Wie ich mich gegen einen millionenschweren Fitness-Influencer gewehrt habe

„Hätte ich wissen können, dass auf einen wissenschaftsjournalistischen Artikel über Proteinpulver diese mehrmonatige Kampagne gegen mich folgt?" Illustration: Silke Werzinger

Alles begann mit einem kritischen Artikel zum Süßstoff Sucralose. Dann startete Christian Wolf, der Gründer von More Nutrition, auf Social Media einen Angriff auf meine Reputation. Dagegen habe ich mich erfolgreich gewehrt – obwohl ich von meiner Redaktion allein gelassen wurde.

Text: Sanaz Saleh-Ebrahimi; Illustration: Silke Werzinger

16.05.2025

In den vergangenen Monaten habe ich mich oft gefragt, ob ich lieber nicht hätte berichten sollen. Hätte ich wissen können, dass auf einen wissenschaftsjournalistischen Artikel über Proteinpulver diese mehrmonatige Kampagne gegen mich folgt? Mit zahlreichen Videos, mehreren Millionen Views und tausenden Kommentaren? Eine Kampagne, in der meine Aussagen verdreht werden, in der ich lächerlich gemacht werde? Hätte ich wissen können, dass mich diese Berichterstattung wochenlang meinen Schlaf kosten und mich schließlich in die Klinik bringen würde?

Ich habe lange gezögert, ob ich meine Erfahrungen hier so detailliert aufarbeiten und öffentlich machen möchte. Denn die vergangenen Monate haben mich traumatisiert. Jetzt bin ich mir sicher, dass ich davon erzählen muss – denn meine Geschichte ist ein Beispiel dafür, wie gefährdet unsere Pressefreiheit ist, und wie schutzlos ausgeliefert freie Journalist:innen sein können, wenn sie einfach nur ihre Arbeit machen.

Kurz zu mir: Seit rund 15 Jahren arbeite ich als Wissenschaftsjournalistin, als Moderatorin, als Nachrichtensprecherin. Ich habe in Dortmund Wissenschaftsjournalismus studiert, habe beim ZDF volontiert, habe Dokus veröffentlicht, für die ich Preise gewonnen habe. Im ZDF, in der ARD und bei n-tv habe ich vor und hinter der Kamera gearbeitet. Vor gut einem Jahr habe ich entschieden, mein Wissen zu Ernährung und Gesundheit auf Instagram und TikTok zu teilen, mittlerweile habe ich 275.000 Follower. Dort teile ich Rezepte, berichte von meinen Recherchen und über wissenschaftliche Hintergründe von Ernährung.

Diese Geschichte fängt im Frühjahr 2024 an. Ich beginne, zur Fitnessmarke More Nutrition zu recherchieren. More Nutrition – beziehungsweise dessen Mutterunternehmen The Quality Group – ist eine der größten Proteinpulver-Firmen Europas. Sie war in den vergangenen Jahren immer wieder Objekt kritischer Berichterstattung, etwa im ZDF Magazin Royale und den Quarks Science Cops im WDR. Immer wieder ist auch More-Nutrition-Gründer Christian Wolf in den Medien, etwa weil er sich öffentlich mit ehemaligen Geschäftspartnern und Influencern streitet. Oder weil er nach eigener Aussage seinem damals fünf Monate alten Baby das Nahrungsergänzungsmittel Kreatin verabreicht hat.
 

„Solche Angriffe können dazu führen, dass Journalist:innen sich zu bestimmten Firmen oder Menschen nicht mehr kritisch äußern.“
 

Die von Wolf gegründete Firma versetzt einige ihrer Produkte mit dem Süßstoff Sucralose. Dieser Süßstoff steht im Verdacht, bei Erhitzung potenziell krebserregend zu sein. Als ich in den sozialen Medien sehe, dass Influencer:innen die More Nutrition-Produkte trotzdem zum Backen empfehlen, werde ich hellhörig. Und fange an zu recherchieren. Über Monate lese ich Studien, spreche mit Wissenschaftler:innen, schaue mir die Marketing-Strategie von More Nutrition an. Ende November veröffentliche ich bei Zeit Online einen Text darüber, dass Sucralose beim Erhitzen potenziell krebserregend ist. Dass das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) deshalb seit 2019 davor warnt, Sucralose zu erhitzen und etwa zum Backen zu nutzen. Und dass More Nutrition diese Produkte trotzdem seit Jahren zum Backen bewirbt. Auf den Packungen, auf der Webseite, in Newslettern. Ich habe mehr als 100 Influencer:innen gefunden, die Rabatt-Codes von More Nutrition nutzen und die Sucralose-Produkte der Firma zum Backen bewerben.

