultur gemacht und die Frage gestellt, ob KI die Kreativität killt“, erzählt Hafemann. „Das hat uns total interessiert, lief aber gar nicht.“ Wenig geklickte Themen nicht mehr zu bringen, halten beide allerdings für eine schlechte Idee. „Klar freut es uns, wenn Folgen gut laufen, aber wir wollen uns nicht ausschließlich danach richten“, sagt Asdonk. „Dann wären wir Teil des Problems.“ Denn 13 Fragen solle gerade jene Jugendliche erreichen, die sich sonst wenig mit viel diskutierten Themen beschäftigen.

Bei den Gästen achtet die Redaktion genau darauf, wem sie eine Bühne bieten will und wem nicht. „Wir lassen gerne Personen mit sehr verschiedenen Meinungen zu Wort kommen, setzen aber auch klare Grenzen”, sagt Redaktionsleiterin Hafemann. Das Team schaut im Vorfeld, was potenzielle Gäste in den sozialen Medien veröffentlichen. „Außerdem führen wir mit jedem und jeder ein mindestens halbstündiges Vorgespräch und sortieren dabei auch mal aus“, sagt Hafemann. Seit zwei Jahren nutzt die Redaktion zudem Infokästen als nachgelagerten Faktencheck. „Unsere Moderatorinnen versuchen es, können aber auch nicht jede Fehlinformation direkt einordnen und korrigieren.“

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, mehrere Journalist:innen hätten einen Brandbrief gegen die NDR-Sendung Klar verfasst. Tatsächlich startete ein Journalist die Petition. Wir haben die entsprechende Stelle präzisiert.