Zukunft der Journalistenausbildung

Müssen Journalist*innen künftig programmieren können?

11.03.2021

Die Axel-Springer-Akademie will Journalismus und Technologie stärker miteinander verbinden. Auch an anderen Journalistenschulen entwickeln die Schüler*innen immer häufiger neue Produkte. Text: Kathi Preppner

Team 28 ist der erste Jahrgang der Springer-Akademie, der mit den Tech-Studierenden der Code-University ausgebildet wird (Foto: Stefanie Herbst)

Als die 18 angehenden Journalistenschülerinnen und Journalistenschüler von Team 28 Anfang Juli das Axel-Springer-Hochhaus in Berlin betraten, ahnten sie noch nichts. Sie hatten sich für die zweijährige Redakteursausbildung beworben, wie die Axel-Springer-Akademie sie seit ihrer letzten Neuausrichtung 2007 anbietet: Porträt- und Reportageworkshops, Recherche-Seminare, multimediales Storytelling und so weiter. Dazu die Arbeit in einer der Redaktionen und das gemeinsame Erstellen des Abschlussprojekts, das seit eben dieser Neuausrichtung immer ein digitales ist.

Doch als Akademie-Direktor Marc Thomas Spahl die Journalistenschüler*innen begrüßte, hatte er eine Neuigkeit für sie: Team 28 ist der erste Jahrgang, der gemeinsam mit den Tech-Studierenden der Code-University ausgebildet wird. Ziel sei es, „die Grundlage für eine enge Zusammenarbeit von Journalisten und Tech-Experten zu legen“, hieß es später in der Pressemitteilung. „Wir wollen junge Journalistinnen und Journalisten inspirieren, sich ohne Berührungsangst auf neue Entwicklungen einzulassen “, erklärt Spahl im Gespräch mit dem journalist. „Wir haben nicht die Ambition, perfekte Tech-Experten aus ihnen zu machen, aber sie sollen den Mut entwickeln, in ihrer Ausbildung möglichst viel auszuprobieren.“

Die Akademie hat jetzt auch einen neuen Namen: Freetech – Axel Springer Academy of Journalism and Technology, in Anspielung auf das „für Axel Springer zentrale“ Thema Freiheit. Der Auslöser für die Neuausrichtung, sagt Spahl, sei die Verankerung von künstlicher Intelligenz (KI) im Lehrplan gewesen. Die hatte er Anfang 2020 im Unternehmens-Podcast angekündigt: Eine Woche lang solle es für jeden Jahrgang Austausch mit KI-Experten und die Möglichkeit zur Arbeit mit KI-Anwendungen geben. Für Spahl ist künstliche Intelligenz ein Megathema: „Ich glaube, da liegen die größten Chancen und Möglichkeiten“, sagte er im Podcast auf die Frage, was den Journalismus im neuen Jahrzehnt erwarte.

Die Code University of Applied Sciences in Berlin, mit der die Freetech-Academy kooperiert, ist eine private, staatlich anerkannte Fachhochschule, die von Unternehmen und Sponsoren gefördert wird. Sie wurde 2016 von dem Programmierer Thomas Bachem gegründet, der das normale Informatikstudium zu theorielastig fand. Seine Idee: Die Studierenden arbeiten von Beginn an in Teams aus Softwareentwicklern, Interaktionsdesignern und Produktmanagern an Projekten und fordern Wissen je nach Bedarf ein. Unternehmen und Organisationen begleiten diese Projekte als Kooperationspartner. Bachem gründete übrigens während seiner Studienzeit Firmen, die später von Medienunternehmen gekauft wurden: das Videoportal Sevenload vom Burda-Verlag, ein Lebenslauf-Editor vom Netzwerk Xing.

