Julia Becker

"Da hatte ich meine ersten Fremdschäm-Momente im Aufsichtsrat"

20.07.2023

Funke-Verlegerin Julia Becker (50) ist eine der mächtigsten Medienpersönlichkeiten in Deutschland. Sie hat sich mit Mathias Döpfner angelegt und setzt sich für hochwertigen Journalismus ein – dabei stößt sie im eigenen Haus manchmal an Grenzen. Interview: Jan Freitag, Fotos: Dominik Asbach

Julia Becker: "Ich würde mir wünschen, dass auch mal anerkannt wird, mit welchem Aufwand wir versuchen, Funke eine Zukunft zu geben." (Foto: Dominik Asbach)

Julia Becker ist eine Medienmanagerin mit Haltung. Im journalist-Interview spricht sie über den jahrelangen Zwist zwischen den zwei WAZ-Familien Funke und Brost und über die wirtschaftlichen Herausforderungen der Branche. Zum Portfolio ihrer Gruppe gehören aber nicht nur Titel wie WAZ und Hamburger Abendblatt, sondern auch Yellow Press und Klickschleudern wie derwesten.de. Clickbaiting gehört laut Becker heute der Vergangenheit an: „Für die Anzeigenabteilung waren Millionen Zugriffe ein Segen, fürs Verlagsrenommee ein Desaster.“

journalist: Frau Becker, Sie sind Aufsichtsratschefin eines der größten deutschen Medienhäuser. Könnten Sie aus dem Stegreif alle Titel der Funke-Mediengruppe aufzählen?

Julia Becker: Also bei unseren Yellow-Titeln könnte es sein, dass ich mich mal vertue. Auch die Me-too-Produkte der anderen Verlage wie Lisa, Laura, Lena und wie sie sonst alle heißen, bringen einen schon mal durcheinander.

Und die Tageszeitungen?

Könnte ich selbstverständlich alle aufzählen. Wenn ich da keinen konkreten Überblick übers Portfolio meines eigenen Verlages hätte, wäre ich als Aufsichtsratsvorsitzende die Falsche.

Welche Digital-Portale hat Funke denn mittlerweile?

Angesichts der Bewegungen am Markt ist es auch da nicht so leicht, alles auseinanderzuhalten. Aber jüngere Akquisitionen wie musterhaus.net, gofeminin.de oder Edition F kenne ich natürlich gut.

Und haben alle gleich lieb?

So was sollte man eine Mutter eigentlich nie fragen (lacht), aber natürlich mag ich alle – auch wenn jedes einzelne sehr eigene Herausforderungen, Bedürfnisse, individuelle Betrachtungsweisen mit sich bringt. Um im Familienbild zu bleiben: Das alte Markenportfolio, besonders traditionelle Zeitungs- oder Magazintitel, kann man nicht identisch wie junge Online-Portale behandeln. Da muss man zwischen selbst geboren und adop­tiert unterscheiden.

Letzteres gilt fürs Springer-Paket, das Funke vor elf Jahren für annähernd eine Milliarde Euro gekauft hat.

Großartige Marken, aber am Medienstandort Hamburg sozialisiert, also völlig anders als hier im Ruhrpott. Umso wichtiger ist es für eine Mutter, alle morgens, mittags, abends in Essen an einen Tisch zu holen und ihnen klarzumachen, dass uns zwar an einer abgestimmten, kooperativen Strategie des Miteinanders gelegen ist, am Ende aber das Elternhaus die Entscheidungen trifft.

Können auch zu viele mit am Tisch sitzen? Kann ein Medienunternehmen wie Funke zu diversifiziert für eine erkennbare Verlagsstrategie sein?

Na ja, jedes Unternehmen sollte sich wie jedes Paar vor der Entscheidung überlegen, ob und wie viel Zuwachs es haben will. Also klares Nein! Unser Haus lebt im Unterschied zur gewöhnlichen Familie von Diversifikation – und dieser Bedarf ist im Zuge der digitalen Transformation noch größer geworden. Etwa, was technische und personelle Auswirkungen einzelner Marken aufs restliche Unternehmen betrifft. Nehmen Sie Edition F.

