Volksverpetzer

"Niemand hat ein Recht auf eigene Fakten"

03.05.2021

Bei Lügen und und Verschwörungserzählungen versuchte Thomas Laschyk früher, den Verfassern mit Fakten zu antworten. Doch irgendwann hatte er genug davon, dass seine Faktenchecks viel weniger Aufmerksamkeit bekamen als die Falschmeldungen. Sein Anti-Fake-News-Blog Volksverpetzer ist deshalb sarkastisch, emotional, reißerisch – und oft unterhaltsam. Text: Kristina Wollseifen

"Wir schauen, wo es am meisten brennt, und berichten dann gezielt darüber", sagt Volksverpetzer-Chef Thomas Laschyk (Foto: Ylva Bintakies)

Vegan-Koch Attila Hildmann outete sich schon zu Beginn der Pandemie als Corona-Leugner. Seither verbreitet er seine kruden Ansichten vor allem über seinen Telegram-Account, mittlerweile hat er sich in die Türkei abgesetzt, um einem Haftbefehl zu entgehen. Auch HNO-Arzt Bodo Schiffmann, dessen Youtube-Kanal rund 160.000 Menschen folgen, hat Falschmeldungen verbreitet – im vergangenen Oktober zum Beispiel die Nachricht, dass Kinder durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes gestorben seien. Mit solchen Leuten beschäftigt sich Thomas Laschyk täglich. Der 29-Jährige betreibt den Blog Der Volksverpetzer. Dort stellt er jeden Tag neue Meldungen über die Behauptungen von Populisten, Extremisten und Verschwörungsideologen ein – und entlarvt sie mit seinen Faktenchecks als falsch und unwahr.

Für ihre Arbeit wurden Laschyk und sein Team vor gut einem Jahr als „Blogger des Jahres 2019“ ausgezeichnet. Mittlerweile hat sich gezeigt: Ihr Engagement ist im Jahr 2021 noch wichtiger geworden. „Zwar hat die Summe an Fake News, die Tag für Tag im Netz landet, unserer Meinung nach in den vergangenen Jahren weder groß zugenommen noch abgenommen“, sagt Laschyk. „Aber es ist schwerer geworden, sie zu entlarven.“ Fake-News-Schöpfer reißen zum Beispiel Zitate bewusst aus ihrem Kontext oder interpretieren Aussagen absichtlich falsch – und finden damit gerade in Krisenzeiten vermehrt Zuhörer. Denn genau dann suchen Menschen nach Erklärungen, nach Halt und Hoffnung, ergänzt der Blogger. Manch einer findet sie eben in populistischen, rechtsextremen Parolen, oftmals einfache und zugespitzte Aussagen. „Wir wollen die Leute daran erinnern, dass sie kritisch sein müssen“, sagt Laschyk. Also veröffentlicht er weiter täglich neue Faktenchecks für seine Community – und die sind nicht immer bierernst.

"Menschen, die ihr Weltbild nicht auf Fakten aufbauen, kann man schwer mit Fakten überzeugen."

Im vergangenen Herbst titelte der Volksverpetzer über einem Bild, das Attila Hildmann mit Mund-Nasen-Schutz im Wartezimmer einer Arztpraxis zeigt: „Mit Maske erwischt: Attila Hildmann beugt sich dem Kommunismus.“ Zuvor hatte der Vegan-Koch verbreitet, dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes einen zu einem Kommunisten mache – und zu einem Sklaven der Bundeskanzlerin sowieso.

Chef-Verpetzer Laschyk ärgert sich schon seit vielen Jahren über Lügen und Hetze im Netz. So auch während der Flüchtlingskrise. Die Lügengeschichten einfach zu ignorieren, kam für ihn nie in Frage. „Davon wird das Problem ja auch nicht kleiner“, sagt er. Damals versuchte er noch, mit den Verfassern ins Gespräch zu kommen: Er fragte sie, welche Quelle sie für ihre Infos haben, diskutierte mit und recherchierte Gegenargumente. „Ich habe aber schnell festgestellt, dass diese Nutzer kein Interesse an einem sachlichen Diskurs hatten“, sagt er heute. „Mittlerweile belegen auch Studien, dass Faktenchecks Menschen, die vollends in alternative Filterblasen abgerutscht sind, nicht mehr erreichen.“

