Lea Thies

Wir müssen reden ...

10.03.2024

Nie war es wichtiger, dass Journalist:innen mit ihrem Publikum sprechen und erklären, wie sie arbeiten, sagt Lea Thies, Leiterin der Günter Holland Journalistenschule, in unserer Serie "Mein Blick auf den Journalismus". Text: Lea Thies

Lea Thies: "Wir Medienprofis müssen unser Wissen an Laien weitergeben." (Foto: Martin Augsburger)

Im Oktober spülten die sozialen Medien plötzlich verstörende Szenen direkt in die Handys von Schülerinnen und Schülern. Über die Displays flimmerten Bilder vom Überfall der Hamas auf Israel. Kinder und Jugendliche in Schwaben, in Deutschland, wurden auf einmal Teil einer algorithmischen Kriegsführung. So etwas steht weder im Lehrplan noch waren Lehrkräfte qua Studium darauf vorbereitet, dass Handys und Bilder als Waffen eingesetzt werden. Eltern auch nicht. Das Ganze hatte eine neue mediale Dimension. Schulen brauchten angesichts der Nachrichtenlage die Unterstützung von Medienprofis.

Die Idee war schnell da: Wir beamen Expert:innen aus der Redaktion der Augsburger Allgemeinen und der Allgäuer Zeitung per Teams in die Schulen und erklären den Jugendlichen, wie sie sich und andere vor grausamen Bildern schützen, wie sie Desinformation oder Propaganda entlarven und die Lage besser einordnen können. Es ging dabei nicht um Abozahlen, Reichweiten oder Conversions. Es ging schlicht um mediale erste Hilfe und den Schutz von Minderjährigen.

Warum ich das hier erzähle? Weil das Beispiel zeigt, weshalb wir Medienprofis wesentlich weiter als bis zur Veröffentlichung der nächsten Story oder dem nächsten Abo-Abschluss denken sollten. Die verifizierte Nachricht eines Medienhauses ist im Internet nur einen Klick von den Lügen einer russischen Trollfabrik entfernt. Deshalb ist Medienkompetenz heute wichtiger denn je – und wir Medienprofis müssen unser Wissen an Laien weitergeben. Daher sollten wir dringend mehr über den Journalismus sprechen, nicht nur hier im journalist.

Wir Journalist:innen sind das nicht gewohnt. Unser Beruf ist in erster Linie wegen der Weiterverbreitung verifizierter Informationen relevant. Recherchieren, interviewen, kommentieren, schreiben, aufsagen und senden sind Kernkompetenzen von Journalist:innen, darauf liegt der Fokus unseres Schaffens. Wir mussten bisher nicht darüber sprechen, wie wir arbeiten.

Doch heutzutage sind Informationsflüsse diverser und das Mediennutzungsverhalten ist ein anderes. Bei Familie Mustermann sieht das so aus: Das Grundschulkind schnappt Infos von Eltern, Geschwistern und auf dem Pausenhof auf, der Teenager via TikTok. Die Eltern suchen sich Informationen auf Facebook oder beim Surfen im Internet zusammen und die Großeltern lesen E-Paper oder Print. Eine Familie – ein großes Informations-Potpourri. Idealerweise ist viel Qualitätsjournalismus dabei. Das muss aber nicht sein. Informationen werden von Algorithmen gefiltert und verbreitet. Nutzer:innen wählen sie nach Entertainment-Faktor, Relevanz und Kosten aus. Aber: Nicht alle da draußen sind Medienprofis.

„Medienmächtig heißt nicht medienmündig“, sagte Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, als ich ihn vor einem Jahr bei den Augsburger Mediengesprächen traf. Der Satz bestätigt meine Erfahrung im Kontakt mit Schüler:innen, Leser:innen, Nutzer:innen. Sie besitzen mächtige Geräte, die allzeit senden und empfangen können. Aber sind sie sich dieser Medienmacht bewusst? Dass am anderen Screen ein Mensch mit Gefühlen sitzt, den Worte oder Bilder verletzen können – das Bewusstsein darüber ist nicht selbstverständlich. Es fällt auch zunehmend schwer, zwischen Wahrheit und Fake zu unterschieden.

