Die Redaktionen des Jahres 2024

Die Zeit hat im vergangenen Jahr 29 Journalistenpreise abgeräumt – mehr als jedes andere deutsche Medium. Das zeigt die exklusive Auswertung der Medienpreise im deutschsprachigen Raum, die der journalist jedes Jahr vornimmt. Neben der Zeit belegen 2024 öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und der Spiegel die Top Ten.
Auswertung: Frederik Holtkamp
02.05.2025
1. Die Zeit: 29 Preise
Ihren Rekord vom Vorjahr (31 Preise) hat die Zeit nicht geknackt, trotzdem steht die Wochenzeitung in diesem Jahr wieder oben auf dem Siegertreppchen. Unter den Preisen finden sich Auszeichnungen wie der Deutsche Reporter:innenpreis in gleich drei Kategorien, der Theodor-Wolff-Preis und der Medienpreis Parlament des Deutschen Bundestags. „Wir freuen uns riesig über die Erfolge unserer Kolleginnen und Kollegen!“, sagt die stellvertretende Zeit-Chefredakteurin Charlotte Parnack. „Sie bestärken uns auch in Art und Rhythmus der Zusammenführung von Zeit und Zeit Online: Entscheidend bleibt dabei, auf allen Bühnen den besten Journalismus zu bieten. Allen Preisträgerinnen und Preisträgern einen herzlichen Glückwunsch!“
2. WDR: 24 Preise
Der Westdeutsche Rundfunk scheint ein Abo auf den zweiten Platz zu haben. Wie in den Vorjahren reiht er sich wieder direkt hinter dem Sieger ein und liegt mit insgesamt 24 Preisen erneut unter den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ganz vorne. Zu den prämierten Beiträgen aus dem WDR gehören zum Beispiel die Maus-Live-Reportage „Wenn der Tod allgegenwärtig ist: Im Kinderhospiz“, für die es den Deutschen Radiopreis in der Kategorie Beste Sendung und den Preis der Kinderjury beim Kindernothilfe-Medienpreis gab. Den Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie „Beste Information“ hat die Talksendung Maischberger bekommen. Der CIVIS-Medienpreis ging an die Dokumentation „Songs of Gastarbeiter“ von WDR und Arte.
3. SWR: 23 Preise
Der Südwestrundfunk hat es dieses Jahr erneut auf den dritten Platz geschafft. Damit ist das Siegertreppchen wieder exakt so belegt wie im vergangenen Jahr. Diesmal hat der SWR allerdings fünf Preise mehr eingesammelt und ist knapp an Platz zwei vorbeigeschrammt. Auch für ihn gab es einen CIVIS-Medienpreis, nämlich den Audio Award für das SWR2-Feature „Perle – Der Weg zurück zur körperlichen Unversehrtheit“ über die Leidens- und Fluchtgeschichte einer somalischen Frau, die in ihrer Heimat Opfer weiblicher Genitalverstümmelung wurde. Den Deutsch-Polnischen Tadeusz-Mazowiecki-Journalistenpreis gab es in der Kategorie Hörfunk für das Feature „Ausbeutung auf der Autobahn – Trucker aus Osteuropa“.
4. BR: 22 Preise
Der Bayerische Rundfunk hat ebenfalls mehr Preise eingesammelt als im Vorjahr – und landet auf Platz vier, den er sich im vergangenen Jahr noch mit dem ZDF geteilt hatte. Für sich verbuchen kann der Sender diesmal unter anderem den Deutschen Jazzpreis für die Webdoku #Challenge1923 der BR-Klassik-Jazzredaktion und den Deutschen Podcast Preis in der Kategorie „Bestes Gespräch“ für den Podcast „Telephobia – Dieser eine Anruf“.
5. NDR: 20 Preise
Der NDR, der vor zwei Jahren das Ranking angeführt hat, landet auf demselben Platz wie im vergangenen Jahr. Zu seinen Auszeichnungen gehören diesmal der Willi-Bleicher- Preis, den die IG Metall Baden-Württemberg vergibt, für den Fernsehbeitrag „Wir waren mal Mittelschicht“ und der UmweltMedienpreis der Deutschen Umwelthilfe für die Dokumentation „LNG um jeden Preis“ über die Auswirkungen der Erdgasförderung in den USA.
