Evan Gershkovich

"Eine Botschaft der Einschüchterung"

27.04.2023

Ende März ist Evan Gershkovich, Reporter des US-amerikanischen Wall Street Journals, vom russischen Geheimdienst FSB festgenommen worden. Der journalist hat mit früheren Russland-Korrespondent*innen zur Situation von Evan Gershkovich gesprochen. Mehr als 300 von ihnen fordern die Freilassung des US-Reporters. Text: Kathi Preppner

Ende März war Evan Gershkovich, Reporter des US-amerikanischen Wall Street Journals, vom russischen Geheimdienst FSB wegen Vorwurf der Spionage in Jekaterinburg festgenommen worden. (Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Alexander Zemlianichenko)

In einem offenen Brief an den russischen Außenminister Sergej Lawrow fordern mehr als 300 frühere Russland-Korrespondent*innen aus 22 Ländern die Freilassung des US-Reporters Evan Gershkovich. Sie seien „schockiert und entsetzt“ über die Festnahme des Kollegen, schreiben sie, die Verhaftung sei ein beunruhigendes Signal für Russlands Missachtung unabhängiger Medien. „Journalismus ist kein Verbrechen“, heißt es in dem Brief.

Ende März war Evan Gershkovich, Reporter des US-amerikanischen Wall Street Journals, vom russischen Geheimdienst FSB in Jekaterinburg festgenommen worden, kurz nachdem er ein Restaurant betreten hatte. Der Vorwurf der russischen Behörden: Spionage. Der 31-Jährige sei dabei ertappt worden, geheime „Informationen über ein Unternehmen des militärisch-industriellen Komplexes“ gesammelt zu haben. Das russische Außenministerium behauptete, Gershkovich habe seine Akkreditierung für Aktivitäten genutzt, die nichts mit Journalismus zu tun hätten. Nun drohen dem Reporter 20 Jahre Haft.

Der Brief der Korrespondent*innen wurde dem russischen Außenministerium am vergangenen Montag per E-Mail und per Post verschickt. Er ist zudem auf der Website freegershkovich.com veröffentlicht, auf der sich auch ein Ticker befindet, der die Tage, Stunden und Minuten seit Gershkovichs Verhaftung zählt. Freunde und Bekannte des US-Reporters können Fotos hochladen und gemeinsame Erinnerungen teilen. Man kann ihm über ein Formular eine E-Mail zukommen lassen oder über GoFundMe für seine Familie spenden. Die Website haben Freunde von Gershkovich aufgesetzt. „Wir tun alles, was wir können, um ihn nach Hause zu holen“, schreiben sie.

Auch aus Deutschland gab es Mitte April bereits einen offenen Brief, adressiert an den hiesigen russischen Botschafter in Deutschland, Sergei Jurjewitsch Netschajew. Darin heißt es: Die Spionagevorwürfe gegen Gershkovich „sind haltlos und ein Akt reiner politischer Willkür gegen die Freiheit der Presse“. Unter den Unterzeichnenden: Funke-Vorsitzende Julia Becker, Zeit-Geschäftsführer Rainer Esser, Springer-CEO Mathias Döpfner, BDZV-Geschäftsführerin Sigrun Albert, DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall sowie zahlreiche Chefredakteurinnen und Chefredakteure. Sie fordern ebenfalls die bedingungslose Freilassung des US-Reporters.

301 frühere Russland-Korrespondent*innen aus 22 Ländern hatten den Brief an Lawrow unterschrieben, als er veröffentlicht wurde, die Liste wird laufend länger. Die Unterzeichnenden haben für New York Times und Washington Post aus Russland berichtet, für Guardian und Le Monde, Gazeta Wyborcza und Népszabadság, Milliyet und Sydney Morning Herald. Mehr als 20 Medienschaffende aus Deutschland sind dabei.

„Das ist furchtbar für den Kollegen.“ (Thielko Grieß)

Diejenigen, mit denen der journalist gesprochen hat, rechnen eher nicht mit einer baldigen Freilassung Gershkovichs. Fotograf Martin von den Driesch (1994 bis 2005 für die Oldenburgische Volkszeitung in Russland) befürchtet, dass der Reporter noch länger inhaftiert bleibt – und irgendwann gegen einen russischen Häftling freigetauscht wird: „Das scheint ja die neue Strategie des Kremls zu sein.“ Auch Thielko Grieß (2017 bis 2021 für den Deutschlandfunk in Russland, danach in der Ukraine und derzeit in Elternzeit) geht davon aus, dass Gershkovich erst einmal verurteilt wird, damit der Kreml dann etwas in der Hand hat. „Das ist natürlich für den Kollegen furchtbar“, so Grieß.