Seeing is believing

Für viele Menschen gilt im Internet nach wie vor: Seeing is believing. Ich sehe, also glaube ich. Bewegtbildern glaubt man noch schneller als Buchstaben. Schlechte Nachrichten bleiben eher hängen als gute. Der Grund ist in der Branche hinlänglich bekannt, es hat was mit Säbelzahntigern und Reptilienhirnen zu tun – keine Sorge, den Ausflug in die Urzeit und ans Lagerfeuer erspare ich Ihnen. Diese Funktionsweise unseres Gehirns nutzen diejenigen aus, die gezielt Menschen täuschen, sozialen Unfrieden schüren, Demokratien destabilisieren oder mit Lügen Geld verdienen wollen. Seeing is believing.

Desinformationskampagnen torpedieren die Glaubwürdigkeit von Journalist:innen. „Was? Die Info stand nicht in der Zeitung? Ganz klar! Die da oben und die Mainstreammedien wollen uns doch etwas vorenthalten. Verschwörung! Gleichschaltung! Lügenpresse!“ Leider glauben viele Menschen diesen gefährlichen Blödsinn und merken dabei nicht einmal, dass sie auf Desinformation reinfallen und im großen Stil belogen werden. Das kam auch bei den Druckereiblockaden von Landwirten heraus. Journalismus wird in manchen Gruppen nicht mehr als eine Säule der Demokratie wahrgenommen, sondern als eine Bedrohung.

„Wenn die Gesellschaft insgesamt polarisierter, aufgewühlter ist, dann sind auch wir stärker unter Druck“, sagte WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn der tagesschau, als die jüngste infratest-dimap-Studie zur Glaubwürdigkeit der Medien erschien. Die ergab zwar, dass besonders in Krisenzeiten Qualitätsjournalismus für Menschen relevant ist. Sie zeigte allerdings auch, dass 42 Prozent der Deutschen politische Vorgaben für die Berichterstattung der Medien vermuten. Der Wert ist erschreckend.

„Es ging dabei nicht um Abozahlen, Reichweiten oder Conversions. Es ging schlichtweg um mediale erste Hilfe und den Schutz von Minderjährigen.“

Dazu kommt, dass die gesellschaftliche Debattenkultur leidet. Wenn die Algorithmen verstärkt Beiträge ausspielen, die dem eigenen Weltbild entsprechen, fällt es manchen Menschen schwerer, andere Meinungen außerhalb der Filterblase zu akzeptieren. Statt zu diskutieren, beleidigen sie, statt einander zuzuhören, brüllen sie nieder. Eine konstruktive Verständigung ist dann nicht möglich. Das macht sich auch außerhalb des Internets bemerkbar.

Was also tun? Journalismus braucht mehr Vertrauen und Mitstreiter:innen. Damit nicht noch mehr Menschen zum Verschwörungsgeschwurbel abdriften, müssen wir also wichtige Transferarbeit leisten. Warum nicht mehr Wissen über Journalismus auch an Nicht-Journalist:innen weitergeben? Weshalb wir welche Entscheidungen treffen, wie wir Informationen überprüfen, an welche Grenzen und Dilemmata wir stoßen, warum Quellenschutz und Zeugnisverweigerungsrecht für unseren Beruf so wichtig sind. „Journalismus ist nicht bloß ein Beruf, es ist eine Kulturtechnik, die richtig von falsch, seriös von unseriös trennen kann“, sagte Pörksen. Je mehr Menschen diese Kulturtechnik verstehen oder ihr vertrauen, desto schwerer haben es Desinformationskampagnen.

Correctiv hat in der Potsdam-Recherche ein mustergültiges Beispiel für starken Journalismus und transparente Kommunikation geliefert. Die Reporter:innen haben nicht nur darüber berichtet, wie rechte Kreise sich im Geheimen treffen und Pläne schmieden. Sie haben auch dargelegt, wie das Recherche-Team undercover an die Informationen kam, sogar wo die Kameras standen. Die Leser:innen erfuhren, welch Aufwand hinter einer Recherche steckt – und warum guter Journalismus jeden Cent wert ist. Auch die Augsburger Allgemeine hat vergangenes Jahr ein gelungenes Beispiel für transparente Kommunikation aus der Redaktion geliefert. Hubert Aiwanger, stellvertretender Bayerischer Ministerpräsident, hatte kurz vor der Wahl im Redaktionsgespräch vor großer Runde offen über die Flugblattaffäre gesprochen und Fragen beantwortet. Allerdings ließ er anschließend beim Autorisieren seine Antworten streichen, die dazugehörigen Fragen ebenfalls. Die Redaktion entschied sich, die Fragen ohne Antworten zu drucken – und erklärte den Leser:innen, wie das Autorisieren abläuft und weshalb es inakzeptabel ist, Fragen zu streichen. In den Sozialen Medien wurde die Redaktion für ihre Entscheidung gefeiert.

