Florian Hager

"Wir müssen weg von Sendeplätzen denken"

28.07.2022

Seit Anfang März ist Florian Hager (46) neuer Intendant des Hessischen Rundfunks (HR). Im journalist-Interview erläutert der ehemalige Gründungsgeschäftsführer des öffentlich-rechtlichen Jugendangebots Funk seine Pläne für die Umstrukturierung des Senders. Und er erzählt, was er in einem früheren Job als Kneipenwirt in Portugal für seinen heutigen Posten gelernt hat. Interview: Catalina Schröder. Fotos: Felix Schmitt.

"Die ARD muss sich viel mehr als Netzwerk verstehen", sagt der neue HR-Intendant Florian Hager. (Foto: Felix Schmitt)

Florian Hager muss beim Hessischen Rundfunk ziemlich viel zusammenbringen. Der neue Intendant muss sparen und gleichzeitig den Sender zukunftsfähig machen. Er muss den HR jung und digital machen, darf dabei aber auch das klassische lineare Fernsehen nicht übergehen und muss vor allem die Mitarbeiter im Haus mitnehmen. Eines seiner wichtigsten Themen bringt er aus seinem bisherigen Job mit: den Ausbau der Mediathek.

journalist: Herr Hager, in Ihrem Linkedin-Profil bezeichnen Sie sich als „Head of Everything“ des HR. Was macht ein Head of Everything den ganzen Tag?

Florian Hager: (lacht) Ich habe aber auch einen Smiley dahinter gestellt, denn manche Leute denken schnell: Der ist aber ganz schön eingebildet und glaubt, dass er hier alles alleine entscheidet. Ich habe mir überlegt: Was ist denn ein Intendant? Eigentlich stelle ich mir darunter einen Theater- oder Opern-Chef vor, der hier alles dirigiert. Mit „Head of Everything“ meine ich eher: Ich entscheide nicht alles, aber ich verantworte hier am Ende alles. Das ist tatsächlich so: Das HR-Gesetz gibt dem Intendanten sehr, sehr viel Verantwortung. Er ist neben dem Verwaltungsrat und dem Rundfunkrat das einzige Organ, das gesetzlich festgelegt ist. Ich bin faktisch am Ende verantwortlich für Inhalte, Personal und Finanzen. Deswegen die Idee, hierfür eine Übersetzung zu finden.

Sie sind seit Anfang März Intendant des Hessischen Rundfunks. Es ist jetzt Mitte Juni und Ihre ersten 100 Tage sind gerade rum. Wie geht es Ihnen?

Sehr gut! Im HR laufen unglaublich viele Veränderungsprozesse. Bei meinem Einstieg ging es inhaltlich relativ schnell an vielen Stellen sehr tief rein. An anderen Stellen habe ich wirklich die Zeit gehabt, mir den HR mit einer Brille von außen anzugucken und zu schauen: Was läuft gut? Was würde ich anders machen?

Was würden Sie denn anders machen?

Mir ist aufgefallen, dass der HR an vielen Stellen schon extrem weit ist in der Erkenntnis, dass wir uns anders aufstellen müssen für die Zukunft. Dass das Digitale wichtig ist und sich vieles im HR weiter verändert. Auch muss ich hier niemandem erklären, dass wir auch ressourcenschonender an den Start gehen müssen. Was noch nicht so gut läuft, ist, dass vieles noch nicht in der Umsetzung ist. Vielen ist noch nicht wirklich klar, was jetzt konkret die nächsten Schritte der Veränderung sind. Und ich komme genau an so einem Punkt, an dem einige Projekte in die Umsetzung gehen, und da kann ich viel von meiner Erfahrung einbringen.

"Wie schaffen wir es, sowohl linear relevant zu bleiben als auch non-linear diversere, spitzere und neue Zielgruppen zu erreichen?"

Welche Projekte gehen jetzt in die Umsetzung?

