Alexander von Streit

Journalismus für die Gesellschaft

02.08.2023

Wie können wir die Beziehung zwischen Medienkonsument:in und journalistischem Angebot wieder verbessern? Alexander von Streit, Gründer von Krautreporter und Vocer, plädiert in unserer Serie „Mein Blick auf den Journalismus“ für einen gemeinwohl­orientierten Journalismus. Text: Alexander von Streit, Fotos: Thomas Linkel

Alexander von Streit: "Journalismus muss die Gesellschaft besser machen. Ansonsten ist er sinnlos." (Foto: Thomas Linkel)

Schwindendes Interesse, sinkendes Vertrauen und dann auch noch immer weniger Kontakt: Eine gut funktionierende Beziehung sieht anders aus. Leider beschreibt genau so der aktuelle Digital News Report des Reuters Institute das Verhältnis der befragten Medienkonsument:innen zu journalistischen Angeboten in Deutschland. Und auch wenn sich die Signale schon länger wahrnehmen lassen, schaffen wir es anscheinend nicht, diese Beziehung zu verbessern. Im Gegenteil. Vieles deutet daraufhin, dass Journalismus künftig eine weiter abnehmende Bedeutung in der gesellschaftlichen Meinungsbildung haben könnte.

Nun sind die Gründe für diese Entwicklung in der digitalen Veränderung unseres Lebens vielfältig. Und nur manche haben etwas damit zu tun, dass wir einen schlechten Job machen. Klar ist aber auch, dass wir etwas daran ändern müssen. Demokratie braucht einen funktionierenden Journalismus – und genau das sollten wir in den Fokus unserer Arbeit rücken. Wir müssen Journalismus stärker denn je als Projekt für die Gesellschaft denken. Und vielleicht bedeutet das, dass wir ihn teilweise anders betreiben sollten.

Für mich zumindest war genau das der Grund, Journalist zu werden. Anfang der 90er Jahre sah es nicht gut aus in Deutschland. Es gab tödliche Anschläge auf Menschen, die vor den Bedrohungen in ihrer Heimat nach Deutschland geflohen waren. Rechtsextreme Parteien wurden stärker, ausländerfeindliche Parolen wanderten von den Stammtischen in die Mitte der Gesellschaft. Und auch in den Medien verschärfte sich der Ton auf eine Weise, die nichts Gutes für eine offene Gesellschaft erahnen ließ. Damals dachte ich, dass ich am besten als Journalist dazu beitragen könnte, etwas daran zu ändern.

Das mag aktivistisch klingen. Aber für mich ist Journalismus schon immer mit Haltung verbunden. Eine Einstellung, die meiner Meinung nach nichts damit zu tun hat, ob man mit professioneller Objektivität berichten kann. Schließlich werden wir alle durch unsere Wertesysteme geprägt. Und damit transparent umzugehen, ist heute für Journalist:innen wichtiger denn je. Zumindest, wenn wir ein Vertrauensverhältnis mit den Menschen aufbauen wollen, für die wir berichten. Meine Grundhaltung ist: Journalismus muss die Gesellschaft besser machen. Ansonsten ist er sinnlos.

Interessanterweise habe ich nicht durchgehalten mit meiner zugegeben etwas pathetischen Idee vom Journalismus im Dienst der Demokratie. Die Haltung war zwar immer da, aber sie war phasenweise nur noch ein flüchtiger Gedanke, während ich Reichweitenzahlen analysierte und mir dabei überlegte, wie ich diese steigern könnte. Ich hatte zwischenzeitlich vergessen, warum ich ursprünglich Journalist werden wollte.

Journalismus muss sich finanzieren

Allein bin ich damit vermutlich nicht. Schließlich bewegen wir uns nicht in einem von wirtschaftlichen Anforderungen losgelösten Raum. Journalismus muss sich finanzieren. Und gerade in der digitalen Transformation haben sich die Geschäftsmodelle vor allem in den großen Medienhäusern so verändert, dass sie strukturell gar nicht mehr so viel Raum lassen für Herzblut-Journalismus. Die gute Nachricht: Es gibt ihn trotzdem an vielen Stellen. Aber wir brauchen mehr davon. Und wir können nicht darauf hoffen, dass das von allein besser wird.