Ein feministisches Onlineportal, das Ihre Gleichstellungsoffensive kennzeichnet.

Die haben eine Wahnsinnsreichweite bei Instagram und hohe Social-Media-Kompetenz, davon profitiert das gesamte Haus. Auf analoger Ebene galt das auch für den Springer-Deal, bei dem wir nicht nur ein umfangreiches Portfolio neuer Titel erworben haben, sondern zahlreiche großartige Journalistinnen und Journalisten, die im Digitalen damals teilweise schon weiter waren als wir in Essen. Viele der main claims von 2012 sind 2023 genauso aufgegangen, wie geplant – übrigens auch, was die Unternehmenskulturen angeht.

Sind die schwerer zu vereinbaren als Portfolios?

Natürlich. Zumal wir damals erst seit kurzem nicht mehr WAZ-Gruppe hießen.

Was eine viel stärkere Verwurzelung im regionalen Zeitungsmarkt mit sich brachte.

Ein Jahr zuvor erst hatte unsere Mutter die Anteile der Familie Brost übernommen und Funke in den alleinigen Besitz der Nachfahren von Jakob Funke mit ihr als Mehrheitseignerin gebracht. Darauf folgte im zweiten Schritt die Etablierung des Aufsichtsrats, gefolgt von der Umbenennung und zuletzt dem Springer-Deal, das gehörte alles zusammen. Es waren schwierige, aber wichtige Prozesse, unterschiedliche Persönlichkeiten zu integrieren und damit das bis dahin vorherrschende Verlagsdenken zu überwinden.

Das worin bestand?

Neue Akquisitionen unter den Hut alter Strukturen zu pressen und zu hoffen, alle seien dankbar fürs traditionsreiche Unternehmen, dem man nun angehören darf. Neues Denken versucht Synergie-Effekte eher durch ein gemeinsames Verständnis dessen zu erlangen, was der eine vom anderen hat. Und dieses Verständnis muss wachsen, weshalb es bis heute noch individueller Nachjustierungen bedarf. Redakteure und Redakteurinnen des Hamburger Abendblatts fühlen sich ja nicht ausschließlich durch die Besitzverhältnisse einem Essener Unternehmen zugehörig. Soll ich Ihnen mal eine Geschichte erzählen, die mich bis ans Ende meiner Laufbahn verfolgen wird?

Nur zu!

Wir hatten damals die Idee eines Get-togethers, um das alte mit dem neuen Personal bekannt zu machen, und dafür eine Scheune außerhalb Essens organisiert, die so ein bisschen rustikal-ländlich dekoriert war. Alles sehr unkompliziert. Jeder bekam eine Flasche Bier in die Hand – ehrlich, robust, von Herzen, Ruhrpott eben. Wenn da einer sagt, komm her du Arsch, ist das nett gemeint.

Und dann kamen die Hamburger?

Und dann kamen die Hamburger! (lacht) Wenn denen einer sagt, komm her du Arsch, klingt das halt weniger nett gemeint als hier. Und robustes Bier fanden auch nicht alle so toll. Vorbehalte existierten allerdings auch umgekehrt. Ich erinnere mich, dass meine Mutter gar nicht so sehr beim Kaufpreis geschluckt hatte, sondern weil die Goldene Kamera nun zu uns käme. Rote Teppiche waren so gar nichts für sie.

„Unser Haus lebt von Diversifikation – und dieser Bedarf ist im Zuge der digitalen Transformation noch größer geworden.“

Aber was ist bei alledem denn nun das wichtigere Motiv der Funke-Gruppe, sich durch Käufe und Neugründungen breiter aufzustellen – Diversifikation, Wachstum, beides?

