Josef Zens

"Die Wissenschaft ist auf kritischen Journalismus angewiesen"

20.04.2021

In der Pandemie treten die Schwachstellen von Wissenschaftskommunikation und -journalismus deutlich zutage. Das Kompetenzteam Wissenschaftskommunikation von DJV Berlin – JVBB will das ändern – und hat verschiedene Vorschläge dafür erarbeitet, erklärt Koordinator Josef Zens im Interview. Interview: Kathi Preppner.

Der Wissenschaftsjournalismus braucht eigene Standards, sagt Josef Zens. (Bild: Sebastian Laraia)

Journalist: Herr Zens, in letzter Zeit hatte man zuweilen den Eindruck, dass die Corona-Berichterstattung Wissenschaftlern die Lust auf Kommunikation vermiest hat. Verstehen Wissenschaftler zu wenig, wie Medien funktionieren? Oder berichten die Medien falsch?

Josef Zens: Ich glaube beides. Und das ist ein Problem. Das liegt zum Teil an den Forschenden, die die medialen Mechanismen vielleicht nicht verstehen und Unwillen zeigen, wenn die Medien ein Statement heute und nicht erst in drei Tagen haben wollen. Umgekehrt sehe ich aber auch bei den Journalistinnen und Journalisten oft den Wunsch zur schnellen Schlagzeile, zum Zuspitzen. Und das kann die Wissenschaft überhaupt nicht leiden, wenn da ein Streit konstruiert wird, wo es vielleicht nur eine Meinungsverschiedenheit gibt. Wenn Wissenschaftsjournalist*innen über uns berichten, läuft es meistens super. Aber bei Corona ist die Berichterstattung ins Aktuelle, in die Politik gewandert. Und die Politikjournalist*innen verstehen oftmals nicht in der Tiefe, wovon wir reden, das trifft auf Corona genauso zu wie auf Geowissenschaften.

Christian Drosten hat sogar gesagt, der Politikjournalismus müsse jetzt mal ein Stück weit zurückgefahren und dem Wissenschaftsjournalismus müsse mehr Platz eingeräumt werden. Sehen Sie das auch so?

Nein. Der Politikjournalismus muss aus meiner Sicht nicht zurückgefahren werden, sondern er muss wissenschaftlicher werden. Er muss sich die Mühe machen, Wissenschaft verstehen zu wollen und eine fundierte Einschätzung zu treffen, ob eine Studie valide ist, ob die Methode halbwegs stimmt. Dazu kann sich der Politikjournalismus auch beim Wissenschaftsjournalismus Hilfe holen.

Wie könnte das aussehen?

Ein Vorschlag unseres Kompetenzteams ist, innerhalb von Redaktionen Teams aus Politikjournalist*innen und Kolleg* innen aus dem Wissenschaftsressort zu bilden. Außerdem sollten Politik- und Lokaljournalisten in Fortbildungen lernen, wie Wissenschaft funktioniert, welche wissenschaftlichen Prozesse es gibt. Alle, die zwar vielleicht ein Studium haben, aber nie gelernt oder längst vergessen haben, was ein Preprint ist und was eine Peer-Review-Studie bedeutet, brauchen aus meiner Sicht eine Auffrischung.

Sie betrachten die Entwicklung zurzeit mit großer Sorge. Warum?

Weil redaktionelle Kompetenz abgebaut wird. Ich bin seit 30 Jahren im Geschäft und habe in dieser Zeit erlebt, wie die Arbeitsverdichtung zugenommen hat, wie die Redaktionen weniger geworden sind, wie die Freien schlechter bezahlt werden, wie die Existenzen prekärer werden. Und ich erlebe immer noch mit großem Staunen, wie sich die Berichterstattung beschleunigt hat. Es ist schneller, es ist affektbetonter geworden, und das schadet der Qualität. In unserem Kompetenzteam sehen wir einfach ein Qualitätsproblem im Journalismus, das aber die Wissenschaftsberichterstattung insbesondere betrifft. Denn dort geht es noch stärker als in der Politikberichterstattung um Genauigkeit, Sorgfalt und um ein tieferes Eindringen in die Themen.

Besteht auch die Gefahr, gerade wenn in Redaktionen Personal abgebaut wird, dass die Wissenschafts-PR den Medien das Wasser abgräbt? Zum einen mit tollen Hochglanz-Broschüren, aber auch weil die Institutionen selbst twittern.

Das glaube ich nicht. Die Reichweite eines Tagesspiegels oder einer FAZ erreicht keine Wissenschaftskommunikation in dieser Breite – mit Ausnahme von Christian Drostens Podcast vielleicht. Ich sehe eher die Gefahr, dass Pressemitteilungen aus Bequemlichkeit oder Zeitdruck einfach von den Medien übernommen werden und hier eine mangelnde Einordnung stattfindet. Und so widersinnig das klingt: Das schadet uns als Wissenschaft. Die Wissenschaft und die Wissenschaftskommunikation sind auf einen guten und kritischen Journalismus angewiesen. Wer soll mir sonst meine Glaubwürdigkeit bescheinigen? Das kann nur unabhängiger, kritischer Journalismus.

