Jan Böhmermann

"Humor darf den wahren Kern nicht verfälschen"

04.10.2023

Jan Böhmermann ist Entertainer, Satiriker, Fernseh- und Radiomoderator, Musiker, Autor, Filmproduzent und Journalist. "Nennen Sie mich, wie Sie wollen", sagt der 42-Jährige. Tatsache ist: Böhmermann ist eine der einflussreichsten Stimmen der deutschen Öffentlichkeit. Interview: Jan Freitag, Fotos: Jens Koch

"Für ein satirisches Produkt reicht es inzwischen oft aus, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen", sagt Jan Böhmermann (Foto: Jens Koch)

"Für ein satirisches Produkt reicht es inzwischen oft aus, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen", sagt Jan Böhmermann (Foto: Jens Koch)

„Wenn die Polizei oder die Staatsanwaltschaft anrufen, da hätte ich vor vier Jahren drei Wochen schlecht geschlafen“, erzählt Jan Böhmermann im journalist-Interview. „Heute sage ich: Ach, moin Thomas, hallo Manfred, ihr schon wieder!“ Geht Böhmermann in seiner Sendung manchmal zu weit? „Wir versuchen mit Humor, den wahren Kern einer Sache zu ergründen.“

journalist: Jan Böhmermann, ich habe vor dem Interview einen Reality-Check mit meinem Sohn – fast schon Generation Alpha – gemacht und gefragt, ob er Jan Böhmermann kennt.

Jan Böhmermann: Aha, und?

Nicht nur das. Er meinte noch: ZDF-Neo, woker Typ, gegen die AfD und gendert immer.

Spektakulär. Zumal mir das Gendern erst vor einem Dreivierteljahr von der Bundesregierung, Klimaklebern und George Soros befohlen wurde. Eine ziemlich aktuelle Anamnese also.

Und ist damit die Zielgruppe Ihrer ZDF-Show Lass dich überwachen! beschrieben, die Sie nach drei Jahren Pause wieder moderieren?

Nein, denn Lass dich überwachen! holt alle Zuschauerinnen und Zuschauer dort ab, wo sie sich im Alltag am liebsten aufhalten und Spuren hinterlassen, ohne genau zu wissen, was damit geschieht: im Internet. Sorglos und unreflektiert im Netz ist aber nicht die Generation Ihres Sohnes, eher Millennials abwärts bis tief in den Boomerbereich – was dem ZDF natürlich gut gefällt. Stichwort: Kernzielgruppe. Während jüngere Menschen viel bewusster mit Informationen im Internet umgehen und sich anonymisierte Online-Avatare zulegen, löst die Sendung bei den digital immigrants vermutlich noch stärkere Adre­nalinschübe aus.

Damit wäre das Publikum beschrieben. Wie steht es um die Studio-Gäste, denen Sie ihre Online-Geheimnisse um die Ohren hauen – wissen die, was auf sie zukommt?

Nein, unser Studiopublikum denkt, es käme zur Aufzeichnung einer Jubiläumsfolge des ZDF Magazin Royale. Aus den knapp 3.000 Bewerbungen für die Tickets haben wir gut 200 ausgewählt, die – was absolut üblich ist – dafür Name, Geburtstag, Wohnort angegeben haben. Auf Grundlage dieser Datensätze haben wir unser Studiopublikum dann mehrere Monate digital ausspioniert und zusammengetragen, was im Internet und den sozialen Netzwerken öffentlich verfügbar ist. Daraus machen wir lustige Geschichten, von denen niemand im Studio etwas ahnt – bis das rote Licht angeht und die Kameras laufen.

Leute digital auszuspionieren und die Resultate in einer großen Fernsehshow zu veröffentlichen, klingt allerdings nicht nur lustig, sondern nach datenschutzrechtlich bedenklichem Cybermobbing.

Wir wollen Fernsehunterhaltung machen, bei der ganz normale Menschen im Mittelpunkt stehen und keine Promis – und für alle unsere Kandidatinnen und Kandidaten gibt es natürlich immer ein Happy End und tolle Überraschungen. Der Moment, wo jene, die völlig ahnungslos vor laufender Kamera realisieren, dass jetzt aus dem Internet im Fernsehen Wirklichkeit wird, der ist schon magisch. Das kommt zwar für viele sichtlich überraschend, aber wir versuchen, uns anhand der Informationen natürlich ein gutes Bild der Leute zu machen, ihre Belastungsgrenzen auszuloten, den richtigen Tonfall zu treffen, die richtige Dosis Humor und Empathie.