Dieser Gedanke hat mich vor neun Jahren bei der Gründung von Krautreporter begleitet, einem unabhängigen und werbefreien Onlinemagazin, das nur von seinen Mitgliedern finanziert wird und so eine andere Art des digitalen Journalismus ermöglicht. Einer, der sich als Gemeinschaftsprojekt mit dem Publikum versteht. Zwar ändert ein neues Medium erst einmal nicht viel, aber Krautreporter war nur ein erster Setzling für eine Neubepflanzung der erodierenden Medienlandschaft. Seitdem ist in Deutschland ein Biotop mit vielen solchen Nischenmedien entstanden, die den Medienbetrieb in der gesellschaftlichen Aufgabe des Journalismus ergänzen. Das ist wichtig, denn die Zeit der klassischen Funktionsweise von Medienhäusern neigt sich dem Ende zu. Wer nicht konsequent auf die veränderte Welt reagiert, wird verschwinden.

"Wir benötigen ein neues Koordinatensystem, in dem sich Medien mit einer konsequenten gesellschaftlichen Verantwortung für das Gemeinwohl bewegen und daran ihre Arbeit ausrichten."

Doch es geht um viel mehr als um die Neuerfindung einer Branche, deren Strukturen nicht mehr zu den Herausforderungen dieser Zeiten passen. Die digitale Transformation setzt die gesamte Gesellschaft unter Druck. Phänomene wie Hassrede im Netz, Fake News oder Überforderung im Umgang mit digitalen Medien spiegeln die Problematik in vielen Facetten und zeigen, dass wir gerade angesichts der Herausforderungen einer durch Krisen geprägten Zeit dringend handeln müssen. Es geht jetzt darum, Grundlagen zu schaffen, damit unsere Gesellschaft resilienter werden kann, lautet ein Fazit meiner Kollegen Leif Kramp und Stephan Weichert in ihrer repräsentativen Studie Digitale Resilienz in der Mediennutzung.

Im Vocer Institut für Digitale Resilienz suchen wir nach Lösungen für diese gesellschaftliche Entwicklung. Mit digitaler Resilienz meinen wir eine Fähigkeit, die wir alle uns angesichts der Herausforderungen durch die Digitalisierung erarbeiten müssen. Wir müssen neue Modelle für unser Leben, unsere Arbeit und unsere Kommunikation entwickeln, um besser auf die sich immer schneller verändernden Rahmenbedingungen reagieren zu können. Es gibt so viele offene Fragen – und viele betreffen uns als Gesellschaft. Zum Beispiel, wie wir zu einer stärkeren Medienkompetenz im digitalen Raum kommen. Oder wie wir es schaffen, besser miteinander ins Gespräch zu kommen, in einer Welt, in der es ja eigentlich an Technologien dafür nicht mangelt. Warum wir es als Gesellschaft nicht besser hinbekommen, konstruktiv und gemeinsam an den zahlreichen Herausforderungen unserer Zeit zu arbeiten. Und natürlich, welche Rolle der Journalismus dabei spielt.

Eine Antwort darauf lautet: Wir müssen mehr über gemeinwohlorientierten Journalismus sprechen. Und darüber nachdenken, wie wir ihn stärker machen können. Wir benötigen ein neues Koordinatensystem, in dem sich Medien mit einer konsequenten gesellschaftlichen Verantwortung für das Gemeinwohl bewegen und daran ihre Arbeit ausrichten. Denkt man diesen Ansatz weiter, verändert sich nicht nur der Journalismus, den wir machen. Er stellt auch Geschäftsmodelle in Frage. Das ist problematisch, aber am Ende auch eine Chance.

Das hat auch etwas mit Empathie für das Publikum zu tun. Also zum Beispiel mit der Frage, ob es jetzt eher dem Medienangebot oder den Menschen hilft, wenn man sie mit billigen Klickanreizen in Angebote lockt und dort durch werbefinanzierte Seiten treibt. Und was es mit der Demokratie macht, wenn Journalist:innen ihre Arbeit an Geschäftsmodellen ausrichten müssen. Wenn wir Journalismus also betreiben wie ein zu vermarktendes Wirtschaftsprodukt, dessen Inhalt weniger wichtig ist als die mögliche Skalierung der Erlöse, die sich damit erzielen lassen. Die Beziehungskrise, in der sich der Journalismus mit dem Publikum befindet, deutet zumindest darauf hin, dass das kein Modell für eine nachhaltige Partnerschaft ist.