Mit Zeit Online bespreche ich, dass wir zusätzlich zum Text ein Video auf Instagram und TikTok veröffentlichen, als Kooperation von Zeit Online und mir. Ich habe das Video bereits im Zeit Online-Studio aufgenommen, da zieht die Redaktion diese Verabredung zurück. Sie schlagen stattdessen vor, das Video nur noch auf den eigenen Kanälen zu veröffentlichen, nicht als Kooperation auch auf meinen Social Media Kanälen. Ich entscheide mich dagegen. Für Recherche und Text bekomme ich rund 600 Euro, da möchte ich wenigstens ein Video auf meinen Kanälen veröffentlichen können. Ich ziehe das Video also zurück und produziere es fast wortgleich noch einmal für meinen eigenen Kanal. Text und Video gehen am 27. November 2024 parallel online.

Es dauert keine 24 Stunden, da meldet sich Christian Wolf auf Instagram zu Wort. Er ist der Co-Gründer von More Nutrition. In einer Story fragt er seine eine Million Follower: „Kurze Frage weil ich das ins Video nachher einbaue: wer von euch hält ZEIT ONLINE – nicht DIE ZEIT – für ein seriös recherchierendes Medium?“ Die Antwortmöglichkeiten sind „Glaube alles” oder „Bin skeptisch”. In meiner Berichterstattung habe ich Wolf nicht erwähnt und auch nicht für ein Interview oder eine Stellungnahme angefragt, weil er im Unternehmen seit Längerem keine führende Rolle mehr einnimmt, kein Angestellter mehr ist.

Trotzdem greift er Zeit Online und mich am selben Abend mit einem Video an, unterstellt mir schlechte Recherche und behauptet, ich hätte Fehler in der Berichterstattung gemacht. Er backt in seinem Video einen Christstollen, steckt ein Thermometer hinein und sagt, beim Backen würden Produkte gar nicht heiß genug, um auf entsprechend problematische Temperaturen zu kommen. Er stellt sich in seinem Video über die Experten des BfR und versucht, mich lächerlich zu machen. Gleichzeitig droht er mir in den Kommentaren zu dem Video mit juristischen Konsequenzen.

„Kurz danach kündigt Christian Wolf das nächste Video über mich mit den Worten ‚Jetzt knallts‘ an.“

 

Auch eine Vertreterin der The Quality Group steigt mit ein. Die Pressesprecherin kommentiert mit ihrem privaten Account, ich würde mit meinen Veröffentlichungen die Demokratie gefährden und schreibt, es gebe „keine Anhaltspunkte für krebserregende Stoffe beim Kochen und Backen“. Das ist eine Falschaussage und ein Vorgeschmack auf die kommenden Monate. Parallel komme ich plötzlich nicht mehr in meinen Instagram-Account. Er ist wenige Stunden nach Veröffentlichung meines Videos gesperrt, ohne Angabe von Gründen. Ähnliches haben in der Vergangenheit andere Creator erlebt, die More Nutrition und Wolf kritisiert haben. Bei Zeit Online geht zudem ein Schreiben der Kanzlei Schertz Bergmann ein – sie fordern im Auftrag der Quality Group, die Paywall aus dem Artikel rauszunehmen, um den Leser:innen ein ausgewogeneres Bild zu ermöglichen, als es der reine Vorspann erzeuge. Außerdem fordern sie, den Bezug zu einer konkreten Studie deutlicher zu machen. Zeit Online kommt dem nach.

Das war‘s – rechtlich kann The Quality Group meine Recherche offenbar nicht angreifen. Bis heute musste in keinem meiner Videos auch nur ein einziges Wort geändert werden. Das Video von Christian Wolf gegen mich steht trotzdem im Raum. Und sammelt schnell mehr als eine Million Views und tausende Kommentare.