Und dass Sie es dann veröffentlichen, dafür geben die Betroffenen hinterher Einverständniserklärungen ab?

Natürlich. Wer das – aus welchem Grund auch immer – nicht will, wird rausgeschnitten, das ist doch Ehrensache.

Dennoch klingt es ein bisschen nach Deppen-Shaming all derer, die das Informationsmarketing der großen Digitalkonzerne nicht verstehen oder ignorieren …

Ach, was heißt Deppen? Zu Deppen werden wir doch alle, wenn jemand unsere Online-Persona im real life mal hinterfragt. Warum nicht gemeinsam drüber lachen? Wir haben in der Show zum Beispiel einen Kandidaten, der bei Tiktok gerne Videos von Tiktokerinnen mit eigenen Videos kommentiert. Da haben wir uns erlaubt, eine dieser Frauen einzuladen und neben ihn zu setzen. Was er den ganzen Abend nicht gemerkt hat, bis wir’s ihm gesagt haben. Das ist natürlich ein bisschen gemein, zeigt aber auch gut, wie weit Wirklichkeit und Selbstdarstellung in den sozialen Medien auseinandergehen, wer im Internet groß scheint, ist in der Realität vielleicht ganz klein oder andersrum. Das ist nach drei Jahren Pandemie und sozialer Vereinzelung nochmals deutlicher geworden.

„Ich kann Markus Lanz intellektuell leider nicht immer folgen. Lanz ist Podcaster, ich bin nur ein dummer Clown.“

Folgt dieses Prinzip der Harald-Schmidt-Schule, Dinge zu tun oder sagen, die eigentlich tabu sind?

Unsere Sendung ist ein großes Fernsehunterhaltungsexperiment um 20.15 Uhr in der ZDF-Primetime, keine nischige Late-Night-Show. Aber, helfen Sie mir bitte auf die Sprünge, wer war noch mal Harald Schmidt?

Ein Veteran des dualen Systems, der früher mal wirkmächtiges Fernsehen gemacht hat, sich aber heute Richtung antiwoker Weltkriegsopa bewegt.

Ach, Sie meinen den Moderator, dessen beste Witze ich jahrelang ganz alleine geschrieben habe?

Genau den. Ist ein Infotainer wie Jan Böhmermann ohne Harald Schmidts Vorarbeit, die seinerzeit den unterhaltsam informativen Grenzübertritt mainstreamtauglich gemacht hat, überhaupt denkbar?

Kulturarbeit bedeutet immer standing on the shoulder of giants. Den Aberwitz des Lebens in lustige Formen zu gießen, das ist natürlich eine Verbindung zu Harald und allen anderen, die vor mir, nach mir, mit mir vor Kameras standen und stehen. Ich finde es immer schön, wenn Entertainment etwas Bedeutsames beinhaltet und Menschen nicht nur berührt, sondern auch betrifft. Kunst muss sich der Wirklichkeit verpflichtet fühlen. Harald kotzt bei solchen Sätzen, ich nicht. Ich halte sie aus.

Das klingt berufsethisch einwandfrei. Wenn Wikipedia Sie als Entertainer, Satiriker, Fernseh- und Radiomoderator, Musiker, Autor, Filmproduzent und Journalist bezeichnet – ist das in dieser Reihenfolge dann korrekt?

Na, wenn Wikipedia das sagt, wird es ja wohl stimmen. Ich bleibe lieber beim Sammelbegriff Kunst. Klar, ich bin gelernter Journalist und finde es auch spannend, Unterhaltung zu machen, die juckt. Ob ich mich heute mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik beschäftige oder früher mit dem Mittelfinger von Yanis Varoufakis.

Ein Bild, mit dem der griechische Finanzminister vor acht Jahren inmitten der Euro-Krise für Aufsehen sorgte, weil Sie behauptet haben, es sei ein Fake von Ihnen.