Der wichtigste Treiber war 2012 – vor der heutigen Aneinanderreihung pausenloser Krisen – ein strategischer. Nämlich Größe am Markt gleich Sicherheit. Funke hatte seinerzeit praktisch nirgendwo Führungsrollen in der deutschen Medienlandschaft. Dennoch folgte die Erweiterung keiner Eitelkeit, sondern dem Bedarf, neben wirtschaftlichen und publizistischen auch unsere Vermarktungs- und Vertriebsmöglichkeiten zu verbessern. Nur so sind wir in eine Liga aufgestiegen, die aus eigener Kraft unerreichbar gewesen wäre. Wissen Sie, was immer das liebste und aus seiner Sicht beste Blatt meines Großvaters Jakob Funke neben der WAZ war?

Es gab für ihn etwas auf Augenhöhe der WAZ?!

Ja, das Hamburger Abendblatt. Er hat es immer als Paradebeispiel für guten Lokaljournalismus hochgehalten und sogar in Essen täglich gelesen. Deshalb hatte es auch so emotionale Bedeutung für den Verlag und mich, da hat sich ein Kreis geschlossen.

Haben 920 Millionen Euro für ein Bündel Papiermedien die Digitalisierung des Unternehmens nicht eher gebremst?

Im Gegenteil. Wir haben diese analogen Titel auch und wegen ihrer Online-Expertisen geholt. Damals allerdings weniger im Hinblick auf digitale Abos, sondern auf technische und personelle Kompetenzen. Denn um ehrlich zu sein, hatten wir in Essen noch aufs Internet geschaut, wie wir es jetzt auf KI tun: Alle ahnen, das wird wichtig, aber was genau wir damit anfangen, muss sich erst noch zeigen.

Online-Auftritte bestanden seinerzeit ja auch noch aus Homepages mit Print-Inhalten.

Was haben wir da aus dem Gefühl heraus, bisher habe es doch auch analog immer gereicht, an Zeit vertan, um Dinge anzugehen, die eigentlich längst alle auf dem Tisch lagen. Da muss ich allerdings unsere Geschäftsführung in Schutz nehmen; in Unternehmensstrukturen zweier Eigentümer, die sich eher gegenseitig blockieren als sachorientiert unterhalten, war es schwer, grundlegende Innovationen voranzutreiben.

Gibt es auch unter Ihrer Führung, wo Gewinne nicht mehr an die Familie, sondern das Unternehmen ausgeschüttet werden, noch immer eine nostalgische Verbundenheit zum alten Printgeschäft mit der WAZ als Flaggschiff?

Wir feiern bald Free-Funke-Tag, an dem zwei Jahre zuvor die letzten Minderheitsanteile durch die Übernahme durch meine Geschwister und mich – und meine Mutter hält ja auch noch ein Prozent – in den Besitz einer Familie übergegangen sind. Es war ein echter Gamechanger, strategische Entscheidungen fortan einvernehmlich treffen und ihre Umsetzung einfordern zu können. Bis 2021, das muss man sich mal vorstellen, gab es wegen der Ausschüttungspraxis nahezu null Spielraum für Digitalstrategien.

Das zu verändern, war Ihre ganz persönliche Entscheidung.

Ja, denn sonst – und damit zurück zu Ihrer Frage – wären wir tatsächlich weiter ein Print-Verlag mit Online-Zweitverwertung geblieben. Das hat sich zum Glück geändert. Aber weil uns klar ist, dass wir die Mittel zur Digitalstrategie unserer jahrzehntelang treuen Magazin- und Zeitungskundschaft verdanken, sind wir alle überzeugt davon, mit beidem in die Zukunft zu gehen. Das Analoge aufzugeben, wäre ebenso falsch, wie zuvor die Vernachlässigung des Digitalen war.

Aber wie passt es dazu, dass Sie im Verbreitungsgebiet der Ostthüringer Zeitung, wo die physische Zustellung kaum noch kostendeckend ist, eine Kampagne zur Umwandlung analoger in digitale Abos unternehmen?

