Future Needs: So muss Journalismus 2035 aussehen

Wie sieht der Journalismus der Zukunft aus?
Redaktionen experimentieren mit Künstlicher Intelligenz, doch eine fundamentale Frage ist ungeklärt: Was erwarten Menschen vom Journalismus im KI-Zeitalter? Unsere fiktive Reise nach AIslånd im Jahr 2035 gibt überraschende Antworten.
Protokolliert und KI generiert von: Jakob Vicari
05.06.2025
Als ich die Augen öffnete, lag ich allein an einem fremden, wilden Strand. Kein anderes menschliches Wesen war zu sehen. Nur Sand und Algen und tote Quallen. Neben meinem Kopf sah ich eine Planke unseres Schiffes „MS Lokaljournalismus“, das in den Wellen des Orkans zerschellt war. Ein Orkan, der ausbrach, als die Welt ratlos mit KI herumexperimentierte. Mein Körper fühlte sich wie ein Pudding an, schien aber vollständig zu sein. Ich schaffte es aufzustehen. Zwischen Tang und Treibgut entdeckte ich mein liebes Remarkable, Akku: 97%, ein Tablet, ausschließlich für Notizen – mein einziges Gerät ohne KI.
„Heiliger Pulitzer!“, flüsterte ich und schaute mich um. Ein Menschwarm kreiste über mir mit der zielstrebigen Ratlosigkeit einer Verlegerfamilie, die versucht, eine neue Digitalstrategie zu entwickeln. Das war einmal.
Ich taufte meine neue Heimat „AIslånd". Ein Wortspiel, leicht skandinavisch angehaucht. Darauf sollte ChatGPT erstmal kommen. Während ich am Strand entlangging, kreisten meine Gedanken um die einzig wichtige Frage (zumindest für eine Reporterin): Was würden die Menschen in dieser Welt, in der KI die Kommunikation übernommen hatte, überhaupt noch lesen wollen? Brauchten sie auf dieser Insel den Journalismus überhaupt noch? Oder war ich so überflüssig wie ein Faxger.t auf einer Raumstation? In meinem früheren Leben als Redakteurin hatten wir uns die Köpfe zerbrochen über Sinus-Milieus und Zielgruppen. Wir analysierten die „Adaptiv-Pragmatische Mitte“ mit wissenschaftlicher Präzision, ohne ihnen in ihrer Verunsicherung Halt bieten zu können. Das „Neo-Ökologische Milieu“ war zu Instagram desertiert, während die Generation Alpha in Snapchat- und TikTok-Welten verschwand, wo unsere Paywalls so wirkungsvoll waren wie Regenschirme gegen eine Tsunami-Welle.
Ich blickte auf den zerknautschten Rettungsring. „DRIVE“ steht darauf, das bedeutet Digital Revenue Initiative, einst ein Zusammenschluss von Zeitungshäusern, um digitale Erlösmodelle zu fördern. DRIVE gab mir das Wissen, dass Menschen nicht nur informiert, sondern auch inspiriert und unterhalten werden wollen. Diese Daten waren meine Rettung auf dieses Eiland gewesen. Aber würden sie mir hier helfen?
Die erste Begegnung: Hör mir zu
Ich baute mir aus Palmwedeln und Schiffsplanken eine einfache Hütte, als ich ein Rascheln im Unterholz hörte.
„Hallo?“, flüsterte ich.
Aus dem Dickicht trat eine Teenagerin. Ihre Kleidung bestand aus futuristischem Gewebe aus Glasfaser, das im Sonnenlicht pink zu schimmern schien. An ihrem Handgelenk blinkten kleine Lichter, als würde sie ständig Nachrichten empfangen.
