Impulse

Warum ich trotz massiver Umsatzeinbrüche keine Kurzarbeit anmelde

04.04.2020

Nikolaus Förster ist Herausgeber und geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmermagazins Impulse. Wie viele andere Medienunternehmer fragte sich Förster in den vergangenen Tagen, wie es weitergehen kann. Statt auf Kurzarbeit zu setzen, hat sich Förster entschieden, einen anderen Weg zu gehen. Hier erklärt Nikolaus Förster seinen Plan.

Nikolaus Förster: "Ich musste nur noch das Formular ausfüllen. Und unterschreiben. Ich tat es nicht."

Tagelang lag der Antrag auf Kurzarbeit auf meinem Schreibtisch. Alles war vorbereitet. Chefredaktion und Verlagsleitung hatten konkrete Vorschläge gemacht, welche Mitarbeiter notfalls weniger arbeiten könnten. Ich musste nur noch das Formular ausfüllen. Und unterschreiben.

Ich tat es nicht.

Die Entscheidung fiel nachts um 1.30 Uhr. Den ganzen Abend lang hatte ich gerechnet: Ich kalkulierte, wie viel Personalkosten wir einsparen würden und überlegte, wie wir dies sachlich begründen könnten – gegenüber der Arbeitsagentur („Bitte legen Sie in einfacher Form den Grund des Arbeitsausfalls dar“) und dem Team. Warum sollte Kollege X um soundso viel Prozent reduzieren, Kollege Y dagegen weniger oder mehr? Würden wir damit die Neuausrichtung, die uns jetzt in der Krise fordert, noch schaffen? Je länger ich rechnete, desto kleiner wurden die zu erwartenden Personalkostenersparnisse – und desto unwohler fühlte ich mich. Irgendwann legte ich den Stift zur Seite. Ich hatte mich verrannt. Ich war in eine Sackgasse geraten.

"Ich überlegte mir ein anderes Konzept: eines, das versucht, jedem einzelnen Mitarbeiter gerecht zu werden, die Personalkosten aber dennoch deutlich reduziert."


Die bürokratischen Regeln der Bundesagentur für Arbeit, so meine Überzeugung, passten einfach nicht zu einem dynamischen Unternehmen wie impulse, das äußerst vernetzt arbeitet; alles greift ineinander. Vor allem aber passt solch ein Korsett nicht zu unserer Firmenkultur. Würden wir uns auf die Regeln der Behörde einlassen, so hätten wir zwar die Chance, wie inzwischen mehr als 470.000 andere Firmen in Deutschland substanzielle Zuschüsse zu erhalten. Zugleich aber verlören wir an Flexibilität. Überstunden wären unmöglich, weder offizielle noch heimliche oder geduldete – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Einhaltung der Regeln dieses Mal wohl noch stärker kontrolliert werden wird als nach der Finanzkrise vor zehn Jahren. Ist die kritische Phase erst einmal vorbei, in der die völlig überlasteten Arbeitsagenturen Anträge nur durchwinken, so wird der Staat sicherlich versuchen, einen Teil der Corona-Gelder wieder hereinzuholen – so die Einschätzung von Experten. Wie bewahre ich mir Flexibilität?

Kurz: Mit meiner Unterschrift hätten wir uns unternehmerische Fesseln angelegt – in einer äußerst kritischen Phase, in der es auf Schnelligkeit, Flexibilität und ein hohes Maß an Engagement ankommt. Kann ich mir das leisten – in dem Wissen, dass die nächsten Wochen und Monate über die Zukunft von impulse entscheiden werden?

