Juliane Leopold

"Wir müssen das Digitale stärker in den Mittelpunkt rücken"

26.02.2021

Das Jahr 2020 bescherte tagesschau.de und der Tagesschau-App Rekord-Nutzerzahlen. Trotzdem liegt der Fokus des Nachrichten-Schlachtschiffs noch immer auf dem linearen Fernsehen. Juliane Leopold, Chefredakteurin Digitales bei ARD-Aktuell, will das ändern. Sie hat für die Tagesschau zehn Punkte zur Stärkung des Digitalen formuliert. Text: Catalina Schröder

Juliane Leopold, Chefredakteurin Digitales von ARD-Aktuell. (Foto: Nadine Rupp)

Den Rekordwert verbuchten tagesschau.de und die Tagesschau-App im vergangenen Jahr am Tag nach der US-Wahl: 30 Millionen Visits. „Das war absoluter Wahnsinn“, sagt Juliane Leopold. Aber auch an einem normalen Nachrichtentag konnte sich die Redaktion von tagesschau.de 2020 nicht über ihre Nutzerzahlen beschweren: 6 bis 7 Millionen Menschen nutzten täglich die Website oder die App. Ein Plus von mehr als 100 Prozent: 2019 waren es rund 3 Millionen am Tag.

Hauptgrund für den Anstieg war die permanent angespannte Nachrichtenlage durch die Corona-Pandemie. Einen Peak gab es außerdem zu den US-Wahlen. Ein weiterer Grund war aber auch die sogenannte Mobile Offensive, die das Team rund um Juliane Leopold schon im Oktober 2019 gestartet hatte. „Wir sind lange Zeit davon ausgegangen, dass die Menschen unsere Inhalte hauptsächlich über den Desktop nutzen“, erklärt Leopold. „Inzwischen ist aber längst das Handy zum meistgenutzten Gerät geworden.“

Die tagesschau.de-Redaktion baute deshalb kräftig um: Viele Dienstschichten wurden in den frühen Morgen vorverlegt – nicht gerade zur Begeisterung der Mitarbeiter. „Aber die Handy-Nutzer brauchen uns und unsere aktuellen Inhalte viel früher als diejenigen, die uns erst im Büro am Desktop lesen: Sie wachen vielleicht schon mit einer Push-Meldung von uns auf, hören beim Zähneputzen die Tagesschau von gestern übers Handy und lesen beim Frühstück in der App weiter“, erklärt Juliane Leopold. Statt wie früher um 7 Uhr beginnen viele tagesschau.de-Dienstschichten jetzt schon um 6 Uhr. Schon vor Corona bescherte das der Redaktion mehr Leser im Netz.

Trotz dieses Erfolgs gibt es auch Kritik an der Redaktion: Die Website sei nicht mehr zeitgemäß, Frauen würden deutlich schlechter erreicht als Männer, der Ton sei häufig zu pessimistisch. Juliane Leopold hat für sich deshalb zehn Punkte identifiziert, an denen sie in den kommenden Jahren arbeiten möchte:

1. Wir wollen mehr Frauen erreichen! „Natürlich erreichen wir Frauen mit unserem Angebot, aber wir erreichen eben deutlich mehr Männer“, sagt Juliane Leopold. Dass Männer sich mehr für Nachrichten interessieren als Frauen, ist kein Tagesschau-Phänomen, sondern eines, das für viele Nachrichtenangebote gilt – das ist wissenschaftlich bewiesen, zum Beispiel durch Studien der Universität St. Gallen und den Digital News Report Australien von 2017. Die Tagesschau erreicht jedoch im Web noch weniger Frauen als über alle ihre anderen Ausspielwege. „Wir wollen hier in Zukunft mit mehr konstruktiven Ansätzen bei der Auswahl und Mischung unseres Nachrichtenangebots das Verhältnis ausgleichen.“

2. Wir wollen mehr junge Menschen erreichen! Die Zuschauer der 20-Uhr-Tagesschau sind rund 60 Jahre alt. Wenn nicht signifikant jüngere Zuschauer nachkommen, wird es eines Tages niemanden mehr geben, der die Tagesschau noch braucht. Die Nutzer der App und der Website sind mit rund 40 Jahren bereits deutlich jünger. Und in den sozialen Netzwerken erreicht die Tagesschau beispielsweise über Tiktok auch sehr junge Nutzer zwischen 13 und 17 Jahren.