Ich spreche mit Zeit Online, aber die Redaktion entscheidet sich dafür, gar nichts zu tun. Man reagiere grundsätzlich nicht auf solche Videos. Wenn ich etwas machen will, bin ich auf mich allein gestellt. Ich empfinde es als falsch, die Unterstellungen und Angriffe Wolfs unwidersprochen stehen zu lassen. Und natürlich will ich meinen Instagram-Account zurück. Ich wende mich an die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die sich mit meinem Fall an Meta wendet, dem Unternehmen hinter Instagram. Nach wenigen Stunden ist mein Account wieder online. Und ich arbeite an einem Videoskript, um auf Wolf zu antworten.

Eine Woche später veröffentliche ich meine ausführliche Antwort. Nun geht es hin und her. Er reagiert mit Strohmann-Argumenten und Unterstellungen, ich wehre mich. Irgendwann kippt diese Auseinandersetzung ins Absurde: Zwei Tage vor Weihnachten veröffentlicht Wolf ein Video, aus dem man den Schluss ziehen kann, ich sei von der Zuckerindustrie finanziert worden. Er sagt darin, eine Kampagne der Zuckerindustrie gegen More Nutrition sei eine mögliche Erklärung für meine angeblich so schlechten Recherchen. Die Unterstellung ist ohne jegliche Grundlage. Doch sie kann mir trotzdem schaden, das Video sehen erneut mehr als eine Million Menschen.


„Für freie Journalist:innen und kritischen Wissenschaftsjournalismus, insbesondere in den sozialen Medien, ist nichts wichtiger als die Reputation. Ich empfinde jedes neue Video von Christian Wolf als Versuch, meine Reputation zu zerstören.“

 

Für eine freie Wissenschaftsjournalistin mit dem Schwerpunkt Gesundheit und Medizin gibt es wohl kaum eine reputationsschädlichere Unterstellung als eine heimliche Finanzierung durch die Zuckerindustrie. Ich kann kaum glauben, wie dreist das ist – und dass Wolfs Anhänger in den Kommentaren massenhaft zustimmen. Ich will mich dagegen wehren. Und kontaktiere erneut Zeit Online – schließlich erwähnt Wolf in seinem Video nicht nur mich, sondern auch die Redaktion. Doch Zeit Online entscheidet sich erneut, nichts zu tun. Ich entscheide mich, alleine gegen Wolf vorzugehen.

Ich wende mich an die Kanzlei KM8, wir bereiten in den Weihnachtsferien eine Abmahnung vor sowie eine Strafanzeige wegen Verleumdung und übler Nachrede. Auf meine Abmahnung reagiert Wolf nicht, Mitte Januar beantragen wir deshalb eine einstweilige Verfügung vor dem Berliner Landgericht.

Parallel zeige ich Wolf bei der Berliner Staatsanwaltschaft wegen Verleumdung und übler Nachrede an. Auf meinen Kanälen kündige ich das presserechtliche Eilverfahren an und bitte meine Follower:innen, mich finanziell dabei zu unterstützen – denn bei einer Niederlage kostet mich das Verfahren voraussichtlich etwa 6.000 Euro. Meinen Follower:innen verspreche ich: Bei einem Sieg vor Gericht oder wenn mehr zusammenkommt, als ich benötige, werde ich das übrige Geld an drei Organisationen spenden: an Reporter ohne Grenzen, an die Gesellschaft für Freiheitsrechte und an eine Organisation, die sich um krebskranke Kinder in Mainz kümmert. In den folgenden Tagen kommen etwa 1.600 Euro zusammen.

Es dauert nur ein paar Tage, da erkennt Wolf den Unterlassungsanspruch an. Seine Kanzlei Schertz Bergmann schreibt, Wolf werde die Videos auf TikTok und Instagram löschen.  Das Gericht schreibt ein sogenanntes Anerkenntnisurteil. Wolf wird damit verpflichtet, die entsprechende Behauptung nicht mehr zu verbreiten.

