Wie machen das die jungen Leute?

Bot statt Block

16.03.2021

Lange bevor Alexa millionenfach in deutsche Haushalte eingezogen ist, hat Marie Kilg sogenannte Bots als Zukunftsthema entdeckt. Ihre Spezialisierung öffnete ihr Türen in viele Redaktionen – und führte sie letztlich weg vom Journalismus. Text: Caroline Lindekamp

"Schaut euch doch mal um!" Journalisten sollten sich mehr für Technik interessieren, findet Marie Kilg. (Foto: David-Pierce Brill)

Als Marie Kilg von ihrer Arbeit erzählt, hält sie plötzlich inne: „Jetzt dachte sie gerade, ich spreche sie an. Sie will sich in die Unterhaltung einschalten.“ Die Rede ist von Alexa. Beruflich dreht sich bei Marie Kilg seit einiger Zeit alles um den Sprachassistenten von Amazon. Sie hat die künstliche Intelligenz mit deutschen Nachrichten gefüttert, gestaltete sogar ihre „Persönlichkeit“ mit. Inzwischen arbeitet Kilg nicht mehr für Amazon in München, sondern hat eine Stelle am Hauptsitz des US-Konzerns in Seattle angenommen. „Ich wollte immer mal im Ausland leben, das war die Chance. “ Und so ist Kilg zwar immer noch mit Sprache beschäftigt, arbeitet an Inhalten – hat aber doch die Seite gewechselt und den Schreibtisch in der Redaktion gegen das Büro beim Tech-Giganten eingetauscht. Kilg ist gelernte Journalistin. Nach dem Bachelor absolvierte sie die Deutsche Journalistenschule (DJS). Während viele Kommilitonen am liebsten lange Reportagen schreiben wollten, interessierte sie sich von Anfang an für das Verhältnis von Mensch und Maschine. „Es hat mich damals schon genervt, wie viele das Technische und Technologische im Journalismus kategorisch ausschließen. Ich dachte mir: Schaut euch doch mal um!“

Sie tat das. Und sah, dass Bots – die Kurzform für Roboter – längst auch in Redaktionen bestimmte Aufgaben abarbeiten konnten. Gerade Chatbots, die sprachbasierte Variante der Automaten, waren für Kilg ein Zukunftsthema. Sie wollte die Computerprogramme dahinter verstehen und selbst programmieren. Online-Tutorials und Blogeinträge waren der Einstieg, dann folgte Learning by Doing. Eines von Kilgs ersten Projekten: Sie entwarf einen Chatbot zu ihrem eigenen Lebenslauf. Der gab auf Nachfrage beispielsweise an, welche Sprachen sie beherrscht und welche beruflichen Stationen sie schon hinter sich hatte. „In der Praxis hat das ehrlich gesagt nicht gut funktioniert. Bei den meisten Fragen gab es sicherlich Fehlermeldungen“, sagt Kilg. „Aber: So fiel meine Bewerbung auf. Das hat gereicht.“ Und zwar für einen Praktikumsplatz in der Entwicklungsredaktion der Süddeutschen Zeitung.

Oft rät man Journalisten, sich zu spezialisieren und als Experten für ein Nischenthema zu etablieren. Ein Alleinstellungsmerkmal, so die Theorie, bringe die Karriere in Schwung. Bei Kilg, inzwischen 28 Jahre alt, war die Nischensuche aber weniger eine Sache der Strategie als ein Hobby. „Ich glaube, ich habe nicht an Karriere gedacht – später vielleicht“, sagt sie. „Zunächst war ich ehrlich gesagt froh über jeden Job, den ich bekommen konnte. Da wäre ich auch in eine Kulturredaktion gegangen.“

Doch Kilg war mit ihrem Lieblingsthema schnell eine Rarität, sowohl unter Journalisten als auch unter Programmierern – zumal als Frau. „Mehr als 80 Prozent der Entwickler*innen in der App-Industrie haben einen Penis“, schrieb sie 2017 provozierend in einem taz-Artikel. Heute findet sie den Satz ein wenig diskriminierend, weil sie inzwischen anders über Geschlechterrollen und Identitäten denkt. Aber Fakt ist geblieben, dass in der Branche Männer dominieren: „Das beschäftigt mich jeden Tag. Auch bei Amazon bin ich in meinen Teams regelmäßig die einzige Frau. Zwar bemühen sich die Personalabteilungen um Diversität, und ich kenne gute Programmiererinnen, aber es bleibt eine Männerdomäne.“