Wissen Sie – was wir in dieser logistisch schwierigen Region machen, hat doch bislang noch kein Verlag vor uns getan. Wir nötigen den Menschen, die seit Jahrzehnten OTZ lesen, nichts auf, sondern versuchen sie von unseren digitalen Produkten, vor allem den E-Papern, zu überzeugen.

Mit welchem Ergebnis?

Zugegeben – mit ernüchterndem, aber auch motivierendem. Ein Drittel der Leserinnen und Leser hat Digital-Abos abgeschlossen. Das ist nicht genug, aber ein Anfang, den der Verlag vor Free-Funke wohl nach kühler Kosten-Nutzen-Abwägung kaum fortgesetzt hätte. Wir haben diesen Aufwand trotzdem gerne betrieben, weil wir ihn Marken schuldig sind, die wir den Menschen, aber auch ihrer Region unbedingt erhalten wollen.

In einer ländlichen Region, wo das Durchschnittsalter Ihrer Kundschaft bei 60+ liegt …

Ehrlicherweise liegt es sogar bei 70+ und drüber. Das war eine Erkenntnis unserer Aktionen vor Ort. Aber die gute Nachricht ist, mit welcher Leidenschaft sie erklären, warum ihr Print-Abo so wichtig ist. Solche Informationen braucht ein Verleger manchmal mehr als so manches Digitalkonzept, in dem die Liebe zur Haptik gedruckter Zeitungen oft gar nicht vorkommt. Wenn das Vorhaben, Journalismus ins Digitale zu transformieren, misslingt, dann liegt die Versuchung oft nahe zu sagen, der Markt, die Technik oder eine Chefredakteurin/ein Chefredakteur ist schuld. Dabei hat es womöglich auch mit dem Bruch des Vertrauens zu tun, das die Leserschaft in uns hatte.

Bleibt das Dilemma, dass diese Leserschaft buchstäblich ausstirbt.

Und eben deshalb ist unser Anspruch, nicht ebenfalls zu sterben, sondern vor Ort Überzeugungsarbeit zu leisten. Das Vertrauen derer, die glauben, wir hätten morgens ein Briefing mit der Bundesregierung, um unsere Artikel zu diktieren, und der Rest sei gelogen, ist vermutlich längst verloren. Für alle anderen müssen wir lernen, auf der Straße für unsere Sache zu kämpfen: verlässlichen Qualitätsjournalismus.

Und wenn der Kampf um den Digital-Wechsel misslingt?

Es gibt – und das haben wir bei unserem Pilotprojekt ja gemerkt – Leserinnen und Leser, die aus den verschiedensten Gründen nicht auf digital umstellen wollen. Und dann finden sich auch irgendwie Wege. Die OTZ zum Beispiel stellen wir dort, wo sich Austragen nicht lohnt, auf Wunsch auch später mit der Post zu.

„Wir müssen über Qualität, Service, Inhalte sprechen und erst dann über Erträge oder Verbindlichkeiten.“

Machen Erstellung, Druck und Vertrieb solche Medien dann zu Zuschussgeschäften?

Wir haben – bedingt auch durch Corona, Krieg, Inflation, Papier- und Energiemangel – sicher Herausforderungen. Aber von Zuschussgeschäften zu reden, von denen wir weit entfernt sind, sendet ein völlig falsches Signal nach außen. Wir müssen über Qualität, Service, Inhalte sprechen und erst dann über Erträge oder Verbindlichkeiten, die wir Banken gegenüber natürlich haben. Dafür benötigen wir intensive Datenauswertungen, um herauszufinden, was die Leute bei uns lesen wollen.

Das wäre allerdings nachfrageorientierter Journalismus.

Nicht, wenn unser Anspruch zugleich lautet, auch dunkle Ecken der Gesellschaft zu beleuchten, auf Missstände aus seriösen Quellen, die vielleicht nicht so gut klicken wie Promi-Geschichten, aber unserem journalistischen Selbstverständnis entsprechen. Darauf konnten wir uns, genauso wie auf die Strategie Digital first, trotz aller internen Querelen schon 2018 einigen. Deshalb bin ich auch optimistisch, dass wir unser Ziel erreichen, mit Regionalmedien bis 2025 eine Million Abos zu erreichen, die Hälfte davon digital.

