Wirtschaftspresse

Geschichten aus dem Mittelstand

23.03.2023

Der Mittelstand ist zwar das Herz der deutschen Wirtschaft, aber nicht der Kern der deutschen Wirtschaftspresse. Zwischen großen Dax-Konzernen und innovativen Jungunternehmen fühlen sich die oft in der Provinz ansässigen Unternehmen mittlerer Größe wenig gesehen – und setzen vor allem auf die Lokalpresse. Text: Anna Friedrich

Welche Medien beschäftigen sich mit dem Mittelständischen?

„Wir kommen fast überall rein“, sagt Andreas Möller. Der Kommunikationschef des schwäbischen Maschinenbauers Trumpf ist selbstbewusst, was den Umgang mit der Presse angeht. Und das kann er auch sein: Von Badischer Zeitung bis zur Wirtschaftswoche – Trumpf findet nahezu überall in der Berichterstattung statt. So berichtete das Handelsblatt Mitte Januar beispielsweise über den neuen Superlaser von Trumpf, der Blitze in zweieinhalb Kilometern Höhe abfängt. Das Fachblatt Maschinenmarkt schrieb darüber, dass die Wagniskapitaltochter Trumpf Ventures in ein spanisches Quantencomputing-Start-up investiert. Und die Stuttgarter Nachrichten porträtierten zwei Trumpf-Managerinnen, die sich eine Stelle teilen und gemeinsam 1.000 Leute führen.

Für Journalisten ist das Unternehmen ein gefundenes Fressen: Die Schwaben haben Nachrichtenwert. Die großen Überregionalen berichten, weil Trumpf mit rund 17.000 Mitarbeitenden und 4,2 Milliarden Euro Umsatz zu den größten Maschinenbauern Deutschlands zählt. Unternehmermagazine wie Impulse und Markt und Mittelstand schauen auf das Familienunternehmen Trumpf, und die Lokalpresse interessiert sich für den Arbeitgeber, der rund 6.000 Menschen rund um Stuttgart monatlich Gehalt überweist. Der Mittelstand besteht nun aber nicht nur aus Trumpfs, sondern vor allem aus kleinen und mittelgroßen Unternehmen: 99,4 Prozent der Deutschen arbeiten in Unternehmen, die weniger als 250 Beschäftigte haben und maximal 50 Millionen Euro pro Jahr umsetzen. „Die Bedürfnisse dieser Unternehmen kommen in der Presse zu wenig vor“, sagt Andreas Bachmeier von Engel und Zimmermann. Die Kommunikationsagentur berät familiengeführte Mittelständler, von großen Namen wie Hornbach und Ehrmann bis zu kleinen Firmen aus Nahrungsmittelindustrie und Energiewirtschaft.

„Die Bedürfnisse dieser Unternehmen kommen in der Presse zu wenig vor“ Andreas Bachmeier, Berater Engel und Zimmermann

Der Kommunikationsexperte beobachtet, dass viele kein Interesse am überregionalen Auftritt haben. Denn dort tauchen, wie er sagt, vor allem zwei Arten von Unternehmen auf: die großen Prominenten und die jungen Innovativen. „Die großen Namen wie Wirtschaftswoche sind vor allem für diejenigen interessant, die sich in Gremien und Verbänden engagieren“, sagt Bachmeier. „Wer sich zum Beispiel für Familienunternehmertum generell starkmachen will, geht auf diese überregionale Wirtschaftspresse zu.“ Für junge Unternehmen gibt es sogar eigene Medien wie Gründerszene und Business Insider. Doch bei den Mittelständlern klafft eine Lücke, wie Bachmeier findet. Damit die Berichterstattung für KMU wirklich Mehrwert bringt, braucht es Themen, die die Geschäftsführung im Tagesgeschäft umtreiben. „Viele Mittelständler beobachten beispielsweise die Besteuerung großer Konzerne mit Unmut oder tauschen sich über unsinnige Bürokratie aus, die ihnen die Arbeit unnötig schwer macht“, sagt Bachmeier. Darüber berichte die Presse allerdings wenig – außer, es gehe um handfeste Skandale. Seine Kunden wünschen sich realitätsnahe Themen und Inspiration, wie andere Unternehmen ihrer Größenordnung mit He­rausforderungen umgehen.

Was muss ich lesen?

Thorsten Giersch, Chefredakteur von Markt und Mittelstand, will genau das leisten. Er macht B2B-Journalismus für den deutschen Mittelstand, vom kleinen Unternehmen mit 50 Leuten bis zu den Großen wie Heraeus, einem Technologieunternehmen mit mehreren tausend Beschäftigten. „Wir teilen unsere Artikel in zwei Gruppen: Was muss ich als mittelständischer Entscheidungsträger lesen? Und: Was will ich lesen?“, sagt Giersch. „Jedes Heft ist also ein Mix aus typischer Info-Lektüre und sehr konkretem Nutzwert, der die Betriebe auf Ideen bringt.“

