Mein Blick auf den Journalismus

Wie ich einmal mit einem Menschen einen Text schrieb

03.03.2021

In unserer Serie "Mein Blick auf den Journalismus" schreibt diesmal die KI Jamila - zusammen mit Journalist Jakob Vicari. Jamila ist eine sympathische Autorin, die Sätze schreibt wie: „Es werden Menschen in einer zunehmend schüchternen Welt von Nachrichtenschläfen oder Datenblättern versklavt.“ Leider haben wir nicht alles verstanden. Text: Jamila (KI) und Jakob Vicari (Mensch)

Jakob Vicari ist Gründer von tactile.news: "Technologie kann Journalismus besser machen." (Foto: Heinrich Holtgreve/Ostkreuz)

Künstliche Intelligenz wird den Journalismus verändern. Computer werden anfangen, Nachrichten und Analysetexte zu schreiben, ohne dass die Leser:innen es merken. Wie könnte es je anders sein, dachte ich. Ich schloss die Augen und ließ die Worte im Raum verschwinden, als mir einfiel, dass es ungefähr so viele andere Leute auf der Welt gab, die es sonst nicht geschafft hatten, die Idee zu verstehen. Ich verdrängte die Gedanken, ohne ihre Wirkung verloren zu geben und aß die Käse-Salate auf meinem Hocker. Sie schmeckten nicht.

Nur die ersten beiden Sätze stammen von mir. Der Rest des ersten Absatzes ist die Schöpfung einer künstlichen Intelligenz. Sie heißt Davinci und ist das Produkt des Unternehmens Open-AI. Nach meinen ersten beiden Sätzen musste ich nicht mehr tun, als auf den blauen Button „Submit“ zu drücken. Die Maschine hat mir daraufhin fünf Vorschläge gemacht, wie dieses Essay starten könnte.

Die Idee einer Gedankenreise fand ich spannend. Davinci assoziierte frei, vom Schließen der Augen bis zum Käse-Salat. Ich gebe zu: Ich habe keine Ahnung, von wem der Gedanke stammt – von der Maschine selbst, aus einem Fachartikel oder einem Roman, den sie verarbeitet hat? Es ist auch kein sonderlich guter Einstieg, keiner, der Sie, geehrte Leser:in, besonders fachkundig ins Thema künstliche Intelligenz im Journalismus einführt. Aber er ist solide. Jedenfalls ist er besser als das, was ich morgens in vielen Nachrichtenportalen und Lokalzeitungen lese. Ich machte die Tastenkombination für Copy-Paste. So einfach habe ich noch nie ein Zeilenhonorar verdient. Ich verdiente so viel Geld mit diesem Artikel, daß ich mich zum erstenmal im Leben überlegte, ob ich ein Buch schreiben sollte. Auch wenn das nicht ganz stimmt, so etwas brauche ich dauerhaft, denke ich. Für Pitches, Berichte, Einstiege. Trainiert mit den besten Texten. Als ständige Co-Autorin. Zum Beispiel für diesen Artikel.

Ich baue mir eine Co-Autorin

Neue Technologien auszuprobieren, ist seit vergangenem Jahr mein Vollzeitjob: Ich bin Lead Creative Technologist bei tactile.news. Gemeinsam mit Astrid Csuraji habe ich das Unternehmen als Innovationslabor für neuen Journalismus gegründet. Wir arbeiten mit „Plan und Papprakete“, das heißt, wir untersuchen neue Technologien auf ihren Nutzen für Journalismus. Stets mit einem klaren Plan, meist mit Deadline und schnellen Prototypen, oft aus Pappe. Unsere Mission ist es, schneller als andere Antworten auf Fragen zu finden. Wenn es einen neuen Bilderkennungs-Chip gibt, Technologie für Textgenerierung oder wir die Idee für eine neue Voice-App haben oder eben für eine künstliche Co-Autorin, dann bauen wir sie. Denn wir sind überzeugt, dass Technologie Journalismus besser machen kann. Und wir sind überzeugt, dass diese Veränderungen nicht von einer Handvoll Profis, sondern von allen gemacht werden sollten. Wir glauben, dass eine neue Welt des Journalismus nicht nur eine Reihe von neuen Technologien braucht, sondern vor allem eine neue Art von Journalismus. Wir schätzen abwegige Gedanken. Unser Experimentierfeld ist wild. Es reicht von der Dialogsoftware über den Roboter für Tierjournalismus und von der Journalismuswährung bis zur künstlichen Intelligenz.