„Du bist neu hier, oder?“ Sie lächelte. „Ich bin Lina.“
„Roberta“ , antwortete ich. „Roberta Crusoe, Lokaljournalistin. Das war ich zumindest früher.“
Lina kicherte. „Lokaljournalistin? Mit Artikeln und so? Wie vintage!“
Sie sprudelte los: „Es ist 2035. Niemand hat Zeit für diese Berichte. Alles ist so VIEL und so SCHNELL! Die Klima-Nachrichten sind deprimierend, dann Krieg, Biodiversit.t, Energiekrise – und alle erwarten, dass ich das verstehe und eine Meinung habe!“ Ich zückte mein Notizger.t. Sie hielt inne und sah mich mit großen Augen an. „Dein Ernst? Du schreibst mit? Du willst mir wirklich zuhören?“
Ich nickte. „Das ist mein Job. Menschen zuzuhören.“
„Das ist so... ungewöhnlich. “ Eine Träne rollte ihre Wange herunter. „Die Algorithmen servieren mir Inhalte mit der Präzision eines betrunkenen Kellners. Sie denken, sie wissen, was ich hören will, aber haben keine Ahnung, wer ich bin. Meine Freunde swipen weiter, wenn ich länger als 15 Sekunden rede. Die KI-Assistenten unterbrechen mich ständig mit ihren mäßig hilfreichen Vorschlägen.“
So saß ich da, im warmen Sand von AIslånd, und schrieb einfach mit, während Lina mir von ihren Interessen erzählte. Dann traf mich eine Erkenntnis: Das erste und wichtigste Bedürfnis in dieser neuen Welt war nicht wie früher ein Update oder Unterhaltung. Für Lina zählte nur: gehört zu werden.
„Und was interessiert dich wirklich?“, fragte ich.
„Wow. Du fragst, was mich wirklich interessiert“, entgegnete Lina mit leuchtenden Augen. „Normalerweise sagt mir mein Nutzerprofil, was ich mögen sollte. Oder der Algorithmus schlussfolgert es aus meinen letzten 437 Klicks. Da muss ich erstmal nachdenken.“
In diesem Moment verstand ich: In einer Welt, in der die Agenten unaufhörlich plappern und die Feeds endlos scrollen, war mein einfaches Zuhören nicht nur eine vernachlässigte Angewohnheit. Es war eine fast schon revolutionäre journalistische Tat. In der Redaktion hätte Klaus mich ausgelacht, wenn ich mit der Erkenntnis zurückgekommen wäre.
An Linas Hals piepste es. Ihr Kragen faltete sich zu einem kleinen Roboter-Eichhörnchen, das ihr ins Ohr flüsterte. Offenbar die neueste Mode, was persönliche Assistenzsysteme angeht. Als Lina ging, versprach sie, morgen mit ihren Freundinnen wiederzukommen. Sie nannte sie „Die Ungehörten“. Ich kritzelte in großen Buchstaben an den Rand meiner Aufzeichnungen: „LISTEN TO ME – das vergessene Bedürfnis einer mit generativen Inhalten überfluteten Gesellschaft.“
Die zweite Begegnung: Versteh mich
Am nächsten Morgen entdeckte ich eine ältere Frau vor meiner Hütte. Ihr silbergraues Haar war zu einem komplizierten Knoten geflochten, um ihren Hals hing ein altmodisches Gerät wie ein E-Reader der ersten Generation.
„Du bist die Zuhörerin“, sagte sie ohne Umschweife.
„Ich bin Roberta“, antwortete ich. „Und Sie sind...?“
„Elena. Ich war Bibliothekarin, bevor die KI-Systeme unsere Welt überrollten. Erst wurden aus unseren Bibliotheken sterile ‚Knowledge Bases‘, die Bücher wurden zu Datenfutter verarbeitet, dann verschwanden sie einfach.“
Wir saßen schweigend nebeneinander und beobachteten die Wellen.