Wer sich in der deutschen Medienlandschaft umschaut, findet zahlreiche andere gute Beispiele. Etwa die Leipziger Volkszeitung mit ihrem Transparenzblog. Die Main-Post mit ihrem Ombudsmann Anton Sahlender, der zwischen Redaktion und Leser:innen vermittelt. Der VRM-Verlag, der den Umgang der Redaktion mit Künstlicher Intelligenz offen erklärt. Oder die großartige Arbeit der Faktencheck-Teams, zum Beispiel von Correctiv oder der dpa. Bitte mehr davon!

Die klare Botschaft hinter alledem: Wir sind Menschen, wir treffen Entscheidungen, wir haben unterschiedliche Meinungen, wir arbeiten nach journalistischen Regeln und Standards, wir haben nichts zu verbergen. Und: Wir machen auch mal Fehler und korrigieren sie. Wir sollten generell den Mut haben, mehr über Fehler zu sprechen. 

So viel zur Transparenz nach außen. Wir müssen aber auch mehr über Veränderungen in den Medienhäuser reden. Die Regel „Bad news are good news“ zum Beispiel. Sie hält sich eisern in den Newsrooms. Die Krux: Schlechte Nachrichten werden geklickt, zu viele schlechte Nachrichten sorgen aber neuerdings dafür, dass Menschen Medien meiden. Einige Redaktionen befassen sich daher intensiv mit konstruktivem Journalismus. Sie liefern Lösungen für die skizzierten Probleme, achten mehr auf positive Nachrichten und bilden mehr Perspektiven ab. Das geschieht nicht klammheimlich, die Branche spricht darüber, wie etwa Volontär:innen der Augsburger Allgemeinen in ihrem Good NewsLetter.

Dann ist da die Sache mit dem Elitarismus: Unser Beruf hat ein elitäres Image, an dem die Branche mitgearbeitet hat. Jahrelang waren die Einstiegshürden in den Journalismus so hoch, dass es ohne Studium und ellenlange Praktikaliste schier unmöglich war, ein Volontariat zu bekommen. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Doch geblieben sind uns Redaktionsteams, die in Sachen Diversität noch massiven Nachholbedarf haben. Wir schreiben über die Gesellschaft, aber wir spiegeln ihre Zusammensetzung nicht wider. Inzwischen wünschen sich Medienhäuser Quereinsteiger:innen und Nicht-Akademiker:innen als Volontär:innen, weil Menschen mit ungewöhnlichen Lebensläufen die Redaktion durch Perspektivenvielfalt bereichern. 

„Die verifizierte Nachricht eines Medienhauses ist im Internet nur einen Klick von den Lügen einer russischen Trollfabrik entfernt.“

Die Transformation in den Medienhäusern findet auf digitaler, personeller und struktureller Ebene statt. In vielen Newsrooms gibt es endlich mehr junge Menschen, Frauen, sogar Mütter in Führung, flachere Hierarchien, Duz-Kultur, Mobiles Arbeiten. Der strukturelle Wandel birgt auch Konfliktpotential. Es ergibt Sinn, einen internen Kommunikationsrelaunch zu etablieren: Klare Feedbacks, transparenter Informationsfluss und ein wertschätzendes Miteinander beugen Unmut vor.

Dabei sind Führungskräfte gefragt, die nicht nur ein Gespür für Themen, sondern auch für Menschen und Zwischentöne haben. Sie müssen vermitteln, Situationen übersetzen und dafür sorgen, dass mehr über Veränderungen, Bedürfnisse, Partizipation und Perspektiven gesprochen wird. Außerdem kann es sich in Zeiten des Fachkräftemangels keine Redaktion leisten, dass Talente wegen schlechter Kultur kündigen oder gar nicht erst anheuern.  

Die Gesellschaft braucht mehr Medienprofis innerhalb und außerhalb der Redaktionen. Jeder Mensch, der Fakenews medienmündig erkennt und medienmächtig nicht weiterleitet, verhindert, dass Menschen auf die Lüge reinfallen und dass sozialer Schaden angerichtet wird.