6. ZDF: 18 Preise
Das ZDF hat in diesem Jahr drei Preise mehr eingesammelt als im Vorjahr. Darunter den Sonderpreis des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises für eine Spezialausgabe der heute-show mit dem Titel „Zwei Besserwessis im Osten“ und den Grimme-Online-Award in der Kategorie Information für die Recherche „Europäische Waffen, amerikanische Opfer“ von Tagesspiegel und ZDF Magazin Royale.
7. Deutschlandradio: 17 Preise
Auch die Programme des Deutschlandradios sind wieder im Ranking vertreten. Ausgezeichnet wurden sie 2024 unter anderem mit dem Deutschen Podcast Preis in der Kategorie „Beste Innovation“ für die Serie „Billion Dollar Apes“ über den Kryptokunst-Hype während der Corona-Pandemie, die durch eine Zusammenarbeit von Deutschlandfunk Kultur und ZDF entstanden ist.
8. RBB: 13 Preise
Der RBB landet wieder unter den ersten Zehn im Ranking. 2024 hat er unter anderem Preise für die Dokumentation „Die Kings von Kreuzberg“ (Alternativer Medienpreis der Nürnberger Medienakademie und Stiftung Journalistenakademie) und für die beste investigative Leistung mit dem Beitrag „Maßregelvollzug Berlin“ (Bremer Fernseh- und Digitalpreis von Radio Bremen) bekommen.
9. Der Spiegel: 12 Preise
Der Spiegel und die Zeit sind in diesem Jahr die einzigen nicht öffentlich-rechtlichen Medien im vorderen Teil des journalist-Rankings. Der Spiegel gewann unter anderem den Sonderpreis des Dietrich-Oppenberg-Medienpreises der Stiftung Lesen für die Reportage „Ein Autor schafft sich ab“ über einen journalistischen Selbstversuch als „German Writing Expert“ für ein KI-Start-up.
10. MDR: Preise
Wieder ein Top-Ten-Platz für den MDR. Dazu beigetragen haben unter anderem der Grand Prize der RIAS Medienkommission Berlin für den Film „Flucht in den Osten – G.I.s in der DDR“ sowie der Robert-Geisendörfer-Preis der Evangelischen Kirche für das TikTok-Format Fakecheck des Senders funk.
Zur Datenauswertung:
Der journalist hat 131 Journalistenpreise aus dem Jahr 2024 ausgewertet. In die Zählung gehen jeweils die ersten Plätze ein, gegebenenfalls in verschiedenen Kategorien. Haben mehrere Redaktionen zusammen an einem Beitrag gearbeitet, zählt der Preis für beide Medienhäuser.
Die Zeit macht das unbequeme sichtbar
Text: Mia Pankoke und Kathi Preppner
Eine Menschenmenge drängt auf die Treppen des Berliner Reichstags. Einige schwenken Flaggen des Kaiserreichs, andere rufen und brüllen. Mehrere Polizeikräfte springen in voller Montur über die Absperrung, die die Masse längst eingerissen hat. Die Szene ist der Video-Aufmacher eines Zeit-Online-Beitrags. Es sind nur wenige Sekunden, aber sie machen Eindruck.
Ein Symbol der Demokratie gerät ins Wanken – zumindest bildlich. Die Aufnahmen stammen vom 29. August 2020, dem Tag, als nach einer Demonstration hunderte Menschen die Treppen des Reichstagsgebäudes hinaufstürmten. Die Sequenz läuft über dem Online-Beitrag „Warum haben Sie mitgemacht?“, der drei Jahre nach den Ereignissen, im August 2023, zuerst als Titelgeschichte in der gedruckten Ausgabe der Wochenzeitung erschien. Eine Geschichte, für die das zwölfköpfige Autor:innen-Team Beteiligte gefragt hat, was sie dazu bewogen hat. Im vergangenen Jahr erhielt das Team dafür den Medienpreis Parlament des Deutschen Bundestags.