Diskriminiert werde sie nicht. Aber „natürlich“ habe sie schon Sprüche gehört. Zum Beispiel bei einem Hackathon im

„Ein paar Buchstaben und Satzzeichen in der richtigen Reihenfolge getippt, schon passiert etwas.“

Team mit drei Männern. Kilg programmierte damals den Prototyp, doch bei einem der Teammitglieder blieb das offenbar nicht hängen. „Es ist gut, dass ein Mädchen dabei ist. Du malst so schöne Bilder auf die Post-its.“

Kilg erarbeitete sich als Journalistin in Datenteams und Entwicklungsredaktionen schnell das Label der Bot-Expertin. „Damit kann ich leben. Aber Programmiererin bin ich bis heute nicht“, sagt sie. Dennoch – oder gerade deswegen – hat sie auch schon Programmierseminare für Einsteiger gegeben. Sie selbst hatte es schließlich auch einfach probiert, und dazu motiviert sie nun die Teilnehmer ihrer Kurse. „Ein paar Buchstaben und Satzzeichen in der richtigen Reihenfolge getippt, schon passiert etwas“, sagt Kilg (siehe Programmier-Tipps).

Wozu aber brauchen journalistische Redaktionen Bots und Programmiererinnen? Bei der taz konnte Kilg ihre Fähigkeiten gut einsetzen. Ihre Kollegen ließen sie einen feministischen Twitter-Bot programmieren, der zum Weltfrauentag 2017 startete. Unter dem Handle @JudtithBotler identifizierte er frauenfeindliche Tweets und kommentierte sie automatisch mit humoristischen GIFs.

Direkt von Twitter gesperrt

Judtith Botler war für Kilg der erste konkrete Bot-Auftrag, versehen mit einer klaren Deadline. „Ein paar Wochen lang war ich sehr gestresst und habe die letzten Nächte durchprogrammiert“, sagt sie. „Natürlich schleicht sich auf den letzten Metern noch ein Bug ein, und nichts funktioniert mehr.“ Doch das Projekt gelang: @JudithBotler ging pünktlich an den Start – und überlebte eine halbe Stunde. Dann sperrte Twitter den Account und entfachte damit die Debatte um Sperrregeln in sozialen Netzwerken an. Der Vorwurf: Warum wird der Bot ohne Begründung gelöscht, aber nicht die frauenfeindlichen Kommentare?

Kilg programmierte weiter – und sorgte für noch mehr Gesprächssto¨: mit dem Twitter-Bot @ROB0TIUS, einer Parodie auf die Plagiatsffäre um Claas Relotius, den preisgekrönten Spiegel-Reporter, der reihenweise erfundene Geschichten abgeliefert hatte. Kilg zerhackte Originalteaser des Autors in Protagonisten, Orte und Handlungen. Aus diesen Containern bediente sich der Bot und setzte sie zufällig zu immer wieder neuen vermeintlichen Themenvorschlägen zusammen: „Eine Meldung und ihre Geschichte: Ein englischer Pizzabäcker bekommt Ärger wegen seiner bösen Nazi-Kühe“, twitterte der Bot beispielsweise. Oder: „Willie Parker ist der letzte Rassist in Amerika, der noch Abtreibungen ausführt. (…) Ein Paradebeispiel für motiviertes Denken.“

Die automatisierten Textgeneratoren haben etwas Dadaistisches. Genau darin liegt ihr Witz, und das macht sie für Kilg zu „Spaßprojekten“. Doch die persönliche Belustigung ist im Fall von @ROB0TIUS auch eine Form der Medienkritik. Kilg führte mit den Roboter-Tweets die Absurdität der Affäre vor. Denn neu erfinden musste sie ja nichts: Nazi-Kühe, Kryoniker, Scarlett Johansson – sie alle waren in Relotius’ Texten aufgetreten und entstammten damit seiner Fantasie.

Dass der Bot „so durch die Decke gehen würde“, habe sie nicht erwartet, sagt Kilg. Er zählte rund 1.800 Follower – bis ihn dasselbe Schicksal ereilte wie @Judith-Botler. Vor einigen Monaten schaltete Twitter auch diesen Bot ohne Begründung ab. „Vielleicht ist er einer Aufräumaktion zum Opfer gefallen. Der Spam-Filter hat vielleicht angeschlagen, weil er recht viel getwittert hat und sich manchmal stundenlang mit meinen anderen Bots unterhalten hat“, vermutet Kilg. Sie hat bei Twitter Einspruch gegen die Sperre eingelegt und hatte damit Erfolg. @ROB0TIUS wurde wiederbelebt.