Und der Spaß lag natürlich darin, eine spielerische Kritik an der Aufmerksamkeits- und Medienindustrie zu formulieren. Witzig, dass sich Deutschlands Austeritätspolitik gegenüber Griechenland auf einen Stinkefinger für Günther Jauch und die Bild-Zeitung reduzieren lässt – von dem heute keiner mehr weiß, ob es ihn überhaupt jemals gegeben hat oder ob er doch nur ein Fake war. Die kommunikationstheoretische Analyse ist der Spaß vorher, das Herausschleudern der Aktion in die Praxis ist die Kunst. Und am schönsten und lustigsten sind Sendungen, die auch politisch spannend sind, neue Perspektiven aufzeigen und Frischluft bringen.

Und die sind seit Ihrem Wechsel von Neo ins Hauptprogramm ausgeprägter?

Der Wunsch unseres Kernteams inklusive meines Egos jedenfalls bestand darin, bei der Neuaufstellung im ZDF mindestens ebenso relevant zu bleiben, aber formell berechenbarer zu werden, um nicht jeden Montag aufs Neue zu überlegen, womit man die Sendung am Freitag füllt. Da war es eine pragmatische Entscheidung, das auszubauen, worin wir ohnehin stark waren, und neue, starke Kolleginnen und Kollegen ins Team zu holen.

„Wenn Polizei oder Staatsanwaltschaft anrufen, da hätte ich vor vier Jahren drei Wochen schlecht geschlafen. Heute sage ich: Ach, moin Thomas, hallo Manfred, ihr schon wieder!“

Nämlich welche?

Hanna Herbst und Nora Nagel leiten die journalistische Redaktion, Tim Wolff die humoristische, Julia Thiel, Susi Engelmann, Alex Hesse und Constantin Timm sind für die Produktion verantwortlich, und Lorenz Rhode leitet das einzige wöchentlich sichtbare Rundfunkorchester Deutschlands. Und getragen wird alles von einer schlagkräftigen Redaktion, Juristinnen, der Postproduktion, Ausstattung, Kostüm, Maske und Technik-Crew. Im ZDF Magazin Royale arbeiten sehr viele mutige, starke und schlaue Menschen, die jede Woche auf Augenhöhe verhandeln, wie man Fernsehen relevant, zeitgemäß und unterhaltsam macht.

Sind Sie demnach bereits durch die Varougate genannte Mittelfinger-Affäre oder erst beim Wechsel ins ZDF zum Investigativ-Satiriker geworden?

Och, ich bin und bleibe Unterhaltungskünstler, betrachte die Welt eher ganzheitlich, und am Ende gilt immer der alte Leitsatz von Tocotronic: Pure Vernunft darf niemals siegen. Aus meiner Sicht reicht das journalistische Handwerk nicht, um die Vielgestaltigkeit der Welt voll zu erfassen. Zum Abschluss unserer Montagskonferenz muss jede Woche eine Kollegin oder ein Kollege ein Gedicht vortragen, das befreit sehr. Aber nennen Sie mich, wie Sie wollen, labeln Sie mich ruhig weiter!

Gut, dann mit „Feuilleton-Jäger“, der vom Hochsitz der Hochkultur das waidwunde Wild der restlichen Gesellschaft anvisiert und gegebenenfalls erlegt.

Wenn eines Tages rauskommt, dass ich einfach nur ein einigermaßen normaler, nachdenklicher, freundlicher und empathischer Typ bin, der Unrecht und Konflikte hasst, kann ich einpacken.

Gibt es unabhängig vom Label einen Jagdtrieb in der Redaktion, wenn nicht gar Jagdfieber?

Schon bei Neo galt die Warnung: niemals den Drachen jagen! Niemals auf Projektionen reinfallen, nicht auf die eigenen und nicht die anderer. Glaube niemals die dir unterstellte Wichtigkeit, im Guten wie im Schlechten. Das ZDF Magazin Royale will tatsächlich gar nichts auslösen, sondern unser breit gefächertes Interessensspektrum, die Themen, die wir spannend finden, unterhaltsam bearbeiten.

Ist es für einen Entertainer, dessen Unterhaltung vielfach auf harter journalistischer Recherche beruht, dennoch hilfreich, sich auf den Sockel einer gewissen Überlegenheitsarroganz zu stellen?