Stefan Willeke hat den Clip erst eine Weile nach der Online-Veröffentlichung gesehen und war an der Auswahl nicht beteiligt. „Aber ich finde ihn stark“, sagt der Zeit-Chefreporter. „Er zeigt die Ernsthaftigkeit der ganzen Unternehmung. Manche der damals Beteiligten tun heute so, als seien sie da zufällig hineingeraten – ein harmloser Spaziergang. Aber das war es nicht. Die hatten vor, dieses Haus zu stürmen. Das war kein gemütliches Kaffeetrinken.“
Die journalistische Rückeroberung eines Narrativs
Der Preis des Bundestags wird an Beiträge vergeben, die parlamentarische Demokratie sichtbar machen – ein Anspruch, den der Zeit-Text auf eindrückliche Weise erfüllt. Die Jury lobte den Beitrag als „Meisterstück der dokumentarischen Distanz“. Texte wie diese machen „das Unbequeme sichtbar“, sagt Juryvorsitzende Claudia Nothelle. „Sie zeigen, was Menschen dazu antreibt, sich gegen das demokratische System zu wenden, weil sie dokumentieren, wo Radikalisierung beginnt.“ Der Artikel veranschauliche, dass die Demokratie nicht nur in Parlamenten verteidigt wird, sondern eben auch im Lokalen, im Journalismus oder in Gesprächen.
Willeke selbst nennt das Projekt eine journalistische Notwendigkeit. Dies sei der Grund, dass die Geschichte in der gedruckten Zeit ungewöhnlich viel Raum bekam – insgesamt sechs Seiten. Sie sollte eine dem Thema angemessene Dramatik ausstrahlen. „Der Sturm auf den Reichstag ist nach dem Geschehen journalistisch in den Hintergrund geraten“, sagt Willeke rückblickend. Die mediale Aufmerksamkeit sei nach 2020 rasch abgeebbt, geblieben seien allenfalls ein paar Jahrestagsmeldungen. „Wir wollten dieses Ereignis nach drei Jahren aus den Geschichtsbüchern zurückholen.“ Denn das Gedankengut, das hinter den damaligen Ereignissen steckt, ist nicht verschwunden. Im Gegenteil: „Es ist virulent, es wirkt weiter.“ Aufgabe sei es, solche Ereignisse nicht verblassen zu lassen, sondern ihnen die Tiefe und Ernsthaftigkeit zu geben, die sie verdienten, erklärt Willeke. Gemeinsam mit Kriminalreporterin Anne Kunze vom Ressort Verbrechen der Zeit leitete und koordinierte Willeke die Recherche. Die Aufgaben verteilten sie flexibel und vergrößerten das Team immer weiter. Denn die Recherche war mühselig. Schließlich waren Zeit-Redakteur:innen, Freie und Datenjournalist:innen mit dabei. „Es war schnell klar, dass unser ursprünglich fünfköpfiges Team nicht reichen würde, um dem Anspruch, mit so vielen Beteiligten wie möglich zu sprechen, gerecht zu werden.“
Das Team nahm Kontakt zu mehr als hundert Personen auf, die damals auf den Reichstagsstufen standen oder mitgelaufen waren – manche gaben bereitwillig Auskunft, andere nur unter Bedingungen, einige gar nicht. „Etwa 50:50“, so Willeke. Ein Teil dieser Menschen gehöre einem Milieu an, das mit Journalist:innen der sogenannten Mitte überhaupt nicht mehr spricht. „Aber manche ließen sich ein, wenn auch nur für zehn Minuten.“ Die Herausforderung war, diesen Stimmen Raum zu geben, ohne ihre Perspektive zu übernehmen. „Wir wollten nicht das Narrativ der Demonstranten transportieren, die behaupteten, alles sei gar nicht so wild gewesen“, betont Willeke.
Zeit bleibt Spitzenreiter bei Journalistenpreisen
Nicht nur diese Zeit-Recherche hat einen Preis abgeräumt: Die Zeit führt auch 2024 das Ranking der meistprämierten Redaktionen an. Mit insgesamt 29 Preisen belegt sie erneut den ersten Platz in der journalist-Auswertung. Zwar hat die Wochenzeitung ihren Rekord vom Vorjahr (31 Preise) knapp verfehlt, trotzdem hat kaum ein anderes Medium in den vergangenen Jahren konstant so viele Auszeichnungen erhalten. „Wir freuen uns riesig über die Erfolge unserer Kolleginnen und Kollegen!“, sagt die stellvertretende Zeit-Chefredakteurin Charlotte Parnack. „Sie bestärken uns auch in Art und Rhythmus der Zusammenführung von Zeit und Zeit Online: Entscheidend bleibt dabei, auf allen Bühnen den besten Journalismus zu bieten. Allen Preisträgerinnen und Preisträgern einen herzlichen Glückwunsch!“
Unter den Preisen findet sich zum Beispiel gleich dreimal der Deutsche Reporter:innen-Preis – unter anderem in der Kategorie Freie Reportage für einen Beitrag über den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Auch der Theodor-Wolff-Preis ist dabei, den der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger vergibt. Diesen gewann die Zeit in der Kategorie Reportage für einen Beitrag über das westafrikanische Land Niger, in dem die Menschen das Ende der Demokratie feiern.