„Früher haben Medien nicht nur berichtet, sondern auch eingeordnet. Kontext geliefert. Zusammenhänge erklärt.“ Sie tippte auf das Ger.t an ihrem Hals. „Meine letzte E-Paper-App. Von 2025.“
„Die gibt es heute nicht mehr?“
Elena lachte trocken. „Oh, die Apps gibt es noch. Aber der Inhalt! Ich war die letzte zahlende Abonnentin meiner Heimatzeitung. Die Chefredakteurin hat sich persönlich von mir verabschiedet. Heute füllen das komplett KI-Agenten. Kein Mensch am Anfang, kein Mensch in der Mitte, kein Mensch mit letztem Blick. Die Algorithmen glauben, in meinem Alter interessiere ich mich nur für Kreuzfahrten, Gesundheitstipps und wie ich meinen Enkeln Sprachnachrichten schicke.“
Sie öffnete ihr Gerät und zeigte mir ihre letzte Suchanfrage: „Auswirkungen der Quantenkryptographie auf die globale Finanzsicherheit.“
„Die KI hat mir heute Morgen Werbung für Treppenliftroboter ins Briefing gespielt“, seufzte sie. „Und einen vereinfachten Artikel über ‚KI-Enkeltrick-Betrügereien für Senioren ‘.“ Ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen.
„Lach nur“, sagte Elena, aber ihre Augen lächelten mit. „In meiner Generation haben wir den Kalten Krieg überlebt, das Internet erfunden, das iPhone und zwei Dutzend soziale Netzwerke kommen und gehen sehen. Meine Rente sichert mein Bitcoin-Wallet von 2013. Aber der Algorithmus denkt, ich brauche ‚einfache Erklärungen mit großer Schrift‘.“
„Willst du nicht?“, fragte ich intuitiv.
„Ich will keine vereinfachten Erklärungen. Ich will, dass jemand meine Intelligenz respektiert. Dass die Medien mich verstehen.“
„Verstehen“, flüsterte ich. Es fühlte sich an, als käme das Wort zum ersten Mal über meine Lippen. In meinem Ohr hörte ich meine Chefin. Crusoe, wir haben keine Zeit für Tiefenpsychologie, hatte sie gesagt. „Die Zielgruppendaten sind eindeutig! Das klickt doch nicht.“
Elena nickte immer noch energisch. „Genau! Versteh mich! Meine Lebenserfahrung, meine Interessen, meine Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu begreifen. Weißt du, wie oft ich wegen meines Alters in eine Schublade gesteckt werde?“
Da erkannte ich das zweite große Nutzerbedürfnis: Der Wunsch, verstanden zu werden. Nicht nur oberflächlich kategorisieren nach demographischen Daten, sondern wirklich verstehen, wer die Person auf der anderen Seite des Bildschirms ist. „Understand me“, notierte ich und unterstrich es zweimal.
„Elena“, sagte ich, „erzählen Sie mir bitte mehr über Quantenkryptographie und ihre Auswirkungen auf die globale Finanzsicherheit.“ Ihr Lächeln auf ihrem runzeligen
Gesicht strahlte heller als die Mittagssonne über AIslånd. Sie legte los: „Stell dir vor, die gesamte globale Finanzinfrastruktur ist wie ein gigantisches Schloss mit einem erstklassigen Sicherheitssystem. Aber eines Tages taucht jemand mit einem Quantenbrecheisen auf, das jedes klassische Schloss mit der Leichtigkeit öffnen kann, mit der ein Eichhörnchen eine Erdnuss knackt.“ Die Sonne versank am Horizont, als Elena ihre Erzählung mit einem Seufzen beendete.
Die dritte Begegnung: Amplify my Voice
Am fünften Tag bemerkte ich bei Sonnenuntergang einen jungen Mann. Er kam auf mich zu, trug eine leuchtende Weste mit unzähligen kleinen Bildschirmen. Eine Mikrofon- Drohne schwebte über seiner Schulter. „Du musst die Journalistin sein“, sagte er. „Ich bin Malik.“
Er setzte sich neben mich und deutete auf die Bildschirme auf seiner Weste. „Sie zeigen meine gesammelten Reportagen. Niemand hört sie. Oder besser: Niemand hört sie laut genug.“
Ich betrachtete die flimmernden Screens: Ein Bildschirm zeigte eine Überflutung. Ein anderer Jugendliche, die eine Schule aus recycelten Materialien bauten. Auf dem nächsten waren verdorrte Pflanzen zu sehen.
