WIE MACHEN WIR DEN JOURNALISMUS WIDERSTANDSFÄHIGER?

Rettungsboot Wissenschaftsjournalismus – und was uns nach der Pandemie erwartet

23.09.2021

Egal, ob es um Themen wie Klimawandel oder die Pandemie geht: In jedem journalistischen Team und jeder großen Redaktion sollte ein Wissenschaftsjournalist vertreten sein, sagt Nicola Kuhrt. Durch die wirtschaftliche Krise vieler großen Häuser könnten Nischenprodukte hier immer größere Bedeutung zukommen. Text: Nicola Kuhrt.

Nicola Kuhrt: "In großen Redaktionen sollte mindestens immer ein Wissenschaftsjournalist sitzen." (Foto: Sandra Birkner)

Das gab es noch nie. Im Interview mit dem NDR-Medienmagazin „Zapp“ erklärte Virologe Christian Drosten vergangenen März: „Ich sehe als Wissenschaftler, der mit Journalisten spricht und auch Pressekonferenzen miterlebt, sehr deutlich den Unterschied zwischen politischer Berichterstattung und Wissenschaftjournalismus. Ich nehme einen sehr deutlichen Unterschied in der Fragestellung wahr und ich finde es nicht nur neutral, sondern auch kontraproduktiv, wie politische Journalisten im Moment fragen.“ Die Bundespressekonferenz habe er zuletzt als Zeitverschwendung empfunden. Es sei nur nach leeren Fußballstadien und dem CDU-Parteitag gefragt worden, anstatt inhaltliche medizinische Fragen zu beantworten.

Wissenschaftsjournalisten konnten sich angesichts des Lobs von prominenter Stelle freuen und auch in ihrem Rollenverständnis bestätigt fühlen. Ein neues Selbstbewusstsein schadet nicht, zeigte sich in der Pandemie – so schrecklich die Folgen sind – doch der eigentliche Antrieb und die Bedeutung des Wissenschaftsjournalismus. Längst geht es nicht mehr darum, ein Übersetzer wissenschaftlicher Erkenntnisse zu sein, also verlängertes Sprachrohr einzelner Forscher. Es geht heute um kritische Einordnung, Suche nach Evidenz und darum, vermeintliche von echten Experten zu trennen. Es geht um fachliche Prüfung veröffentlichter Studien und wissenschaftlicher Statements und darum, unabhängig zu berichten. Mit Blick auf die Verantwortung, was man schreibt. Auch langfristig. Ob zum Klimawandel oder eben in der Pandemie: Was ist zu einem aktuellen Zeitpunkt über Sars-CoV-2 bekannt, was sind bloße Mutmaßungen?

Einen Keil zwischen die Ressorts treiben

Drostens Aussage treibt zugleich einen Keil zwischen die Ressorts: Auf der einen Seite die Politik- und Wirtschaftsjournalisten, auf der anderen die Wissenschaftsjournalisten. Letztere wollen gar nicht Besonders sein, aber sie sind es qua Ausbildung und Expertise natürlich doch. So wie man von einem Nahost-Korrespondenten erwartet, dass er sich sehr gut auskennt mit der inneren Struktur und Historie der Länder und ihrer Konflikte, so gilt das auch für jene, die sich auf den Konfliktfeldern der Wissenschaft bewegen.

Manche Dinge kann ein Wissenschaftsjournalist besser, genauso wie ein Kulturjournalist besser über Theaterstücke schreiben kann. Oder die Sportjournalistin über ein Fußballspiel. Ein Wissenschaftsjournalist würde sich zum Beispiel bei der Frage, ob ein neuer Corona-Impfstoff für Menschen über 65 Jahre geeignet ist oder nicht, niemals einzig auf die Einschätzung einzelner Politiker und Behörden verlassen. Die Zeile war aber schnell platziert, sie ist nur leider falsch. Am Ende entstand ein Wirrwarr an Meldungen, die sich teils widersprachen und die Menschen in der Pandemie noch mehr verunsicherten.

