Jörg Radek

"Notfalls wird eine Demo aufgelöst"

04.12.2020

Trotz eindringlicher Appelle und Analysen gehen die Angriffe auf Journalist*innen weiter. Spannungen zwischen Presse und Polizei nehmen zu. Nach der Leipziger Querdenken-Demo Anfang November rücken nicht nur zum wiederholten Mal Übergriffe auf Reporter*innen in den Fokus, sondern auch das pressefeindliche Auftreten mehrerer Polizist*innen. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, räumt ein: Es gibt Klärungsbedarf – nicht nur bei der Polizei. Interview: Michael Kraske.

Jörg Radek ist seit 2010 stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. (Foto: GdP/Hagen Immel)

journalist: Nach der Leipziger Querdenker-Demo am 7. November berichten Reporter*innen und Verbände von etlichen Behinderungen ihrer Arbeit durch Polizeibeamt*innen: von Platzverweisen und Androhungen, körperlichen Zwang anzuwenden und sogar den Presseausweis zu entziehen. Wie erklären Sie sich solche massiven Eingriffe in die journalistische Arbeit?

Jörg Radek: Die Aggressivität gegenüber der Presse und auch der Polizei wird bewusst geschürt. Das macht Versammlungslagen wie in Leipzig schwierig, und es wird wohl auch bei folgenden Demos schwierig bleiben. Es gab eine große Zahl von Versammlungsteilnehmern, bei denen das Aggressionspotenzial schwer einzuschätzen war und sich dies erst später darstellte. Bei diesen sogenannten Hygienedemos tun wir uns als Polizei schwer, eine einheitliche Gefährdungsprognose zu erstellen. Diese Demos sind ein neuer Versammlungstyp, der uns vor neue Herausforderungen stellt. Wir müssen dabei mäßigend auftreten, wir wollen die Versammlungsfreiheit sicherstellen und gleichzeitig die freie Berichterstattung ermöglichen. Das ist ein schwieriger Balanceakt.

Noch vor kurzem haben Sie in einem journalist-Beitrag den Vorwurf zurückgewiesen, Polizeibeamt*innen würden Reporter*innen auf Demos mitunter wie Störenfriede behandeln. Haben Sie das Problem unterschätzt?

Bitte gestatten Sie, ich hatte mich skeptisch gezeigt ob der von Ihnen geschilderten Wahrnehmung. Bei den Querdenker-Demonstrationen haben wir einen Veranstalter, der auf ganz subtile Weise versucht, seine Botschaft zu vermitteln: Bei diesen Versammlungen erfolgen immer neue Provokationen vonseiten des Veranstalters. Das erfordert ein hohes Maß an Konzentration von den eingesetzten Beamtinnen und Beamten. Die müssen permanent abwägen und entscheiden: Wie reagiere ich auf diese neue Provokation? Da kann es durchaus vorkommen, dass Berichterstattung als Belastung empfunden wird. Wir müssen uns sicherlich auf veränderte Lagen einstellen, gar keine Frage.

Ein Beispiel: Ein Kollege, der für den Spiegel in Leipzig gedreht hat, berichtet, dass er mit seinem Team von aggressiven Reichsbürgern umringt und bedrängt wurde. Daraufhin sei ein Beamter der sächsischen Bereitschaftspolizei gekommen und habe ihn aufgefordert, auf Abstand zu gehen und das Geschehen von außen zu filmen. Was halten sie davon, wenn die Polizei nicht gegen Störer vorgeht, sondern gegen Journalist*innen, die ihre Arbeit machen?

Ich gebe keine Schulnoten für Einsätze, bei denen ich nicht vor Ort war. Ich bin nicht der Bundeslehrer für Polizeieinsätze. Es wäre jetzt sehr bequem zu sagen, was man hätte anders machen müssen. Das sind oft Augenblicksentscheidungen. Um die zu bewerten, muss man die jeweilige Situation genau kennen.

Was macht es denn bei den Demos von Querdenken so schwierig?

Wir müssen uns diesen Veranstalter noch einmal sehr genau ansehen. Querdenken lädt zwar Gruppen wie Reichsbürger und Hooligans ein, dabei zu sein, entzieht sich aber der Verantwortung, wenn die dann provozieren. Dann rechtfertigt sich der Veranstalter in etwa so: Das sind nur Einzelne, auf die man keinen Einfluss habe. Die Behörden müssen die Einsätze auswerten und ihre Strategie entsprechend anpassen.

Derzeit wird offenkundig das Versammlungsrecht von den Sicherheitsbehörden höher bewertet als die Pressefreiheit. Die wird im Zweifel für einen friedlichen Verlauf der Demo geopfert. Darf das so bleiben?

Ich akzeptiere Ihre Einschätzung, möchte jedoch auf suggestive Fragen nicht eingehen. Im konkreten Fall hat das OVG Bautzen die Versammlungsfreiheit unter Auflagen über die „körperliche Unversehrtheit“ gestellt. Der friedliche Verlauf einer Versammlung hat prinzipiell oberste Priorität. Dazu gehört eine ungehinderte Berichterstattung.

"Querdenken lädt zwar Gruppen wie Reichsbürger und Hooligans ein, dabei zu sein, entzieht sich aber der Verantwortung, wenn die dann provozieren."