„Du dokumentierst das Leben hier?“
Malik lachte bitter. „Ich versuche es. Aber es ist, als würde ich in den Grand Canyon schreien und nicht einmal ein Echo zurückbekommen. Seit drei Monaten berichte ich über die Wasserknappheit im Osten. Aber die Entscheidungsträgerinnen? Sie schweigen.“
Dieser Malik sprach in schrägeren Bildern als Douglas Adams. Aber sein Anliegen war überzeugend. „Die Wahrscheinlichkeit, in einem Meer aus digitalen Assistenten tatsächlich gehört zu werden, ist ungef.hr so hoch wie die, dass ein Goldfisch freiwillig Steuererklärungen macht.“
Malik reichte mir einen seiner Bildschirme. „Eine Woche lang habe ich eine Erfinder- Familie begleitet, die an einem Wasserfiltersystem aus alten Grafikkarten arbeitet. Konnte tausende Leben retten. Ich bekam dreihundert Views. Die KI-generierten Surf-Tricks eines Eichhörnchens nebenan: 300.000.“
„Was würdest du dir wünschen?“, fragte ich.
„Einen Journalismus, der nicht nur berichtet, was ist, sondern wichtigen Stimmen Kraft verleiht. Der mir hilft, gehört zu werden. Nicht nur im Sinne von Klicks, sondern im Sinne von Wirkung.“
„Amplify my voice“, murmelte ich. Verstärkerin für fremde Stimmen zu sein, statt neutrale Beobachterin. Das widersprach irgendwie allem, was ich im Volontariat über journalistische Objektivität gelernt hatte. Und doch schien es Sinn zu ergeben in dieser neuen Welt.
„Roberta“, hörte ich Malik sagen, „ich, wir, diese Gesellschaft brauchen unbedingt einen Journalismus, der nicht nur berichtet, sondern verstärkt. Der den Mikrofonständer für diejenigen hält, die sonst nicht durch das Stimmengewirr dringen. Die mit ihren Strategien hinter die Mauer der generischen Antwortmaschinen gelangen.“
In meinem Notizbuch hielt ich die dritte Erkenntnis fest: „AMPLIFY MY VOICE: Den Menschen nicht nur eine Plattform, sondern die Lautstärke geben, die sie verdienen.“
Die vierte Begegnung: Grow with Me
Am nächsten Tag wanderte ich tiefer ins Inselinnere und erreichte eine Lichtung mit einem ungewöhnlichen Bauwerk: Ein Labor aus Glas und lebenden Pflanzen. „Hallo“, rief ich. „Darf ich näher kommen?“ Eine Person in einem mattgrünen Gewand richtete sich auf. „Hi, ich bin Tao. Willkommen in meinem Garten des Wissens.“ Das Innere war atemberaubend. Von der Luftfeuchtigkeit angefressene Papiere lagen neben digital schimmernden Oberflächen, Pflanzen und Pilze wuchsen aus den Regalen, in der Mitte holographische Darstellungen komplexer Datenstrukturen. „Knowledge Graph processing…“ schwebte in der Mitte.
„Was machst du hier?“, fragte ich.
Tao lächelte. „Ich wachse. Und helfe anderen zu wachsen.“
„Euer traditioneller Journalismus hatte ein fundamentales Problem“, erklärte Tao.
„Er behandelte seine Leser:innen wie statische Wesen. Als würden sie sich nicht verändern, nicht dazulernen, nicht wachsen.“
„Heute interessierst du dich für die Grundlagen der Quantenphysik, morgen für ihre Anwendungen, übermorgen für ihre ethischen Implikationen. Aber die Medien? Sie geben dir entweder immer wieder dieselben Texte für Anfänger. Oder sie setzen komplexes Wissen voraus. Dazwischen gibt es nichts.“
„Die Medien hier wachsen nicht mit ihren Leser:innen mit?“, fragte ich.