„Politikjournalismus muss wissenschaftlicher werden.“

Ihr Kompetenzteam will also den Wissenschaftsjournalismus stärken. Wie wollen Sie das machen?

Es gibt auf wissenschaftlicher Seite bereits die Leitlinien guter wissenschaftlicher Praxis, es gibt die Leitregeln guter Wissenschafts-PR. Für den Journalismus wünschen wir uns ebenfalls Leitlinien in Form von Qualitätskriterien. Im Pressekodex gibt es die Ziffer 14, in der es speziell um Medizinberichterstattung geht. Die würden wir gern auf Wissenschaft insgesamt erweitern. Es geht uns darum, auch wissenschaftsfremden Redaktionen und Ressorts ein Verständnis für wissenschaftliche Prozesse zu vermitteln, so dass da Standards gesetzt werden, die nicht einfach nur heißen: große Reichweite. Sonst kann ich immer einen Durchbruch vermelden oder einen Weltuntergang verkünden. Und dann geht es auch darum, dass man freie Wissenschaftsautorinnen und -autoren gut bezahlt, denn sonst leidet die Qualität. Um eine Qualitätsoffensive für den Journalismus zu starten, haben wir die Factory Wisskomm des Bundesforschungsministeriums zum Anlass genommen, um uns mit dem Thema auseinanderzusetzen und zu sagen: Wo kann man Verbesserungen erreichen?

Mit der Denkwerkstatt Factory Wisskomm will das Ministerium Wissenschaftskommunikation fördern und diesen Monat entsprechende Maßnahmen „verbindlich vereinbaren“. Welche Maßnahmen werden das sein?

Es geht zum Beispiel darum, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler belohnt werden, wenn sie kommunizieren – zum Beispiel, indem man ihnen eine bestimmte Arbeitszeit einräumt, in der sie kommunizieren können, ohne dass ihnen die Labor- oder die Institutsleitung im Nacken sitzt und sagt: Ach, für die Medien habt ihr Zeit, aber für eure Forschung nicht? Auch Schulungen für Wissenschaftler* innen könnten ein Weg sein. Generell geht es um eine Anerkennungskultur, und eben nicht eine Neid- oder Kritikkultur nach dem Motto: Die ist in den Medien, hat die nichts besseres zu tun? Ich erhoffe mir auch, dass ein Impuls kommt, Journalismus insgesamt so zu fördern, dass es möglich ist, zu einer besseren Qualität im Wissenschaftsbereich zu kommen – ohne dass das staatliche Einflussnahme ist. Ob das nun Fortbildungen sind, ob das eine Akademie ist oder ob man andere qualitätsfördernde Einrichtungen unterstützt.

Gibt es überhaupt genügend Wissenschaftsjournalist* innen angesichts der Vielfalt der Fachgebiete?

Ich sehe schon eine gewisse Unübersichtlichkeit durch die Vielfalt der Disziplinen und die komplexen Sachverhalte. Aber es gibt Faustregeln, die sich alle Journalistinnen und Journalisten merken können: Was ist die Behauptung, wo kommt die her? Kommt die aus einer wissenschaftlichen Studie? Stammt sie wirklich von einer Fachperson und hat ein Qualitätskontrollverfahren, eine Peer-Review durchlaufen? Was ist das für ein Institut? Das heißt, ein bisschen Hausaufgaben kann auch die normale Feld-, Wald- und- Wiesen-Journalistin machen, um in einem vertretbaren Zeitaufwand rauszukriegen, ob ein Thema die Schlagzeile wert ist. Das sehe ich nichts als das größte Problem an.

Es geht Ihnen also um Wissenschaftskompetenz für alle Journalisten?

Ja. Und das heißt eben nicht, dass die alle ein Ingenieursstudium absolvieren müssen. Das geht einfacher. Das kann man in einem Crash-Kurs von ein paar Tagen lernen. Oder indem man wie ich ein, zwei, drei peinliche Fehler macht und richtig Schelte kriegt. Wenn man sich die zu Herzen nimmt, lernt man’s auch.

Wenn Sie in die Zukunft blicken, sind Sie optimistisch, dass die Pandemie zu einem Bewusstseinswandel führt?

Ich bin verhalten optimistisch. Verhalten, weil ich nach wie vor diese Polarisierung und die Lust an der Schlagzeile sehe. Aber das Thema Wissenschaftskommunikation ist auf der Tagesordnung. Die PR-Gesellschaften unterhalten sich darüber, das Bundesforschungsministerium hat eine Offensive gestartet und wir vom Deutschen Journalisten-Verband auch. Es gibt an ganz vielen Ecken und Enden Bestrebungen, die Wissenschaftskommunikation besser zu machen, und das stimmt mich optimistisch. 

Zur Person
Josef Zens
leitet die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Geoforschungszentrums GFZ. Er hat bei der Landshuter Zeitung volontiert und war fünf Jahre lang Wissenschaftsredakteur bei der Berliner Zeitung. Auf PR-Seite hat er außerdem unter anderem für die Leibniz-Gemeinschaft und das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz- Gemeinschaft gearbeitet.

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