Puh, klingt ehrgeizig …

Aber machbar. Denn es gibt auf dem Weg dorthin ja viele positive Signale. Zuletzt haben wir etwa das 100.000. E-Paper gefeiert.

Im gesamten Portfolio?!

Im gesamten Portfolio der Regionalzeitungen, ja. Aber es ist ein Schritt nach vorn, der undenkbar gewesen wäre, als wir ohne Digitalstrategie auch noch untereinander zerstritten waren. Die Lage war 40 Jahre so verfahren, dass es keine einheitlichen Lösungswege gab. Digital first kam daher spät, aber rechtzeitig genug, um das Ruder noch rumzureißen.

Funke ist in den Top Ten der größten Medien-Unternehmen in Deutschland, als Verlagsgruppe mindestens vierter…

Wer ist denn zweiter?

Nach Axel Springer die Bauer Media Group und bei regionalen Tageszeitungen vermutlich Madsack.

Wissen Sie, es geht mir gar nicht so um Größe. Aufgrund unserer Reichweiten bei den Regionalmedien und den Zeitschriften haben wir zweifellos ein Alleinstellungsmerkmal. Das müssen und werden wir noch stärker ins Spiel bringen.

Welche Verantwortung, die daraus erwächst, ist denn größer: für Unternehmen, Publikum, Tradition, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Demokratie und Zivilgesellschaft?

Spannende Frage. In meiner Position spricht man natürlich öfter mal über Verantwortung, und Sie dürfen mir gern glauben, dass es mein größter Anspruch ist, ihr gerecht zu werden.

Also wem gegenüber?

Dem Gesamtunternehmen inklusive Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Damit die ihre Miete zahlen können und gern für uns arbeiten, muss es allerdings wirtschaftlich sein. Die zweite Verantwortung gilt, wie es unten an der Wand steht, dem Qualitätsjournalismus aus Leidenschaft für unsere Leserinnen und Leser. Er richtet sich, dritte Verantwortung, also an eine Gesellschaft, die sich auch aufgrund unserer gut recherchierten, sachlichen, nicht polarisierenden Inhalte Meinungen bilden kann. Nur eine informierte Gesellschaft kann demokratisch agieren.

Und wie steht es mit der Tradition eines Zeitungshauses im Herzen von Deutschlands größter Metropolregion?

Ich werde häufig gefragt, ob ich die Führung eines solchen Familienunternehmens als Last empfinde, die mich bedrückt.

Im Sinne von erdrückt?

Ja. Riesige Fußstapfen einer publizistisch und wirtschaftlich erfolgreichen Vergangenheit, in denen das Geld nur so sprudelte, manche Gesellschafter aber vor lauter Sprudeln oft ein bisschen zu sehr an die eigene Tasche gedacht haben. Zusammengenommen sorgen diese Verantwortungen für eine Struktur, um das Unternehmen an die künftige Generation weiterzugeben, die ja aus fünf Kindern besteht. Ich mache es aber auch für die nächste Generation Nachrichten- oder Unterhaltungskonsumenten.

Kurzfristig hatten Sie auch Verantwortung für die Branche übernommen, als Funke wegen der ungebrochenen Unterstützung für BDZV-Präsident Mathias Döpfner aus dem wichtigsten Verlagsverband ausgetreten ist.

Wobei es dabei nicht darum ging, mich als „Anti-Döpfner“ zu inszenieren. Den Anfang hatte ja eigentlich die Aufforderung zum Gespräch über einen Springer-Skandal gemacht, den viele im BDZV allerdings als interne Angelegenheit betrachtet hatten. Über diese Doppelrolle von Herrn Döpfner als Verbands- und Springerchef habe ich – übrigens auch mit ihm – diskutiert. Als ich gemerkt habe, dass jede Bereitschaft fehlte, die Strukturen hinterm Skandal zu beseitigen und für Diversität zu sorgen, ohne die uns nicht nur Mitarbeiterinnen, sondern Leserinnen weglaufen, blieb uns nur der Rückzug. Wir haben jetzt schon Schwierigkeiten, junge Menschen für uns zu gewinnen.