Vor meiner Zeit ist in Sachen Bewegtbildstrategie schon viel angegangen worden. Also: Wie schaffen wir es, sowohl linear relevant zu bleiben als auch non-linear diversere, spitzere und neue Zielgruppen zu erreichen? Das ist ja eine Parallelstrategie, die wir an der Stelle benötigen. Und da haben die Verantwortlichen schon vor zwei Jahren überlegt: Wo setzen wir die Schwerpunkte im linearen Fernsehen, und welche Ressourcen investieren wir in Online-first-Angebote? Da drehen wir also die Logik um, entwickeln Projekte für die Mediathek und verwerten diese dann im linearen Fernsehen. Diese Strategie ist schon etabliert und erfolgreich. Wir können sehen, dass es keine negative Auswirkung auf die linearen Reichweiten hat und dass wir schon erste Erfolge in der Mediathek aufweisen. Das Gleiche steht jetzt im Bereich Audio kurz bevor: Wir wollen bei Beibehaltung der Relevanz des linearen Radios neue Angebote für das Digitale machen.

Was ist Ihre Rolle dabei?

Meine wichtigste Aufgabe ist eine steuernde und koordinierende Funktion. Also zu sagen: Wir haben den Auftrag, allen Menschen in Hessen ein Angebot zu machen, alle zu erreichen. Die Digitalisierung ist eine große Chance, diesen Auftrag auch wirklich umzusetzen. Wenn wir unseren Fokus auf das Lineare beschränken, werden wir dies nicht mehr schaffen. Das bedeutet für uns, dass wir deutlicher weg von Sendeplätzen denken müssen. Weg von Strukturen, die in Kanälen und Ausspielwegen gedacht sind. Wir müssen viel stärker dahinkommen, uns zu fragen: Was sind unsere Zielgruppen? Und was sind passende Angebote für diese Zielgruppen? Das geht an die DNA des HR. Das ist schon eine Operation am offenen Herzen.

Sie wollen das Lineare und das Nonlineare noch ein paar Jahre parallel denken. Gehen Sie davon aus, dass Sie das Lineare in absehbarer Zeit nicht mehr brauchen?

Nein, auf keinen Fall. Die Frage ist immer, was Sie unter Linearem verstehen. Also wenn Sie unter linear die Verbindung von vorgegebenem Rhythmus und Endgerät verstehen, dann glaube ich schon, dass die Wichtigkeit abnehmen wird. Aber die Linearität als Möglichkeit wird es immer geben. Live ist auch linear, eine Playlist ist auch linear. Die Frage ist, ob das dann noch die Anmutung hat, die wir jetzt damit verbinden. Das Schwierige ist, dass unsere DNA eine lineare ist, und zwar sehr deutlich in Verbindung mit Fernsehen und Radio. Alle Prozesse in unserem Haus sind darauf abgestimmt, dass wir Linearität herstellen können. Alle Ressourcen sind auf Sendeplätze ausgerichtet. Menschen arbeiten für Sendeplätze, Marken sind Sendeplätze. All das ist komplett in Frage gestellt, so dass wir ein neues Betriebssystem entwickeln müssen, das es uns ermöglicht, anders zu denken und trotzdem die Linearität weiter zu befüllen. Und ich glaube, dass das auch möglich ist. Aber dieses neue Betriebssystem, das müssen wir uns erst erarbeiten.

Bevor Sie als Intendant angetreten sind, haben Sie in einem Interview gesagt, dass Sie erst mal ganz viel zuhören wollen. Was haben die neuen Kollegen Ihnen denn so erzählt?