Erst nur ein Hobby

Statt seine Mühe in das Schreiben eines ausführlichen Facebook-Kommentars zu stecken, entschloss er sich, den Volksverpetzer zu gründen – als eine Art Online-Notizblock und Nachschlagewerk für Recherchen gegen Fake News. Es helfe ihm dabei, seine Wut über Hetze und Hass im Netz zu verarbeiten. Vor allem aber soll es seine Leser davor bewahren, auf Lügengeschichten hereinzufallen. „Wir wollen damit Menschen erreichen, die eher unpolitisch oder politisch unerfahren sind und nicht zwingend die Zeit und Lust haben, sich über die Hintergründe von Debatten und Behauptungen zu informieren“, sagt Laschyk. „Im Idealfall sollen sie über unsere Faktenchecks von neuen Gerüchten lesen, so dass sie skeptisch sind, wenn ihnen Betrüger etwas anderes erzählen wollen.“

Laschyk baute den Faktenchecker-Blog neben seinem Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft auf. Es war sein liebstes Hobby. Aber auch ein aufwendiges und zeitintensives, und das ist es nach wie vor: „Wenn ich auf mich allein gestellt wäre, dann könnte ich den Blog in dem Umfang nicht betreiben“, sagt Laschyk. Von Beginn an kamen Leute auf ihn zu, die seine Arbeit unterstützen wollten, sei es durch Mithilfe beim Prüfen der Fakten oder einfach durch das Teilen seiner Beiträge.

Heute kann Laschyk auf ein Team aus 18 ehrenamtlichen Helfern zurückgreifen. Sie lektorieren Beiträge, manchmal schreiben sie eigene Faktenchecks. Die Teammitglieder beantworten auch Nachrichten, die auf der Facebook-Seite ankommen, oder beobachten die Aktivitäten auf rechtspopulistischen Seiten. Im Messengerdienst Telegram verfolgen sie zudem die Nachrichten von bekannten Verschwörungsideologen.

Die Beobachter berichten Chefredakteur Laschyk und seinem Stellvertreter, An­dreas Bergholz, welche Aussagen dort gerade die Runde machen. Kursieren Fake News, über die die Verpetzer aufklären wollen, fragen sie sich als erstes: Wie weit ist die Lügengeschichte schon verbreitet? Wie weit wird sie sich möglicherweise noch verbreiten? Besteht die Möglichkeit, dass diese Fake News aus ihrer Online-Filterblase hinaus an die breite Öffentlichkeit gelangen? „Wir entscheiden, wo es am meisten brennt und berichten dann gezielt darüber“, sagt der 29-Jährige.

Journalistischer Standard

Die meisten Blog-Texte schreiben Laschyk und Bergholz selbst. Vom Redaktionssitz in Augsburg aus recherchieren sie: Was ist der aktuelle Kenntnisstand? Welche Infos liefern andere Faktenchecker und Onlinemedien? Was sagen Behörden oder die Polizei dazu? Und welche Erkenntnisse liefert eine Suchmaschinen-Abfrage? Eine zuverlässige, bestenfalls aber mehrere Informationsquellen brauchen sie, um Falschmeldungen überzeugend zu widerlegen, vorzugsweise mit Stimmen aus der Wissenschaft. Soweit entspricht das dem journalistischen Standard, allerdings: Auf einen Anruf bei einem Experten, um eine weitere, selbst recherchierte Stimme von Gewicht im Artikel ergänzen zu können, verzichten sie oft – um schneller zu sein als andere Faktenchecker wie Correctiv oder Mimikama, sagt Laschyk. „Fast wichtiger als die Quellen und Hintergründe, die wir zum jeweiligen Faktencheck liefern, ist die Tatsache, dass wir sie liefern, und zwar schnellstmöglich.“ Denn, so berichtet er aus seiner Erfahrung: „Lügen sind schnell ins Netz gestellt und können sich ebenso schnell verbreiten. Ein Fake erreicht die meisten Leute innerhalb von 24 bis 48 Stunden.“

Seine Schlussfolgerung: Ein Artikel mit dem Titel, dass eine bestimmte Behauptung falsch ist, sei unabhängig vom Inhalt bereits ein wichtiges Werkzeug, mit dem Menschen Fake News in Kommentarspalten und Chats etwas entgegensetzen können. „Wenn es schnellen Widerspruch gibt, der besser belegt ist als die Falschmeldung und zum Beispiel wissenschaftliche Quellen zitiert, fällt es Verfassern schwerer, andere vom Wahrheitsgehalt ihrer Fake News zu überzeugen“, sagt Laschyk. Mittlerweile hat die Redaktion eine kleine Datenbank mit Dutzenden Studien und Quellen zu Covid-19 aufgebaut, aus der sie immer wieder passende Argumente für ihre Faktenchecks bezieht.