Giersch und seine Kollegen sind viel unterwegs, gerade kommt der Chefredakteur von einem Besuch beim Maschinenbauer Wilo in Dortmund, Vorstandsinterview und Unternehmensführung inklusive. „So merke ich, wie unsere Zielgruppe tickt“, sagt er. Solche Treffen nutzt Giersch nicht nur für Themeninspirationen, sondern auch für Rückmeldung zu den Inhalten, die Markt und Mittelstand produziert: Was fehlt euch? Welche Themen treiben euch um? In welcher Weise sollte man Themen umsetzen? Der persönliche Kontakt ist auch entscheidend, um sein Netzwerk weiter auszubauen – denn auskunftsbereite Geschäftsführer gibt es im Mittelstand meist nur über Kontakte. „Wer im Mittelstand nicht gut vernetzt ist, schreibt vor allem bei heiklen Themen zehn Firmen an und nur einer spricht öffentlich“, sagt Giersch. Damit er stets aus dem Vollen schöpfen kann, plant er unter anderem mit der Industrie- und Handelskammer ein Austauschformat namens „Arbeitsessen“, zu dem fünf Mittelständler eingeladen werden. „Über Teile des Gesprächs berichten wir in Abstimmung“, sagt Giersch. Am Ende sind zwar 90 Prozent nur für seinen Hintergrund, aber die Themenideen, die er aus solchen Runden mitnimmt, würden „die drei nächsten Hefte füllen“.

Kommunikator Bachmeier bezeichnet das als „Schmoren im eigenen Saft“: „Der Mittelstand bleibt mit seinen Themen unter sich“, sagt er. Deshalb stehen aus seiner Sicht Lokalmedien in der Kommunikationsstrategie des Mittelstands hoch im Kurs: „So können sie potenzielle Mitarbeiter erreichen.“ Wenn die Stuttgarter Nachrichten also ein Porträt zum Jobsharing veröffentlichen, könnte das in Bewerbungen von Frauen resultieren, die sich auch so eine Aufgabe zutrauen. Auch Branchenmedien sind für Bachmeiers Kunden wichtiger als die großen Überregionalen oder die Mittelstandspresse: Wenn der Maschinenmarkt nämlich schreibt, dass einer der größten Maschinenbauer Deutschlands mehr Geld in Forschung und Entwicklung steckt, hat der ein oder andere Leser womöglich eine Idee zur Zusammenarbeit. Für Trumpf sind die Lokalmedien an den Standorten besonders wichtig, etwa die Stuttgarter Zeitung, die Sächsische Zeitung und der Schwarzwälder Bote.

„Viele unserer Leser kommen aus dem Mittelstand. Deswegen versuchen wir, sie auch abseits der klassischen Nachrichtenfaktoren ins Blatt zu bringen.“
Hendrik Varnholt, Journalist Wirtschaftswoche

Damit die Berichterstattung der Wirtschaftsleitmedien nicht zu einseitig ausfällt, werden die Redaktionen kreativ. „Auch wir wählen unsere Themen anhand der Nachrichtenfaktoren aus – und das sind eben häufig Relevanz und Neuigkeit“, sagt Hendrik Varnholt, seit einem Monat bei der Wirtschaftswoche als Co-Ressortleiter Unternehmen an Bord. „Viele unserer Leser kommen aus dem Mittelstand. Deswegen versuchen wir, sie auch abseits der klassischen Nachrichtenfaktoren ins Blatt zu bringen.“ So gibt es beispielsweise das wöchentliche Format „Helden des Mittelstands“, in dem die Wiwo-Redakteure ein Best-Practice-Beispiel vorstellen. Doch Hidden Champions sind häufig gar nicht so leicht zu finden – sie haben mitunter keine Pressearbeit und stellen ihre Erfolge weniger offensiv ins Schaufenster. Wie schaffen sie es trotzdem ins Magazin? „Wir hören uns um, reisen viel und stoßen bei Recherchen immer wieder auf spannende Unternehmen“, sagt Varnholt. Auch Veranstaltungen wie das Gipfeltreffen der Weltmarktführer, die das Magazin ausrichtet, bringen neue Impulse für die Berichterstattung und frische Gesichter für die Mittelstandsrubrik.

Ein frisches Gesicht ist Felix Knoll. Der Unternehmer aus dem Emsland führt den Betrieb seines Großvaters in dritter Generation – und ist in den Medien gerade Dauergast. Berky stellt unter anderem Müllsammelboote her, die Plastik und Abfälle aus Flüssen und Seen fischen. Gerade waren das Deutschlandradio, der NDR und die NOZ am Hauptsitz in Haren (Ems) zu Gast. Die Geschichte, die Knoll zu erzählen hat, zieht: ein innovatives Produkt, das zum Umweltschutz beiträgt. Ein junger Unternehmer, der das Familienunternehmen weiterführt. Eine Erfolgsgeschichte in einer strukturschwachen Region. „Über fehlende Aufmerksamkeit können wir uns nicht beklagen“, sagt der 33-jährige Geschäftsführer.