Öffentlich-rechtliche Sender bleiben stark
In den prämierten Texten taucht immer wieder die Frage nach dem Zustand von Demokratien auf. Weltweit stehen Demokratien unter Druck, in manchen Ländern ist die Demokratie als Staatsform bereits ins Wanken geraten oder – wie in Niger – gefallen. Auch hierzulande gibt es Menschen, die sich eine Schwächung der Volksherrschaft wünschen. Das zeigte auf besonders eindringliche Weise der Correctiv-Beitrag „Geheimplan gegen Deutschland“, in dem das Medienhaus Anfang 2024 von den Remigrationsplänen rechtsextremer und völkisch-identitärer Kreise bei einem Geheimtreffen in Potsdam berichtete. Das löste anschließend deutschlandweit Demonstrationen gegen rechts aus. Correctiv hat 2024 fünf Journalistenpreise erhalten, vier davon für diesen Beitrag.
Besonders auffällig in diesem Jahr: Neben der Zeit auf Platz eins und dem Spiegel auf Platz neun haben es ausschließlich öffentlich-rechtliche Sender in die Top Ten der Journalistenpreis-Auswertung geschafft. „Das Ergebnis der Auszählung untermauert die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, sagt journalist-Chefredakteur Matthias Daniel. „Daran kann man ablesen, dass hier Journalismus entsteht, der einen großen Impact hat.“ Die Süddeutsche Zeitung, zuletzt Zweitplatzierte und auch in den Vorjahren immer auf einem der vorderen Plätze, landet diesmal auf Platz elf.
Insgesamt hat der journalist mehr als 200 Preise ausgewertet. Nicht alle sind 2024 vergeben worden, 131 flossen in die endgültige Zählung ein. Gewertet wurden jeweils die ersten Plätze, gegebenenfalls in verschiedenen Kategorien.
Lokalmedien sind in den Top Ten nicht vertreten. Dabei zeigen sich gesellschaftliche Verwerfungen im Lokalen oft als erstes – sagt Manuela Müller. Sie ist Reporterin im Rechercheressort der Chemnitzer Tageszeitung Freie Presse, die 2024 zwei Journalistenpreise erhielt. Einer davon ging an Müller, nämlich der Deutsche Reporter:innen-Preis in der Kategorie Bester Essay. Titel des Beitrags: „Die Hakenkreuze von nebenan“. Müller geht darin der Frage nach, warum in manchen Landstrichen im Osten Hakenkreuzschmierereien und andere rechtsextreme Vorkommnisse zur Normalität geworden sind. Ihr Befund: Das politische Geschehen ist kaum Thema in den Schulen. Im Politikunterricht gehe es oft nur um Strukturen und Funktionsweisen, zu selten um konkrete Inhalte.
Vor ihrem Wechsel in den Mantelteil der Freien Presse hat Müller lange in der Lokalredaktion gearbeitet. „Dort sieht man am besten, wie sich die Einstellungen der Menschen ändern und radikalisieren“, sagt sie. Schon lange sei ihr die Frage durch den Kopf gegeistert, woran es liege, dass Kinder und Jugendliche in ihrer Gegend auf Instagram Alice Weidel oder Björn Höcke folgen und AfD-Plakate im Kinderzimmer hängen haben. Die Idee für den Essay hatte sie, als in ihrer Nachbarschaft nacheinander drei große Hakenkreuze an eine Wand geschmiert wurden.