Das mit dem Zuhören ist eine ganz wichtige Sache, wenn man neu in Unternehmen reinkommt. Wenn ich etwas verändern will, muss ich verstehen, auf welche Kultur ich treffe, an welchen Stellen diese Kultur veränderbar ist und wo sie nicht veränderbar ist. Ich glaube, dass die Unternehmenskultur das wichtigste Element ist, wenn ich als Führungskraft etwas bewirken und das Unternehmen nachhaltig verändern will. Und deswegen war es mir wichtig zu hören: Wo stehen die Leute? Welche Themen kommen aus der Unternehmensgeschichte? Was kann ich verändern? Wo kann ich offen dagegen gehen, weil ich etwas nicht gut finde? Und da muss ich ehrlicherweise sagen: Die Kultur hier ist so, dass die Leute zumindest in Einzelgesprächen sehr offen sind und mir auch unbequeme Dinge mitgeteilt haben.

Was waren das für unbequeme Dinge?

Es gibt eine große Identifikation mit dem Sender, und die Leute brennen für ihren HR. Ich glaube, dass es ein großes Bedürfnis gibt, daran zu arbeiten, dass wir an vielen Stellen offener miteinander umgehen können und Dinge klarer ansprechen können. Frei von Befindlichkeiten. Wirklich konstruktiv, damit wir weiterkommen. Das wird Teil meiner Aufgabe sein.

"Die ARD muss sich viel mehr als Netzwerk verstehen."

Wie würden Sie jemandem, der nicht täglich das HR-Programm hört oder sieht, Ihren Sender beschreiben?

Ich sehe uns natürlich sehr stark im regionalen Bereich, in der Berichterstattung in und über Hessen. Und was die Sichtbarkeit des HR in der ARD anbetrifft, haben wir hier mit dem Wetter-Kompetenzzentrum die Federführung in der Weiterentwicklung von Klima- und Nachhaltigkeitsthemen. Der zweite Bereich, in dem wir federführend sind, sind die Themen Finanzen und Wirtschaft.

Beides sind Themenfelder, die Sie gerne weiter ausbauen wollen. Gibt es da schon konkrete Pläne oder gar Formate?

Teilweise ist das ja schon sichtbar: Bei Tagesschau24 gibt es eine Strecke zu Finanzen, die wir gestalten. In den Tagesthemen gibt es auch Inhalte, die von uns kommen. Weitere konkrete Projekte sind aktuell in der Planung.

Wenn wir uns die Öffentlich-Rechtlichen etwas allgemeiner anschauen, kann man sagen, dass sie in einer Glaubwürdigkeitskrise stecken und gewisse Teile der Bevölkerung nicht mehr erreichen. Können Sie erklären, woran das liegt? Und können Sie konkret etwas tun, um dem entgegenzuwirken?

Das ist natürlich ein riesiges Thema. Ich würde da noch einen Schritt zurückgehen: Wie glaubwürdig ist Journalismus? Da würde ich auch gar keine Grenze ziehen zwischen öffentlich-rechtlichen und anderen Medien. Wenn wir da in die Tiefe gehen wollen, dann sind es sicher Themen, die am Ende auch mit Demokratieverständnis auf der einen und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auf der anderen Seite zu tun haben.

Was meinen Sie damit konkret?

Wenn man der Meinung ist, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland nicht wichtig ist, dann wird notwendigerweise der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch verurteilt. Aber: Wir als Sender haben einen ganz klaren Auftrag, in dem steht, dass wir zur Meinungsbildung beizutragen haben, dass wir demokratiestiftend sein sollen, dass wir zum Zusammenhalt beitragen müssen. Mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die diese Grundordnung ablehnen, ist extrem schwierig. Wir müssen einfach immer wieder unter Beweis stellen, dass wir ein wichtiger Bestandteil der demokratischen Ordnung in Deutschland sind und dass wir diese Rolle auch in Zukunft weiter wahrnehmen werden. Wir sind aber auch politisch an vielen Stellen in die Kritik geraten. Und wenn man sich die Diskussion um unseren Auftrag oder um den Rundfunkbeitrag anschaut, dann können wir nicht mehr davon ausgehen, dass die Politik unser natürlicher Verbündeter ist, wenn es um den gemeinsamen Grundkonsens des öffentlich-rechtlichen Systems geht.