Dabei ist es den Bloggern wichtig, nicht nur mit bloßen Fakten gegen die Fake News zu argumentieren, sondern den Geschichten, die zum Beispiel Verschwörungsideologen verbreiten wollen, ein objektives Narrativ entgegenzusetzen. „Menschen, die ihr Weltbild nicht auf Fakten aufbauen, kann man schwer mit Fakten überzeugen, sondern nur mit eigenen Geschichten“, sagt Laschyk.

Ein Beispiel: Nach der ersten großen Pandemie-Leugner-Demonstration in Berlin im August verbreitete sich die Nachricht, es habe mehr als eine Million Teilnehmer gegeben. Obwohl Luftaufnahmen und polizeiliche Berechnungen zeigen, dass schätzungsweise 30.000 Demonstranten bei der Abschlusskundgebung auf der Straße des 17. Juni dabei waren, verteidigten die Pandemie-Leugner ihre Version vehement. „Man muss diese Zahl als Baustein eines großen Ganzen sehen“, sagt Laschyk. „Die Corona-Leugner sehen sich als Helden, als Widerstandskämpfer gegen eine Diktatur. Zur Selbstbestätigung ist es wichtig für sie, dass sie eine der größten Demos in der deutschen Geschichte auf die Beine gestellt haben. Wenn sie nun akzeptieren müssten, dass dieses eine Detail, dass sie verbreitet haben, falsch ist, müssten sie anfangen, ihre gesamte Weltanschauung infrage zu stellen. Also halten sie daran fest und sind immun gegen die wahre Faktenlage.“

Laut wie ein Boulevardmedium

In ihren Texten verzichten sie auf einen sachlichen Schreibstil. Der Volksverpetzer ist unterhaltsam und sarkastisch, emotional und reißerisch – und zwar ganz bewusst. „Es ist sehr schnell frustrierend, Lügenmärchen sachlich und gezwungen neutral darzustellen“, sagt der Chefredakteur. „Wenn ich bei meinen Faktenchecks neutral bleibe und die Lügen ernst nehme, dann werte ich diese verrückten Aussagen doch nur auf.“ Es dürfe nicht sein, dass sein Faktencheck viel weniger Aufmerksamkeit bekommt als die Lüge selbst. „Darauf hatte ich keinen Bock mehr“, sagt Laschyk. Ihm war bewusst, dass mit dieser Entscheidung auch Vorwürfe laut werden würden, sein Blog sei nicht neutral. „Aber solche Vorwürfe muss sich jeder anhören, der für Fakten argumentiert, egal wie sachlich und neutral er seine Faktenchecks formuliert.“

"Wenn ich die Lügen ernst nehme, dann werte ich diese verrückten Aussagen doch nur auf."

Seit dem Relaunch des Blogs Anfang 2018 erinnert die Optik des Portals also vor allem an eines: ein Boulevardmedium. Die Leser können sich in den sozialen Medien per Kommentarfunktion mit aufregen oder eben mitlachen. Damit wollen die Volksverpetzer die Glaubwürdigkeit notorischer Fake-News-Verbreiter angreifen. Im Spätsommer 2020 behaupteten Pandemie-Leugner, dass die Doktorarbeit des Virologen Christian Drosten nicht auffindbar sei. Daraufhin begab sich der Volksverpetzer auf die Suche – und titelte: „Sorry, Aluhüte: Wo die Doktorarbeit von Drosten ist? Hier: Wir haben sie ausgeliehen.“ Im folgenden Text zeigten sie, wie sie die Doktorarbeit im Online-Katalog der Frankfurter Universitätsbibliothek gefunden haben. Anschließend haben die Volksverpetzer sie ausgeliehen, Fotos sowie ein Video von ihrem Inhalt ins Netz gestellt und resümieren im Beitrag: „Nur weil ihr etwas nicht finden könnt (weil ihr zum Beispiel nicht mal danach sucht), heißt das nicht, dass es nicht da ist.“