Wir stehen jedoch vermehrt vor einem grundsätzlichen Problem: Mit Querdenken tritt ein Veranstalter auf, der die Versammlungsfreiheit dazu missbraucht, die staatlichen Regeln zu unterlaufen. Eigentlich soll das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ja eine Bühne für die Meinungsfreiheit schaffen. Aber dieser Veranstalter will gar nicht, dass die freie Presse über seine Versammlungen berichtet, sondern es geht darum zu provozieren, damit die Staatsmacht massiv auftritt. Es soll so aussehen, dass sich Presse und Polizei gemein machen.

Das Problem ist ja nicht neu. Spätestens seit Pegida gibt es Angriffe auf Journalist*innen und den Versuch, jegliche freie Berichterstattung zu verhindern. In Leipzig sollen mehr als 40 Kolleg*innen beleidigt, bedroht oder angegriffen worden sein. Was kann die Polizei konkret ändern, damit Reporter*innen künftig bei pressefeindlichen Demos überhaupt noch arbeiten können?

Das Brokdorf-Urteil von 1985 schreibt vor, dass Beteiligte bei Demos jegliche Provokation zu unterlassen haben. Der Staat hat sich weitgehend rauszuhalten. Ihr Anspruch richtet sich zu Recht an die Polizei. Aber müsste er sich nicht zunächst an den Veranstalter der Querdenker-Demos richten?

Aber die Polizei ist doch gerade dann zuständig, wenn sich Demoteilnehmer bewusst nicht an die Regeln halten, wenn sie Dreharbeiten stören oder gewalttätig werden. Die Polizei ist ja für ihren Einsatz in Leipzig, wo Polizei und Presse angegriffen wurde, heftig kritisiert worden. Zu Recht?

Es geht immer um Verhältnismäßigkeit. Den Durchbruch auf dem Leipziger Ring hätten wir wahrscheinlich verhindert, wenn wir in drei Reihen aufmarschiert wären. Aber welche Bilder hätten wir dann gehabt. An jenem Ort, wo vor 31 Jahren Menschen gegen eine Diktatur aufgestanden sind. Der Veranstalter hätte Bilder provoziert, die die Polizei als Büttel einer Gesundheits-Diktatur darstellt.

"Wir wären zur Wahrung der Pressefreiheit verpflichtet, den Schutz von Journalisten zu übernehmen. Aber über das Bild, das sich dann ergibt, muss man sich im Klaren sein."

Man kann das auch ganz anders sehen: Der Staat darf gewalttätige Neonazis und Hooligans nicht gewähren lassen, sondern ist im Gegenteil verpflichtet, sie aufzuhalten. Auch und gerade auf dem symbolträchtigen Leipziger Ring.

Noch mal – das geht dann nicht ohne massive Gewalt ab. Und hinter einigen Hundert Gewalttätern standen an jenem Novembertag 20.000 andere Teilnehmer.

Gewalt richtet sich auf der Straße inzwischen regelmäßig gegen Journalist*innen. Warum fällt es der Polizei so schwer, sie besser zu schützen? 

Wir wären zur Wahrung der Pressefreiheit dazu verpflichtet, den Schutz von Journalisten zu übernehmen. Aber über das Bild, das sich dann ergibt, muss man sich im Klaren sein.

Welches Bild meinen Sie genau?

Halten Sie es für ein gutes Bild, wenn Journalisten anders behandelt werden als andere Teilnehmende? Womöglich müssen wir auch eine Diskussion darüber führen, ob es immer notwendig ist, sich bewusst in offensichtliche Konfliktzonen zu begeben? Sicher ist, dass wir vor dem Hintergrund der Dynamik solcher Demonstrationen das Sicherstellen körperlicher Unversehrtheit der Berichterstatter neu denken sollten.

Der Deutsche Presserat hat jetzt noch mal angemahnt, eine neue Arbeitsgrundlage zwischen Presse und Polizei zu schaffen. Schließen Sie sich dieser Forderung an?

Den veralteten Verhaltenskodex zu überarbeiten, ist sinnvoll, allein schon deshalb, um die Digitalisierung zu berücksichtigen. Was mir fehlt, ist, den Veranstalter von Demos und Versammlungen stärker in die Verantwortung zu nehmen.

Seit Pegida groß wurde, ist immer wieder das Spannungsverhältnis zwischen Presse und Polizei thematisiert worden. Aber die Angriffe gehen weiter. Was also tun?

Die Polizei muss ihre Taktik an Veranstalter anpassen, die auf Provokation aus sind. Aber was auf der Straße abläuft, ist nicht allein Aufgabe der Einsatzleitungen. Das liegt auch in der Verantwortung der Versammlungsbehörden, die Auflagen so formulieren müssen, dass explizit die freie Berichterstattung garantiert werden muss. Und zwar nicht nur von der Polizei, sondern auch vom Veranstalter. Wenn sich dann ein Anmelder nicht daran hält, müsste das ein Grund sein, die Versammlung oder Demo aufzulösen.

Würde es helfen, wenn Beamt*innen im Alltag grundsätzlich früher eingreifen, beispielsweise schon beim obligatorisch gewordenen Griff in die Kamera?

Entscheidend sind die Vereinbarungen im Vorfeld. Die Versammlungsbehörden sollten Veranstalter darauf hinweisen, dass eine Demo notfalls aufgelöst wird, wenn Journalisten bei ihrer Arbeit behindert werden. Und diese Direktive sollte dann auch an die Einsatzleitungen weitergegeben werden. Die Polizei ist ein lernfähiges System.

Michael Kraske arbeitet als Journalist und Buchautor in Leipzig.  

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