Tarifverträge

Wann, wenn nicht jetzt ...

12.03.2024

Tarife? Sind das nicht diese schrecklichen Biester, von denen sich gerade erst die Funke Mediengruppe und das Darmstädter Echo befreit haben? Text: Volkmar Kah

DJV-NRW-Geschäftsführer Volkmar Kah: "Tarifverträge sind ein ganz wichtiger Baustein, um unsere Branche für potenzielle junge Fachkräfte attraktiv zu machen." (Foto: DJV-NRW)

Nein, das sind die Regelungen, für deren Erhalt sich innerhalb von nur drei Tagen beim nordrhein-westfälischen Rahmenanbieter Radio NRW spontan drei Viertel der Belegschaft zusammengeschlossen haben. Das sind genau die Errungenschaften, für die Anfang Dezember vergangenen Jahres in Hessen die Kolleg:innen der Frankfurter Rundschau auf die Straße gegangen sind (siehe FR-Interview 03/2024) und die gerade bei Funke Medien bundesweit für eine konzernweite Mitarbeiter:innen-Bewegung sorgen. Warum? Weil die Belegschaften wissen, dass in Betrieben ohne Tarifbindung die Gehälter im Schnitt elf Prozent niedriger liegen.

Tarifverträge sind aber vor allem in Krisenzeiten wie diesen ein ganz wichtiger Baustein, um unsere Branche für potenzielle junge Fachkräfte attraktiv zu machen. Ich habe das vergangene Jahr gemeinsam mit unterschiedlichen Vertreter:innen aus Journalismus, Film- und Games-Branche auf Einladung der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei in einem Fachkräfte-Beirat verbracht. Ähnliche Initiativen gibt es übrigens auch in anderen Bundesländern.

In NRW haben wir gemeinsam am Ende mehr als 30 teilweise sehr konkrete Maßnahmen entwickelt. Über allem schwebten aber die Arbeitsbedingungen sowie die Notwendigkeit, der nächsten Generation Sicherheit und Entwicklungsperspektiven für und in unserer Branche zu geben. Denn der Trend weg vom „Traumberuf Journalist:in“ ist bundesweit lange nicht mehr zu leugnen. Sicherheit und Perspektive geben – genau das könn(t)en Tarifverträge leisten. Die sind nämlich nicht in erster Linie dazu da, Arbeitgeber zu knebeln, sondern können am Ende auch dafür sorgen, alle Potenziale eines Betriebes zu heben.

„Transformation braucht Mitbestimmung“ so lautete jüngst der Titel einer Fachtagung der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament. Ich gestehe, ich bin da ganz schön demütig raus. Warum? Weil Deutschland zwar in Sachen betrieblicher Mitbestimmung spitze ist, bei der tariflichen Entwicklung aber bestenfalls Entwicklungsland.

80 Prozent Tarifbindung mahnt die Europäische Kommission als Ziel im Kontext der Mindestlohnrichtlinie an. Übrigens nicht, weil man sich ex ante für Arbeitnehmerrechte einsetzen will, sondern weil alle einschlägigen Studien zeigen, dass das gut für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist. In Deutschland profitiert derzeit nicht einmal jede:r zweite Arbeitnehmer:in von einem Tarifvertrag. In unserer Branche noch viel weniger. Dabei könnte gerade der Journalismus angesichts der disruptiven Transformationsprozesse jede Hilfe gebrauchen.

Andere Branchen sind da schon weiter. Redet man mit Kolleg:innen der IG Metall oder aber auch Vertreter:innen des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, vermitteln die einen ganz anderen, kooperativen Geist der Sozialpartnerschaft. Da werden gemeinsam Wege gesucht und gefunden, die Lichtjahre weiter sind als das bloße (wichtige!) Streiten um Prozente oder Berufsjahresstaffeln.

Tarifpolitik muss sich ändern

Denn auch das gehört zur Wahrheit: Wenn wir als Gewerkschaft die Tarifbindung verbessern wollen, müssen auch wir unsere Tarifpolitik verändern. Das fordern insbesondere die jungen Kolleg:innen ganz offensiv ein. Dabei gibt es auch innerhalb unserer Branche bereits Best-Practice-Beispiele.

