Agenten auf komplexer Mission

Teletext: Eine aus der Zeit gefallene Technologie, die aber viele Menschen schätzen und nutzen. Ein KI-Agent hilft beim BR, die Seiten anzupassen.

KI-Agenten sind viel diskutiert, wenn es um den Einsatz Künstlicher Intelligenz geht. Was bringen sie in den Redaktionen? Zwei Beispiele aus der Praxis von Ippen Digital und dem Bayerischen Rundfunk.

Text: Henning Kornfeld

18.06.2025

Da ist zum Beispiel GenSpark, eine der neueren Suchmaschinen, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basieren. Sie recherchiert und analysiert Daten, generiert Bilder und Videos, wie man es von KI kennt. Aber sie kann noch viel mehr: GenSpark fasst auch den Inhalt von Videos in einer Präsentation zusammen, inklusive Bilder und Grafiken. In einigen Ländern sind sogar Telefonanrufe mit menschlicher Stimme möglich, zum Beispiel, um einen Tisch im Restaurant zu reservieren.

GenSpark ist ein KI-Agent. Darunter versteht man das Abarbeiten komplexer Aufgaben durch eine Reihe von KI-Werkzeugen, die von einer übergreifenden KI bedient werden. Solchen Agenten wird eine große Zukunft vorausgesagt: Die Managementberatung Deloitte prognostiziert, dass sie bis 2028 mindestens 15 Prozent aller Entscheidungen im Arbeitsalltag automatisch treffen werden. Auch in der Medienbranche sind die KI-Agenten angekommen.
 

Zahlen aus 1.100 Gemeinden

Zum Beispiel beim KI-Vorreiter Ippen Digital, der bundesweit zahlreiche Nachrichtenwebsites wie die der Frankfurter Rundschau oder des Münchner Merkurs betreibt. Bei der Bundestagswahl veröffentlichte Ippen Digital Ergebnisberichte aus 1.100 einzelnen Gemeinden, verteilt über 13 Portale aus Bayern, Hessen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Die KI hat die Artikel selbstständig aktualisiert, als die Erststimmenergebnisse bekannt wurden. Überschrift, Teaser, Grafik und Absätze der Artikel hat Ippen Digital mithilfe von Sprachmodellen formulieren lassen.

Eine Mammutaufgabe, für die Ippen Digital sieben DIN-A4-Seiten voller Prompts erarbeitet hatte, also Befehle an die KI. Der erste Prompt wies die KI an, sich die Gemeinden aus einer Datenbank zu fischen und sie mit den Wahlergebnissen zu verknüpfen. Der nächste Prompt ließ sie Fließtexte und Zwischenüberschriften erarbeiten, ein anderer war dafür da, den Stil zu verbessern und die Fakten zu überprüfen. Und so weiter. „Das umfangreiche Prompting war die zentrale Herausforderung, damit die Texte sowohl fehlerfrei sind und gleichzeitig auf die Besonderheiten der jeweiligen Gemeinde eingehen“, sagt Markus Knall, Chefredakteur von Ippen Digital.

Er wertet den KI-Aufschlag zur Bundestagswahl als Erfolg: In Stichproben habe man keine relevanten Fehler gefunden. Die Berichte hatten gut eine halbe Million Seitenaufrufe erzielt. „KI erzeugt im Lokaljournalismus echten Mehrwert“, bilanziert er. „Die Leser haben ein einmaliges Angebot erhalten, das wir ihnen normalerweise nicht hätten bieten können. “

Strenggenommen handelte es sich bei der Analyse eher um eine Verkettung mehrerer KI-Werkzeuge, als um einen KI Agenten, der autonom handelt und viele Aufgaben selbstständig übernimmt, ohne, dass es dafür eigener Prompts bedarf. Doch das Experiment zeigt, wie groß das Potenzial ist, das KI für Redaktionen birgt.

Richtig oder falsch

Noch seien KI-Agenten im Entstehen und nur wenige Produkte bereit zur breiten Anwendung, schreiben Sam Gould und Azymberdi Taganov von FT Strategies, dem Beratungsunternehmen der Financial Times. Das Dilemma: Agenten treffen Entscheidungen in Situationen, in denen es kein eindeutiges richtig oder falsch gibt. Dabei kommt es zu Fehlern, daher müssen Menschen auch jedes kleinste Ergebnis der KI kontrollieren. Das schmälert den Effizienzgewinn, den sich Medienhäuser erhoffen.

