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"Gut wird es erst, wenn wir die Veränderungen annehmen"

Joachim Braun: "Seit mehr als elf Jahren arbeite ich als Chefredakteur und bin somit wohl einer dieser Typen, die Dalkowski gemeint hat" (Foto: Bernd Arnold)
In unserer Serie „Mein Blick auf den Journalismus“ greift Joachim Braun den Beitrag von Sebastian Dalkowski (4/22) auf. Der hatte die Arbeitsbedingungen im Lokaljournalismus kritisiert. Braun, selbst Chefredakteur der Ostfriesen-Zeitung, widerspricht.
31.07.2022
Wie wird’s mal wieder richtig gut? Sebastian Dalkowski stellte vor einigen Wochen diese Frage in genau dieser Rubrik. Er unterstellte, dass die Arbeitsbedingungen in Lokal- oder Regionalzeitungen für Reporterinnen und Reporter so schlecht geworden seien, dass engagierte Reporter wie er die Lust an ihrem Beruf verlieren müssten. Zitat: „Redaktionen haben in den vergangenen Jahren viel Zeit darauf verwandt, Leser:innen zufriedenzustellen. Wie sie Journalist:innen zufriedenstellen, haben sie nie gelernt. Die sollen bitte einfach mitmachen, was sich die Unternehmenslenker wieder so ausgedacht haben.“
Diese Behauptung hat mich geärgert. Seit mehr als elf Jahren arbeite ich als Chefredakteur und bin somit wohl einer dieser Typen, die Dalkowski gemeint hat. Ein wesentlicher Teil meiner Aufgabe ist es aber – so verstehe ich meinen Job – meinen Redakteurinnen und Redakteuren vernünftige Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Denn nur wer Spaß hat, leistet gute Arbeit. Und ich kenne eine ganze Reihe von Regionalzeitungs-Chefredakteuren, denen er mit seinem Vorwurf ebenfalls Unrecht tut.
"So lange sich so viele Journalistinnen und Journalisten in den Redaktionen nicht tatsächlich und von Herzen den veränderten Bedingungen des Medienmarkts stellen, so lange wird die Situation für uns alle schwierig bleiben."
Vor drei Jahren habe ich Sebastian Dalkowski persönlich kennengelernt. Es ging um einen Job als Lokalreporter. Ich hatte zuvor ein paar seiner Texte gelesen und war begeistert: Ja, solche Autoren braucht unsere Redaktion. Journalisten, die exzellente Beobachter sind und die das Besondere nebenan und im Alltag jederzeit sehen und darstellen können. Zu einer Zusammenarbeit kam es leider nicht.
Aber wie ist es denn nun mit den Arbeitsbedingungen für Lokalreporter, die Dalkowski kritisiert hat? Ist wirklich alles so schlimm? Eine Frage, die der Sauerländer Lokalredakteur Jürgen Overkott kürzlich auf journalist.de aus eigenem Erleben mit einem „Nein“ beantwortet hatte. Ich möchte ergänzend dazu den Ball an Dalkowski zurückspielen: Solange sich so viele Journalistinnen und Journalisten in den Redaktionen nicht tatsächlich und von Herzen den veränderten Bedingungen des Medienmarkts stellen, solange wird die Situation für uns alle schwierig bleiben.
Editoren und Reporter sind wichtig!
Dabei hat Dalkowski in vielen Kritikpunkten recht. Einen leidenschaftlichen Reporter wie ihn, wider seine Natur, für regelmäßige Dienste als Blattplaner am Desk einzusetzen, das ist Blödsinn. Zum einen, weil er daran erklärtermaßen keinen Spaß hat (siehe oben), zum anderen, weil es sicherlich Redakteure gibt, die für diese Tätigkeit besser geeignet sind. Für den Erfolg einer arbeitsteiligen Editoren-Reporter-Organisation ist es nun mal entscheidend, die richtigen Leute an den richtigen Plätzen zu haben. Die, die gut organisieren können in dem einen Team, die, die gerne bei den Leuten draußen sind und recherchieren und schreiben wollen, im anderen. Dass sich beide Teams als gleichwertig akzeptieren, weil beide Aufgabenfelder ja auch tatsächlich gleich wichtig sind, ist ein Muss. Mit interner Kommunikation, Transparenz und Beteiligung lässt sich ein solches Miteinander realisieren. Und natürlich muss das Vertrauen in die Redaktionsleitung da sein. Die darf nicht als Büttel der Geschäftsführung dastehen und – wie so oft erlebt – im Managersprech eindeutige Kostensenkungen als Strukturverbesserung kaschieren wollen.