Drostens Feststellung sollte daher nicht zum Positions- oder Verteidigungskampf zwischen den Ressorts werden, sondern endlich zu der Überlegung führen, gewisse Themen in Redaktionen von Beginn an anders anzufassen. Der Nachrichtenbedarf der Gesellschaft ist mit wissenschaftlichen Entwicklungen etwa in der personalisierten Medizin, der Künstlichen Intelligenz, mit dem Klimawandel oder eben jetzt durch die Pandemie ein anderer geworden.

„In Teams sollte immer auch ein Kollege aus dem Wissenschaftsressort sein.“

Wenn es um Themen mit Wissenschaftsbezug geht, haben Wissenschaftsjournalisten die Fähigkeit, diese umzusetzen. Doch dieses Verständnis ist längst keine Selbstverständlichkeit. In Teams sollte immer auch ein Kollege aus dem Wissenschaftsressort sein. Und in großen Redaktionen – auch bei den Öffentlich-Rechtlichen – sollte mindestens immer ein Wissenschaftsjournalist sitzen – damit nicht doch in Spät- oder Sonntagsdiensten Meldungen durchrutschen, die die Öffentlichkeit verunsichern oder falsch informieren.

„Den Unterschied machen also nicht starke Meinungen, sondern sorgfältige Recherchen und die strenge Suche nach echter Expertise, die Orientierung liefert“, beschreibt es Volker Stollorz, Leiter des Science Media Centers Deutschland kürzlich in einem Essay für die Zeit. „Direkt aus der Forschung aber ergießt sich tagtäglich eine wahre Springflut von Informationen über daten- und nachrichtenhungrige Medienkonsumenten. Neben der Wissenschaft ist es der Wissenschaftsjournalismus, der wegen seiner Sortier- und Bewertungsfunktion systemrelevant wird, wie bereits zu Zeiten von Tschernobyl und Fukushima. Breite Teile der Bevölkerung suchten nach verlässlichen Informationsquellen.“

Natürlich können Journalisten nach leeren Fußballstadien fragen. Wann aber sollten Emotionen im Vordergrund stehen, wann sollte man im Sinne der Öffentlichkeit andere Dinge in den Vordergrund stellen? Gute und verlässliche Meldungen zum Geschehen rund um Corona sind tatsächlich lebenswichtig. Gute Informationen tragen zu einer aufgeklärten Öffentlichkeit bei, die Fehlinformationen erkennen und einsortieren kann.

Fake News: Impfen macht Bill Gates noch reicher

Doch im Gewirr der vielen lauten Stimmen und verwirrenden Nachrichten, gemischt mit politisierten Debatten, gehen Berichte über verlässliches Wissen vielfach unter, beschreibt Volker Stollorz. Gemeint ist das populistische Geschrei großer Boulevardmedien, man denke an die Bild-Kampagne gegen eine frühe Studie von Drosten. In den sozialen Medien blühen derweil Verschwörungsmythen, etwa dass Impfen wahlweise unfruchtbar macht, unser Erbgut verändert oder – der Klassiker – Bill Gates noch reicher. In Foren und auf dem Messenger-Dienst Telegram mischen sich Querdenker und Impfskeptiker, formulieren trotzig ihre Weltsicht. Dank Internet, dank Social Media kann jeder alles publizieren.

Natürlich hat die mediale Weiterentwicklung viele gute Seiten. Mehr Lesernähe, mehr direkter Diskurs, mehr Debatten, und dadurch mehr Möglichkeiten, journalistisch zu arbeiten. Aber mit der Zunahme an Plattformen macht sich ein oftmals destruktiver Ton in den Foren und Kommentarspalten breit. Fake News schaffen es, große Aufmerksamkeit zu erzielen, während die Tatsachen nicht wahrgenommen und Korrekturen kaum vernommen werden.