„Zeit statt Geld“ ist eines davon. Das aktuelle Angebot im Flächentarif Tageszeitungen können Beschäftigte für maximal zwei halbe Kalendermonate pro Jahr in Anspruch nehmen, insgesamt also für rund vier Wochen. Möglich ist auch die Aufteilung auf zwei Auszeiten in einem Kalenderjahr. Die Aufteilung in zweimal zwei Wochen verhindert, dass man aus der Krankenversicherung fällt.

Redakteur:innen, die in der obersten Tarifstufe sind, verdienen durch vier Wochen Auszeit brutto etwa 5.000 Euro weniger, einkommensteuermäßig sind in diesem Fall rund 200 Euro weniger zu entrichten. Ein Vorteil des Angebots ist, dass sich am Urlaubsanspruch nichts ändert: Es werden keine Tage abgezogen. Da der Anspruch im Tarifvertrag festgeschrieben ist, können tarifgebundene Arbeitgeber das Ansinnen nur aufgrund wichtiger betrieblicher Gründe ablehnen. In diesem Fall muss der Arbeitgeber dann aber eine Alternative unterbreiten.

Ein etwas anderes Modell gibt es bei einigen öffentlich-rechtlichen Sendern wie Deutschlandradio und dem WDR: Dort gibt es vergleichbare Angebote, die zwar kürzere Zeitkontingente umfassen, aber in anderer Hinsicht noch besser konstruiert sind. Beim Deutschlandradio sind es zehn Tage, beim WDR fünf Tage, die die Beschäftigten pro Kalenderjahr unter dem Stichwort „Selbstfinanzierter Zusatzurlaub“ nehmen können. Auch hier zahlt der Arbeitgeber für diese Tage in die Sozialversicherung ein, aber darüber hinaus beteiligt er sich an den Kosten. Deutschlandradio schießt 20 Prozent zu, der WDR sogar 30 Prozent, der eigene Kostenanteil fällt entsprechend geringer aus. Für den WDR heißt das: Je genommenem Zusatzurlaubstag wird das Monatsgehalt (Basis: 22 Arbeitstage) mit der jeweils nächsten Gehaltsabrechnung nicht um 1/22 gekürzt, sondern nur um 70 Prozent davon. Entsprechend rechnet es sich beim Deutschlandradio mit 80 Prozent von 1/22 pro Extra-Urlaubstag.

Auch geförderte Sportangebote, das Deutschlandticket zum reduzierten Preis oder, wie bei der Deutschen Welle, Zuschüsse zu Kinder-Betreuungskosten von immerhin tausend Euro steuerfrei pro Jahr sind bereits existierende und gut funktionierende Modelle. 

Aber wir werden mehr davon brauchen! Vor allem auch, um jungen Menschen gerecht zu werden, die nicht mehr ihr Leben in einem einzigen Job planen. „Wir brauchen weniger Möhren, die man uns für später vor die Nase hält und die dann doch verfrühstückt werden, bevor wir herankommen.“ Diesen Satz einer jungen Mutter habe ich bei den vielen Gesprächen rund um unsere NRW-Tarifbewegung so ähnlich häufiger gehört. Genauso wie den Hinweis, dass mehr Freizeit natürlich nur etwas bringt, wenn im Betrieb die Arbeit nicht liegen bleibt. Am Ende braucht es vermutlich verschiedene maßgeschneiderte Lösungen für die einzelnen Teilbereiche unserer Branche, vielleicht sogar für einzelne Betriebe. Das wird ganz sicher mehr Arbeit machen, mühsam werden. Aber ich finde, es lohnt sich. Lasst uns also den aktuellen Rückenwind auch aus der Politik mit den aus Brüssel vorgeschriebenen Aktionsplänen nutzen und uns auf den Weg machen – im Interesse der Kolleg:innen in den Betrieben und der Branche insgesamt.

Und so lange die Belegschaften mitmachen – siehe FR, Funke oder Radio NRW – haben wir gute Erfolgsaussichten. Frei nach Rio Reiser: Wann, wenn nicht jetzt? Wer, wenn nicht wir? Glückauf!

Volkmar Kah ist Geschäftsführer des DJV-Landesverbands Nordrhein-Westfalen.

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