Dafür sind die Arbeitsabläufe bei uns einfach zu simpel und nachvollziehbar. Das ZDF Magazin Royale hat eine sehr große Redaktion, die sich regelmäßig in Konferenzen trifft, wo jede und jeder Themen vorschlagen kann, auch nicht-inhaltlich arbeitende Gewerke. Und daraus versuchen wir, gemeinsam die Themen der gesamten Staffel zu finden. Daran ist nichts abgehoben, das ist ganz normaler Arbeitsalltag. Vielleicht mit einem Trick: Wir sind sehr genau und versuchen immer, zeitgemäße Perspektiven auf die Wirklichkeit zu finden.

„Am Ende gilt immer der alte Leitsatz von Tocotronic: Pure Vernunft darf niemals siegen.“

Welche Perspektive worauf zum Beispiel?

In unserer Sendung über Bosnien-Herzegowina haben wir uns zum Beispiel die merkwürdige Konstruktion des Hohen Repräsentanten angeschaut. Bei der Recherche wurde uns schnell klar: Die Perspektive junger, pro-europäischer, muslimischer Bosnierinnen und Bosnier ist in der bisherigen Berichterstattung in Deutschland komplett unterrepräsentiert. Also haben wir da thematisch unseren Schwerpunkt gesetzt. Das war dann natürlich ein Schlag ins Gesicht des FAZ-Korrespondenten, der seit 25 Jahren vom Balkan berichtet, sich regelmäßig mit dem bosnisch-serbischen Nationalisten Milorad Dodik zur Sliwowitz-Verkostung verabredet und die Handynummer des CSU-Politikers Christian Schmidt im Kurzwahlspeicher hat. Oder nehmen Sie die „Cyberclown“-Ausgabe zu Arne Schönbohm.

Damals Chef des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, den Nancy Faeser infolge Ihrer Sendung über dessen Russland-Verstrickung entlassen hat.

Wir beschäftigen uns seit 2018 immer wieder mit Fragen der Cybersicherheit. Was im Bundesinnenministerium los ist, war für uns schon immer wichtig. Und da haben wir uns Hans-Georg Maaßen als Verfassungsschutzchef ebenso angesehen wie seinen Parteigenossen Arne Schönbohm beim BSI. Nach Russlands Angriff auf die Ukraine erschien es uns besonders berichtenswert, welche merkwürdigen Beziehungen der von Schönbohm mitgegründete private Lobbyverein für Cybersicherheit so zu Russland und russischen Nachrichtendiensten pflegt. Manchmal wird ein bekanntes Thema eben erst interessant, wenn sich die äußeren Umstände ändern.

Und gab es wie bei jeder investigativen Verdachtsberichterstattung auch in Ihrer Redaktion den Ablauf Recherche, Konfrontation, raus damit?

Die Sendung zum BSI-Fall ging sogar noch einen Schritt weiter, denn es ging darin gar nicht um Verdachtsberichterstattung; dass wir den BSI-Chef für nicht sonderlich kompetent halten und sein Urteilsvermögen und seine Amtsführung kritisieren, ist ja kein Verdacht. Es ist Tatsache, dass ein langjähriger Lobby­ist unterm CDU-Innenminister de Maizière zum Amtsleiter aufgestiegen ist. Nach Kriegsbeginn haben wir das Amt und ihn also ganz seriös mit unseren Rechercheergebnissen konfrontiert.

Und kommt er in der Sendung selbst zu Wort?

Natürlich. Alles, was wir darin behandeln, stützt sich auf bekannte Vorkriegs-Recherchen von Zeit oder dem RBB-Magazin Kontraste und unsere eigenen Recherchen, die seriös, ausreichend belegt und handfest sind. Die Sendung steht seit einem Jahr unbeanstandet, wahrheitsgemäß und faktisch korrekt online – und wird jetzt politisch motiviert zum Komplott verschwurbelt. Nach einem Jahr! In Medienzeitrechnung eine Ewigkeit.

„Die Sendung steht seit einem Jahr unbeanstandet, wahrheitsgemäß und faktisch korrekt online – und wird jetzt politisch motiviert zum Komplott verschwurbelt.“

Die allerdings juristische Folgen bis hin zur Redaktionsdurchsuchung haben könnte.