Unterschiedliche Prozesse

Axel Springer bietet für die Bachelor-Student*innen der kostenpflichtigen Privathochschule ein begleitendes Stipendienprogramm an. Die ersten zwölf Tech-Stipendiaten der Freetech-Academy sind seit September dabei. Head of Tech Program an der Freetech-Academy ist Justin Vanessa Reichelt. Die studierte Wirtschaftspsychologin war bis Oktober noch Trainee bei Axel Springer und habe selbst im Haus gesehen, berichtet sie, wo die Zusammenarbeit zwischen Informatiker*innen und Journalist*innen schon gut funktioniert – und wo nicht. Ihr Eindruck: „Je länger die Zusammenarbeit, desto besser ist meistens das Verständnis füreinander.“ Die Arbeitsprozesse seien eben sehr unterschiedlich, im Tech-Bereich arbeite man beispielsweise in Zwei-Wochen-Sprints. „Da muss man erst mal eine gemeinsame Kommunikations- und Arbeitsebene finden.“

Produktentwicklung mitdenken

Eine, die beide Seiten gut kennt, wird im September die Leitung des Management-Boards der Freetech-Academy übernehmen: Niddal Salah-Eldin, zurzeit stellvertretende Chefredakteurin und Produkt- und Innovationschefin bei der dpa, wo sie die Entwicklung neuer Produkte vorangetrieben hat. Laut Salah-Eldin ist es „erfolgsentscheidend“, Journalismus und Technologie miteinander zu verschränken, „denn an dieser Schnittstelle spielt die Zukunftsmusik“. Zudem ist Ulrich Schmitz, Managing Director von Axel Springer Digital Ventures, bei der Akademie mit an Bord. Der frühere CTO von Springer hatte 2013 den Start-up-Accelerator Axel Springer Plug and Play mit aufgebaut. Er sagt: „An der Freetech-Academy haben wir die Möglichkeit, Journalisten und Tech-Talente von Anfang an zusammenzubringen, so dass sie es gewohnt sind, miteinander zu arbeiten. Das prägt. Da wird man im Beruf ganz anders aufeinander zugehen.“

Für alle Freetech-Schüler*innen stehen neben der Arbeit in den Redaktionen gemeinsame Veranstaltungsreihen und Projekte auf dem Programm. „Unser Ziel ist nicht die große Vision für übermorgen, sondern wie in einem Start-up schnell zu agieren und genau jetzt aus Volos und Techies ein schlagkräftiges Team zu formen“, erklärt Marc Thomas Spahl. Getreu diesem Motto versuchen die Journalistenschüler*innen mit ihrem großen digitalen Projekt, das bei Springer Masterpiece genannt wird, früh auf neuen Plattformen mitzumischen: Team 20 hat 2016 Holocaust-Überlebende ihre Geschichte auf Snapchat erzählen lassen, mit Hawaiitoast hat Team 25 Ende 2019 ein Jugendmagazin auf Tiktok gestartet, kurz nach dem Launch ihres Videoprojekts Jeder Vierte haben Schüler*innen aus Team 26 Ende Januar auf Clubhouse über Antisemitismus diskutiert.

Journalistenschulen und das Journalistikstudium wurden von angehenden Journalist*innen in Sachen Technikkompetenz in der Vergangenheit besser bewertet als andere Ausbildungswege. Das zeigt eine Studie zur Journalistenausbildung der Technischen Universität Ilmenau, die auf einer Onlinebefragung von 2015 beruht. Aber auch an den Schulen schien der Bereich noch ausbaufähig zu sein: Etwa ein Drittel der befragten Journalistenschüler*innen war mit der technischen Seite ihrer Ausbildung nicht zufrieden. Das Gestalten, Entwickeln und Programmieren medienspezifischer Tools vermissten rund zwei Drittel von ihnen auf dem Lehrplan. Sie machten auch konkrete Verbesserungsvorschläge, unter anderem in den Bereichen Datenanalyse, Medieninformatik, Webdesign, Programmieren, Webprogrammierung, mobile Technologien und Endgeräte.

"Wir wollen aus Volos und Techies ein schlagkräftiges Team formen."

Marc Thomas Spahl, Freetech-Academy

In den Jahren seit der Befragung scheint sich hier etwas getan zu haben. An den Schulen werden immer mehr digitale Produkte entwickelt, immer öfter arbeiten Journalistenschüler*innen mit Programmierer*innen zusammen. Die RTL-Journalistenschule hat beispielsweise 2017 ein Innolab und 2019 zusammen mit dem Media Lab Bayern einen Ideathon veranstaltet: Journalistenschüler*innen haben gemeinsam mit angehenden Fachinformatiker*innen und Management-Trainees Produkte erfunden, Piloten entwickelt und sie einer Jury vorgestellt. Dabei ist unter anderem eine alternative Startseite für die NTV-App entstanden, eine Art Storyfunktion, um die die App später tatsächlich erweitert worden ist. 