Wenn man ein journalistisches Angebot nicht von einem Geschäftsmodell ausgehend denkt, sondern es von seinem Wertesystem ableitet, dann ergeben sich andere Formen der Organisation und Finanzierung. Krautreporter zum Beispiel ist eine Genossenschaft. Wir haben diese Unternehmensform gewählt, weil sie sich unserer Meinung besonders dazu eignet, unabhängigen Journalismus abzusichern und dabei gleichzeitig demokratische Strukturen auf der Unternehmensseite einzuführen. Ausgedacht haben wir uns das nicht. Wie gut eine Genossenschaft zum Journalismus passt, macht die taz schon seit mehr als 30 Jahren mit inzwischen über 22.000 Mitgliedern vor.

Unabhängige Medienorganisationen fördern

Aber natürlich ist das keine generelle Antwort auf die Frage, wie sich gemeinwohlorientierter Journalismus stärken lässt. Und klar ist auch, dass sich die Monetarisierung von entsprechenden Medienangeboten mühsam gestaltet. Das ist einer der Gründe, warum viele journalistische Start-ups nach einer aufreibenden und mit Selbstausbeutung verbundenen Gründungsphase entnervt das Handtuch werfen. Wenn wir aber im Sinne einer resilienten Demokratie wollen, dass die immer größeren Lücken in der Medienlandschaft durch gemeinwohlorientierte Nischenmedien gefüllt werden, dann müssen wir Wege finden, unabhängige Medienorganisationen zu fördern und den Medienpluralismus so zu unterstützen. Und deswegen müssen wir nicht nur über gemeinwohlorientierten Journalismus sprechen, sondern auch darüber, ob Journalismus gemeinnützig sein kann.

Denn der sogenannte Dritte Sektor, also der Bereich der Non-Profit-Organisationen, wird auch im Journalismus immer mehr Bedeutung bekommen. Wenn die alten Geschäftsmodelle wichtige Recherchen, Berichterstattung für kleinere gesellschaftliche Gruppen oder sogar die lokale Nachrichtenversorgung nicht mehr finanzieren, dann kann Non-Profit-Journalismus diese Defizite zumindest teilweise auffangen. Spenden, Förderungen durch Stiftungen, aber unter bestimmten Umständen auch öffentliche Mittel könnten dabei den kommerziellen Druck aus der journalistischen Arbeit nehmen.

"Wie gut eine Genossenschaft zum Journalismus passt, macht die taz schon seit mehr als 30 Jahren mit inzwischen über 22.000 Mitgliedern vor."

Das ist keine Utopie, sondern passiert bereits – wenn auch in überschaubarem Rahmen. Es gibt lokaljournalistische Angebote wie Karla in Konstanz oder Relevanzreporter in Nürnberg, das inzwischen nur noch digital erscheinende „Magazin für Protest und Verantwortung“ Veto, das Medizin-Watchblog MedWatch, den Kuratierungsdienst Piqd oder auch Kohero, eine interkulturell orientierte Plattform. Und schon länger etablierte Projekte wie die Kontext:Wochenzeitung aus Stuttgart, das auf investigative Recherchen ausgerichtete Projekt Correctiv, netzpolitik.org, das Journalist:innen-Netzwerk Hostwriter oder die Verbraucherplattform Finanztip. All diese Angebote haben vor allem eines gemeinsam: Sie sind als gemeinnützig anerkannte Unternehmen, Vereine oder sogar Stiftungen.

Das ist interessant, denn gemeinnützigen Journalismus gibt es in Deutschland per Gesetz eigentlich gar nicht. Bislang können journalistische Angebote nur über Umwege den Status der Gemeinnützigkeit erlangen, etwa indem sie zugleich Projekte im Bildungsbereich verwirklichen. Das mutet etwas absurd an in Zeiten, in denen eigentlich niemand mehr infrage stellen kann, dass die Medienlandschaft in Deutschland dringend strukturell gestärkt werden muss.

Immerhin ist diesbezüglich einiges in Bewegung. Im Koalitionsvertrag haben sich die Regierungsparteien darauf verständigt, „Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus“ zu schaffen. Mit dem Forum Gemeinnütziger Journalismus haben sich zahlreiche Stiftungen und Non-Profit-Organisationen zu einem Verein zusammengeschlossen, um das Thema voranzutreiben. Und bei Vocer arbeiten wir gerade unter anderem an der Internetplattform NPJ.news, auf der wir die Fördermöglichkeiten für gemeinwohlorientierten und gemeinnützigen Journalismus zusammenführen. Wir werden außerdem im Oktober gemeinsam mit der taz-Panter-Stiftung über 50 Medienorganisationen auf dem Festival für Non-Profit-Journalismus miteinander ins Gespräch bringen.