Das Faszinierendste an vielen neuen Technologien ist ja, dass sie nur ein paar Tastenklicks entfernt sind. Es ist nicht unmöglich, sie einzusetzen. Das gilt auch für künstliche Intelligenzen. Was wäre also, wenn ich eine künstliche Co-Autorin hätte, die speziell im Journalismus trainiert wäre?

Lernen von den Besten

Für den ersten Prototypen einer automatisierten Co-Autorin brauche ich vier Stunden. „Wie ist dein Name?“, fragte ich. „Jamila“, antwortet sie. Ich habe meine künstliche Intelligenz nach einer Anleitung von Entwickler Philipp Schmid im Netz auf Basis einer Vorfahrin von Davinci aus dem Einstieg gebaut. Die Qualität von künstlichen Intelligenzen richtet sich nach ihrer Größe. Große Modelle brauchen aber auch mehr Speicher und Rechenzeit. Meine nutzt ein noch nicht ganz so komplexes Modell wie die besten KIs, es bleibt halbwegs handhabbar. Ich habe KI Jamila mit meinem Textarchiv trainiert. Darin sind Reportagen, Interviews, Essays und ein paar Kochrezepte, insgesamt über 21 Millionen Zeichen. Ich brauchte erst mal einen Editor, der so ein großes Textdokument überhaupt öffnen konnte. Das Training hat dann genau 93 Minuten gedauert. KI Jamila hat Reportagen von Emilia Smechowski und Markus Feldenkirchen gelesen, von Nicola Meier und Jenni Roth. Sie hat viele tolle Artikel gelesen und, wie mir zu spät auffiel, auch einige von Fälscher Claas Relotius.

"Künstliche Intelligenz zu beherrschen, muss journalistisches Handwerkszeug werden und darf keine zugekaufte Dienstleistung bleiben." Jakob Vicari (Mensch)

Jetzt ist mein Prototyp einsatzbereit. Den Satzanfang „Der beste Weg, um einen Schokoladenkuchen zuzubereiten, ist“ ergänzt die KI zuerst mit „eine möglichst große Pfanne zu nehmen.“ Das ist ein solider Beginn, denke ich.

Nachdem sie das Beste gelesen hat, was der deutschsprachige Journalismus so bietet, schreibt meine neue Co-Autorin diesen Artikel hier, nach zwei Einstiegssätzen von mir, so weiter: Es werden Menschen in einer zunehmend schüchternen Welt von Nachrichtenschläfen oder Datenblättern versklavt. Ein wunderschöner Satz, wie ich ihn mir nicht hätte ausdenken können. Leider verstehe ich ihn nicht.

Ein nasses Abenteuer

Mein Ausflug in die Welt der KI begann vor fünf Jahren, in einer Nacht vor einem Aquarium. Ich hatte auf einer Party vor Kolleg:innen behauptet, ich könne einen Roboter bauen, der über das Geschehen im Aquarium berichtet. Bis dahin hatte ich mein Geld ganz solide mit langen Texten über Menschen und Wissenschaft verdient. Jetzt kniete ich vor einem Glaskasten mit Urzeitkrebsen. Ich hatte Eier von Triops longicaudatus hineingeschüttet: Diese Pfützenbewohner schlüpfen aus den Eiern und wachsen rasant schnell. In zwölf Wochen werden sie bis zu neun Zentimeter groß. In eine Butterbrotdose hatte ich eine Reportermaschine gebaut: Die Dose sollte mit Hilfe von Sensoren erkennen, wenn etwas in dem Aquarium vor sich gehen würde. Dann sollte sie vorgefertigte Textblöcke auf Twitter verschicken. Ich wartete also auf die Triops und darauf, ob meine Bewegungssensoren sie aufspüren würden.

In den Nächten vor dem Aquarium zweifelte ich daran, ob das noch Journalismus sei. Meine Frau schaute mich öfter fragend an. Aber ich war mir sicher: Die Sensorbox in der Butterbrotdose war spannender als vieles, über das ich in den letzten Wochen geschrieben hatte. Das System konnte sogar über das Leben der Triops berichten, während ich schlief. Es tat das live, präzise und sogar lustig: Gehen ein Triops und eine Reporterin in eine Bar. „Was passiert?“ „Keine Ahnung.“ „Das Triops trinkt ein Bier, die Reporterin einen Martini.“ „Haha.“