Auf der anderen Seite beklagen viele Menschen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu politiknah ist. Was antworten Sie denen?

Wenn wir uns anschauen, was in dem Auftrag drinsteht, den die Öffentlich-Rechtlichen haben, dann glaube ich, dass dieser Auftrag relevanter ist denn je. Ob das System, so wie es ausgestaltet ist, die zeitgemäße Übersetzung dieses Auftrags ist, darüber lässt sich streiten. Da bin ich selbstkritisch und arbeite aktiv daran mit, dass wir uns an vielen Stellen reformieren und verändern. Gerade die Jüngeren können oft zu Recht sagen: Ihr sollt ein Programm für alle machen, aber für mich persönlich ist wenig dabei. Die Kritik der Politiknähe ist tatsächlich schwierig für mich, weil dieser Kritikpunkt einfach an vielen Stellen nicht berechtigt ist. Da sind ja auch Gedanken drin, die nicht der Wahrheit entsprechen: Manche Leute glauben, wir kriegen hier morgens gesagt, was wir zu senden oder wie wir was einzuordnen haben. Das ist einfach nicht wahr. Und dem gegenüberzutreten, ist extrem schwierig. Wir sind ja witzigerweise an vielen Stellen auch bei Politikern in der Kritik, weil unsere Berichterstattung aus deren Sicht zu kritisch ist. Ich glaube, es liegt in der Natur der Sache, dass wir da zwischen allen Stühlen sitzen.

"Mit ,Head of Everything‘ meine ich eher: Ich entscheide nicht alles, aber ich verantworte hier am Ende alles."

Wenn ich mir die HR-Gremien anschaue – also den Rundfunkrat und den Verwaltungsrat – dann fallen mir zwei Dinge auf: Es gibt viele weiße Männer, und das jüngste Mitglied ist 43 Jahre alt. Ein 25-jähriger Zuschauer mit Migrationshintergrund fühlt sich da nicht repräsentiert.

Die Gremien sind für uns sehr wichtig; die Mitglieder des Rundfunkrats vertreten nach dem HR-Gesetz die Allgemeinheit auf dem Gebiet des Rundfunks, und sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Die entsendenden Gruppen und Organisationen sind auch nicht intransparent, sondern im HR-Gesetz steht sehr genau drin, welche Gruppe Vertreter in unseren Rundfunkrat entsenden kann. Wenn es Änderungsbedarf gibt, dann gibt es ja auch parlamentarisch die Möglichkeiten, einzuschreiten und etwas zu verändern, das liegt nicht in den Händen der Sender. Das Verhältnis Männer und Frauen ist ein Thema, das in der aktuellen Novelle des HR-Gesetzes dazu geführt hat, dass im Verwaltungsrat Posten so lange mit Frauen besetzt werden sollen, bis Parität hergestellt ist. Also das Thema wird auch aktiv angegangen.

Das ist natürlich ein steiniger Weg, wenn man als junger Zuschauer über das Parlament gehen muss, um sich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen besser repräsentiert zu fühlen …

Absolut. Aber auch das ist Teil eines demokratischen Aushandlungsprozesses. Ich finde es unbefriedigend zu hören: Das kann man nicht verändern, und das ist alles schlecht. Es gibt Möglichkeiten, Dinge zu verändern.

Lassen Sie uns über Geld reden.

Juhu! (lacht)

Als Intendant sind Sie kaufmännisch verantwortlich – und Geld ist in Ihrem Sender eher knapp. Wie leisten Sie finanziell den Umbau, den Sie schon mehrfach angesprochen haben?

Natürlich sind wir finanziell nicht so ausgestattet, dass wir den digitalen Umbau durch Sonderbudgets nebenher finanzieren könnten. Um den Parallelbetrieb hinzubekommen, müssen wir das, was wir an der einen Stelle mehr machen, an anderer sparen. Der digitale Umbau ist kein Kippschalter, sondern eine längere Blende, in der wir mit dem Sowohl-als-auch klarkommen müssen.