Was am Ende daraus wird, muss sich noch zeigen. Ich bin mir aber sicher, dass wir in den kommenden Jahren noch sehr viel darüber reden werden, wie Journalismus überhaupt noch funktionieren kann – und wer ihn finanziert. Gemeinwohlorientierter und gemeinnütziger Journalismus beinhalten Antworten auf diese beiden Fragen, sie können eine pluralistische Gesellschaft fördern und eine resilientere Demokratie. Meiner Meinung sind das gute Gründe dafür, über diesen Weg den Journalismus etwas besser machen zu wollen.

Alexander von Streit ist Gründer und Herausgeber des unabhängigen Online-Magazins Krautreporter. Seit 2021 leitet er außerdem gemeinsam mit Stephan Weichert das Vocer Institut für Digitale Resilienz.

Bisher erschienen:

Teil 1: Daniel Drepper, Chefredakteur von BuzzFeed Deutschland

Teil 2: Carline Mohr, Social-Media-Expertin

Teil 3: Georg Mascolo, Leiter des WDR/NDR/SZ-Rechercheverbunds

Teil 4: Hannah Suppa, Chefredakteurin Märkische Allgemeine

Teil 5: Florian Harms, Chefredakteur von t-online.de

Teil 6: Georg Löwisch, taz-Chefredakteur

Teil 7: Stephan Weichert, Medienwissenschaftler

Teil 8: Julia Bönisch, Chefredakteurin von sz.de

Teil 9: Ellen Ehni, WDR-Chefredakteurin

Teil 10: Barbara Hans, Spiegel-Chefredakteurin

Teil 11: Sascha Borowski, Digitalleiter Augsburger Allgemeine

Teil 12: Richard Gutjahr, freier Journalist, Start-up-Gründer und -Berater

Teil 13: Benjamin Piel, Chefredakteur Mindener Tageblatt

Teil 14: Josef Zens, Deutsches GeoForschungsZentrum

Teil 15: Christian Lindner, Berater "für Medien und öffentliches Wirken"

Teil 16: Nicole Diekmann, ZDF-Hauptstadtjournalistin

Teil 17: Carsten Fiedler, Chefredakteur Kölner Stadt-Anzeiger

Teil 18: Stella Männer, freie Journalistin

Teil 19: Ingrid Brodnig, Journalistin und Buchautorin

Teil 20: Sophie Burkhardt, Funk-Programmgeschäftsführerin

Teil 21: Ronja von Wurmb-Seibel, Autorin, Filmemacherin, Journalistin

Teil 22: Tanja Krämer, Wissenschaftsjournalistin

Teil 23: Marianna Deinyan, freie Journalistin und Radiomoderatorin

Teil 24: Alexandra Borchardt, Journalistin und Dozentin

Teil 25: Stephan Anpalagan, Diplom-Theologe, Journalist, Unternehmensberater

Teil 26: Jamila (KI) und Jakob Vicari (Journalist)

Teil 27: Peter Turi: Verleger und Clubchef

Teil 28: Verena Lammert, Erfinderin von @maedelsabende

Teil 29: Anna Paarmann, Digital-Koordinatorin bei der Landeszeitung für die Lüneburger Heide

Teil 30: Wolfgang Blau, Reuters Institute for the Study of Journalism der Universitäte Oxford

Teil 31: Stephan Anpalagan, Diplom-Theologe, Journalist, Unternehmensberater

Teil 32: Simone Jost-Westendorf, Leiterin Journalismus Lab/Landesanstalt für Medien NRW

Teil 33: Sebastian Dalkowski, freier Journalist in Mönchengladbach

Teil 34: Justus von Daniels und Olaya Argüeso, Correctiv-Chefredaktion

Teil 35: Benjamin Piel, Mindener Tageblatt

Teil 36: Joachim Braun, Ostfriesen-Zeitung

Teil 37: Ellen Heinrichs, Bonn Institute

Teil 38: Stephan Weichert, Vocer

Teil 39: Io Görz, Chefredakteur*in InFranken.de

Teil 40: Daniel Drepper, Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung

Teil 41: Björn Staschen, Programmdirektion NDR, Bereich Technologie und Transformation

Teil 42: Malte Herwig, Journalist, Buchautor, Podcast-Host

Teil 43: Sebastian Turner, Herausgeber Table.Media

Zur Übersicht: Mein Blick auf den Journalismus

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