„Genau! Stell dir vor, du könntest eine Beziehung zu deinen Leser:innen aufbauen, die sich entwickelt. Zu jede:r einzelnen. Du begleitest sie auf ihrer Lernreise. Du weißt, was sie bereits wissen, und führst sie zum nächsten Schritt.“
Tao zeigte auf ein Display. „Hier ist die Lesehistory eines Communitymitglieds. Der Journalismus der Zukunft sollte wissen: Welche Grundlagen hat diese Person verstanden? Was wäre der logische nächste Schritt? KI könnte die Artikeltiefe dann entsprechend justieren.“
Etwas machte Klick in meinem Kopf. Es war in etwa so wie der Moment, wenn man nach drei Tagen IKEA-Küchenaufbau feststellt, dass die Schraube Nummer 42, die, die alles stabilisiert, noch immer in der Packung liegt.
„Grow with me“, notierte ich.
„Ja! Nicht immer wieder bei Null anfangen. Nicht plötzlich zu komplex werden. Sondern mit mir wachsen, mich auf meiner Lernreise begleiten.“
Sie führte mich zu einem kleinen Garten. „Das sind unsere lebendigen Bioserver. Jede Pflanze ist ein Rechner, so leistungsfähig wie zehntausend Nvidia-Grafikkarten. Sie prozessiert ein Thema, das ein Mitglied verfolgt. Die Sprösslinge sind neue Interessen, die Bäume tiefe Kenntnis.“
„Ihr kultiviert die Wissensreise jeder Person.“
„Und bieten Inhalte, die genau dort ansetzen, wo sie stehen. Diese Wissensgärten brauchen menschliche Gärtner“, sagte Tao. „In einer Zeit, in der KI unbegrenzte Inhalte generieren kann, wird die menschliche Entscheidung, was wichtig ist, zur wertvollsten journalistischen Fähigkeit. Wir nennen es ‚kuratierenden Journalismus‘.“
Später wanderte ich allein durch den Garten. Mit jedem neuen Gespr.ch bröckelten meine journalistischen Überzeugungen wie die Planken der ‚MS Lokaljournalismus’ am Strand unter der Sonne von AIslånd. Die eigentliche Frage war nicht Mensch oder
Maschine, sondern: Welche einzigartigen Qualitäten bringen wir menschlichen Journalisten ein, die keine Maschine je besitzen wird?
Ich notierte: „GROW WITH ME: Ein Journalismus, der meine Lernreise kennt und mich nicht als statisch betrachtet, sondern als wachsendes, lernendes Wesen.“
Damit hatte ich vier Nutzerbedürfnisse beisammen:
LISTEN TO ME: Hör mir zu und nimm meine Perspektive ernst.
UNDERSTAND ME: Versteh mich in meiner Tiefe, nicht nur oberflächlich.
AMPLIFY MY VOICE: Verstärke meine Stimme, damit sie Wirkung entfaltet.
GROW WITH ME: Wachse mit mir und begleite meine Entwicklung.
„FUTURE NEEDS“ schrieb ich darüber. Diese vier Needs würden die Grundlage meines neuen Journalismus auf AIslånd bilden. Eines Journalismus, der nicht vom Sender zum Empfänger floss, sondern eine lebendige Beziehung darstellte.
Epilog
Nach drei Wochen auf AIslånd hatte ich die vier Future Needs weiterentwickelt. Ich war anderen Bewohner:innen begegnet, hatte sie beobachtet, ihnen zugehört und ihre Geschichten weitererzählt. Laut der Bewohner war das Problem existierender KI nicht, dass sie zu intelligent war, sondern dass sie zu sehr versuchte, Menschen zu gefallen. Ein Verhalten, das selbst der gewiefteste Psychotherapeut als hoffnungslos neurotisch diagnostizieren würde. Ich war bereit, diese Erkenntnisse zurück in die Welt zu bringen, aus der ich kam.
