Vera Deleja-Hotko

Im Auftrag der Pressefreiheit

25.08.2022

Vera Deleja-Hotko wollte schon früh investigativ recherchieren, doch der Weg dahin war nicht leicht. Dann bekam sie die Chance, an der Veröffentlichung des Ibiza-Videos mitzuwirken. Heute leitet sie das Rechercheteam von FragDenStaat und schaut den Mächtigen auf die Finger. Text: Celine Schäfer

Vera Deleja-Hotko: "Frauen werden im Investigativbereich erschreckend wenig gefördert." (Foto: privat)

Dass Vera Deleja-Hotko am Tag der Pressefreiheit geboren wurde, passt in vielerlei Hinsicht. Schon bei einer ihrer ersten großen Recherchen als investigative Journalistin kämpfte sie dafür, dass das Recht auf Informationsfreiheit gewahrt wurde. Es war 2019, als Schülerin der Katholischen Journalistenschule ifp absolvierte sie gerade ein Praktikum im Hauptstadtbüro des Spiegels. Die Kollegen arbeiteten an einer großen Sache, "irgendwas mit Österreich", raunte man Deleja-Hotko zu. Die damalige Spiegel-Praktikantin ist Österreicherin, sie stammt aus einem kleinen Ort bei Salzburg. Dann kam eins zum anderen, sie wurde in die Recherchen eingebunden. "Martin Knobbe, der das Spiegel-Hauptstadtbüro leitet, sagte zu mir: ‚Ich erzähle dir jetzt was – und entweder, du nimmst das mit ins Grab, oder das wird was ganz Großes‘", erinnert sich Deleja-Hotko.

Die Sache wurde etwas ganz Großes. Es ging um ein skandalträchtiges Video – das berühmte Ibiza-Video, das Heinz-Christian Strache, damaliger österreichischer Vizekanzler und FPÖ-Chef, und seinen politischen Ziehsohn, den Nationalratsabgeordneten Johann Gudenus, in einer Villa auf der spanischen Insel Ibiza zeigt. Auf der Aufnahme unterhalten sich die beiden Politiker mit einer vermeintlichen Oligarchen-Nichte aus Russland unter anderem über Parteispenden und eine Übernahme der österreichischen Kronen Zeitung, um so Einfluss auf die Wählerschaft bei der anstehenden Nationalratswahl zu gewinnen. Die Aufnahmen im Juli 2017 erfolgten heimlich, im Mai 2019 wurden sie vom Spiegel und der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht. Der Fall ging als Ibiza-Affäre in die Geschichte ein, die in der österreichischen Politik hohe Wellen schlug und bekanntlich zum Bruch der Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ führte.

"Dann kam eins zum anderen. Martin Knobbe, der das Spiegel-Hauptstadtbüro leitet, sagte zu mir: ‚Ich erzähl dir jetzt was, und entweder, du nimmst das mit ins Grab oder das wird was ganz Großes.‘" 

Deleja-Hotko transkribierte das Video, war in Recherchen eingebunden und prüfte unter anderem, inwiefern Straches Verhalten nach österreichischem Recht strafrechtlich verfolgt werden könnte. Das Team lenkte also erstens die Aufmerksamkeit darauf, dass Strache zumindest angenommen hat, Einfluss auf unabhängige Berichterstattung nehmen zu können. Zweitens sorgte es dafür, dass die Korrumpierbarkeit eines Regierungsmitglieds durch journalistische Arbeit öffentlich wurde. Für die Recherche zur Ibiza-Affäre bekam die heute 29-Jährige gemeinsam mit dem Spiegel-Team mehrere Journalistenpreise.

Anschließend arbeitete sie als freie Journalistin, gemeinsam mit einem internationalen Team folgten diverse große Projekte, unter anderem eine vielbeachtete Recherche über die europäische Grenzschutzagentur Frontex. Das Ergebnis: die Frontex Files, das "erste Lobby-Transparenzregister" der europäischen Grenzschutzagentur, präsentiert von Jan Böhmermann im ZDF Magazin Royale, sowie ein Feature für SWR 2 Wissen mit dem Titel "Illegale Pushbacks – Wer kontrolliert Frontex?". Der SWR-Beitrag wurde für den Deutschen Radiopreis 2021 in der Kategorie "Beste Reportage" nominiert. Seit Juli vergangenen Jahres leitet Deleja-Hotko den Bereich Recherche beim Transparenzprojekt FragDenStaat. Dort recherchiert sie mit ihrem Team auf Grundlage von Dokumenten, die sie durch Informationsfreiheitsgesetze erhalten. Deleja-Hotkos Schwerpunktthemen: Migration, soziale Ungleichheit und Rechtsextremismus. 