Deutschlandfunk-Osteuropa-Korrespondentin Sabine Adler (1999 bis 2005 für das Deutschlandradio in Russland) sagt, dass die Verhaftung „vor allem als Botschaft der Einschüchterung an die westliche Presse in Russland verstanden werden soll“. Darum sei mit einer baldigen Freilassung nicht zu rechnen, wenn überhaupt werde es einen Austausch geben – „denn als amerikanischer Journalist ist Evan Gershkovich eine wertvolle Geisel, um in den USA oder anderen westlichen Ländern inhaftierte russische Staatsbürger freizubekommen“.

„Der russische Staat benimmt sich inzwischen wie ein Mafia-Staat, der Geiseln nimmt, um eigene Leute freizupressen.“ (Moritz Gathmann)

Gershkovichs Verhaftung hat die Korrespondent*innen überrascht. „Gegenüber akkreditierten Korrespondenten ausländischer Medien hatten die russischen Staatsorgane bisher immer eine Art Beißhemmung“, sagt Christian F. Trippe, Leiter der Osteuropa-Abteilung bei der Deutschen Welle (1999 bis 2002 für die DW in Russland). Cicero-Chefreporter Moritz Gathmann (2008 bis 2013 für den Tagesspiegel in Russland) sagt, so etwas sei selbst zu schwierigsten Zeiten der Sowjetunion nicht vorgekommen. „Der russische Staat benimmt sich inzwischen wie ein Mafia-Staat, der Geiseln nimmt, um eigene Leute freizupressen“, so Gathmann. Von den Driesch sagt: „Das ist eine ganz neue Qualität gegenüber dem bisherigen Verhalten und den Schikanen der Behörden bei russischen Journalisten.“

Sabine Adler erinnert daran, dass schon seit der Gesetzesverschärfung im März 2022, die sogenannte Verunglimpfung der Armee mit langjährigen Haftstrafen zu ahnden, große Unsicherheit herrsche – „zumal die russischen Behörden und Justiz für ihre Willkür bekannt sind“. Vielen ausländische Medien hatten daraufhin ihre Korrespondent*innen aus dem Land abgezogen. Überhaupt finde bis auf einzelne regionale Internetmedien freier Journalismus in Russland öffentlich sichtbar nicht mehr statt, so Adler. „Die wenigen unabhängigen Medien, die bis zur russischen Invasion in die Ukraine noch bestanden, wurden geschlossen. Sie arbeiten, wenn überhaupt, vom Ausland aus und nutzen ihre Verbindungen in Regierung und Behörden, die nach wie vor bestehen, und sind deswegen immer noch informativ.“

„Die frei drehende russische Propaganda wird immer schriller, völkischer und aggressiver – und zwar nach innen wie nach außen.“ (Christian Trippe)

Christian Trippe von der Deutschen Welle sagt: „Die frei drehende russische Propaganda wird immer schriller, völkischer und aggressiver – und zwar nach innen wie nach außen.“ In diesem Meinungsklima sei journalistisches Arbeiten kaum noch möglich. Cicero-Reporter Moritz Gathmann hält die Lage für russische Journalisten für so schlecht wie nie zuvor. Für ausländische Korrespondenten sei die Lage besser, sagt er, „aber sie stehen unter ständiger Beobachtung der Behörden. Sie müssen sich bei Gesprächen mit Russen immer überlegen, ob die Berichterstattung über sie diesen nicht schaden, sie im schlimmsten Fall ins Gefängnis bringen kann.“ Auch Fotograf Martin von den Driesch weiß von verbleibenden ausländischen Korrespondent*innen, dass deren Arbeit immer schwieriger wird: „Ob Journalist oder nicht: Kaum einer traut sich noch irgendetwas kritisches gegenüber dem Kreml zu sagen. Selbst ein Like "für einen #FreeGershkovich-Post ist für die meisten schon zu heikel.“

Gershkovich sitzt mindestens bis Ende Mai im Lefortowo-Gefängnis. Ihm drohen 20 Jahre Haft. Auf der Website seines Arbeitgebers Wall Street Journal sind seine Beiträge und sämtliche Beiträge über ihn auch ohne Abo einsehbar. Die Zeit dokumentiert den Text, den Gershkovich kurz vor seiner Verhaftung geschrieben hat, auf Deutsch. In den sozialen Medien solidarisieren sich Menschen unter den Hashtags #IstandWithEvan, #FreeEvan und #FreeGershkovich.

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