Im Grunde besteht Ihr Job also darin, den Mangel zu verwalten.

Es ist auf jeden Fall kein Wünsch-Dir-was. Wir müssen ganz bewusst gucken: Was wollen wir in Zukunft sein? Wie können wir uns dahinbewegen? Wir können es uns nicht leisten, Innovation als Schaufensterthema zu machen. Sondern wir müssen uns dreimal überlegen, welchen Schritt wir gehen.

Noch gehören Sie aber zu den gebenden Sendern innerhalb des ARD-Finanzausgleichs. Rutschen Sie irgendwann auf die Seite der Nehmenden?

Das ist nicht unser Ziel. Das Ziel ist die programmliche Eigenständigkeit. Und die werden wir auch, Stand heute, weiter wahren.

Bei Ihnen im Haus arbeiten 1.700 Festangestellte und mehr als 900 freie Mitarbeiter. Dass gerade die Freien vielfach darum kämpfen, mit ihrer journalistischen Arbeit ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften, ist kein Geheimnis. Welche Zukunftsperspektiven können Sie den Leuten geben?

Es ist nicht so, dass Mitarbeitende keinen tarifvertraglichen Schutz haben. Das ist schon ein sehr ausgeklügeltes System. Wir haben hier Tarifverträge für ganz viele Bereiche. Natürlich ist es wichtig, dass wir eine bestimmte Anzahl an freien Mitarbeitern haben. Dies wird auch in Zukunft so sein.

Aus Sicht der Mitarbeiter und besonders aus Sicht der Freien ist es toll, viele verschiedene Programme zu haben. Andererseits wird vielfach kritisiert, dass es zu viele Programme gibt, gerade im Radio. Bei Ihnen gibt es HR-Info, beim NDR gibt es eine Infowelle, ebenso beim RBB und den anderen Landesanstalten. Wäre es sinnvoll, hier Sender zusammenzustreichen und dadurch dann Gelder für den erwähnten Umbau freizusetzen?

Sie sprechen da zwei wichtige Punkte an: Der erste Punkt ist, dass wir natürlich in der ARD noch mal genauer draufschauen müssen, an welchen Stellen wir noch mehr Synergien erzeugen können. Nicht in dem Sinne, dass wir Dinge zwingend wegsparen, sondern in dem Sinne, dass wir gemeinsam Dinge größer machen können. Ich glaube, das ist auch die Plattformökonomie, die dahintersteckt. Ich bin überzeugt: Wenn wir uns besser vernetzen und unsere Kräfte bündeln, können wir deutlich mehr Reichweite erzeugen.

"Gerade die Jüngeren können oft zu Recht sagen: Ihr sollt ein Programm für alle machen, aber für mich persönlich ist wenig dabei."

Das dürfte innerhalb der ARD aber nicht ganz einfach werden  …

Ja, die ARD muss sich viel mehr als Netzwerk verstehen. Daran werden wir wahrscheinlich noch ein paar Jahre arbeiten. Manche sind noch der Meinung: Es geht alleine viel besser, und jeder macht lieber die Erfahrungen selber. Es wird echt viel Arbeit, diese Barriere zu überwinden. Wenn ich da aber Sy­nergien schaffe, heißt das im Endeffekt auch, dass sich Menschen verändern müssen, dass ich gegebenenfalls andere Menschen und Expertisen brauche. Und das sollten wir als ARD nicht vernachlässigen. Ich kann Menschen nicht wie Dominosteine hin- und herschieben. Das ist eine enorme Führungsaufgabe auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Dafür müssen wir Kolleginnen und Kollegen weiterentwickeln, es müssen unter Umständen andere hinzukommen. Das zu steuern, ist nicht ganz einfach.