Doch statt sich zu entschuldigen oder seine Attacken einzustellen, schaltet Wolf noch einen Gang hoch. Er schickt mir umgehend eine Gegen-Abmahnung. Nachdem Wolf per Urteil untersagt wurde, über mich sinngemäß zu behaupten, dass meine journalistische Arbeit möglicherweise von einer Kampagne der Zuckerindustrie gelenkt werde, will er mir nun eine ganz ähnliche Äußerung gerichtlich verbieten lassen: Ich hatte in meinen Videos zusammenfassend gesagt, er habe mir unterstellt, von der Zuckerindustrie finanziert worden zu sein. Das soll ich nun nicht mehr sagen dürfen. Ich weise die Abmahnung von Wolf zurück und lasse mich damit auf einen zweiten, parallelen, potenziell 6.000 Euro teuren Rechtsstreit ein.
 

„Für eine freie Wissenschaftsjournalistin mit dem Schwerpunkt Gesundheit und Medizin gibt es wohl kaum eine reputationsschädlichere Unterstellung als eine heimliche Finanzierung durch die Zuckerindustrie.“

 

Kurz danach kündigt Wolf in seinen Instagram-Stories das nächste Video über mich mit den Worten „Jetzt knallts“ an. In dem neuen Video wiederholt er trotz des gerade ergangenen Urteils nicht nur seine Aussagen über angebliche Verbindungen zur Zuckerindustrie in ähnlicher Form, er zählt auch erneut falsche Unterstellungen und Strohmann-Argumente gegen mich auf. Und er denkt sich einen neuen Vorwurf aus: Es könnte ja sein, stellt er in dem Video in den Raum, dass ich meine gesammelten Spendengelder möglicherweise für andere Zwecke einsetze – etwa „für andere Prozesse”. Er fordert seine Follower auf, mit dem Hashtag #geldzurück zu kommentieren, damit ich „noch heute“ das Geld an meine Spender zurück überweise – weil ich dieses Geld ja angeblich gar nicht gebraucht habe.

Ich bin fassungslos. Nicht nur verschweigt er seinen Followern das gerade ergangene Anerkenntnisurteil sowie die Tatsache, dass er seine Videos auf TikTok und Instagram gelöscht hat und die Gerichtskosten tragen muss – er wiederholt auch seine verbotenen Aussagen in ähnlicher Form und unterstellt mir gleich neue Dinge, die ich nie getan habe und die offensichtlich falsch sind. Er ignoriert in seinem Video völlig, dass ich mehrfach deutlich gemacht habe, dass ich das Geld spenden werde und einmal mehr die drei Organisationen markiert habe, an die ich jeweils 600 Euro spende.

Die Folge: In den Kommentaren unter seinem Video und unter meinen Videos, in meinen Direktnachrichten und sogar denen meines Mannes fordern mich Menschen auf, endlich das Geld zurückzugeben.

„Schämst du dich nicht spender Gelder von Follower zu nehmen für private Zwecke“

„Ich hab von ihr ja noch nie viel gehalten (nichts außer Abstand), aber das sie jetzt auch noch Geld abzockt ist mehr als bodenlos #geldzurück“

„naja so Recherchen sind teuer. Und die Frisur einer preisgekrönten….. ist auch kostenintensiv“

„morgen ferrari“

Wolf selbst schreibt in seinen Kommentaren: „demnächst öffnet [sie] ein Konto auf den bahamas“. Auch gegen dieses Video gehe ich auf eigene Kosten mit der Kanzlei KM8 presserechtlich vor, stelle wieder Strafanzeige wegen Verleumdung und übler Nachrede.

Kurz zuvor hatte Wolf bereits ein weiteres, insgesamt fünftes Video über mich veröffentlicht. Und es kommt noch mehr. Ein mit Wolf seit längerem bekannter österreichischer Koch und Alternativmediziner greift ein Video in mehreren Posts auf. Auch Nicolas Lother, Chief Product Officer (CPO) der Quality Group, kommentiert ein Video. Er wirft mir unter anderem „Sensationalisierung und Emotionalisierung“ vor und markiert meinen Auftraggeber. Für mich ist der Eindruck: Auch die Firma The Quality Group beteiligt sich an Wolfs Kampagne.
 