Aber ja nicht, weil der BDZV so springerhörig ist?

Nein, das liegt auch an den Einstellungsvoraussetzungen zum Beispiel für ein Volontariat: Es sind oft immer noch ein Studium und – ich übertreibe jetzt natürlich – sieben Auslandsaufenthalte und fünf Jahre freie Mitarbeit gefragt. Ein anderes Thema ist die Herausforderung, Redaktionen und Verlag deutlich diverser aufzustellen. Denn misogyne Strukturen schrecken nicht nur Bewerberinnen ab.

Hatten Sie die Erkenntnis schon, bevor das Machtmiss­brauchssystem bei Springer publik wurde und der BDZV trotzdem an Döpfner festhielt?

Ja, aber danach habe ich mir umso mehr vorgestellt, eine meiner Töchter wäre davon persönlich betroffen. Ich war nicht damit einverstanden, dass über unsere Reformvorschläge zwar viel diskutiert, jedoch nur sehr wenig davon konstruktiv umgesetzt wurde.

Hat dabei auch der Jahresbeitrag von 700.000 Euro eine Rolle gespielt?

Als ich 2018 Aufsichtsratsvorsitzende wurde, haben wir BDZV und VDZ eingeladen, um zu klären, welchen Mehrwert es für uns hat, zwei Verbänden insgesamt 1,5 Millionen Euro Mitgliedsbeiträge zu zahlen, und einen Reformprozess angeregt, der das in ökonomisch komplizierter Zeit rechtfertigen könnte.

Und?

Der VDZ hat etwas gemacht, der BDZV hat nichts unternommen. Das lag allerdings gar nicht so sehr an Mathias Döpfner, der als Doppelmitglied durchaus Veränderungswillen hat; es lag an einem Verband, für den ich und meine Position aus Sicht der, nun ja, meist älteren Herren, nicht so diskussionswürdig war. Ich bin trotz klarer Haltung zur Gleichbehandlung, Gleichbezahlung, Gleichstellung keine Feministin, die das Matriarchat fordert, aber dass über meine Ideen nicht mal gesprochen wurde, hat mir den Austritt erleichtert.

Zeugt die Tatsache, dass Sie noch nicht wieder eingetreten sind, davon, dass weiterhin nicht gesprochen wird?

Wir sprechen auf vielen Ebenen miteinander.

„Ich kann es nicht ändern, was in der Vergangenheit hier falsch gemacht wurde.“

Ebenen, auf denen Sie sich nicht nur in Fragen der Diversität exponieren, sondern Qualitätsmängel und reines Gewinnstreben kritisieren. Wie sieht es als Besitzerin eines Verlags, dem zuletzt lautstark Tarifflucht, Personalabbau oder der Betrieb menschenleerer Zombieredaktionen vorgeworfen werden, mit Selbstkritik aus?

Ich schätze den kritischen Blick des Medium Magazins auf die Branche sehr, muss aber vorweg einwenden, dass meine Geschwister und ich dem Denken, Geschäftsführungen hätten zuerst der Rendite zu dienen, damit am Jahresende Ausschüttungen und Boni stimmen, zumindest bei Funke ein Ende bereitet haben. Damit das angesichts der Übernahme von Gruner+Jahr durch RTL, das selbst funktionierende Titel einstellt, Schule macht, habe ich mich damit so aus dem Fenster gelehnt, und ja auch Lösungsvorschläge angeboten.

Nämlich welche?

Wie wär’s denn mal mit Kreativität? Mit Kooperationen? Mit Synergie? Wie wär’s mit mehr Gemeinsinn einer Branche, die keine Schrauben produziert, sondern Systemrelevanz? Um Auflagenrückgänge abzufedern, muss man vieles neu denken.