Agenturchef Bachmeier wundert es nicht, dass immer wieder die gleichen Leute in den Medien auftauchen: „Ich beobachte regelrechte Personenkarrieren“, sagt er. Wenn ein Mittelstandsgeschäftsführer einmal im Handelsblatt war, landet der auch irgendwann in der Berichterstattung der Konkurrenz. „Journalisten recherchieren, wer sich zu welchen Themen äußert und fragen denjenigen dann auch an“, sagt Bachmeier. Die Chancen stehen gut, dass ein Chef, der schon einmal in der Presse war, auch ein zweites Mal spricht. Diese Erreichbarkeit ist vor allem bei kleinen Mittelständlern nicht selbstverständlich: „Häufig macht der Inhaber die Kommunikation selbst“, sagt Bachmeier. Er unterstützt seine Kunden deshalb dabei, erst einmal eine Kommunikationsinfrastruktur aufzubauen: Wer ist für Presseanfragen zuständig? Wer geht ran, wenn nach einem Bericht ständig das Telefon klingelt? Was tut das Unternehmen, wenn nach einem kritischen Bericht plötzlich ein Kamerateam in der Hofeinfahrt steht? „Wer in der Presse präsent ist, muss sich auch auf solche Szenarien vorbereiten“, sagt Bachmeier.

Themen platzieren

Auch Felix Knoll von Berky hat die Kommunikation seines Unternehmens professionalisiert. „Ich schicke Mails an die Redaktionen und versuche Themen zu platzieren“, sagt er. Als Lohn bekommt er viele Anfragen: vor allem von Regionalmedien wie der NOZ, RTL Regional, Sat.1 Regional und dem NDR. Aber auch die Weltspiegel-Redaktion der ARD, Deutschlandfunk und Deutschlandradio haben schon bei ihm angeklopft. „Sie wollen innovative Produkte sehen und unsere Müllsammelboote liefern dazu noch super Bilder“, sagt Knoll. Die Medien, die nun bei ihm im Emsland seine Boote filmen, konsumiert Knoll auch selbst: „Ich lese die NOZ für Informationen der Region. Die haben auch eine super Wirtschaftsausgabe, die quartalsweise erscheint.“ Auch den NDR schätzt er sehr – aufgrund des „qualitativ hochwertigen und nicht reißerischen Journalismus“, wie er sagt. Zudem liest er Handelsblatt, FAZ und Focus Online. „Ich folge diesen Medien auch auf Social Media. Dort konsumiere ich übrigens am häufigsten Nachrichten“, sagt Knoll. Wenn ihm durch den Algorithmus mal ein spannender Beitrag von Impulse und Markt und Mittelstand vorgeschlagen wird, klickt er – aber dann eher sporadisch als wirklich geplant. Regelmäßig liest er diese Magazine aber nicht, aus Zeitgründen. „Meine Pflichtlektüre sind Handelsblatt und die NOZ.

„Ich will Trends erkennen und Anregungen für mein Geschäft bekommen“
Felix Knoll, Geschäftsführer Berky

Die Regionalmedien scannt er nach Veranstaltungen zum Kontakteknüpfen und interessiert sich für Berichte über andere Unternehmen. Bei den überregionalen Medien interessieren ihn vor allem große Leitthemen und Meinungen. „Ich will Trends erkennen und Anregungen für mein Geschäft bekommen“, sagt Knoll. „Das Manager Magazin lese ich beispielsweise sehr gerne.“ Doch selbst in der Mittelstandsrubrik fühlt sich Knoll häufig zu klein: „Dort tauchen Firmen mit mehreren tausend Mitarbeitern auf. Ich wünsche mir Unternehmensporträts von kleinen und mittelgroßen Unternehmen mit 50 bis 500 Mitarbeitern, die sind für mich viel relevanter.“

Auch Trumpf-Kommunikationschef Möller kritisiert Teile der Berichterstattung – die aus seiner Sicht einen prägenden Teil der Wirtschaft übersieht. „Die Auswahl der Themen und die Frage, wem man wofür wie viel Platz einräumt, sagt etwas über Prioritäten aus.“ Wer ohne viel Aufhebens junge Leute ausbildet, seit Jahrzehnten ein solides Geschäftsmodell hat und „einfach nur einen guten Job macht“, schaffe es eher selten auf den Radar der überregionalen Journalisten. Und: Er wünscht sich Themen, die mehr der tatsächlichen Realität entsprechen. „Wie oft hat man nicht nur während der Pandemie über die neue Arbeitswelt gelesen. Einen Laser produziert man aber nicht im Homeoffice. Im industriellen Mittelstand stehen viele Mitarbeiter in der Werkhalle oder sind bei den Kunden, für sie stellen sich solche Debatten ganz anders dar.“ Möller fühlt sich gesehen, aber viele Trumpf-Kunden – meist klassischer Mittelstand mit 50 bis 200 Leuten – kämen angesichts ihrer Bedeutung deutlich zu kurz. Mit der Qualität und der Sorgfalt der Berichterstattung ist Möller übrigens zufrieden, aber einen Wunsch hat er doch noch: Medien sollten ein Bild der Wirtschaft zeichnen, das mehr ist als Skandale und Quoten.

Anna Friedrich ist Redakteurin in der Kölner Wirtschaftsredaktion Wortwert.

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