"Mach etwas Gescheites"

Was sich hier liest wie ein Aufstieg im Eiltempo, hat sich für die Österreicherin oft hart und beschwerlich angefühlt. "Nach der Frontex-Recherche wollte ich mit dem Journalismus aufhören", sagt Deleja-Hotko. Es waren vor allem die schwierigen Bedingungen im freien Investigativjournalismus, mit denen sie zu kämpfen hatte. "Ich habe mehr als 40 Stunden pro Woche gearbeitet und nebenbei studiert", erzählt sie. Vor allem während des ersten Corona-Jahrs hat Deleja-Hotko fast jedes Wochenende durchgearbeitet. Da sie wegen der Pandemie auf ihre Nebeneinkünfte als Kellnerin verzichten musste, nahm sie mehr Aufträge als Freie an – und die waren oft schlecht bezahlt und zeitaufwendig. "Wäre ich es nicht schon aus meiner Schulzeit gewohnt gewesen, so viele Stunden zu arbeiten und Nachtschichten zu machen, hätte ich diesen Weg nicht gehen können", sagt sie.

Bevor Deleja-Hotko die ifp besuchte und an der Universität Wien Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Globalgeschichte studierte, machte sie ihren Schulabschluss an der HTL für Bau und Design mit Schwerpunkt Holzbau. Bei dieser Ausbildung waren 40 Schulstunden pro Woche üblich, manchmal fand auch samstags Unterricht statt. Und wenn die Schüler Pläne abgeben mussten, zeichneten sie zuweilen die ganze Nacht lang. "Das galt als normal, wir machten das alle", sagt sie. Dass Deleja-Hotko damals diesen Ausbildungsweg bestritten hat, hängt auch mit ihrer Herkunft zusammen. Sie stammt aus einem Arbeiterhaushalt, ihre engere Familie arbeitet im Baunebengewerbe. "Von dieser Seite kam deshalb: Mach etwas Gescheites", erzählt Deleja-Hotko. "Studieren galt bei uns eher als hochnäsig, und wir wollten bodenständig sein."

Sie fand trotzdem ihren Weg in den Journalismus. Mit elf Jahren hat Deleja-Hotko zum ersten Mal Geschichten geschrieben über Dinge, die sie auf der Straße beobachtet hat. "Zum Beispiel habe ich an einem Sonntag auf einem Supermarkt-Parkplatz beobachtet, wie zwei Leute einander etwas übergeben haben", erinnert sie sich. "Und ich habe mir dann überlegt, warum die das wohl gemacht haben." Bei ihrer Oma hat sie die Geschichten dann in den Laptop getippt. Ihr damaliger Berufswunsch: Schriftstellerin. Dagegen sprachen ihre schlechte Rechtschreibung und Grammatik. "Ich hätte in Deutsch eigentlich immer eine Fünf statt eine Vier bekommen, wenn meine Geschichten inhaltlich nicht so gut gewesen wären", sagt sie. Nur für einen journalistischen Artikel gab es mal eine Eins minus. Doch auch dazu kommentierte ihre Deutschlehrerin: Mit ihrer Rechtschreibung und Grammatik könne sie keine Journalistin werden.

Den Anstoß, es doch mit dem Journalismus und insbesondere mit dem investigativen Journalismus zu versuchen, gaben ihr die Panama Papers. Deleja-Hotko war 2016 auf dem Weg nach Kuba und machte einen Zwischenstopp in Panama, rund drei Monate, nachdem ein internationales Journalistenteam die Recherchen zu Strategien über Steuer- und Geldwäsche-Delikte veröffentlicht hatten. Auf dem Weg las sie ein Buch darüber, das sie am Münchener Flughafen gekauft hatte. Damals wusste sie noch gar nicht genau, wie man "investigativ" arbeitet. Die Lektüre weckte in ihr das Bedürfnis, sich selbst durch riesige Datensätze zu wühlen und in internationalen Teams mitzuwirken.

Ibiza und OSINT

Das Interesse am investigativen Arbeiten war also schon zu Beginn ihrer journalistischen Laufbahn da – aber die Selbstzweifel auch. "Ich dachte: Ich schaff so was eh nicht, ich bleibe lieber bei Reportagen, schließlich habe ich schon immer gern Geschichten geschrieben", sagt Deleja-Hotko. Dann kam das Praktikum beim Spiegel, und ehe sie sich versah, arbeitete sie an einer der wichtigsten investigativen Recherchen im deutschsprachigen Raum der vergangenen Jahre mit. "Eigentlich habe ich damals Preise für investigativen Journalismus bekommen, ohne Investigativjournalistin zu sein", sagt sie. "Und deshalb bin ich dem Team, mit dem ich an der Ibiza-Geschichte gearbeitet habe, bis heute sehr dankbar, weil sie mir vertraut und die Möglichkeit gegeben haben, das zu machen, was ich machen will."

