Kommentar

"Kroos war unprofessionell"

15.06.2022

Das abgebrochene Kroos-Interview war der Aufreger nach dem Champions-League Finale. Michael Schaffrath, Kommunikationswissenschaftler im Bereich Sportpublizistik, kritisiert das Verhalten des Fußballers scharf. Er sagt: Es sollte zum Jobprofil eines Profis gehören, Live-Interviews zu geben und dabei kritische Fragen on air auszuhalten. Ein Kommentar.

Michael Schaffrath: Journalisten sind keine Fans mit Mikrofonen (Screenshot: ZDF)

„Du hattest 90 Minuten, dir vernünftige Fragen zu überlegen, und dann stellst du mir zwei so Scheißfragen.“ Mit diesen Worten brach Toni Kroos das Live-Interview mit Nils Kaben nach dem Champions-League-Finale zwischen Real Madrid und dem FC Liverpool am 28. Mai abrupt ab. Völlig unprofessionell ließ der Fußball-Profi den ZDF-Reporter stehen und die durchschnittlich rund achteinhalb Millionen TV-Zuschauer*innen verblüfft zurück. Der Gesprächsabbruch sorgte in den Tagen danach für mehr Schlagzeilen als das Endspiel selbst. Vom „Wut-Interview“ (bild.de), über den „Interview-Zoff“ (sport 1.de) bis zum Fernseh-„Fiasko“ (Spiegel Online) war die Rede. Und Kroos legte auf verschiedenen Plattformen selbst noch nach. Prädikat: komplett uneinsichtig oder auch lächerlich konziliant – er konzedierte lakonisch: Man hätte statt „Scheißfrage“ besser „Drecksfrage“ sagen sollen.

Auslöser für die Interviewflucht des fluchenden Fußballers war die absolut berechtigte oder sich sogar aufdrängende Frage, ob es für Kroos „nicht überraschend“ gewesen sei, dass seine Mannschaft Real Madrid „doch ganz schön in Bedrängnis geraten ist“. Denn genau das war der Fall, wie der Spielverlauf plus Torschussstatistik von 23:3 zugunsten Liverpools eindeutig dokumentierten. Insofern hat Nils Kaben nur seinen journalistischen Job gemacht.

Doch von diesem Job und ein paar grundlegenden Zusammenhängen beim Zusammenspiel von Fußball und Fernsehen haben einige Kicker offenbar völlig falsche Vorstellungen.

Kritik als wichtige Funktion von Journalismus

Journalismus ist nicht das Verbreiten von Glorifizierungen und Elogen, was Kroos gern alles gehört hätte, möglicherweise vor allem auf ihn, den gerade frisch gekürten fünffachen Champions-League-Sieger. Journalismus ist auch Einordnung, Bewertung und Kritik. Und Journalismus ist mehr als die Informationsvermittlung auf irgendwelchen Social-Media-Plattformen. Konkreter formuliert: Das ZDF ist etwas anderes als Facebook oder Twitter und klar zu unterscheiden von höchsteigenen Podcasts, wie beispielsweise Einfach mal Luppen von Kroos und seinem Bruder, also Foren, auf denen Spieler eher selten mit Widerspruch oder Kritik rechnen müssen.

"Manche Profis übersehen, dass ihre millionenschweren Honorare ohne die horrenden Gelder, die Sender und Streamingdienste in den Fußball stecken, nicht einmal ansatzweise zu erzielen wären."

Öffentlich-rechtliche Sender haben sogar als „Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken.“ Das ist als Grundversorgungsauftrag im Medienstaatsvertrag fixiert. Und dazu gehört völlig unstrittig Kritik. Kritik ist eine wesentliche normative Funktion, nicht nur für TV-Anstalten, sondern für alle Medien. Dies wird leider nicht nur von manchem Fußballprofi anders gesehen, sondern auch von einigen quotengetriebenen Programmmachern, gerade bei der hochgradig kommerzialisierten und unterhaltungsfixierten Medienware Sport. Die Ausgaben für teuer erworbene Übertragungsrechte müssen irgendwie refinanziert werden. Aber bei der Vermarktung des Fußballs wird Kritik an Fußballern nicht selten als kontraproduktiv eingestuft.

