DJV

"Wir müssen schauen, was eigentlich unsere Rolle ist"

04.11.2023

Seit März ist Timo Conraths Hauptgeschäftsführer des Deutschen Journalisten-Verbands. Mit dem journalist hat er darüber gesprochen, vor welchen Aufgaben der Verband steht und wieso er sich ein Stück weit neu aufstellen muss. Interview: Kathi Preppner

Timo Conraths: "Wir müssen uns auch als Verband ein Stück weit neu aufstellen, weil sich alles um uns herum so schnell weiterentwickelt." (Foto: privat)

journalist: Herr Conraths, Sie sind nicht nur Jurist, sondern auch Journalist. Was haben Sie seit Ihrem Antritt als Hauptgeschäftsführer des DJV Neues über Journalismus gelernt?

Timo Conraths: Ich komme ja aus dem Rundfunkbereich und habe vor allem die Probleme und Herausforderungen bei Radio und Fernsehen vor Augen gehabt. Natürlich wusste ich vorher auch, mit welchen Schwierigkeiten Verlage zu kämpfen haben, insbesondere im regionalen Bereich – und welche finanziellen Schwierigkeiten Journalistinnen und Journalisten im Lokalen haben. Aber vorher kannte ich diese Probleme nur abstrakt, durch die Befassung damit ist das in vielerlei Hinsicht konkreter geworden.

Was gehört beim DJV alles zu Ihren Aufgaben?

Zunächst natürlich die Führung der Geschäftsstelle insgesamt. Ich organisiere die Gremiensitzungen mit, die Bundesvorstandssitzungen und die Gesamtvorstandssitzungen, ich organisiere natürlich den Verbandstag mit. Ich bin daneben auch in vielen Arbeits- und Projektgruppen des DJV aktiv. Zudem bin ich Vertreter des DJV im Trägerverein des Deutschen Presserats. Auch dadurch habe ich viel mehr Einblick in das Verlagswesen bekommen. Ich arbeite natürlich in den ganzen strategischen Fragen mit, was die Ausrichtung des Verbands auf Bundesebene angeht. Ich berate die Gremien und den Verband in rechtlichen Fragen und bin involviert bei rechtspolitischen Themen, habe zum Beispiel an dem KI-Positionspapier mitgearbeitet. Außerdem führe ich Tarifverhandlungen. Und was alles noch so anfällt.

Was sind denn strategisch derzeit die größten Herausforderungen für den Verband?

Wir sind gerade an einem großen Umbruchzeitpunkt. Zum einen sind viele Personen, die langjährig beim DJV waren, in den Ruhestand gegangen oder haben den DJV aus anderen Gründen verlassen. Darum sind neue Gesichter dazugekommen, darunter auch ich. Da müssen wir uns erst ein wenig einspielen. Gleichzeitig müssen wir uns, glaube ich, auch als Verband ein Stück weit neu aufstellen, weil sich alles um uns herum so schnell weiterentwickelt und wir als Berufsverband schauen müssen, was da eigentlich unsere Rolle ist und welche Angebote wir unseren Mitgliedern machen müssen. Ich glaube, vieles, was althergebracht unsere Rolle war, muss man entweder überdenken oder neu formulieren – insbesondere Positionen dazu, was das journalistische Arbeiten und die Arbeitsbedingungen angeht. Vielleicht auch, was das Tarifwesen angeht. Die Arbeitswelt ist einfach nicht mehr so, wie sie noch vor einigen Jahren war, und sie entwickelt sich ständig weiter.

Wenn wir das Tarifwesen nehmen: Welche Veränderungen gibt es da?

Von Verhandlerinnen und Verhandlern, die schon länger dabei sind, wird mir gespiegelt: Die Voraussetzungen sind schwieriger geworden, weil das Korsett enger geworden ist, insbesondere beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dort sind die Vorgaben der KEF schon sehr eng, und aus der Politik wird gleichzeitig viel Druck auf die Anstalten ausgeübt, sodass sie aus unserer Sicht einen viel zu geringen Bedarf anmelden. Bei den Tarifverhandlungen heißt es dann häufig nur noch: Wir haben leider nur dieses Budget, anderenfalls müsste am Programm oder an Stellen gespart werden. Ähnliches bekommen wir von Verlegerseite zu hören. Die großen Sprünge kann man damit nicht machen, und das ist frustrierend, gerade in Zeiten mit hoher Inflation und immer stressigeren und schwierigeren Arbeitsbedingungen. Für diese Probleme müssen wir Lösungen finden.