„Wie wir es schaffen können, dass die ganz jungen Nutzerinnen und Nutzer uns nicht nur über die sozialen Netzwerke, sondern auch über die anderen Kanäle aufsuchen, ist eine unserer wichtigsten Fragen“, sagt Juliane Leopold. Eine Antwort habe man darauf noch nicht abschließend gefunden. Vielleicht kommen wir auch irgendwann zu der Erkenntnis, dass sehr junge Menschen eben am besten über die sozialen Netzwerke mit Nachrichten zu erreichen sind, weil diese Generationen unsere Marke dort erwarten, wo sie selbst aktiv sind.“

"Die Handy-Nutzer brauchen unsere aktuellen Inhalte viel früher als diejenigen, die uns erst im Büro am Desktop lesen."

3. Wir möchten auf Youtube stärker werden! Youtube ist für Juliane Leopold das Medium in den sozialen Medien, „in dem die Auseinandersetzung um gute Informationen derzeit geführt wird“. Es bereite ihr Sorgen zu sehen, dass Angebote dort mit Falschinformationen eine signifikante Zahl von Menschen erreichen. „Gerade für die junge Generation wird Youtube immer stärker zu einer Suchmaschine, mit der sie sich über das aktuelle Weltgeschehen informiert“, sagt Leopold. „Und da wollen wir noch stärker präsent sein, um auch unserem Auftrag nachzukommen und die Menschen mit unabhängigen Informationen zu versorgen.“ 

4. Wir brauchen mehr Hintergrund-Themen abseits der Tagesaktualität! Bislang liegt der Fokus von tagesschau.de und der App auf der Tagesaktualität. „Ich sehe meine Aufgabe aber auch darin zu schauen, wo wir uns als Nachrichtenmarke noch weiterentwickeln und welche Felder wir noch stärker besetzen können“, sagt Juliane Leopold. Ein ausbaufähiger Bereich sind für Leopold Hintergrund-Themen und Erklärvideos. „Corona ist ein gutes Beispiel, wie wir mit FAQ, Erklärstücken und Hintergrundinformationen seriös unserem Auftrag nachgehen können und dies unglaublich stark angenommen wird. Das sind Themenangänge, die teilweise über Wochen aktuell sind und mit denen wir auch neues Publikum auf unsere Seite ziehen können.“ 

5. Wir legen einen Fokus auf Suchmaschinenoptimierung! Suchmaschinenoptimierung ist für die Tagesschau zwar kein Neuland, bis vor wenigen Monaten setzte die Redaktion allerdings auf externe Beratung. Jetzt gibt es eine eigene SEO-Redakteurin im Team. Darüber hinaus sind die SEO-Expertinnen und Experten in den Landesrundfunkanstalten vernetzt. „Wir wollen dadurch langfristig deutlich mehr Menschen, die ihre Suche nach Informationen bei Google oder einer anderen Suchmaschine starten, auf unsere Seite lotsen“, erklärt Leopold. 

6. Wir brauchen ein Zusammenspiel von digital und linear! Bei einer großen Nachrichten­lage schauen immer noch viele auf die 20-Uhr Ausgabe der Tagesschau, sagt Juliane Leopold. Dabei würden die Menschen Eilmeldungen längst über ihre Smartphones verfolgen und nicht bis zur Nachrichtensendung am Abend warten. Langfristig möchte Leopold deshalb noch mehr zu einem Umdenken innerhalb der Redaktion kommen: hin zum Zusammenspiel von linearen und digitalen Ausspielwegen. Deswegen will die Tagesschau ihr Livestreaming auf Tagesschau24, Social Media und tagesschau.de ausbauen. 