Müller freut sich darüber, dass der Reporter:innen-Preis ihrem Essay mehr Sichtbarkeit verschafft. Die würde sie sich generell für den Lokaljournalismus wünschen. „Die Demokratie fängt immer an der Basis an zu bröckeln“, sagt Müller. „Leider gilt das auch für unsere Branche“, fügt sie hinzu. Im Lokalen fehle es oft an Geld und Zeit, um Hintergründe recherchieren zu können. „Dabei können wir gerade hier vor Ort die Sorgen der Menschen aufgreifen und auf Augenhöhe berichten – und nicht von oben nach unten.“
Auch die Correctiv-Redaktion sieht die Preise als Bestätigung für die Relevanz ihrer Recherchen. „Sie motivieren uns, weiter kritisch und unabhängig zu arbeiten – für eine informierte Öffentlichkeit und eine lebendige Demokratie“, sagt Co-Chefredakteur Justus von Daniels. „Jede Recherche, die wir veröffentlichen, ist mit wochen- oder monatelanger Arbeit verbunden – oft im Verborgenen, oft unter schwierigen Bedingungen“, sagt die stellvertretende Chefredakteurin Anette Dowideit.
Dass Geschichten solche Wellen schlagen, sei dabei kein Selbstzweck, sondern zeige, wie wichtig investigativer Journalismus sei. „Und journalistische Preise tragen wesentlich zur Sichtbarkeit bei – gerade auch innerhalb der Medienbranche. Sie geben uns Rückenwind für unsere Arbeit“, sagt sie.
Auch wenn Medienschaffende heute immer wieder über Angriffe auf den Staat und die Demokratie berichten, ist es noch immer eine ihrer wichtigsten Aufgaben, den Mächtigen auf die Finger zu schauen. So, wie es auch netzpolitik.org tut. Das Medium veröffentlicht regelmäßig Recherchen über staatlichen Machtmissbrauch und Überwachung. Dabei nimmt es oft einen analytischen Blick auf die Dinge ein. Im Podcast Systemeinstellungen sollen hingegen Menschen selbst zu Wort kommen, die ins Visier des Staates geraten sind, erklärt Co-Chefredakteurin Anna Biselli. Ein Journalist, der auf das Archiv einer linksradikalen Plattform verlinkt hat, eine Pfarrerin, die sich für Geflüchtete einsetzt: Sie und andere Protagonist:innen erzählen in den einzelnen Folgen des Podcasts, wie plötzlich die Polizei frühmorgens an ihre Tür hämmert oder den Kirchencomputer durchsucht.
„Das erschüttert ein Grundvertrauen“, sagt Biselli mit Blick auf die Razzia im Pfarrhaus, wo eigentlich das Kirchenasyl gelten müsste. In den verschiedenen Podcast- Folgen berichten die Protagonist:innen von unterschiedlichen Wegen, die sie gefunden haben, um mit dem Vertrauensbruch umzugehen. „Wir wollen mit dem Format zur Diskussion über die Verhältnismäßigkeit solcher Maßnahmen beitragen“, sagt Biselli. Für den Podcast hat die Redaktion den Grimme Online Award 2024 in der Kategorie Information bekommen. Ob es eine zweite Staffel von Systemeinstellungen geben wird, war bei Redaktionsschluss noch offen – durch den Preis hat er jedenfalls an Sichtbarkeit gewonnen.
Gegen das Vergessen
„In solchen Momenten merkt man, dass diese Arbeit gesehen wird“, sagt Zeit-Reporter Stefan Willeke über die Verleihung des Bundestagspreises. Das Preisgeld – 5.000 Euro – teilten die Preisgeber unter den zwölf Zeit-Autor:innen gleichmäßig auf. Viel wichtiger fand Willeke aber den Moment der Auszeichnung. „Das war ein sehr würdevoller Abend“, erzählt er. Neben ihm am Tisch saß unter anderem CSU-Politikerin Dorothee Bär und Willeke habe gespürt, dass die Menschen um ihn herum sich wirklich mit dem Text beschäftigt hatten.
Journalistenpreise tragen dazu bei, dass Geschehnisse nicht in Vergessenheit geraten oder nur vage in Erinnerung bleiben – so sieht es Willeke. Gerade im Falle des Reichstagssturms sei es wichtig gewesen, Zeichen zu setzen – gegen das Vergessen, gegen das Verdrängen. „Ich wünsche mir, dass diese Art der Recherche nicht die Ausnahme bleibt“, sagt Willeke. „Denn Angriffe auf die Demokratie kommen nicht nur von unten. Sie kommen inzwischen auch von oben. Und das macht sie so gefährlich.“
Mia Pankoke und Kathi Preppner sind Redakteurinnen der Wirtschaftsredaktion Wortwert.