(lacht) Da bringen Sie die Shitstorms durcheinander. Das mit der angeblich drohenden Redaktionsdurchsuchung war die Sendung über „organisierte rituelle Gewalt“, bei der unsere Recherche zu den fragwürdigen Praktiken einer Psychotherapeutin dazu führte, dass wir anonym angezeigt wurden und der polizeiliche Staatsschutz und die Staatsanwaltschaft instrumentalisiert wurden, um unsere Sendung zu verhindern oder wenigstens zu diskreditieren.

Sind die ZDF-Justiziare von Beginn an am Prozess solcher Geschichten beteiligt wie Christian Sell bei Axel Springer?

ZDF-Justiziare nur zuallerletzt. Wir haben natürlich unsere eigenen Juristinnen und Juristen, die bei Verdachtsberichterstattungen oder Investigativ-Recherchen in die Entstehungsprozesse und Recherchen involviert sind. Von der ersten Idee bis zur letzten Abnahme sind außerdem noch mindestens zwei Redakteurinnen und Redakteure des ZDF in jedes Detail eingebunden. Und am Ende lassen wir uns die Sendung dann noch vom Papst und dem Dalai Lama abnehmen, und auch die Illuminaten gucken zur Sicherheit noch mal drüber. Dass ich im ZDF Magazin Royale irgendetwas ungeprüft rausblubbere oder wir eine satirische Sendung um einen falschen Tatsachenkern bauen – da muss ich mit aller Überlegenheitsarroganz widersprechen.

Ihr ZDF-Kollege Markus Lanz hat ungefähr das kritisiert, als er sinngemäß sagte: Sie zündeln und drücken sich dann durch den Notausgang Satire vor der Verantwortung.

Ich kann Markus Lanz intellektuell leider nicht immer folgen. Markus Lanz ist Podcaster, ich bin nur ein dummer Clown.

„Der CDU-Vorsitzende sagt, seine Partei sei die Alternative für Deutschland mit Substanz, und ich schlussfolgere daraus: Die CDU sieht sich also als Alternative für Nazis mit Substanz?“

Aber was darf denn – Podcastclownspaß beiseite – Satire, was Journalismus abgesehen vom lustig sein nicht darf oder kann oder sollte?

Wenn wir im ZDF Magazin Royale mit Humor versuchen, den wahren Kern einer Sache zu ergründen, dann darf der Humor den wahren Kern nicht verfälschen oder verstellen. Wir denken uns unsere Witzobjekte doch nicht aus, das wäre viel zu viel Arbeit. Und ehrlich: Für ein satirisches Produkt reicht es inzwischen oft aus, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen.

Zum Beispiel?

Wenn der CDU-Vorsitzende öffentlich sagt, seine Partei sei die Alternative für Deutschland mit Substanz und ich daraus ohne größeren Kunstgriff schlussfolgere: Ach so, die CDU sieht sich jetzt also als Alternative für Nazis mit Substanz? Genau das hat Friedrich Merz zwar sagen, aber nicht aussprechen wollen. Also habe ich das freundlicherweise für ihn erledigt.

Stimmt denn der Vorwurf an den politischen Humor insgesamt, dass er sich – Stichwort Monika Grubers Heizhammer-Demo mit Hubert Aiwanger – aktuell öfter auf die Seite der großen Tiere stellt, anstatt sie zu kritisieren?

Diese saudumme gedankliche Verrenkung wird seltsamerweise stets von großen Tieren geäußert, die dafür aber bitte nicht kritisiert werden wollen. Es wird immer Menschen geben, die alles lieber gern so hätten, wie es schon früher nicht war. Mich persönlich langweilt das endlos. Aber niemals, niemals dürfen Meinungsdifferenzen dazu führen, das Menschliche zu verlieren.

Ach was …

Wenn der AfD-Fascho Stephan Brandner in der ICE-Toilette kollabiert, bricht man die Tür auf und hilft ihm – egal, wo man politisch steht.

Stephan Brandner hier offen AfD-Fascho zu nennen, spricht jedenfalls dafür, dass Sie keine Angst vor Tieren jeder Art haben, wie auch Ihr Gedicht über Recep Tayyip Erdogan zeigte, das weltpolitische Komplikationen nach sich zog. Hat Sie das damals beruflich, gar menschlich verändert?