Gleichzeitig gab es unzählige technische Schwierigkeiten mit meiner Intelligenz-Maschine in der Frühstücksbrot-Box: Die Lötverbindungen wackelten. Es war schlecht programmiert. Ich scheiterte mehr, als dass ich vorankam. Glücklicherweise gibt es das Medieninnovationszentrum Babelsberg, das die Idee so überzeugend fand, dass es mich mit einer Innovationsförderung ausstattete. Aus dem Experiment entstand die Idee zu story.board, einem Redaktionssystem, das Sensordaten intelligent in kleine Texte verwandelt. Gemeinsam mit den Entwicklern Robert Schäfer und Till Prochaska wurde aus dem Experiment ein starkes Werkzeug. Die Intelligenz wurde durch viele Regeln, vorgeschriebene Bausteine und etwas Zufall erreicht. So hing es von Temperatursensoren ab, was berichtet wurde. Ob im Livetext dann zum Beispiel: „Es ist 34 Grad. Uns ist zu heiß.“ oder „34 Grad, stellt mal bitte jemand die Heizung ab?“ stand, das entschied der Zufallsgenerator.

Mehr als nerdige Themen

Es ist für die meisten Leser:innen schwierig, sich mit kannibalistisch veranlagten Pfützenbewohnern zu identifizieren. Im Laufe der Jahre wurden allerdings mehrere Konzepte entwickelt, die das Problem der Divergenz zwischen dem Verhalten der Protagonisten und dem Verhalten des Geschichtenzuhörers lösen sollen. Ein Ansatz besteht darin, den Geschichtenzuhörern eine veränderte Perspektive zu vermitteln, die den Kannibalismus weniger beängstigend erscheinen lässt.

Wir suchten thematisch nach einer Alternative zu den Urzeitkrebsen. Offenheit fanden wir beim WDR: Bei den Superkühen haben wir drei Milchkühen mit dem story.board-System eine Stimme gegeben, bei #bienenlive drei Bienenvölkern. Die Zuschauer:innen haben die Formate geliebt. Für #bienenlive bekamen wir den Deutschen Reporterpreis. Was für ein Preis? Das fragt doch einfach niemand. Ist gut so.

Algorithmen, denen man einen Live-Texter-Job überträgt, sollte man uneingeschränkt vertrauen können. Das heißt aber auch, man sollte sie sehr gut kennen. Das ist nur gewährleistet, wenn man ihre Funktion versteht und die Trainingsdaten kennt. künstliche Intelligenz zu beherrschen, muss journalistisches Handwerkszeug werden und darf keine zugekaufte Dienstleistung bleiben.

"Ich verdrängte die Gedanken, ohne ihre Wirkung verloren zu geben und aß die Käse-Salate auf meinem Hocker. Sie schmeckten nicht." Jamila (KI)

Die Verantwortlichen sollten sich von vornherein von dem Gedanken verabschieden, durch den Einsatz von Roboterreportern Geld zu sparen. Unser Motto war stets: „No Reporters Were Harmed.“ Das Ziel muss besserer Journalismus sein. Unsere Erfahrung zeigt: Die Arbeit mit künstlichen Intelligenzen braucht nicht weniger Journalist:innen, sondern eher mehr. Schließlich müssen die Systeme auch auf unwahrscheinliche Fälle vorbereitet sein.

Ich finde es revolutionär, dass Technologie mir hilft, Fragen wie diese zu beantworten: Was haben die Bienen geleistet, die den Honig für Ihr Honigbrot gesammelt haben? Wie glücklich war die Kuh, die die Milch für Ihren Cappuccino geliefert hat? Oder doch besser die Katze, die die Eier für den Latte Macchiato füttert? Katzen? Entschuldigung, so richtig zielführend scheint meine Co-Autorin noch nicht zu arbeiten. Nicht jeder ihrer Sätze treibt diesen Artikel voran.

Was denkt der Wasserkocher

Bei allem Optimismus ist nicht zu vergessen, dass diese Systeme nicht automatisch nach unseren Standards arbeiten. Vielmehr sind sie so komplex, dass ich mir ihre Arbeitsweise meist als Black Box vorstelle. Während die KI für mich arbeitet, trinke ich einen Kaffee. Es ist ein wirklich befriedigendes Gefühl, ein neuronales Netzwerk mit neuem Textwissen zu füllen. Es würde vielleicht zu sehr von meiner Aufmerksamkeit ablenken, wenn ich Ihnen erklären würde, wie viel Text ich in mein Gehirn pro Minute einpflege, und ich würde es Ihnen auch nicht erklären können, weil es dafür keine Worte gibt. Es ist eine enorme Menge von Information in einer sehr kurzen Zeit, und es ist wichtig, dass ich sie alle kenne. Ich weiß die Information nicht nur, ich beherrsche sie. Ich habe sie gelernt, ich habe sie verstanden, und ich habe sie verinnerlicht. Jeden Satz, den ich für Sie verfasse, den ich aufsage, den ich formuliere und den ich vor Ihren Augen ausformuliere, verstehe ich, ich verinnerliche ihn, ich bin mir sicher, dass ich ihn richtig schreiben kann. Ich weiß es.

