Blick von außen

"Ich würde mich zwingen, meine Bubble zu verlassen"

26.07.2023

Drei Ex-Journalisten (Christoph Minhoff, Jasmin Fischer und Frank Schmiechen), die in Kommunikation, Verbänden und Public Affairs arbeiten, schildern ihre Sicht auf die Medienbranche – und geben dem Journalismus eine Lektion mit auf den Weg. Text: Anna Friedrich

Christoph Minhoff, Jasmin Fischer und Frank Schmiechen raten der Medienszene, sich mehr Impulse von außen zu holen. (Fotos, v.l.n.r.: Santiago Engelhardt/Lebensmittelverband Deutschland, Koelnmesse/Frank Preuss, Chris Marxen)

"Wir brauchen mehr Expertise"

Ich war fast 30 Jahre lang Journalist beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, vor zehn Jahren bin ich in die Verbandskommunikation gewechselt.

Der Journalismus heute ist geprägt von Unsicherheit, Zukunftssorgen und Selbstzweifeln. Journalisten sind zunehmend Getriebene im Wettlauf mit Künstlicher Intelligenz, Aufmerksamkeitsverlust und Glaubwürdigkeitsdefiziten. Noch immer wähnen sie sich fälschlicherweise in der sicheren Position als Informations- und Meinungsmonopolist, vor allem bei öffentlich-rechtlichen Anbietern. Dabei verlieren sie Zeit, eine neue „Unverzichtbarkeit“ zu begründen und vorzuleben. Journalisten sind dann unverzichtbar, wenn sie tief recherchieren, genauso gut Bescheid wissen wie ihr Interviewpartner und Sachverhalte umfassend einordnen.

Wenn es um die Zukunftssicherheit des Journalismus geht, will ich eine Lehre aus meiner Branche teilen. In der Rohstoffproduktion für Lebensmittel kann die hiesige Landwirtschaft mit dem Weltmarkt und seinen Preisen kaum mithalten. Die Antwort darauf ist die Konzentration auf Qualität und Expertise, um spezielle Interessen der nationalen und internationalen Konsumenten zu erfüllen. Dafür gibt es einen Markt. Auch im Wettbewerb der Kommunikation und Information brauchen wir mehr Expertise, mehr Fachwissen, damit Journalisten das Relevante berichten und einordnen können. Diese Aufgabe bleibt unverzichtbar. Als Korrektiv, als Messlatte, als Mittel gegen Hass, Hetze und Spaltung.

Christoph Minhoff: "Wenn es um die Zukunftssicherheit des Journalismus geht, will ich eine Lehre aus meiner Branche teilen. In der Rohstoffproduktion für Lebensmittel kann die hiesige Landwirtschaft mit dem Weltmarkt und seinen Preisen kaum mithalten. Die Antwort darauf ist die Konzentration auf Qualität und Expertise, um spezielle Interessen der nationalen und internationalen Konsumenten zu erfüllen."

Journalisten haben heute deutlich umfassendere Möglichkeiten für Recherche und Informationsgewinnung als noch vor zehn Jahren. Die Geschwindigkeit der Informationsvermittlung hat noch einmal einen Quantensprung erlebt, berichtet wird in Jetztzeit und damit oft im spekulativen, emotionalisierenden Stil. Man hat als Journalist zwar große Freiheiten, seine Informationsarbeit über viele Kanäle auszuspielen, bezahlt das aber häufig mit nicht-tarifgebundener „freier“ Mitarbeit oder schlicht mit prekärer Scheinselbstständigkeit. Es gab eine Zeit, da war Verlegern, Intendanten und werbetreibender Wirtschaft die Bedeutung von Qualitätsjournalismus, gebündelt in Fachredaktionen, betrieben von Festangestellten, wichtig. Ich habe diese Zeit noch erlebt. Aber wer beklagt, dass Qualitätsjournalismus, Fachexpertise, Unabhängigkeit und Ausgewogenheit abgenommen haben, der muss ein System finanzieren und organisieren, dass diese Werte auch lebbar macht.

Wenn ich heute wieder in den Journalismus wechseln würde, würde ich mir jedes Vorurteil bei der Arbeit versagen. Ich würde mir jeden Gedanken, der ohne umfassende Recherche die Welt in Gut und Böse aufteilt, verbieten. Ich würde Narrative als das entlarven, was sie sind: hübsch erzählte Märchen. Und Zeit einfordern, um mir ein komplettes Bild zu machen. Ich würde mich zwingen, meine Bubble zu verlassen, die anderen zu hören und zu verstehen. Deshalb kann ich nur raten: Seien Sie ehrlich, zu sich und zu Ihren Interviewpartnern. Wenn Sie kritisieren wollen, kritisieren Sie, aber framen Sie nicht, „canceln“ Sie nicht, hören Sie erst zu und bilden Sie sich erst dann Ihr Urteil. Und bleiben Sie inhaltlich unabhängig, erfüllen Sie Ihre Qualitätserwartungen und nicht die der Redaktionsleiterin, des Redakteurs, des Umfelds, der Gesellschaft oder von wem auch immer.

Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands Deutschland

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"Redaktionelle Arbeit ist Blaupause für Konzerne"

Der Journalismus in Deutschland ist heute so modern, stark und professionell wie nie – gleichzeitig aber auch so gefährdet wie nie, zumindest wenn wir auf den Regionaljournalismus schauen. Redaktionen, für die ich in der Schulzeit oder später im Volontariat gearbeitet habe, gibt es heute gar nicht mehr. Nach dem Volontariat war ich London-Korrespondentin für die WAZ und bin nach Schließung der Auslandsstandorte zum General-Anzeiger nach Bonn gewechselt. Währenddessen konnte ich die Herausforderungen live miterleben. Printauflage und Anzeigenerlöse befinden sich im freien Fall, das ist schon seit mehr als einem Jahrzehnt so. Neu ist, dass in manchen Verbreitungsgebieten inzwischen auch beim Hoffnungsträger Digitalabo oder Onlineausgabe das Wachstum stagniert. Kombiniert mit den aktuellen Papierpreisen, dem Sparpotenzial durch Künstliche Intelligenz und Nutzern, die für gut gemachten Journalismus zumindest monetär wenig übrighaben, stehen Lokal- und Regionalredaktionen trotz ihrer guten Arbeit wie auf Treibsand.

Seit Jahrzehnten sind viele Verlage weltweit sehr kreativ, wenn es darum geht, Geld zu sparen – aber selten, wenn es darum geht, mit echten Innovationen oder Kooperationen Geld zu verdienen, Mehrwert zu schaffen, frische Erlösquellen zu erschließen und journalistische Produkte ganz unabhängig vom Trägermedium neu und profitabel zu entwickeln. Sparen ist simpel, aber Neugeschäft zu entwickeln ist schwieriger und wichtiger.

Jasmin Fischer: "Lasst mal Medienfremde auf eure Herausforderungen schauen. Welche Lösungen würden zum Beispiel Ingenieure, Produktentwickler oder andere Tüftler finden, die sonst Aufzüge entwickeln oder große Weltausstellungen organisieren? Würden sie einen europäischen News-Konzern entwerfen? Oder Produkte, auf die wir als Brancheninsider gar nicht gekommen wären?"

Die fehlende verlegerische oder kaufmännische Ideenkraft ist fast schon tragisch, denn die Redaktionen haben in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten im laufenden Betrieb und ohne viel Unterstützung die größte Transformationsgeschichte der deutschen Wirtschaft geschrieben – nämlich ihre eigene. Sie arbeiten inzwischen SEO-optimiert, datengeleitet und manche Redakteure, die jetzt Bewegtbild-Content produzieren, haben noch die Arbeit in der Dunkelkammer gelernt. Es sind ausgerechnet Newsrooms nach journalistischem Vorbild, die Einzug halten in Kommunikationsabteilungen von Unternehmen außerhalb der Medienbranche. Das ist das Verrückte: Das redaktionelle Arbeiten ist inzwischen Blaupause für die Corporate-Welt und hilft Konzernen zum Erfolg – während gut ausgebildete Journalistinnen und Journalisten in ihren Redaktionen gefühlt seit Ewigkeiten einer unsicheren Zukunft entgegensehen.

Für diesen Beitrag bin ich gefragt worden, was ich anders machen würde, wenn ich heute noch einmal Journalistin wäre. Ich war eine sehr, sehr glückliche Journalistin und würde heute alles wieder genauso machen wie früher – bin aber auch eine sehr glückliche Kommunikationschefin. Daher stellt sich für mich persönlich diese Frage gerade nicht. Was ich aber gern anregen würde, wäre dies: Lasst mal Medienfremde auf eure Herausforderungen schauen. Welche Lösungen würden zum Beispiel Ingenieure, Produktentwickler oder andere Tüftler finden, die sonst Aufzüge entwickeln oder große Weltausstellungen organisieren? Würden sie einen europäischen News-Konzern entwerfen? Oder Produkte, auf die wir als Brancheninsider gar nicht gekommen wären? Ich könnte mir vorstellen, dass die Gamechanger für den Journalismus von Menschen kommen, die nicht in der Medienwelt zu Hause sind.

Ich bin Journalistin geworden, um zu schreiben, zu berichten, einzuordnen und zu hinterfragen. Viele Redaktionen haben zu wenig Personal, sodass begabte, passionierte Reporter kaum noch zu ihrer Kern- und Herzensaufgabe kommen. Mein Tipp: Gebt nie auf! Wenn es mal herausfordernd sein sollte, erinnert euch daran, warum ihr den Beruf gewählt habt und Journalist geworden seid. Egal wie es einzelnen Redaktionen wirtschaftlich geht, journalistische Kompetenzen werden überall gebraucht.