Wie viel diplomatische Kompetenz brauchen Sie in Ihrem Job?

Ich glaube, dass am Ende entscheidend ist, dass alle nachvollziehen können, warum gewisse Entscheidungen getroffen werden und in die Umsetzung kommen. Bei der großen Aufgabe, die wir durch die Digitalisierung haben, werden wir leider nicht alle glücklich machen. Ich hoffe, dass ich Nachvollziehbarkeit für die Entscheidungen und Veränderungen erreichen kann. Diplomatie endet manchmal auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner – das ist nicht mein Ziel.

Sie haben neulich mal gesagt, dass Sie neidisch auf Netflix seien. Was meinten Sie damit?

Schön, dass Sie nachfragen, das ist mir ein bisschen um die Ohren geflogen. Ich habe zu meinem Amtsantritt mit dem Fachdienst epd gesprochen, und da ging es an einer Stelle um die Auswertung von Daten. Hintergrund ist, dass wir als Öffentlich-Rechtliche von unseren Datenschutzbehörden sehr, sehr streng beobachtet werden, was Datenerhebung und dann auch die Möglichkeit der Personalisierung betrifft. Ich habe gesagt, dass ich den Schutz der Daten als sehr wichtig erachte, es aber nicht nachvollziehen kann, warum Anbieter wie Netflix die Möglichkeit haben, mit den Daten personalisierte Angebote an die Nutzer zu machen. Ich fände es gut, wenn wir als Öffentlich-Rechtliche die Möglichkeit hätten, unseren Nutzern bessere Angebote zu machen. Da geht es um ganz banale Dinge, die es uns unmöglich machen, die so wichtige Personalisierung anzubieten. Netflix hat diese politische Diskussion nicht und kann technologisch ganz befreit rangehen. Da wurde mir unterstellt, dass ich unbedingt wie Netflix sein will. Das ist ja nicht der Fall.

Welche Ansatzpunkte gäbe es aus Ihrer Sicht, die Mediathek stärker zu personalisieren?

Die BBC macht es vor: Dort gibt es einen mandatory login, die Nutzer müssen sich also anmelden – mit ihrem Namen, ihrem Alter, der E-Mailadresse – und dann erhalten sie personalisierte Angebote. So was könnte ich mir für uns auch vorstellen. Außerdem würden wir ja sehr sorgsam umgehen mit diesen Daten, wir würden sie nicht an Dritte verkaufen, wir würden sie nicht mit anderen Daten kreuzen, um den Leuten dann irgendwelche Produkte zu verkaufen.

Dann ist also nicht davon auszugehen, dass eine personalisierte Mediathek bald Realität wird?

Die personalisierte Mediathek wird kommen. Es muss dann so sein, dass den Menschen einerseits Dinge aufgrund ihres Nutzerverhaltens vorgeschlagen werden. Ein weiterer Teil wird daher kommen, dass wir den Menschen ein Angebot machen. Wir werden nie komplett nur auf Personalisierung ausgerichtet sein.

Davon, dass die ARD sich auf Augenhöhe mit Netflix begibt, wären Sie aber trotz personalisierter Mediathek noch sehr weit entfernt.

Da haben uns alle belächelt. Das habe ich ja aktiv mitbekommen in meinem vorigen Job als Verantwortlicher für die ARD-Mediathek. Da wurde ich dauernd gefragt: Warum machst du das? Ihr habt eh keine Chance gegen Amazon und gegen Netflix. Natürlich haben wir das nicht in allen Kennzahlen, aber wenn wir uns einfach nur die Reichweite unserer Angebote anschauen, dann haben wir es geschafft, die ARD-Mediathek in den letzten Jahren zumindest halbwegs auf Augenhöhe mit Amazon Prime zu kriegen. Und das Team in der Programmdirektion in München wird nicht lockerlassen, das noch weiter auszubauen.