Leonhard Ottinger, Leiter der RTL-Journalistenschule, sagt, „man erwartet von Journalisten heute auch in der Ausbildung, dass sie in den Kategorien Produktentwicklung und Ausspielwege mitdenken“. Mit den neuen Kanälen veränderten sich schließlich die Formate: NTV-Nachrichten in den Skills von Amazons Sprachassistentin Alexa müssen journalistisch anders aufbereitet werden als für den TV-Kanal oder die Website.

An der Henri-Nannen-Schule wird der Formatentwicklung seit dem vergangenen Jahr mehr Zeit eingeräumt als bisher. Zwei bis drei Wochen lang entwickeln die Schüler*innen ein Produkt, das auf der Idee oder Frage einer Redaktion beruht. Sie folgen dabei einem Design-Thinking-Ansatz, bei dem interdisziplinäre Teams eine Frage oder ein Problem beschreiben, die Zielgruppe beobachten und definieren, Ideen, Konzepte und Prototypen entwickeln und diese dann immer wieder testen. „Das Ziel ist nicht, alle Journalisten zu Produktentwicklern zu machen“, sagt Schulleiter Christoph Kucklick. „Aber sie sollen diese Perspektive kennen und sprech- und teamfähig sein, wenn Medienhäuser solche Prozesse starten.“

Joachim Dreykluft lehrt solche Methoden gelegentlich an der Fachhochschule Kiel und der Henri-Nannen-Schule, vor allem aber nutzt er sie bei seiner täglichen Arbeit: Dreykluft leitet das HHLab der regionalen Medienhäuser NOZ Medien und mhn Medien, sozusagen deren Entwicklungsredaktion, in der seit 2018 Journalist*innen und Entwickler*innen gemeinsam arbeiten und forschen. Wichtiger als das technische Wissen ist es für angehende Journalist*innen seiner Meinung nach, die Leser und Nutzer in den Blick zu nehmen: „Journalismus besteht ja nicht nur darin, schöne Geschichten zu erzählen. Was uns abhanden gekommen ist, falls es jemals da war, ist das Thema Nutzerzentrierung.“ In seinen Seminaren lässt er gern den Qualitätsbegriff nutzerzentriert definieren. Da komme regelmäßig das Gegenargument: Das führe zu einer Boulevardisierung. Dreykluft hält dagegen: „Wir machen unseren Journalismus nicht für eine amorphe Masse, die sich im Internet bewegt.“ Die Basis der Nutzerforschung im HHLab sind qualitative Leitfadeninterviews. „Wir müssen ja wissen, ob das, was wir machen, da draußen jemanden interessiert.“

"Sprache wird immer wichtiger sein als der neueste technische Skill."

Henriette Löwisch, Deutsche Journalistenschule

Henri-Nannen-Schulleiter Christoph Kucklick hält die Arbeit mit Daten auch in der Journalistenausbildung für wichtig. Journalist*innen sollten versuchen, möglichst viele Wege zu gehen, um zu wissen, welche Inhalte ankommen, was als wichtig empfunden wird und was nicht. „Das heißt nicht, nur noch das zu machen, was geklickt wird“, sagt Kucklick. „Aber darauf zu verzichten, eine genauere Vorstellung von den Lesern und Nutzern zu bekommen, bedeutet auch, die Chance zu verpassen, den Journalismus leser- und usernah zu machen. Hier muss man den Mittelweg finden.“ Für Journalistenschulen sei dieses Feld nicht so leicht abzubilden, schließlich habe jede Redaktion eigene Metriken, um Daten zu erfassen. Es gehe eher darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen.