Also auch, zurück zur Frage, Entlassungen oder Einkommenseinbußen für Freelancer?

Das sind operative Entscheidungen, die unser Management auf dem Weg zum Spartenkonzern manchmal treffen muss, um den Tanker Funke wirtschaftlich auf Kurs zu halten. Ich würde mir als Freiberuflerin auch keine schlechter dotierten Verträge wünschen. Auf der anderen Seite hat freiberuflicher Content vor zehn Jahren noch ganz andere Wertschätzung und damit Monetarisierung erfahren. Dem muss die Bezahlung Rechnung tragen.

Zu dumm, dass Preise und Mieten dennoch steigen …

Es gibt aber auch Arbeitgeber, die Entlassungen in hoher Zahl vornehmen, ohne sich wie wir heute den Herausforderungen wirklich gestellt zu haben. Ich kann es nicht ändern, was in der Vergangenheit hier falsch gemacht wurde, stehe aber für eine Branche, deren Zukunft von allen schlechtgeredet wird und gerate immer dann in Diskussionen, wenn sich Menschen durch unser Unternehmen schlecht behandelt fühlen. Um die Zukunft von Funke zu sichern, haben wir zum dritten Mal Geld aus dem Familienvermögen in die Gruppe gepumpt.

„Die Lage war 40 Jahre so verfahren, dass es keine einheitlichen Lösungswege gab.“

Wie viel genau?

Meine Mutter hat rund 500 Millionen Euro investiert, um die Brost-Anteile zu übernehmen. Ich kann verstehen, wenn Menschen besorgt sind, würde mir aber wünschen, dass auch mal anerkannt wird, mit welchem Aufwand wir versuchen, Funke eine Zukunft zu geben. Sicher denken viele, wie gut es uns in der Lounge hoch über den Alltagssorgen anderer geht. Aber die Wahrheit reicht manchmal ein bisschen tiefer. Das Wort „fair“ jedenfalls habe ich aus meinem Wortschatz gestrichen.

Für sich oder andere?

Für Schüler und Senioren zum Beispiel, die sich mit Zeitungsaustragen etwas dazu verdienen wollen, aber nicht dürfen, weil ich ihnen Nachtzuschlag und Mindestlohn zahlen müsste, was sich schlicht nicht rentiert. Natürlich würde ich 80 Prozent gesparter Ausschüttungen, die nun ins Unternehmen fließen, gern vor allem ins Personal stecken, aber wir haben noch ganz andere Veränderungen damit zu schultern. Es ist meine Aufgabe, dieses Unternehmen so nachhaltig aufzustellen, dass Funke auch in zehn Jahren regional präsent und erfolgreich ist.

Und dafür dulden Sie dann eben auch Clickbaiting auf Reichweiteportalen wie derwesten.de oder faktenfreie Mimik-Analysen der Yellow Press?

Genau mit dieser Frage habe ich mich heute Nacht um drei bei Vollmond, der mir stets den Schlaf raubt, auch beschäftigt: Reichweitenjournalismus versus Qualitätsjournalismus versus Boulevardjournalismus.

Alles reichlich vertreten im Funke-Portfolio.

Das vergleiche ich mit Fußballmannschaften, wo der Stürmerstar für Aufmerksamkeit, also Reichweite sorgt, während das Mittelfeld spielerische Qualität zur Verfügung stellt und die Abwehr mit gröberen Mitteln dahinter aufräumt. Clickbaiting hingegen besteht, wenn eine Überschrift verspricht, was der Text nicht hält. Als mir bewusst wurde, dass das auf Portalen wie derwesten.de geschieht, hatte ich meine ersten Fremdschäm-Momente im Aufsichtsrat.

Mit welcher Konsequenz?

Mit der Konsequenz, dass sich Bettina Steinke als Chefredakteurin aller Reichweitenportale nun darum kümmert, dass Videos wie jenes, wo eine Frau ihrem Hund brennende Zigaretten in die Augen drückt, nicht mehr viral gehen. Für die Anzeigenabteilung waren Millionen Zugriffe ein Segen, fürs Verlagsrenommee ein Desaster.