Bei Ippen Digital wolle man die Wahlanalyse als Blaupause für weitere KI-gestützte Berichterstattung heranziehen, sagt Knall: „Damit sich die hohen Kosten von KI im Journalismus rechnen, braucht es solche Anwendungsfälle“. Erst die große Menge an Artikeln habe die wochenlange Vorbereitungszeit rentabel gemacht.

Ippen Digital bündelt seine KI-Anwendungen im AI Publishing Studio, einer Plattform, die gerade im Aufbau ist. Sie soll externe Quellen wie Agenturmeldungen, Audio oder Video-Dateien zu Artikeln verarbeiten, Fakten checken und für die Redaktion nach Themen suchen. Das alles soll über Spracheingabe durch Redakteurinnen und Redakteure funktionieren. Auch dahinter steckt ein KI-Agent: Er versteht, was der Mensch will, formuliert seinen Wunsch zu einer Datenbankanfrage und liefert eine Antwort.

Auch der Bayerische Rundfunk experimentiert intensiv mit KI-Agenten. Ein interdisziplinäres Team an der Schnittstelle zwischen Journalismus, Informatik und Produktentwicklung bildet das AI + Automation Lab. „Wir unterteilen bestimmte redaktionelle Abläufe in mehrere Teile, die Schritt für Schritt mit KI-Unterstützung abgearbeitet werden“ , sagt Steffen Kühne, technischer Leiter im AI + Automation Lab.

Aus der Vor-Internet-Zeit

Ein Anwendungsfall des Labs: der Teletext. Eigentlich ist er ein Überbleibsel aus der Vor-Internet-Zeit, doch er hat immer noch viele Fans. Vor einem Jahr haben nach Unternehmensangaben im Schnitt rund 420.000 Menschen pro Tag zumindest einen Blick hineingeworfen. Seit Februar verzichtet der Sender aus Kostengründen auf einen eigenständigen Teletext und überträgt stattdessen den der ARD. Doch dem fehlt die bayerische Note. Der BR will den ARD-Text daher durch Meldungen aus dem Freistaat ergänzen, die mittels KI automatisch produziert werden. Dabei geht es um 30 bis 40 Seiten pro Tag.

Das Rohmaterial für den automatisch produzierten Teletext sind Meldungen von Nachrichtenagenturen und Berichte von Korrespondenten des Senders fürs Radio oder die Nachrichten-Website BR24. „Eine zentrale Idee unserer KI-unterstützten Produktion von Nachrichten ist, dass die Ausgangsinhalte schon fertig recherchiert sind und von vertrauenswürdigen Quellen stammen “, sagt Kühne.

Mensch bleibt fester Bestandteil

Die agentische KI geht dabei mehrere Arbeitsschritte: Sie extrahiert relevante Informationen aus der Ausgangsmeldung, kürzt, generiert einen (Tele-)Text und checkt Daten und Zitate. Um Fehler zu vermeiden, nutzt das AI + Automation Lab das selbst entwickelte Tool Second Opinion. Das überprüft, ob sich der Inhalt der KI-generierten Formulierungen tatsächlich im Ausgangstext wiederfindet.

Dieser Prozess beruht auf dem Sprachmodell GPT-4o. „Der Prozess funktioniert, es müssen aber noch Regeln für den Einsatz definiert werden, insbesondere zur redaktionellen Endkontrolle von generierten Inhalten “, bilanziert Kühne. Klar ist, dass beim Bayerischen Rundfunk KI-Agenten auch in Zukunft nicht das alleinige Sagen haben werden: Die redaktionelle Auswahl der Themen und die abschließende Überprüfung durch Menschen sollen fester Bestandteil des Prozesses bleiben. Sollte sich der Teletext bewahren, will der Sender ihn auch den übrigen ARD-Anstalten anbieten.

Henning Kornfeld ist Medienjournalist in Heidelberg.