Ich überlegte mir ein anderes Konzept: eines, das versucht, jedem einzelnen Mitarbeiter gerecht zu werden, die Personalkosten aber dennoch deutlich reduziert. Es ist ein Konzept, das nur aufgeht, wenn das gesamte Team daran glaubt, dass wir die massiven Umsatzeinbrüche tatsächlich ohne Kurzarbeitergeld auffangen und wir – mit weniger Ressourcen – gestärkt aus der Krise hervorgehen können. Nur mit diesem Vertrauen auf eine erfolgreiche Zukunft, nur mit dieser Perspektive lassen sich einschneidende Einsparungen mittragen. Lauter individuelle Lösungen

Möglich wird dies nur, wenn jeder Einzelne einen Beitrag leistet, so unterschiedlich dieser auch sein mag. Das impulse-Team besteht aus völlig verschiedenen Charakteren; sie unterscheiden sich aber auch darin, wie intensiv sie in einzelne Projekte und Abläufe eingebunden sind, wie viel Erfahrung sie haben und welche Verantwortung sie tragen, wie viele Stunden sie pro Woche arbeiten, wie groß ihr finanzieller Spielraum ist und wie stark sie zu Hause eingespannt sind, etwa in der Kinderbetreuung. Es macht einen Unterschied, ob jemand gerade als Single seine erste Stelle angetreten, eine Familie mit Kindern zu versorgen oder als Führungskraft vielleicht sogar einen Partner hat, der ein zweites Gehalt bezieht.

Einige Mitarbeiter werden mehr beitragen können, andere weniger: Für den einen mag es in Ordnung sein, die eigene Stelle eine Zeitlang zu reduzieren, zumal sich in der aktuellen Krise viele Aufgaben verändern. Andere Teammitglieder sind auch künftig so stark eingespannt, sodass dies schwerer fallen würde. Sie wären aber vielleicht bereit, eine Zeit lang auf einen Teil des Gehalts zu verzichten. Andere könnten ihren Urlaub vorziehen, unbezahlten Urlaub nehmen oder der Firma gar Urlaubstage schenken, so wie es einige aus dem Team schon angekündigt haben. Eine impulse-Mitarbeiterin fragte sogar, ob sie der Firma Geld spenden könne – in Form von Zukunftsabos, die einen finanziellen Beitrag zur Stützung von impulse leisten, zugleich aber auch Schülern, Studenten, Azubis und Trainees zugute kommen.

Kann dies gelingen? Es war eine kurze Nacht, aber eine produktive. Morgens hatte ich einen Plan. Er sollte, so meine Überlegung, drei Aspekte berücksichtigen, die jeder aus dem Team für sich abwägen sollte:

1.) Die Aufgaben:

Wie stark bin ich bei impulse eingebunden? Welche Aufgaben muss ich auch in der Krise unbedingt wahrnehmen? Welche könnte ich (in Absprache mit den Führungskräften) reduzieren oder Kollegen überlassen? Coronamäßig ausgedrückt: Was an meinen Aufgaben ist systemrelevant?

2.) Die private Situation:

Wie viel Zeit kann oder will ich – in Zeiten von Kontaktsperren – zu Hause verbringen? Habe ich die Chance, meine Arbeitszeit zu reduzieren und stattdessen mehr Zeit für meine Familie zu haben? Oder ist dies unzumutbar? Nutze ich das Mehr an Zeit vielleicht, um privat etwas zu machen, was ich mir immer vorgenommen, aber nie umgesetzt habe?

3.) Der finanzielle Spielraum:

Wie hoch sind meine aktuellen Ausgaben? Auf wie viel Geld könnte ich für wie lange verzichten? Habe ich die Möglichkeit, zum Beispiel als Familie öffentliche Zuschüsse zu erhalten – um bei einem eventuell geringeren Gehalt nicht so große finanzielle Einbußen verkraften zu müssen?

Ich war erleichtert, weil ich eine Lösung gefunden hatte, die mir selbst und unserer Firmenkultur entspricht. Sie beruht nicht auf Fesseln, die einem von außen angelegt werden, sondern auf Vertrauen – im mehrfachen Sinne: Zum einen muss das Team mir – als geschäftsführendem Gesellschafter – und meinen strategischen Entscheidungen vertrauen. Zum anderen muss sich das Team selbst zutrauen, solch eine Krise durchzustehen und gestärkt aus ihr hervorzugehen. Ich wiederum muss meinem Team vertrauen, dass jeder sich in dieser schwierigen Phase reinhängt, zugleich aber auch über persönlichen Verzicht dazu beiträgt, dass wir es schaffen können. Denn der gesamte Plan beruht auf Freiwilligkeit, nichts kann erzwungen werden. Dabei faire Lösungen zu finden und niemanden zu überfordern, ist schwierig. Es ist eine Gratwanderung. „Das ist verrückt!“