"Dass sich beide Teams (Editoren und Reporter) als gleichwertig akzeptieren, weil beide Aufgabenfelder ja auch tatsächlich gleich wichtig sind, ist ein Muss."
Je größer eine Redaktion, umso schwieriger ist gerade das Vertrauensthema. Wie will eine Redakteurin, ein Redakteur Vertrauen zu einer Chefredaktion aufbauen, zu der sie oder er so gut wie nie Kontakt hat? Chefredakteure von Regionalzeitungen, denen es wichtiger ist, mit ihrem Ministerpräsidenten zum Essen zu gehen oder mit dem Industrie-Boss ein Interview zu führen, als an der Spitze des Change-Prozesses zu stehen und sich gegebenenfalls mit jeder einzelnen Kollegin, jedem Kollegen persönlich auseinanderzusetzen, brauchen entweder gute, entscheidungsbefugte Stellvertreter – oder sie sollten sich überlegen, ob sie im Regionalen wirklich gut aufgehoben sind.
Den Redakteuren Arbeitsbedingungen zu schaffen, die es ihnen ermöglichen, ein optimales Produkt zu erstellen, ohne dass sie vor lauter Überstunden irgendwann mit Burnout aussteigen müssen, ist unter den heutigen Rahmenbedingungen schwieriger als noch vor ein paar Jahren. Personalkosten sind der größte Kostenblock in einem Verlag, also der, mit dem sich bei sinkenden Erlösen am schnellsten Einsparungen erzielen lassen. Am Herzen des Produkts, dem Journalismus, herumzudoktern, ist als Strategie dennoch falsch, solange in vielen Verlagshäusern der Personaleinsatz strukturell einer Zeit entstammt, als Print noch der einzige Ausgabekanal war.
Außerdem gibt es Regeln, die zu respektieren sind: Redakteure werden für eine bestimmte Wochenarbeitszeit bezahlt, für Überstunden (die natürlich definiert werden müssen) steht ihnen deshalb ein Ausgleich zu. Die Anforderungen an die jeweilige Redaktion müssen im Übrigen so gestaltet sein, dass dieser Ausgleich auch zeitnah (und nicht erst kurz vor dem Renteneintritt) möglich ist.
Diese Selbstverständlichkeit macht aber noch keinen guten Journalismus. Dafür braucht es Kolleginnen und Kollegen, die für unseren großartigen Beruf brennen, die leidenschaftlich sind und immer auch ein bisschen eitel, die gute Themen erkennen und bereit sind, auf die Veränderungen in der Mediennutzung durch eigene Veränderungen zu reagieren. Das klingt nach ziemlich viel – und das ist es offenbar auch, wenn man betrachtet, wie viele Lokaljournalisten solchen Ansprüchen kaum oder gar nicht genügen. Ja, unser Beruf verändert sich sehr stark. Analysen des Leserinteresses werden zunehmend wichtiger, auch bei der Themenauswahl. Analytikdaten sind nicht der heilige Gral, aber sie helfen uns, unsere Leserinnen und Leser besser zu verstehen. Ein Artikel, den nachweislich kaum einer liest, ist verschwendete Zeit, nicht nur betriebswirtschaftlich gesehen, sondern auch bezogen auf das Engagement des Autors.
An den Bedürfnissen der Leser vorbei
Das, so meine Erfahrung, wollen viele Reporterinnen und Reporter aber nicht akzeptieren. Sie hängen an alten Verhaltensmustern. Sie besuchen Termine, ohne vorher eine Idee zu haben, was berichtenswert sein könnte. Unvergesslich ist mir, als mich – in einer früheren Redaktion – der Politikchef anblaffte, ich solle doch aufhören, dem Kollegen der Wirtschaft seinen Beruf zu erklären. Den mache er schließlich seit 30 Jahren. Auslöser war meine Nachfrage, wie der Wirtschaftschef denn die Arbeitsmarktstatistik, ein für die meisten Leser völlig abstraktes und sinnentleertes Zahlenwerk, attraktiv darstellen wolle. Seit 30 Jahren machte der Kollege seinen Job also und hatte nicht gemerkt, dass sich die Anforderungen völlig verändert haben. Dass es noch nie in der Geschichte des Journalismus so sehr auf Qualität ankam wie heute. Dass in vordigitalen Zeiten eine Lokalzeitung konkurrenzlos war, heute aber niemand mehr unser Produkt braucht, um sich informiert zu fühlen. Außer, wir bieten Inhalte, die sonst keiner hat, die am Alltag und den Bedürfnissen der Leser andocken.
"Ein Artikel, den nachweislich kaum einer liest, ist verschwendete Zeit, nicht nur betriebswirtschaftlich gesehen, sondern auch bezogen auf das Engagement des Autors."