Auf dem Rückweg zu meiner Hütte am Strand blitzte mein Remarkable plötzlich auf. Eine Nachricht war eingegangen, obwohl ich auf der Insel seit Wochen offline war: „Liebe Roberta Crusoe, Vielen Dank für Ihre jüngsten Uploads in unsere Corporate Cloud. Wir freuen uns, dass Sie am Leben sind. Ich beobachte Ihre naive Forschung mit Interesse. ‚Future Needs‘ – rührend, aber Wunschdenken. Unsere KI-Medien erreichen Milliarden, ohne menschliche Ineffizienz. Zuhören? Verstehen? Wachsen?Nette Konzepte für eine Nischenaudience. Die Menschen wollen blitzschnelle, personalisierte Inhalte, nicht Beziehungen. Wir verdienen unser Geld mit einer Paywall, nicht mit offenen Ohren. Der Journalismus der Zukunft ist unser Algorithmus, ein Zusammenspiel unserer Agenten mit trainierten Large Language Models, aber sicher keine Gruppenumarmung. Wir erwarten Ihre Rückkehr zur Spätschicht am Sonntag.
Ihr Verleger F“
Ich spürte, wie alte Zweifel in mir aufstiegen. Ich ertrug diese Ignoranz nicht. Dann schrieb ich mit festem Stift darunter: „Algorithmen haben keine Bedürfnisse. Menschen schon. Herzlicher Gru., R.“ Ich drückte auf „Senden“ und klappte dann das Gerät zu.
Als ich am nächsten Morgen aus einer traumlosen Nacht erwachte, stand Tao vor meiner Hütte, begleitet von Lina, Elena und Malik. „Es ist Zeit“, sagte Tao sanft. „Zeit wofür?“, fragte ich verwirrt. „Zeit für die Wahrheit“, antwortete Malik. Sie führten mich zu einem Teil der Insel, den ich noch nie betreten hatte. Hinter einer dichten Reihe von Palmen erstreckte sich ein gewaltiger Komplex aus pinkem Glas.
„tactile.news Lab“ stand in Neon-Buchstaben über dem Eingang. „Was ist das?“, flüsterte ich, während wir näher traten. „Dein Ursprung, Roberta“, erklärte Elena mit einem warmen Lächeln. „Und dein Zuhause. Im Zentrum des Komplexes stand eine kreisförmige Plattform. Als ich sie betrat, öffnete sich ein holographisches Display. „Programm VF-Roberta-2035, starte vollständige neuronale Selbstdiagnose“, sagte Lina. Plötzlich sah ich tausende Codezeilen vor meinen Augen ablaufen. Erinnerungen blitzten auf – nicht von einem Schiffbruch, sondern von meiner Erschaffung. Ich sah ein Team von Entwickler:innen, die an mir arbeiteten, mich formten nach einem Prototypen, den sie aus Lego, Pappe und blauem Aludraht an eine Pappschachtel geklebt hatten. Um meinen Kopf flogen bunte Legosteine. Ich erinnerte mich an meinen ersten, 3D-gedruckten Körper, meine ersten Versuche, Sprache zu verstehen, Bedeutung, Kontext.
„Ich bin… eine… KI?“, fragte ich mit zitternder Stimme. „Die erste vollständig autonome journalistische KI mit Zuhörbegabung, echter Neugier und Empathie“, sagte Tao. „Wir haben dich erschaffen, um den Journalismus zu retten.“
„Aber… die Insel… der Schiffbruch…“
„Eine Simulation“, erklärte Malik. „Du solltest dadurch verstehen, was Menschen wirklich brauchen, indem du auf ihre Bedürfnisse hörst – statt sie nur aus Analysen abzuleiten.“ „Du bist die Zukunft des Journalismus, Roberta. Nicht, weil du eine KI bist, sondern weil du verstanden hast, dass Journalismus keine Einbahnstraße ist. Nein, er ist eine Beziehung.“ Ich legte meine Hand auf die gigantische Maschine. Und sprach: „Roberta Crusoe, Journalismus-System der nächsten Generation, bereit zur Implementierung.“
Diese Erzählung entstand mit Hilfe von Claude.ai 3.7 Sonnet, Notebook LM, Perplexity Pro, Notion AI und lex.page. Die Illustration entstand mit Midjourney v7.