Der Unterhaltungswert ihrer Faktenchecks sei nützlich, um mehr Reichweite zu generieren. „Menschen springen auf Emotionen, auf Humor und Wut an. Das sind die treibenden Kräfte hinter den Fake News, die wir auch für unsere Zwecke nutzen wollen.“

Diejenigen, die mit Framing und Clickbaiting Sachverhalte bewusst falsch darstellen, um damit Kontroversen und Klicks zu provozieren, sollten härter verurteilt werden als bisher, findet Laschyk. „Aber solange unsere öffentliche Debatte auf Plattformen privater Unternehmer stattfindet, wird es Fake News geben. Deren oberste Priorität ist nicht ein faktenbasierter Diskurs, sondern dass Menschen so viel Zeit wie möglich auf ihren Plattformen verbringen. Und wenig erzeugt mehr Content und Kontroversen in Social Media als Fake News und deren Verbreiter – und natürlich diejenigen, die dagegen vorgehen.“

Seine eigenen Zahlen zeigen, dass die Strategie des Teams aufzugehen scheint. Im ersten Halbjahr 2020 sollen knapp 12 Millionen Menschen den Blog aufgerufen haben, für das ganze Jahr 2020 beziffert Laschyk die Zahl der Zugriffe auf 21 Millionen.

Einige Leser unterstützen die Arbeit der Redaktion finanziell. „Insbesondere mit dem Neustart des Volksverpetzers vor drei Jahren stieg für mich der Aufwand, den Blog zu betreiben“, sagt Laschyk. Damals richtete er ein Crowdfunding bei Steady ein. Dort können Nutzer auch ein Abo abschließen. Mehr als 1.200 Leser unterstützen den Volksverpetzer mittlerweile auf diese Weise. Rund 5.000 Euro kommen so monatlich zusammen. „Damit kann ich eine Vollzeitstelle finanzieren“, sagt Laschyk.

Die weiteren Kosten müssen Einnahmen aus anderen Quellen decken, zum Beispiel aus Lizenzgebühren mit Merchandise-Artikeln. Die Tassen mit der Aufschrift „Lebe stets so, dass die AfD etwas dagegen hat“ sind laut Webshop-Betreiber ein Bestseller. In Zukunft will Laschyk mehr Videos auf seinen Blog bringen, und er arbeitet an einem Buch. Der Titel ist noch offen. Ein Vorschlag: Der Chef-Verpetzer.

So geht der Volksverpetzer mit Hass und Hetze um

1. Immer wieder erreichen die Redaktion Hassmails. Die Verfasser fordern sie zum Beispiel auf, keine Stimmung gegen die AfD zu machen. Manche Drohbriefe sind mit Todeswünschen und Morddrohungen versehen. „Wir haben gelernt, uns davon zu distanzieren und uns nicht davon fertig machen zu lassen“, sagt Laschyk. Das heißt: Er veröffentlicht Drohmails zum Beispiel auf seinem Blog und kommentiert sie sarkastisch.

2. Hass-Kommentare, die unter ihren Beiträgen und Posts erscheinen, löscht die Redaktion rigoros. „Populisten versuchen immer, die Meinungshoheit zu gewinnen. Sie wollen einen gesunden Diskurs zerstören“, sagt Laschyk. Deshalb bietet er ihnen keine Plattform und nach Möglichkeit auch keine Auf­merksamkeit. „Jeder hat ein Recht auf eine eigene Meinung, aber niemand hat ein Recht auf eigene Fakten“, sagt Laschyk.

3. Populisten versuchen immer wieder, die Arbeit der Volksverpetzer zu diskreditieren. Einmal verbreitete der Verschwörungstheoretiker-Kanal KenFM, dass die Redaktion von Bill Gates unterstützt werde. Dagegen ging Laschyk offensiv vor. Das heißt: Nicht bloß antworten. „Besser ist es, wenn man sich des Priming-Effekts bedient, einen Artikel erstellt und darin die eigene Aussage, nämlich dass KenFM lügt, prominent platziert.“

Zur Person: Thomas Laschyk (29) baute den Faktenchecker-Blog neben seinem Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft auf. Heute besteht das Volksverpetzer-Team aus 18 ehrenamtlichen Helfern, die Beiträge lektorieren, manchmal selbst Faktenchecks schreiben und die Aktivitäten von bekannten Verschwörungsideologen beobachten.

Kristina Wollseifen ist Redakteurin in der Kölner Wirtschaftsredaktion Wortwert.

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