Der Design-Thinking-Ansatz wird auch bei Burda verwendet, wenn die Journalistenschüler*innen eigene Medienmarken entwickeln. Abschlusszeitschriften gibt es nicht mehr, vor fünf Jahren wurden sie von digitalen Abschlussprojekten abgelöst, die intern „Start-ups“ genannt werden: der People-Podcast Bunte, Menschen! oder der Finanz-Newsletter Kleingeldhelden. „Das sehe ich auch als Labor, wo man neue Dinge testen kann – wie aktuell Clubhouse“, sagt Schulleiter Nikolaus von der Decken. „Dabei ist uns wichtig, dass immer eine Schnittstelle zur Monetarisierung mitgedacht wird.“ Ein typischer Fehler bei der Entwicklung der Formate bestehe darin, von sich auszugehen und das zu machen, was einen selbst ansprechen würde. „Wir warnen unsere Schülerinnen immer: Ihr seid nicht eure eigene Zielgruppe. Darum: testen, testen, testen. Und besser früh scheitern als zu spät.“

Den Mut, Fehler zu machen und zu scheitern, hält Joachim Dreykluft in der Produktentwicklung für essenziell. „Wichtig ist das Mindset, dass es zur Methode gehört, Fehler zu machen, und das auch auszuhalten. Das kann man nicht aus Büchern lernen.“ Eines seiner wichtigsten Instrumente ist ein dreiphasiges Kreislaufmodell: bauen, messen, lernen. Dabei tastet man sich immer wieder neu vor, um eine Aufgabe zu lösen, ohne zu wissen, wie das Ergebnis aussehen soll. 

"Journalisten sollten die Zukunft des Journalismus miterfinden."

Christoph Kucklick, Henri-Nannen-Schule

Auch bei der verlagsunabhängigen Deutschen Journalistenschule (DJS) in München steht die Formatentwicklung mit Design Thinking auf dem Lehrplan. Die DJS-Schüler*innen haben schon einen Twitter-Bot programmiert und einfache Apps geschrieben. „Die DJS geht seit vielen Jahren den Weg, Allrounderinnen und Allrounder auszubilden“, sagt Schulleiterin Henriette Löwisch. „Also Menschen, die offen für neue Techniken und Technologien sind, mit denen sie effektiver recherchieren und ganz unterschiedliche Menschen erreichen können.“ So wird im Rahmen des gemeinsamen Masterstudiengangs an der Ludwig-Maximilians-Universität München künstliche Intelligenz in den Medien gelehrt. „Klar ist aber auch“, sagt Löwisch, „das Wort bleibt als Grundlage des Journalismus unersetzlich. Die Schulung im Erzählen, Interviewen und im Umgang mit der Sprache wird daher immer wichtiger sein als der neueste technische Skill.“

Journalisten sollen mitgestalten

Die grundlegenden Tugenden des Journalismus seien dieselben geblieben, betont auch Christoph Kucklick. Doch das Berufsbild differenziere sich stark, es umfasse immer mehr unterschiedliche Tätigkeiten. Und der Journalismus finde immer mehr auf Plattformen statt, die gar nicht dafür gedacht sind. Die Entwicklung werde stark von diesen außerjournalistischen Plattformen getrieben. „Der Innovationsdruck in journalistischen Häusern ist groß. Darauf sollten Journalisten reagieren“, sagt er, „und die Zukunft des Journalismus miterfinden.“

Vielleicht entwickelt die nächste Journalist*innen-Generation ihre eigene soziale Plattform. Im Gespräch mit dem journalist macht Ulrich Schmitz von Axel Springer den Eindruck, dass ihm das gefallen würde. „Wir müssen davon wegkommen, Technik nur zu nutzen, wir müssen sie auch gestalten“, sagt er. Dazu sei es nötig, dass auch Journalist*innen in der Lage sind, die Möglichkeiten und Grenzen der Technologie zu verstehen. „Viele sagen dann, das kann ich nicht. Aber da machen sie es sich zu einfach. Ich glaube, jeder kann sich in die Arbeit des anderen hineindenken und wahrscheinlich sogar einen Teil davon übernehmen. Aber darum geht es nicht. Virtuosität entsteht erst durch das Zusammenspiel.“

Die ersten Freetech-Schüler*innen haben inzwischen das Thema für ihr gemeinsames Projekt bekommen, das Ende April an den Start gehen soll. Es lautet: Deepfake. Ein Thema, das man nicht rein journalistisch und nicht rein technisch lösen kann – man muss es gemeinsam lösen.

Kathi Preppner ist Medienjournalistin in Berlin.   

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