Und der Boulevardjournalismus, der Ihnen in Gestalt des nicht als solches gekennzeichneten KI-Interviews mit Michael Schumacher in Die Aktuelle einen Shitstorm plus juristische Konsequenzen eingebracht hat?

Wissen Sie, wie der Boulevardjournalismus entstanden ist? Ende des 19. Jahrhunderts haben sich William Randolph Hearst und Joseph Pulitzer, beide später renommierte Persönlichkeiten der amerikanischen Medienlandschaft, einen Wettstreit darüber geliefert, wer die gruseligere Berichterstattung über einen Leichenfund im Hudson River liefert. Ich weiß nicht mehr, wer gewonnen hat, aber beiden war klar, dass mehr emotionale Aufregung mehr verkaufte Zeitungen bedeutet – ein Prinzip, mit dem der Boulevard plus einfache Sprache bis heute funktioniert.

Und damit zurück zum Schumacher-Fake.

Der natürlich nicht ging. Wir haben dafür öffentlich und auch bei der Familie Schumacher um Entschuldigung gebeten und klare personelle Konsequenzen gezogen. Grundsätzlich spricht aber nichts dagegen, auch in einem Regionalmedienhaus wie unserem Boulevardjournalismus mit eigenständigen Vermarktungs- und Erlösregeln zu betreiben, solange er unseren Guidelines entspricht.

Aber wenn Sie jede beliebige Ausgabe vom Goldenen Blatt bis zur Aktuellen lesen, finden sich darin Dutzende spekulativer Berichte, die oft schlicht erfunden sind. Wo wären da noch mal die Guidelines?

Wir wollen verantwortungsvollen Boulevardjournalismus mit klarer Grenze. Ob wir das gut genug hinkriegen, darüber lässt sich ja streiten. Aber es ist der eigene Auftrag an uns. Klatsch und Tratsch bilden als Kulturtechniken Kitt, der Gesellschaften in Zeiten von News Fatigue nochmals besseren Halt gibt und darüber hinaus – auch wenn man mit der Vokabel gerade vorsichtig sein sollte: nicht kriegsentscheidend für die Glaubwürdigkeit der Medien insgesamt ist. So gesehen hatte die Sache mit Schumacher auch ihr Gutes.

Nämlich?

Wir haben uns innerhalb einer Viertelstunde zusammengeschaltet und klargemacht, diese Art der respektlosen Herabwürdigung mittels KI künftig gemäß unseren Guidelines nicht wieder vorkommen zu lassen.

Hat dieser Sinneswandel auch damit zu tun, dass Sie massiv die Frauenquote aller Führungsbereiche erhöhen, weshalb die Verlagsleitung jetzt zu drei Fünfteln weiblich ist?

Ich finde es interessant, dass Sie mich das als Mann fragen, weil es impliziert, Männer seien zu dieser Art Selbstreflexion weniger tauglich als Frauen. Also nein, es gibt viel zu viele wunderbare Männer, um ihnen generell die Bereitschaft zur moralischen, verlegerischen, journalistischen Leitplanke abzusprechen. Es geht also nicht nur darum, die Frauenquote zu erhöhen, sondern generell diverser zu werden.

„Generell“ heißt?

Mehr Menschen mit Behinderung oder Migrationshintergrund, aber auch alleinerziehende Väter. Ich vergleiche unseren Verlag da gern mit einem Linienbus, in dem unterschiedlichste Menschen mit unterschiedlichsten Geschichten sitzen, die der Fahrer ohne Ansehen ihrer Hintergründe mitnimmt. Also keine Sorge, liebe Männer: Ihr fliegt nicht alle bei erster Gelegenheit raus. Wahrer Feminismus bedeutet für mich Gleichbehandlung – egal ob Mann oder Frau oder wie immer man sich definiert.

Jan Freitag ist freier Journalist in Hamburg. Dominik Asbach arbeitet als Fotograf in Duisburg.

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