Jasmin Fischer, Vice President Corporate Communications, Koelnmesse

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"Viel stärker thematische Teams bilden"

Herr Schmiechen, Sie waren mehr als 30 Jahre lang bei Axel Springer. Sie haben Welt Kompakt kommen und gehen sehen, waren Chefredakteur von Welt, Welt am Sonntag und Gründerszene. Jetzt beraten Sie bei MSL Kunden in Unternehmens- und Krisenkommunikation. Wie steht der Journalismus heute aus Ihrer Sicht da?

Der Journalismus steht massiv im Kreuzfeuer, aber diejenigen, die am lautesten kritisieren, lesen am wenigsten. Mich nervt diese Pauschalkritik, ich steige oft direkt in den Ring und verteidige meine alte Branche. Auch wenn man sicherlich vieles kritisieren kann. Traditionsmedien haben noch nicht verstanden, dass sie nicht mehr der Journalismus sind, sondern nur ein Teil des Journalismus. Jeder kann Inhalte erstellen und einem Millionenpublikum präsentieren. Viele Verlage haben immer noch keine Haltung zu dieser Situation. Stattdessen bauen sie Stellen ab, legen Regionalausgaben zusammen. Dann gibt es auch heute noch Projekte wie „Print und Online verzahnen“ – das ist geradezu rührend. Da frage ich mich, was die ganzen Medienmanager in den vergangenen 20 Jahren gemacht haben.

Was hat sich seit Ihrer Zeit denn zum Guten verändert?

Es gibt tolle Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen. Früher hatte ich manchmal 20 Zeilen für eine Story, das war’s. Heute können Journalisten das passende Format wählen. Ein Video. Einen Podcast. Einen Thread auf Twitter. Auch die Kultur hat sich verbessert. Sie war vor einigen Jahren noch sehr viel männerlastiger und hierarchischer. Heute geht es um gute Ideen – und da ist egal, von wem die kommen. Früher lieferte der Chef die Impulse, sonst zählte gar nix.

Und was nervt Sie so richtig?

In den vergangenen Jahren sind viele Journalisten zu Aktivisten geworden. Die Aufgabe von Journalisten ist es, wie in der Wissenschaft, alles infrage zu stellen. Und ganz besonders das, was ihnen besonders am Herzen liegt. Ich will nicht andauernd mit Meinungen bombardiert werden, und das wollen viele andere auch nicht. Leitartikel und Kommentare sind natürlich ausgenommen.

Frank Schmiechen: "In der Agenturwelt haben wir Teams, die sich auf einen oder mehrere Kunden einer Branche konzentrieren. Hier denken wir in einer Timeline, also: Was kommunizieren wir wann? Journalisten denken in Spotlights: Was ist die nächste tolle Geschichte?"

Was würden Sie mit Ihrem Wissen aus dem aktuellen Job anders machen, wenn Sie zurückwechseln würden?

Ich würde viel stärker thematische Teams bilden. Kleine Mannschaften, die sich über einen längeren Zeitraum mit einem Thema beschäftigen. In der Agenturwelt haben wir Teams, die sich auf einen oder mehrere Kunden einer Branche konzentrieren. Hier denken wir in einer Timeline, also: Was kommunizieren wir wann? Journalisten denken in Spotlights: Was ist die nächste tolle Geschichte? Ich will aber nicht nur Geschichten lesen, die meine Aufmerksamkeit wecken, sondern auch Erklärungen. Vor kurzem habe ich gelesen, dass die Meerestemperatur drastisch gestiegen ist. Das wollte ich etwas genauer wissen und habe im Netz gesucht. Einige Forscher sagen, die Messung ist Quatsch. Andere sagen, sie ist ein eindeutiger Beleg für den Klimawandel. Ich frage mich als Leser: Was denn jetzt? Ist das jetzt der Klimawandel? Woran sieht man das? Oder ist das ein Zufall? Da müssen sich Journalisten in das Thema reingraben. Wenn man ein spezialisiertes Team hat, kann das die Quellenlage besser einordnen. Kurzum: Ich würde eher auf Spezialisten setzen und nicht auf Alleskönner.

Welchen Tipp aus Ihrem Jobumfeld wollen Sie Journalisten auf den Weg geben?

Bei MSL versuchen alle, sich in die Lage der Kunden zu versetzen. Man will nicht der eigenen Branche und sich selbst zeigen, wie toll man ist, sondern den Kunden helfen. Diese Dienstleister-Mentalität würde dem Journalismus auch gut stehen. Was wollen die Leser? Wie kann man ihnen helfen? Wer diese Fragen beantworten kann und dann auch noch danach handelt, hat schon einiges richtig gemacht.

Frank Schmiechen, Senior Advisor bei MSL Germany

Anna Friedrich ist Redakteurin in der Kölner Wirtschaftsredaktion Wortwert.

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