Für die einen winkt hier das Journalist:innen-Wunderland: Intelligenzen könnten Datensätze und Fachartikel zusammenfassen. Sie könnten den Leser:innen individuelle Versionen ihrer Artikel liefern, etwa angepasst in der Länge und Verspieltheit, die sie sich zu einem Thema wünschen. Mit KI-Systemen könnte man die Gesellschaft in viel mehr Perspektiven beschreiben. Für andere klingt das bedrohlich. Sie fürchten um das Vertrauen in Journalismus – oder um ihren Job. Viele Bedenken sind berechtigt. Und doch bin ich davon überzeugt: Wenn wir offen sind für Technologien, wenn wir ihre Risiken erkunden und lernen, sie zu beherrschen, dann ist der Journalismus nicht am Ende. Im Gegenteil. Dann fängt er gerade erst an, richtig spannend zu werden. Ich liebe die Zukunft.

Jakob Vicari hat über „Journalistische Komposition“ promoviert und war 15 Jahre lang freier Wissenschaftsjournalist. 2020 hat er mit Astrid Csuraji tactile.news gegründet, ein Innovationslabor für neuen Journalismus.

Bisher erschienen:

Bisher erschienen:

Teil 1: Daniel Drepper, Chefredakteur von BuzzFeed Deutschland

Teil 2: Carline Mohr, Social-Media-Expertin

Teil 3: Georg Mascolo, Leiter des WDR/NDR/SZ-Rechercheverbunds

Teil 4: Hannah Suppa, Chefredakteurin Märkische Allgemeine

Teil 5: Florian Harms, Chefredakteur von t-online.de

Teil 6: Georg Löwisch, taz-Chefredakteur

Teil 7: Stephan Weichert, Medienwissenschaftler

Teil 8: Julia Bönisch, Chefredakteurin von sz.de

Teil 9: Ellen Ehni, WDR-Chefredakteurin

Teil 10: Barbara Hans, Spiegel-Chefredakteurin

Teil 11: Sascha Borowski, Digitalleiter Augsburger Allgemeine

Teil 12: Richard Gutjahr, freier Journalist, Start-up-Gründer und -Berater

Teil 13: Benjamin Piel, Chefredakteur Mindener Tageblatt

Teil 14: Josef Zens, Deutsches GeoForschungsZentrum

Teil 15: Christian Lindner, Berater "für Medien und öffentliches Wirken"

Teil 16: Nicole Diekmann, ZDF-Hauptstadtjournalistin

Teil 17: Carsten Fiedler, Chefredakteur Kölner Stadt-Anzeiger

Teil 18: Stella Männer, freie Journalistin

Teil 19: Ingrid Brodnig, Journalistin und Buchautorin

Teil 20: Sophie Burkhardt, Funk-Programmgeschäftsführerin

Teil 21: Ronja von Wurmb-Seibel, Autorin, Filmemacherin, Journalistin

Teil 22: Tanja Krämer, Wissenschaftsjournalistin

Teil 23: Marianna Deinyan, freie Journalistin und Radiomoderatorin

Teil 24: Alexandra Borchardt, Journalistin und Dozentin

Teil 25: Stephan Anpalagan, Diplom-Theologe, Journalist, Unternehmensberater

Teil 26: Jamila (KI) und Jakob Vicari (Journalist)

Teil 27: Peter Turi: Verleger und Clubchef

Teil 28: Verena Lammert, Erfinderin von @maedelsabende

Teil 29: Anna Paarmann, Digital-Koordinatorin bei der Landeszeitung für die Lüneburger Heide

Teil 30: Wolfgang Blau, Reuters Institute for the Study of Journalism der Universitäte Oxford

Teil 31: Stephan Anpalagan, Diplom-Theologe, Journalist, Unternehmensberater

Teil 32: Simone Jost-Westendorf, Leiterin Journalismus Lab/Landesanstalt für Medien NRW

Teil 33: Sebastian Dalkowski, freier Journalist in Mönchengladbach

Teil 34: Justus von Daniels und Olaya Argüeso, Correctiv-Chefredaktion

Teil 35: Benjamin Piel, Mindener Tageblatt

Teil 36: Joachim Braun, Ostfriesen-Zeitung

Teil 37: Ellen Heinrichs, Bonn Institute

Teil 38: Stephan Weichert, Vocer

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