Ach, wenn man so lange fürs Fernsehen arbeitet wie ich, ist da unter der Oberfläche doch sowieso nicht mehr viel Leben übrig. Wenn Sie den Begriff „AfD-Fascho“ abdrucken und Herr Brandner das hier liest, wenn er aus dem Krankenhaus zurückkommt und ein ostdeutscher Amtsrichter zu dem Schluss kommt, dass Herr Brandner gar kein „AfD-Fascho“ sei, sondern einfach nur ein harmloser Nationalsozialist, der die Freiheitlich Demokratische Grundordnung verachtet, machen Sie sich übrigens presserechtlich möglicherweise mithaftbar. Sie merken: All die Aufregungen machen einen entspannter, was weitere betrifft.

Entspannter oder abgebrühter?

Entspannter. Wenn die Polizei oder die Staatsanwaltschaft anrufen, da hätte ich vor vier Jahren drei Wochen schlecht geschlafen. Heute sage ich: Ach, moin Thomas, hallo Manfred, ihr schon wieder! Was gibt‘s dieses Mal? Davon abgesehen: Der klassische Promifaktor verändert meiner Erfahrung nach Menschen persönlich viel mehr und drastischer. Wenn du in Berlin-Schöneberg nicht mehr Falafel kaufen gehen kannst, ohne dass alle dich erkennen: „Hach, das bin ja ich da auf dem Plakat!“ Irgendwann hältst du dann deine neue Gucci-Tasche in die Insta­-Story, verwandelst den Motor deines Schaffens – lebenslange Unsicherheit plus Außenseiterhaftigkeit – in passiv-aggressive body positivity, und dann ist es vorbei. Dann willst du dazugehören. Dann hast du gegen dich selbst verloren.

 „Für ein satirisches Produkt reicht es inzwischen oft aus, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen.“

Gibt es da Rückzugstendenzen, so was wie ein spätes Cocooning zu Hause?

Auch wenn es am Bildschirm nicht so aussieht, suche ich außerhalb der Arbeit die Öffentlichkeit bekanntlich weniger. Ich habe auch keinen Stapel Autogrammkarten in der Tasche. Am Ende gehe ich einfach jeden Tag zur Arbeit, von der am Ende eben manchmal richtig viele Menschen etwas mitbekommen.

2016 hat das GQ Magazine Sie zum wichtigsten Meinungsmacher Deutschlands gekürt. Was war daran peinlicher: GQ, Meinungsmacher oder Deutschlands?

Sie sprechen mit dem amtierenden Playboy-Mann des Jahres 2022. Mir ist offensichtlich gar nichts peinlich. Journalist*innen wollen oft irgendetwas sein, was sie nicht sind. Mir ist das wirklich, ganz ehrlich nicht so wichtig. Ekelhaft, oder? Mir ist wichtig, dass mein Team und ich meinem öffentlichen Ich weiterhin ins Gesicht gucken können.

Mit Schwerpunkt auf sich oder dem Team?

Fernsehsendungen entstehen immer kooperativ. Aber sagen Sie das bitte niemandem, sonst müssen weite Teile der deutschen Fernsehgeschichte neu geschrieben werden. Am schönsten ist es doch, in guten Diskussionen von guten Argumenten niedergerungen zu werden.

Was aber nicht heißt, dass Sie uneitel sind?

Dazu möchte ich mich nicht weiter erklären, um die geheimnisvolle Umnebelung meiner öffentlichen Person nicht zu entmystifizieren.

Wenn man in diesen Nebel hineinsticht und sagt, Jan Böhmermann sei so etwas wie der deutsche Jimmy Fallon – empfinden Sie das als Schmeichelei oder Affront?

Da ich nicht weiß, ob Sie den öffentlichen Jimmy Fallon meinen oder den Jimmy Fallon, der hinter den Kulissen seinem Team verbietet, ihm in die Augen zu schauen, der seine Kolleginnen und Kollegen legendär schlecht behandelt und heftige Alkoholprobleme hat, möchte ich mich auch bei dieser Frage nicht auf eine Antwort festlegen.

Jan Freitag arbeitet als freier Journalist in Hamburg. Jens Koch ist Fotograf in Berlin.

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