7. Wir wollen mit personalisierten Inhalten experimentieren! Die Basis-Inhalte und der Überblick über die Nachrichtenlage sollen auch künftig für alle Nutzerinnen und Nutzer gleich bleiben. „Aber darüber hinaus wollen wir uns anschauen, wie personalisierte Inhalte bei unserer Nutzerschaft ankommen und Menschen, die beispielsweise besonders interessiert an Auslandsberichterstattung sind, zusätzliche aktuelle, aber auch hintergründige Informationen aus dem Bereich Ausland liefern“, sagt Juliane Leopold. Gerade in Zeiten, in denen die Nachrichtenlage ruhiger sei, könne das ein guter Weg sein, um die Menschen trotzdem zur Wiederkehr zu bewegen. 

8. Wir möchten uns stärker auf konstruktiven Journalismus und Wissenschaft konzentrieren! Ein häufiger Kritikpunkt an der Tagesschau besteht darin, dass es fast immer nur um schlechte Nachrichten geht. Leopold und ihr Team wollen der Kritik in diesem Jahr begegnen, indem sie sich stärker im Bereich des konstruktiven Journalismus engagieren.

Im Format Lösungsfinder testet die Redaktion das bereits. Darin werden Ideen vorgestellt für Fragen wie: „Wie können wir den Wohnungsmangel beheben?“ Oder: „Wie kann Pflege persönlicher gestaltet werden?“ Weil das bei den Zuschauern und Nutzern gut ankomme, sollen weitere lösungsorientierte Formate folgen. 

9. Wir wollen ein noch besseres Zusammenspiel von Bindung, Reichweite und Reputation erreichen! Retention (Bindung), Reichweite und Reputation sind für Juliane Leopold ein „magisches Dreieck“. „Wir fragen uns immer: Wie schaffen wir es, dass die Leute auf unsere Seite oder in die App zurückkommen?“, sagt Leopold. „Ich spinne mal rum: Angenommen, wir würden eine Panorama-Meldung veröffentlichen: ‚Lady Di’s Tagebücher gefunden‘ – dann würde uns das sicher Reichweite bringen. Gleichzeitig zerstört so eine Meldung aber unsere Reputation, weil das nicht die Art von seriöser Meldung ist, die die Menschen mit der Marke Tagesschau verbinden, und das schlägt sich wiederum negativ auf die Bindung nieder, das heißt, die Menschen kehren nicht zu unseren Angeboten zurück.“ 

Richtig gut sei ein Beitrag deshalb nur dann, wenn er alle drei Kriterien erfüllt: Er bringt Reichweite, zahlt inhaltlich auf die Reputation der Marke ein und sorgt dadurch dafür, dass die Menschen zu einem späteren Zeitpunkt zurückkehren – dass sie also eine Bindung zum Medium aufbauen. 

10. Wir machen einen Relaunch unserer Website! Die Website der Tagesschau ist in die Jahre gekommen, das sieht auch Juliane Leopold so. In den vergangenen Monaten hat ihr Team deshalb einen Relaunch vorbereitet. „Zum einen soll die Website optisch moderner aussehen, aber zum anderen haben wir auch Spartenangebote wie börse.ARD.de integriert“, erzählt Juliane Leopold. 

Bis der Relaunch von tagesschau.de kommt (Anm. d. Red: inzwischen umgesetzt), zeigt eine Beta-Version die Grundrisse dessen, wie die Seite einmal aussehen soll. So will das Relaunch-Team Rückmeldungen der Nutzerinnen und Nutzer aufnehmen und Fehler laufend korrigieren. „Das ist nötig, weil wir ja schlecht vorübergehend alles vom Netz nehmen und wieder live stellen können, wenn wir fertig sind“, sagt Juliane Leopold. „Der Relaunch unserer Website ist ein bisschen wie der Umbau eines fahrenden Autos.“

Catalina Schröder arbeitet als Wirtschaftsjournalistin in Hamburg. 

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