„Ich habe lange gezögert, ob ich meine Erfahrungen hier so detailliert aufarbeiten und öffentlich machen möchte. Denn die vergangenen Monate haben mich traumatisiert.“

 

Haben der österreichische Koch, Wolf und Lother das Video und die entsprechenden Kommentare abgesprochen? Wolf hat meine konkrete Frage hierzu nicht beantwortet. Der Koch schreibt: „Weder Christian Wolf noch More Nutrition und die Quality Group hatten oder haben einen Einfluss auf meine Inhalte und Veröffentlichungen.“ The Quality Group will sich nicht zu „privaten Meinungen und Kommentaren von Mitarbeitenden“ äußern, offenbar selbst dann nicht, wenn diese zur Führungsriege gehören.

Auf meine ausführliche Anfrage zu den Vorgängen der vergangenen drei Monate antwortet The Quality Group nur sehr unkonkret. „Grundsätzlich ist es uns wichtig, dass alle Personen im Umfeld des Unternehmens ordnungsgemäß vorgehen“, schreibt eine Sprecherin. Zu einzelnen Verfahren oder Vorwürfen könne sich das Unternehmen nicht äußern.

Der Sprecher von Wolfs Agentur antwortet auf detaillierte Fragen lediglich mit einem allgemeinen Statement. „In der wissenschaftlichen Community ist es üblich, sich über den aktuellen Sachstand auszutauschen und Diskurs durch inhaltliche Kritik voranzutreiben.“ Davon lebe auch Social Media. Und: „Es gibt keine Kampagne gegen Frau Saleh-Ebrahimi.“

Ich empfinde das Vorgehen von Christian Wolf und seinem Umfeld ganz im Gegenteil als genau das: eine monatelange Kampagne gegen mich und meine Reputation. Fünf Videos mit mehreren Millionen Views allein von Wolf, Falschbehauptungen, Unterstützung durch Personen aus seinem Umfeld und der Firma More Nutrition, eine erfolglose Gegen-Abmahnung, Drohungen in den Kommentaren und tausende Hass-Kommentare – das geht weit über einen normalen, an Erkenntnis orientierten Diskurs hinaus.

Ich muss mich den ganzen Winter über mit diesen Attacken beschäftigen. Und irgendwann merke ich: Es wird zu viel. Ich habe wochenlang Schlafstörungen, liege tagelang im Bett und habe Panikattacken. Mehrfach werde ich krankgeschrieben. Zweimal ruft mein Mann nachts den Notarzt. Ich suche mir psychologische Unterstützung bei einer Trauma-Therapeutin, die sich auf mentale Belastungen von Journalist:innen spezialisiert hat.

Noch nie hat mich etwas beruflich so sehr belastet wie diese Angriffe. Als ich vor einem Jahr nach einer längeren Elternzeit meinen Account @sanaz.cooks auf Social Media aufgebaut habe, habe ich viel Arbeit investiert, um Menschen von mir und meinen Inhalten zu überzeugen. Für freie Journalist:innen und kritischen Wissenschaftsjournalismus, insbesondere in den sozialen Medien, ist nichts wichtiger als die Reputation. Ich empfinde jedes neue Video von Christian Wolf als Versuch, meine Reputation zu zerstören.
 

„Wir können uns wehren. Wir können für unsere Rechte und Reputation einstehen. Erfolgreich.“

 

Seit Ende Februar geht es wieder aufwärts. Ich wehre mich weiter und habe Erfolg. Nachdem Wolf schon sein Video über meine angeblichen Zuckerindustrie- Verstrickungen gelöscht hat, bin ich auch mit meinem Vorgehen gegen sein Video zu den Spendengeldern erfolgreich. Wolf ist nach einer einstweiligen Verfügung die unwahre Aussage untersagt, ich hätte versucht, meine Abonnent:innen durch falsche Behauptungen zum Spenden zu veranlassen. Und dass ich Spendengelder für andere Zwecke nutzen würde. Wolf löscht auch dieses Video. Und wenig später zieht er zudem seine eigenen Gegen-Anträge zurück, nachdem er diese zunächst beim Landgericht in Berlin und dann beim Landgericht Hamburg eingereicht hatte.