„Journalisten haben ihre Rolle als Gatekeeper verloren“, diagnostiziert der frühere Wissenschaftsjournalist Alexander Mäder im Wissenschafts-Medienblog Meta. Journalistinnen und Journalisten entschieden schon lange nicht mehr darüber, welche Nachrichten und Analysen wichtig genug sind, damit die Öffentlichkeit von ihnen erfährt. „Diese Aufgabe haben zu einem guten Teil die Algorithmen von Google und Facebook übernommen“, schreibt Mäder. Diese Algorithmen orientierten sich dabei nicht am gesellschaftlichen Interesse, sondern an den Präferenzen der Nutzer und der Menschen in ihrem Umfeld. Die Stärkung des öffentlichen Diskurses sei eine Errungenschaft, die wir nicht aufgeben sollten. Doch sie führe zu einer Flut an Beiträgen, die man als Einzelner kaum überblicken könne.

Gatekeeping hat daher weiterhin einen wichtigen Wert, befindet Mäder: Wissenschaftsjournalisten können die öffentliche Debatte bereichern, weil sie die Dinge aus einer anderen Perspektive beobachten und – möglichst unabhängig von Politik, Wirtschaft und Interessensverbänden – Orientierung geben.

Wie wichtig der Faktencheck durch Journalisten ist, und welche fatalen Auswirkungen es haben kann, dass die Wirkkraft von Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten stark geschwunden ist, zeigt sich etwa an dem Wunsch der Menschen in Deutschland, sich gegen Corona impfen zu lassen. Auf dem Höhepunkt der Querdenker-Debatten im Herbst 2020 sank die Bereitschaft auf Werte um 60 Prozent. Zu niedrig, um den erforderlichen Gemeinschaftsschutz gegen Corona zu erreichen.

Falschinformationen in den Medien sind längst zum gesellschaftlichen Problem geworden. Cailin O'Connor, Professorin für Logik und Wissenschaftsphilosophie an der US-University of California, hat das Feld untersucht:

„Unsere Annahme war, dass Informationen, die man von jemandem bekommt, der anders ist als man selbst, als weniger zuverlässig eingestuft werden. Der Effekt auf die eigene Überzeugung ist nicht so stark, wie wenn jemand etwas sagt, dem wir wirklich vertrauen. Und was wir beobachtet haben, ist: Ein bisschen dieser ungleich verteilten Skepsis reicht aus, das Netzwerk zu polarisieren. Es entstehen zwei Lager, die unterschiedliche Ansichten vertreten und einander so wenig glauben, dass sie niemals einen Konsens erreichen werden.“

"Es geht heute um kritische Einordnung, Suche nach Evidenz und darum, vermeintliche von echten Experten zu trennen."

Und mitten in diesen Lagern und Netzwerken recherchieren und publizieren Journalisten. Die Herausforderung, über Wissen und Wissenschaft zu berichten, ist auch deshalb groß. Wissen ist unsicher, wissenschaftliches Wissen durch Vorläufigkeit gekennzeichnet. Die Wissenschaft versucht, durch Forschung, die Überprüfbarkeit und Wiederholbarkeit zulässt, Verlässlichkeit zu schaffen, Wissenschaftsjournalisten arbeiten mit ihren Quellen.

Befreiung aus dem ewigen Exotenstatus

In Zeiten von Social Media und Fake News muss dies allerdings wesentlich schneller gehen, als das noch vor einigen Jahren der Fall war. Zudem hat die pure Arbeitszeit, die einem einzelnen Journalisten für seine Recherche zur Verfügung steht, deutlich abgenommen. Die Pandemie sollte der Moment sein, die Gewichtung von Ressorts in den Medien auszubauen: Wissenschaft sollte aus dem ewigen Exotenstatus befreit werden.

Dabei funktioniert Journalismus generell nicht nach den üblichen Regeln des Marktes und das aktuelle Geschäftsmodell kränkelt bekanntermaßen seit langem. Eine wachsende Nachfrage nach Wissenschaftsnews führt somit nicht unbedingt zu höheren Einnahmen in den Medienhäusern. Trotz steigender Klick- bzw. Verkaufszahlen gerade bei Wissenschaftsthemen schicken Verlage ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit oder schließen wortlos ganze (Wissenschafts-)Ressorts. Weitere Verlage gehen davon aus, bald Mitarbeiterinnen  und Mitarbeiter kündigen zu müssen. Die im Zuge der Coronakrise gekürzten oder gar komplett gestrichenen Budgets besonders im Rundfunk für freie Autorinnen und Autoren werden nicht zurückkehren.