TV finanziert Fußballer-Gehälter maßgeblich

Manche Profis übersehen, dass ihre millionenschweren Honorare ohne die horrenden Gelder, die Sender und Streamingdienste in den Fußball stecken, nicht einmal ansatzweise zu erzielen wären. Hier gibt es eine unmittelbare Abhängigkeit. Und ein mittelbarer Zusammenhang kommt hinzu. Denn auch die Sponsorengelder, die die Vereine brauchen, um ihren Spielern diese wahnwitzigen Summen zu bezahlen, fließen doch ebenfalls nur, weil Fernsehsender oder Internetportale die Banden- und Trikotwerbung der Unternehmen en passant ins Bild setzen. Obwohl solche Kausalitäten im Kicker-Business eigentlich recht simpel sind, erkennen manche Profis nicht, wer wirklich ihr Portemonnaie füllt – nämlich Fernsehen und Streamingdienste.  

"Im Sinne der eigenen Vermarktung, aber auch mit Blick auf das Image des arbeitgebenden Vereins müsste der Interview-Abbruch von Kroos als Affront eingestuft werden und nicht die journalistisch gebotenen Fragen von Kaben."

Aus dem kausalen Zusammenhang zwischen eigenem Salär und TV-Übertragungen lässt sich durchaus ableiten, dass es zum Jobprofil eines Profis gehören sollte, Live-Interviews zu geben und dabei kritische Fragen on air auszuhalten. Im Sinne der eigenen Vermarktung, aber auch mit Blick auf das Image des arbeitgebenden Vereins müsste der Interview-Abbruch von Kroos als Affront eingestuft werden – und nicht die journalistisch gebotenen Fragen von Kaben. Nachvollziehbar, dass Kaben im Schulterschluss mit einigen Kolleg*innen, gegenüber dpa monierte, „dass man sich als Spieler so nicht benehmen sollte“.

Kroos hatte auch Tage nach dem Interview-Abbruch „eher positiv angelegte Fragen erwartet“ und „mehr Empathie“ eingefordert. Kaben hatte via Medien zurecht retourniert: „Wir sind nun mal keine Fans.“ Und genau das dürfen Journalist*innen auch nie werden. Sie haben eine andere Rolle und eine andere Funktion.

Die Fragenqualität ist oft ebenso dürftig wie das Niveau der Antworten

Man kann über die Qualität des sportjournalistischen Field-Interviews trefflich streiten. Mehr noch, man kann in wissenschaftlichen Studien sogar empirisch belegen, wie dürftig häufig die Fragen, aber auch die Antworten ausfallen. ZDF-Mann Kaben hat im Nachhinein selbstkritisch eingeräumt: „Die Frage kann ich besser formulieren. Ganz klar.“ Aber gilt das nicht für viele Fragen der Kolleg*innen anderer Sender und Internetanbieter ebenso? Gerade unmittelbar nach Abpfiff sollten Fragen eindimensional, monothematisch, kurz, prägnant, verständlich und offen formuliert werden. Dass verschiedene Sportreporter das Interview nutzen, um ihre eigene Fachkompetenz zu demonstrieren oder ihr profundes Hintergrundwissen zur Schau zu stellen, kann und sollte kritisiert werden. Auch mit langatmigen Fragen fördert man keineswegs klügere Antworten zutage als mit kompakten. Und so kommt es bei vielen Statements der Spieler nur zu redundanten Plattitüden und abgedroschenen Phrasen. Frei nach dem Motto: „Ich sag’ mal, sag’ ich mal…“.

Am Ende eines sportjournalistischen Interviews bleibt oft wenig. Oder wie im Fall Kroos-Kaben aufgrund des Abbruchs gar nichts – außer Verdruss und Verärgerung auf beiden Seiten. 

Michael Schaffrath ist Professor und Leiter des Arbeitsbereichs für Medien und Kommunikation, Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften an der Technischen Universität München. Außerdem ist er Autor des Buchs "Das sportjournalistische Interview im deutschen Fernsehen".

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