So hart die vergangenen Monate auch waren: Es hat sich gelohnt. Denn nicht nur hat Wolf die entsprechenden Videos inzwischen gelöscht. Die Kanzlei KM8 hat für mich außerdem zwei Strafanzeigen wegen Verleumdung und übler Nachrede bei der Staatsanwaltschaft Berlin gestellt. Und wir werden Christian Wolf auf Geldentschädigung verklagen. Trotz der Erfolge vor Gericht sind für die Auseinandersetzung inzwischen rund 5.000 Euro Kosten aufgelaufen. In einem Verfahren muss ich ein Drittel der Kosten tragen, dazu kommen Beratungsleistungen für die verschiedenen Verfahren.

Trotz allem hatte ich Unterstützung, die ich mir selbst organisiert habe. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat mir geholfen, meinen Instagram-Account schnell wieder online zu bekommen. Der DJV Berlin, bei dem ich Mitglied bin, hatte mir für die Verteidigung gegen Wolfs Gegen-Abmahnung Rechtsschutz gewährt. Reporter ohne Grenzen hat sich mit mir solidarisiert und bezeichnet Wolfs Attacken als Angriffe auf die Pressefreiheit. Reporter ohne Grenzen hat deshalb sogar eine 1.000 Euro-Spende von Christian Wolf an ihn zurückgegeben, die dieser nach meinem ersten Sieg vor Gericht öffentlich getätigt hatte. Das NoSLAPP-Bündnis setzt sich dafür ein, dass es Multimillionäre und große Firmen in Zukunft schwerer haben, Journalist:innen einzuschüchtern.

Mitte März hat Christian Wolf mit seiner Kanzlei Schertz Bergmann nochmal Widersprüche eingereicht. Über den Widerspruch zum Spendenvideo ist bis Redaktionsschluss noch nicht entschieden worden.

Jede öffentliche Äußerung kann dazu führen, dass ich erneut dafür angegriffen werde; dass weitere Videos über meine angeblich schlechte Arbeit veröffentlicht werden und seine Fans erneut tausende Hass-Kommentare schreiben. Wolf wird vielleicht versuchen, mich auch für diesen Artikel abzumahnen. Trotzdem schreibe ich ihn. Ich finde es wichtig, dass wir über diese Art der Angriffe sprechen.

Denn sie bedrohen die Pressefreiheit. Sie können dazu führen, dass Journalist:innen sich zu bestimmten Firmen oder Menschen nicht mehr kritisch äußern. Damit erreichen diese Firmen oder Menschen genau das, was sie wollen: Fakten und Perspektiven zu unterdrücken. Menschen mit viel Macht, viel Geld oder vielen Fans versuchen, andere Menschen fertig zu machen, die ihnen mit ihren Recherchen, Informationen oder Perspektiven gefährlich werden – koste es, was es wolle. Die Folge ist, dass Menschen keine informierten Entscheidungen mehr treffen können. Das müssen wir verhindern. Oft wird über Shitstorms und Kampagnen gesprochen, aber selten wird wirklich deutlich, wie sie im Detail ablaufen, welche Kräfte zusammenwirken und wie es den Betroffenen geht.

Zeit Online hat mir gesagt, ich solle all das einfach ignorieren. Mein ursprünglicher Text stehe auf ihrer Webseite weiterhin frei verfügbar im Netz. Das sei doch das Wichtigste. Ich glaube, dass zu viele Kolleg:innen noch immer nicht verstehen, was diese Art von Kampagnen für freie Journalist:innen wie mich bedeuten können. Beruflich, privat, psychisch. Ich hoffe auch, dass dieser Text zeigt: Wir können uns wehren. Wir können für unsere Rechte und Reputation einstehen. Erfolgreich. Selbst als freie Journalistin. Egal, wie groß der Gegner auch scheint.

Sanaz Saleh-Ebrahimi ist freie Wissenschaftsjournalistin und Moderatorin. Auf Instagram und TikTok dreht sie Videos zu Ernährung, Gesundheit und Lebensmittelindustrie. Sie lebt in Berlin.

Silke Werzinger arbeitet als Illustratorin in Berlin.