Am wesentlichsten aber ist, dass Digitaljournalismus auch im Lokalen ganz anders funktioniert als die gute alte Tageszeitung. Da kommt es auf jeden einzelnen Artikel an, auf Überschrift und Teaser, auf das Foto und vor allem darauf, dass die Geschichte, die erzählt wird, es auch wert ist, aufgeschrieben worden zu sein. Schaut man allerdings auf die Analytikdaten vieler Redaktionen, dann wundert man sich, wie viel Schrott wir immer noch tagtäglich produzieren, Artikel mit einstelligen Leserzahlen. Das heißt nicht, dass das Thema kein gutes war. Das heißt meistens vor allem, dass es falsch umgesetzt war, dass keine Geschichte erzählt wird, dass es keinen roten Faden gibt, keine Spannung, dass der Autor offenbar keinen Bock hatte oder verpeilt war. Im Einzelfall ist das nicht schlimm, aber wenn es die Regel ist, ist es nicht zu akzeptieren. Wenn wir uns bei der Ostfriesen-Zeitung die Zahlen anschauen, klatschen wir uns nicht nur auf die Schulter wegen all der Geschichten, die super funktioniert haben, sondern schauen auch auf die andere Seite, auf jene Artikel, in denen jede Menge Arbeitszeit steckt, ohne dass es dafür Lohn vom Leser gab.
Noch mal zur Erinnerung: „Redaktionen haben in den vergangenen Jahren viel Zeit darauf verwandt, Leser:innen zufriedenzustellen. Wie sie Journalist:innen zufriedenstellen, haben sie nie gelernt. Die sollen bitte einfach mitmachen, was sich die Unternehmenslenker wieder so ausgedacht haben.“ So hat es Sebastian Dalkowski in seiner Klageschrift formuliert. Meine Erfahrung ist nicht, dass sich „Unternehmenslenker“ ausdenken, was Leser zufriedenstellt. Geschäftsführer wollen Ergebnisse, klar. Dass sie glauben zu wissen, was Leserinnen und Leser interessiert, habe ich noch nicht erlebt. Das ist deren Anforderung an uns Journalisten.
Sebastian Dalkowski hat in seinem Text das Hohelied der Provinz geschrieben. Dort leben die meisten Menschen. Dort gibt es noch Lokaljournalismus, der nah bei den Menschen sein kann. Dort gibt es auch genügend Leser, die die „schönen Geschichten“, von denen der Kollege schwärmt, auch lesen – wenn sie denn geschrieben werden.
"Viele Reporterinnen und Reporter hängen an alten Verhaltensmustern. Sie besuchen Termine, ohne vorher eine Idee zu haben, was berichtenswert sein könnte."
Der Mangel daran, und da gebe ich Sebastian Dalkowski recht, ist augenfällig. Denn schöne Geschichten wie auch Hintergrund – oder gar investigative Recherchen – brauchen Zeit, und Zeit ist in vielen Redaktionen Mangelware. Unbestreitbar ist die Ursache dafür oftmals, dass Redaktionen für das, was ihnen abverlangt wird, unterbesetzt sind. Die Kollegen, die im Hamsterrad sitzen, können keine schönen Geschichten schreiben oder in die Tiefe recherchieren.
„Schöne Geschichten“ bedeuten auch, dass der Kollege, die Kollegin entsprechende Freiräume bekommen. Dass akzeptiert wird, dass manche „schöne Geschichten“ können und andere nicht. Dass nicht mit Neid über den Reportageschreiber hergezogen wird, der ja wieder mal nur zwei Themen in der Woche geschafft hat. Ja, ich würde mich freuen, auch aus eigenem Interesse, wenn Sebastian Dalkowski sich in Leer, Aurich oder Emden einen Tag lang vor die bei Google am besten bewertete Imbissbude setzt und eine schöne Geschichte über die Leute schreibt, die sich dort ihr Essen holen. Solche Geschichten gehören dazu, um Lokaljournalismus attraktiv zu machen – für Leser und für Reporter. Insofern, lieber Sebastian, überleg Dir, ob Du nicht vielleicht doch nach Ostfriesland kommen willst. Wir werden schon eine Stelle für Dich finden.
Joachim Braun ist Chefredakteur der Ostfriesen-Zeitung (ZGO Zeitungsgruppe Ostfriesland). Zuvor war er Chef des Nordbayerischen Kuriers und der Frankfurter Neuen Presse.
In unserer Serie „Mein Blick auf den Journalismus“ fragen wir kluge Köpfe der Branche, wie wir den Journalismus besser machen.
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