Und doch bin ich überzeugt davon, dass dies – für uns – der richtige Weg ist. Und so traf ich am frühen Mittwochmorgen eine einsame Entscheidung: gegen das vielfach angepriesene Mittel, das die Bundesregierung Mitte März im Eilverfahren beschlossen hatte: erleichtertes Kurzarbeitergeld. Ich schaltete mich per Videokonferenz mit der Chefredaktion und der Verlagsleitung zusammen. Ich erklärte ihnen, warum ich mich in der Nacht gedanklich vom Kurzarbeitergeld verabschiedet hatte und was ich stattdessen vorhatte. Für einen kurzen Moment waren sie überrascht, aber sie zogen mit. „Das ist verrückt“, kommentierte eine Führungskraft den Plan, „aber das passt zu uns. Das ist halt der impulse-way.“

Kurz darauf schalteten wir das gesamte Team per Videokonferenz dazu und ich erläuterte den Plan. Das Team war zunächst überrascht, schließlich hatte ich sie erst zwei Tage zuvor darauf vorbereitet, dass wir wahrscheinlich Kurzarbeitergeld beantragen müssten. Einige signalisierten Zustimmung, viele schwiegen – in solchen Situationen würde man sich wünschen, nicht digital, sondern persönlich kommunizieren zu können. Das aber geht in Corona-Zeiten nicht.

"Zu spüren, dass wir zumindest eine Chance haben, auf diese Weise durch die Krise zu kommen, und jeder auf unterschiedliche Art und Weise etwas dazu beitragen kann, fühlt sich gut an – auch wenn wir erst am Anfang sind."



Kurz nach unserem Teammeeting erhielt ich erste Vorschläge von Kollegen, worauf sie zu verzichten bereit seien. Ich freute mich, aber bremste sie zugleich: Ich wollte, dass sie ihre Entscheidungen auf einer guten Grundlage treffen – am besten auf den Recherchen der Redaktion, die ich gebeten hatte, alle Spielarten eines Lohnverzichts jenseits von Kurzarbeitergeld mit Experten auszuloten (hier sind die Recherchen, die wir gerade in unserem Corona-Portal veröffentlicht haben: corona.impulse.de/lohnkosten-senken/).

Zu spüren, dass wir zumindest eine Chance haben, auf diese Weise durch die Krise zu kommen, und jeder auf unterschiedliche Art und Weise etwas dazu beitragen kann, fühlt sich gut an – auch wenn wir erst am Anfang sind. Und doch finde ich es als Unternehmer schwierig, wenn Kollegen auf Geld oder Freizeit verzichten, die ihnen einmal zugesagt wurde. Meine eigenen Recherchen sind deshalb noch nicht zu Ende. Ich bin gerade dabei, gemeinsam mit Juristen zu überlegen, wie es gelingen kann, Gehälter zu stunden – aber so, dass keine Rückstellungen gebildet werden müssen; die das Jahresergebnis in die roten Zahlen drücken, und die Rückzahlung der einbehaltenen Beträge zugleich so geschieht, dass die Firma nach überstandener Krise nicht in Liquiditätsschwierigkeiten gerät. Ich bin dran. Gelingt uns dies, hätten wir eine Lösung, die nicht jedem abverlangt, nur auf mein Wort zu vertrauen. In einem Management Buy-out übernahm Impulse-Chefredakteur Nikolaus Förster 2013 das Unternehmermagazin von Gruner+Jahr und gründete einen eigenen Verlag. Er baute die Marke zu einem Netzwerk aus und startete in der Krise das Portal corona.impulse.de – mit Briefings, Experten-Fragerunden und täglichem Erfahrungsaustausch mit Unternehmern. Dieser Text erschien zuerst auf Försters Blog Hinter den Kulissen von Impulse.
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