Zurück zum Beispiel, das ich am Anfang erwähnt habe. Von der Idee bis zum Stream mit den Schulklassen vergingen vier Tage. Die Crew aus Medienprofis war binnen Minuten zusammentelefoniert. Auch Stefan Voß, Leiter der Verifikation der Deutschen Presse-Agentur, machte bei unserem Info-Experiment mit und gab den Schüler:innen einen Faktencheck-Schnellkurs. Zu sechst sind wir in mehr als 50 Lehrer-, Klassen- und Arbeitszimmern erschienen. So haben wir (in)direkt mindestens 1.000 Schülerinnen und Schüler erreicht. Das Feedback der Teilnehmenden war überwältigend. Ihr Wunsch: „Mehr davon – vielen Dank!“

Lea Thies ist Leiterin der Günter Holland Journalistenschule der Augsburger Allgemeinen.

Bisher erschienen:

Teil 1: Daniel Drepper, Chefredakteur von BuzzFeed Deutschland

Teil 2: Carline Mohr, Social-Media-Expertin

Teil 3: Georg Mascolo, Leiter des WDR/NDR/SZ-Rechercheverbunds

Teil 4: Hannah Suppa, Chefredakteurin Märkische Allgemeine

Teil 5: Florian Harms, Chefredakteur von t-online.de

Teil 6: Georg Löwisch, taz-Chefredakteur

Teil 7: Stephan Weichert, Medienwissenschaftler

Teil 8: Julia Bönisch, Chefredakteurin von sz.de

Teil 9: Ellen Ehni, WDR-Chefredakteurin

Teil 10: Barbara Hans, Spiegel-Chefredakteurin

Teil 11: Sascha Borowski, Digitalleiter Augsburger Allgemeine

Teil 12: Richard Gutjahr, freier Journalist, Start-up-Gründer und -Berater

Teil 13: Benjamin Piel, Chefredakteur Mindener Tageblatt

Teil 14: Josef Zens, Deutsches GeoForschungsZentrum

Teil 15: Christian Lindner, Berater "für Medien und öffentliches Wirken"

Teil 16: Nicole Diekmann, ZDF-Hauptstadtjournalistin

Teil 17: Carsten Fiedler, Chefredakteur Kölner Stadt-Anzeiger

Teil 18: Stella Männer, freie Journalistin

Teil 19: Ingrid Brodnig, Journalistin und Buchautorin

Teil 20: Sophie Burkhardt, Funk-Programmgeschäftsführerin

Teil 21: Ronja von Wurmb-Seibel, Autorin, Filmemacherin, Journalistin

Teil 22: Tanja Krämer, Wissenschaftsjournalistin

Teil 23: Marianna Deinyan, freie Journalistin und Radiomoderatorin

Teil 24: Alexandra Borchardt, Journalistin und Dozentin

Teil 25: Stephan Anpalagan, Diplom-Theologe, Journalist, Unternehmensberater

Teil 26: Jamila (KI) und Jakob Vicari (Journalist)

Teil 27: Peter Turi: Verleger und Clubchef

Teil 28: Verena Lammert, Erfinderin von @maedelsabende

Teil 29: Anna Paarmann, Digital-Koordinatorin bei der Landeszeitung für die Lüneburger Heide

Teil 30: Wolfgang Blau, Reuters Institute for the Study of Journalism der Universitäte Oxford

Teil 31: Stephan Anpalagan, Diplom-Theologe, Journalist, Unternehmensberater

Teil 32: Simone Jost-Westendorf, Leiterin Journalismus Lab/Landesanstalt für Medien NRW

Teil 33: Sebastian Dalkowski, freier Journalist in Mönchengladbach

Teil 34: Justus von Daniels und Olaya Argüeso, Correctiv-Chefredaktion

Teil 35: Benjamin Piel, Mindener Tageblatt

Teil 36: Joachim Braun, Ostfriesen-Zeitung

Teil 37: Ellen Heinrichs, Bonn Institute

Teil 38: Stephan Weichert, Vocer

Teil 39: Io Görz, Chefredakteur*in InFranken.de

Teil 40: Daniel Drepper, Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung

Teil 41: Björn Staschen, Programmdirektion NDR, Bereich Technologie und Transformation

Teil 42: Malte Herwig, Journalist, Buchautor, Podcast-Host

Teil 43: Sebastian Turner, Herausgeber Table.Media

Teil 44: Alexander von Streit, Vocer Institut für Digitale Resilienz

Teil 45: Ellen Heinrichs, Bonn Institute

Teil 46: Patrick Breitenbach, Blogger, Podcaster, Unternehmensberater

Teil 47: Caroline Lindekamp, Project Lead "noFake" beim Recherchezentrum Correctiv

Teil 48: Henriette Löwisch, Leiterin Deutsche Journalistenschule

Teil 49: Sebastian Esser, Medienmacher und Gründer

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