"Wir müssen ein neues Betriebssystem entwickeln, das es uns ermöglicht, anders zu denken und trotzdem die Linearität weiter zu befüllen."

Sie haben schon diverse Positionen innegehabt, bevor Sie Ihren jetzigen Job angetreten sind. Was haben die vergangenen Posten Ihnen für den heutigen Job als Intendant gebracht?

Ich fange mal ganz früh an: Ich komme aus der Generation Praktikum und habe ganz viele Praktika gemacht. Und dabei habe ich unterschiedliche Branchen ausprobiert: Motion Control zum Beispiel, also eher etwas Technisches. Ich habe lange Zeit in der Postproduktion von Filmen mit Special Effects gearbeitet. Ich war Aufnahmeleiter. Ich habe also viele Dinge gemacht, die alle was mit Medien zu tun hatten. Da habe ich ein Grundverständnis für Menschen mitgenommen, die in den Medien arbeiten. Dann hatte ich meinen ersten Job beim ZDF als Referent in der Geschäftsleitung. Ich war bei dem Direktor, der für 3sat und Arte zuständig war, und hatte da fünf Jahre lang Zeit, mir viele Geschäftsprozesse aus der Referentenrolle anzugucken. Ich war also Teil der Geschäftsleitung und konnte dabei viel verstehen und lernen. So habe ich bereits die Gremienarbeit kennengelernt und das öffentlich-rechtliche System von der Pike auf gelernt. Das war sehr hilfreich für meinen weiteren beruflichen Weg.

Später sind Sie nach Straßburg gegangen.

Richtig, da durfte ich eine Hauptabteilung bei Arte leiten. Da fing die Personalarbeit an, die mir heute immer noch so viel Spaß macht. Da habe ich dann auch gemerkt, dass der Impact, den ich im Personalbereich habe, viel größer ist, als wenn ich selbst ein tolles Programm mache. Ich habe gemerkt, dass Führung zu 99 Prozent Personalarbeit ist. Aus meiner Zeit dort bringe ich sehr viele Kontakte in die Kulturszene mit.

Ihre vorletzte Station war Funk …

… und die war extrem wichtig für mich. Ich war der erste Mitarbeiter, habe die Unternehmenskultur mitgeprägt und Funk aufgebaut. Daher kommt eben auch meine Erfahrung, dass Unternehmenssteuerung ganz stark über die Unternehmenskultur funktioniert. Und bei meiner letzten Stelle als Leiter der ARD-Mediathek in München habe ich mir noch mal ein tieferes Verständnis für die ARD erarbeitet. Da habe ich auch gemerkt, wie schwierig es sein kann, innerhalb der ARD Dinge anzustoßen. Aber wenn sie erst mal ins Rollen gekommen sind, haben sie eben auch eine unglaubliche Kraft, und das gibt mir den Glauben, dass wir vieles verändern können.

Eine Sache haben Sie nicht genannt: Ich habe gelesen, dass Sie mal eine Kneipe in Portugal geführt haben. Wie kam es dazu und was bringt Ihnen das heute?

(lacht) So eine Kneipe zu haben, ist ja ein Traum vieler Menschen. Den hatte ich auch ... Ich war damals viel in Spanien, Portugal und Afrika unterwegs, als Tourmanager einer Band. So kam es, dass ich in Lissabon die Möglichkeit bekommen habe, die Pacht einer Kneipe zu übernehmen. Und ich war so verrückt, das zu tun. Was ich von da mitgenommen habe, ist das Gefühl, Verantwortung für Mitarbeitende und Gäste zu tragen. Den Servicegedanken habe ich da ganz stark kennengelernt. Es war auch spannend, in einem Umfeld zu arbeiten, das wirtschaftlich wirklich knallhart ist.

Catalina Schröder ist Wirtschaftsjournalistin in Hamburg. Felix Schmitt arbeitet als Fotograf in Frankfurt am Main.

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