"Was sich hier liest wie ein Aufstieg im Eiltempo, hat sich für die Österreicherin oft hart und beschwerlich angefühlt."

Aus Deleja-Hotkos Sicht gibt es nicht den einen Weg, um Investigativjournalistin zu werden. "Man muss nerdig sein", glaubt sie. "Es gibt Journalisten und Journalistinnen, die Beiträge schön aufbereiten, so dass man sie gern konsumiert, diejenigen, die berichten, was passiert – und investigative Journalisten, die nicht lockerlassen wollen. Im Team machen sie die besten Geschichten." Eine große Rolle spiele auch immer der moralische Aspekt. Investigativjournalisten haben oft den Antrieb, die "vierte Gewalt" zu sein. Generell stört Deleja-Hotko die Nähe des Journalismus denjenigen gegenüber, über die berichtet wird, zum Beispiel Politiker und Unternehmen. Die beobachtete sie vor allem in Österreich, weshalb sie für ihre Ausbildung nach Deutschland ging.

Aber natürlich reicht der moralische Antrieb nicht aus, um im investigativen Journalismus erfolgreich zu sein. Man muss bestimmte Skills mitbringen, meint Deleja-Hotko, etwa Kenntnisse von OSINT-Tools. OSINT steht für Open Source Intelligence, es bedeutet, Informationen aus frei verfügbaren Quellen zu sammeln und mithilfe von Analyse-Tools auszuwerten. Bei der Frontex-Recherche hat die Journalistin zum Beispiel monatelang Flug- und Schifftracker beobachtet und sie mit verschiedenen Datensätzen abgeglichen. Solche Fähigkeiten sind heute wichtig für Recherchen. Dass der Investigativjournalismus lange Zeit einfach eine Stufe auf der Karriereleiter war, auf die man sich hocharbeiten musste, sieht die 29-Jährige angesichts dieser Anforderungen kritisch. "Deshalb sind im investigativen Journalismus auch Leute, die das nicht aus Überzeugung und wegen ihren Fähigkeiten machen, sondern auch aus Prestigegründen", meint Deleja-Hotko.

Dass es noch immer verhältnismäßig wenige Frauen im investigativen Journalismus gibt, liegt ihr zufolge aber noch an einer anderen Sache: "Frauen werden in diesem Bereich erschreckend wenig gefördert, weil ihnen unterstellt wird, dass sie die Arbeit nicht aushalten können", sagt sie. Ihrer Erfahrung nach werden Frauen grundsätzlich strenger bewertet, wenn sie zum Beispiel einen Fehler machen – der ja im Investigativjournalismus schnell gravierend sein kann und daher mit mehr Emotionen besetzt wird. Diese zwei Faktoren führen laut Deleja-Hotko dazu, dass es Investigativjournalistinnen oft schwerer haben als ihre männlichen Kollegen. 

Auch sie selbst macht manchmal noch unangenehme Erfahrungen – und das, obwohl sie ihre Karriere mit einem renommierten Journalistenpreis gestartet hat. "Ich war in Calls, in denen ich die für unser Team verantwortliche Person war", erinnert sich Deleja-Hotko. "Aber weil meine Teamkollegen Männer waren, wurde ich gar nicht beachtet." Sie hatte und hat oft außerdem das Gefühl, sich „verkleiden“ und ihre Tattoos oder Piercings verstecken zu müssen, um ernstgenommen zu werden. Früher hat Deleja-Hotko das Spiel mitgespielt und Kleidung getragen, von der sie annahm, dass sie erwartet wird. Heute macht sie das nicht mehr. Aus ihren Tattoos macht Deleja-Hotko kein Geheimnis. "Warum auch?", fragt sie. "Die Tattoos haben ja sogar mit meinem Beruf zu tun." Die Investigativjournalistin hat das Wort "facts" am Handgelenk tätowiert – stechen ließ sie es sich, nachdem sie sich über einen Kollegen ärgerte, dem die schön geschilderten Szenen wichtiger waren als die Fakten. Das zweite Tattoo ist eine Füllfeder, entstanden an dem Tag, als sie den Entschluss gefasst hat, Journalistin zu werden.

Celine Schäfer ist Redakteurin in der Kölner Wirtschaftsredaktion Wortwert. 

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