Direkt betroffen sind auch viele Freie – viele Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten sind wiederum genau das. Es werden also eher weniger als mehr Menschen sein, die die systemrelevante Arbeit der Wissenschaftsjournalistinnen als Gatekeeper leisten können.

Meist wird vor allem über den Ist-Zustand der Medien diskutiert, doch es kommen langsam neue Lösungsansätze ins Spiel. Zwei Beispiele: Noch wenig bekannt ist eine langsam wachsende dritte journalistische Säule, die sogenannten Indie-Startups. Das sind Blogs, Podcasts und Online-Magazine wie „Übermedien“, „Perspective Daily“, „Riff Reporter“ oder auch „MedWatch“, das Hinnerk Feldwisch-Drentrup und ich gegründet haben. Nischenprodukte, sicher, aber sie erfüllen einen großen Informationsbedarf. Und alle finanzieren sich zumeist über Abos, die ihre Leser online abschließen.

Oder das bereits erwähnte Science Media Center, das als Recherchehilfe für Wissenschaftsjournalisten gestartet ist und in der Coronakrise endgültig zum unverzichtbaren Rettungsboot für einen evidenzbasierten Wissenschaftsjournalismus geworden ist.

Weitere Ideen gibt es zu genüge. Was fehlt, ist das Geld, sie umzusetzen. Oder sie gerade im Transformationsprozess weiterzuentwickeln. Aus der kommunikationswissenschaftlichen Forschung wissen wir, dass es gerade in Deutschland an einer fördernden Infrastruktur für diese Pioniere fehlt. Der Verein der Wissenschaftsjournalisten, die Wissenschaftspressekonferenz (WPK), hatte hier einen neuen Ansatz ins Spiel gebracht: Warum nicht eine Stiftung für Wissenschaftsjournalismus aufbauen? Denkbar wäre etwa eine Anschubfinanzierung für journalistische Start-ups, Inkubatoren, aus denen skalierbare Projekte entstehen. Entscheidend für die WPK bleibt, dass die journalistische Unabhängigkeit gewahrt bleibt.

Beispiele dafür, dass mit Hilfe staatlicher Mittel nicht nur akut Löcher gestopft werden, sondern systematisch daran gearbeitet wird, Medienbiotope zu schaffen, sind die Niederlande oder Österreich. Die Stadt Wien hat 2020 ein staatliches Förderprogramm von 2,5 Millionen Euro an 23 innovative Medienprojekte ausgeschüttet. Vergleichbare Initiativen gibt es auch außerhalb Europas, etwa in Kanada oder Australien.

Es wird sich erweisen, welcher Weg der richtige sein wird, um den Wissenschaftsjournalismus zu erhalten und auf die nächste Stufe zu heben. Seien wir mutig.

Nicola Kuhrt ist freie Wissenschaftsjournalistin. 2017 gründete sie mit Hinnerk Feldwisch-Drentrup das Online-Magazin MedWatch, das 2018 den Netzwende Award für nachhaltige Innovation im Journalismus des Thinktanks VOCER.org erhielt. Kuhrt schreibt für den Stern, die Zeit und Brand eins. Von 2012 bis 2015 war sie Redakteurin im Ressort Wissenschaft bei Spiegel Online. 2015 ist sie zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt worden. Sie ist Vorstandsmitglied der Wissenschafts-Pressekonferenz, im Beirat von Pro Exzellenzia, Jury-Vorsitzende des Memento-Preises und seit 2019 Jury-Mitglied des Netzwende Awards.

Dieser Beitrag ist in einer Kooperation von Vocer und dem journalist entstanden.Vocer ist eine gemeinnützige Organisation für Medieninnovation und journalistische BildungsprogrammeDer Beitrag wird in dem Buch "Wie wir den Journalismus widerstandfähiger machen" erscheinen. Herausgeber sind Vocer-Mitgründer Stephan Weichert und journalist-Chefredakteur Matthias Daniel.

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