Alexa lockte

Verschiedene Medien hatten über @ROB0TIUS berichtet, die einstige Interviewerin wurde selbst zur Interviewten. Kilg verfolgte den Fall Relotius schon aus der Außenperspektive – als ihr Bot online ging, hatte sie sich bereits aus dem Journalismus verabschiedet. Sie sei nicht gegangen, weil sie keine Lust mehr hatte, sondern weil bei Amazon „dieser supercoole Job“ lockte. Genau genommen lockte Alexa. „Ich hatte damals nur mal von ihr gehört. Aber ich fand es total spannend, mit dem neuen Medium zu arbeiten“, sagt Kilg – die durchaus auch eine journalistische Herausforderung in dem Gerät erkannte: „Interaktives Radio gab es noch nicht.“

„Es tut gut, in einem jungen Unternehmen zu arbeiten, das einen motiviert, Dinge auszuprobieren.“

Sie sah die Chance, genau das auszuprobieren und dabei ihre Lieblingstechnologie in Anwendung zu bringen. In Medienhäusern hatte sie einen solchen Innovationswillen bislang vermisst. Ob in der Entwicklungsredaktion der Süddeutschen oder beim Youtube-Kanal eines BR-Formats – Kilg traf zwar immer wieder auf motivierte Teams mit Ideen, aber „90 Prozent des Hauses wollten so weiter machen wie bisher“. Vor allem bei den Themen Bots und KI blieben die Türen in deutschen Medienhäusern oft verschlossen. „Am Anfang war ich etwas naiv. Ich dachte, an der Schnittstelle von Technik und Journalismus gibt es viel zu tun“, sagt sie. „Doch ich wurde schnell desillusioniert.“

Bei Amazon war das ganz anders. Kilg arbeitete zunächst als Content-Managerin in einem kleinen Redaktionsteam und überlegte sich, nach welchen aktuellen Themen die Nutzer Alexa wohl fragen würden – und welche passenden Antworten das Gerät zu geben hätte. Danach wechselte sie mehrmals den Arbeitsbereich, gestaltete von ihrer Heimatstadt München aus die Persönlichkeit von Alexa in Deutschland mit. „Wir fragten uns, wie es gelingen kann, dass sie nicht nur eine technische Stimme ist, sondern wie ein Charakter erscheint. Sie sollte eine konsistente Persona mit einem gewissen Humor sein“, fasst Kilg ihre damalige Kernaufgabe zusammen. „Das Gerät wird schließlich umso stärker Teil des Alltags, je mehr Spaß es macht.“

Heute lebt und arbeitet Marie Kilg am Konzernsitz in Seattle. Bei der Arbeit ist Kilg im Bereich Entertainment für Radio, Musik und Podcasts angekommen – und damit immer noch an der Schnittstelle zwischen Technik und Journalismus unterwegs. Sie arbeitet eng mit Programmierern zusammen, bringt neue Features an den Start und passt diese an die Anforderungen verschiedener Länder an. „Die meisten Testballons laufen in den USA. Hier hat Radio aber einen viel niedrigeren Stellenwert als in Kanada oder in Europa. Das hat Konsequenzen für die Produktentwicklung in diesen Ländern“, sagt sie. Den Journalismus vermisst sie durchaus, die Arbeit in Redaktionen weniger. „Es tut gut, in einem jungen Unternehmen zu arbeiten, das einen motiviert, Dinge auszuprobieren. Hier liegt der Fokus viel mehr auf dem, was sein könnte, als auf dem, was es schon immer gab.“ Das, sagt Kilg, würde auch dem Journalismus guttun.

Caroline Lindekamp ist Redakteurin in der Kölner Wirtschaftsredaktion Wortwert.

PROGRAMMIER-TIPPS
Mit diesem Tool baute Marie Kilg ihre ersten Twitterbots: cheapbotsdonequick.com. Sie emp›iehlt als Einstieg botwiki.org für alle, die über Bots lernen oder selbst welche bauen wollen. In der dazugehörigen Slack-Gruppe „Botmakers“ tummeln sich hilfsbereite Bot-Enthusiasten, die untereinander Anleitungen und Code teilen: botmakers.org.

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