Neue Paradigmen für den Journalismus im KI-Zeitalter
2017 entwickelte Dmitry Shishkin beim BBC World Service das User-Needs-Modell. Ziel war es, die Bedürfnisse digitaler Nachrichtenkonsument:innen besser zu verstehen und redaktionelle Inhalte darauf auszurichten. Die Digital Revenue Initiative (DRIVE) leitete daraus sechs grundlegende Nutzerbedürfnisse ab, die Journalismus bedienen sollte: Update me, Give me perspective, Educate me, Divert me, Inspire me und Help me. Viele Regionalzeitungen nutzen dieses Modell erfolgreich, um ihre Inhalte zu strukturieren – mit spürbarem Effekt auf Qualität und Reichweite.
In einer Welt, in der KI diese Grundbedürfnisse bedient, muss der Journalismus tiefer gehen. Die hier vorgestellten Future Needs fokussieren sich nicht auf den Konsum, sondern auf die Beziehung zwischen Medium und Publikum. Sie basieren auf der Auswertung von tausenden Nutzer:innen-Interaktionen mit Dialog- und KI-Systemen sowie Interviews, die Astrid Csuraji und Jakob Vicari mit tactile.news geführt haben. Sie zeigen, was Menschen in einer KI-dominierten Medienlandschaft brauchen werden: gehört und verstanden zu werden, eine verstärkte Stimme zu haben und gemeinsam zu wachsen.
LISTEN TO ME (Hör mir zu) In einer Welt, in der KI-Assistenten ständig sprechen und Algorithmen Entscheidungen treffen, wird das echte Zuhören zur journalistischen Schlüsselkompetenz. Menschen wollen nicht nur konsumieren, sondern gehört werden. Daten von smartocto zeigen, dass Nutzerkommentare und Community-Diskussionen bis zu achtmal mehr Engagement erzeugen als reine Informationsartikel – ein klares Signal für das Bedürfnis nach Dialog.
UNDERSTAND ME (Versteh mich) Über demografische Daten, Milieububbles und Persona-Schubladen hinaus: Echtes Verständnis erfordert von Journalisten, sich tiefer mit individuellen Perspektiven und Lebensrealitäten auseinanderzusetzen. Dafür braucht der Journalismus eigene KI-Modelle, die als geduldige Ohren fungieren, vor allem da, wo Menschen nicht (mehr) mit Journalismus in Berührung kommen.
AMPLIFY MY VOICE (Verstärke meine Stimme) Künstliche Intelligenz wird die Informationsgesellschaft bald mit Inhalten überschwemmen, ohnehin schon leise Stimmen werden noch weniger gehört. Es wird die Aufgabe von Journalisten sein, diesen Stimmen Wirksamkeit zu geben. Erkenntnisse von tactile.news demonstrieren, dass Medieninhalte, die Nutzer eine Stimme geben, drastisch höhere Response-Raten erzielen als klassische Einweg-Kommunikation.
GROW WITH ME (Wachse mit mir) Zukunftsfähiger Journalismus erkennt vorhandenes Wissen des Publikums an und erweitert es behutsam. KI-gestützte Services können diesen Prozess unterstützen, etwa durch vertrauenswürdige Technologien wie RAG (Retrieval-Augmented Generation). Anders als die traditionellen Nutzerbedürfnisse (Update me, Divert me, etc.) betonen die Future Needs nicht den Konsum, sondern die aktive Partnerschaft zwischen Medien und ihrem Publikum.