Der DJV ist ja nicht nur Gewerkschaft, sondern auch Interessenvertretung. Welche Möglichkeiten hat man da?

Abseits des Tarifwesens gibt es Möglichkeiten, aber diese sind teilweise begrenzt. Im Hinblick auf die Überlegungen der KEF ist das beispielsweise schwierig, da wir eben keine Rolle bei der Berechnung des Beitragsbedarfs haben. Natürlich versuchen wir, darauf anderweitig Einfluss zu nehmen, beispielsweise durch öffentliche Kommunikation. Wir haben die Intendantinnen und Intendanten aufgefordert, hinsichtlich der Steigerung von Gehältern und Honoraren mehr anzumelden als 2,5 Prozent – das ist die Zahl, die kolportiert wurde. Für eine Tarifsteigerung ist das viel zu wenig angesichts der Inflation und der schon zuletzt sehr geringen Abschlüsse. Das würde einen hohen Reallohnverlust bedeuten. Deswegen haben wir öffentlich gesagt, dass das einfach mehr sein muss, sonst wäre das ein Nackenschlag für die Belegschaft. Und von der KEF fordern wir, dass sie berücksichtigt, was um uns herum passiert – dazu gehört insbesondere auch die Inflation. Wir reden natürlich auch mit der Politik und fragen, ob sie dort, wo sie Einfluss hat, nicht mehr Mittel freigeben kann, beispielsweise für die Deutsche Welle. Da versuchen wir ebenfalls, uns auf kommunikativer Ebene einzuschalten.

„Vieles, was althergebracht unsere Rolle war, muss man überdenken oder neu formulieren. Die Arbeitswelt ist nicht mehr so, wie sie noch vor einigen Jahren war, und sie entwickelt sich ständig weiter.“

Die Tarifbindung zu stärken, fordert der Bundesvorstand in einer Resolution für den Bundesverbandstag. Wie könnte das gehen?

Wir führen viele Gespräche mit Verlegerverbänden wie dem BDZV, die auch ein Interesse daran haben, dass Verlage zurück in den Verbund gehen. Wir versuchen aber auch, darauf hinzuwirken, dass es für Medienhäuser grundsätzlich wieder attraktiver wird, in die Tarifbindung zu gehen. Die genannte Resolution bezieht sich auf ein Gesetzesvorhaben der Bundesregierung. Es sieht vor, dass öffentliche Aufträge primär an Unternehmen vergeben werden sollen, die mindestens Tariflöhne zahlen. Das ist natürlich ein super Vorstoß. Man könnte das als Beispiel nehmen, um andere Förderprogramme ähnlich auszugestalten. Unsere AG Presseförderung hat beispielsweise verschiedene Kriterien für eine mögliche Journalismusförderung entworfen. Eines dieser Kriterien könnte sein, dass man Förderungen nur an Medienunternehmen gibt, die tarifgebunden sind. Das ist einer von mehreren Ansätzen, die wir verfolgen, um Medienhäuser wieder in die Tarifbindung zurückzuführen.

Wie sollte eine Presseförderung aus Sicht des DJV aussehen?

Uns war von Anfang an ein Dorn im Auge, dass das Ganze – getrieben von den Verlegern – so eine Art Vertriebsförderung sein sollte. Es gab dann im Frühjahr 2023 zwei Gutachten aus Regierungskreisen, die genau diese Art von Förderung in den Blick genommen haben. Das hat uns nicht gepasst, deswegen haben wir ein Positionspapier für eine alternative Art der Förderung geschrieben, die nicht auf Zustellung und Vertrieb abzielt, sondern auf journalistische Arbeitsplätze – insbesondere im lokalen Bereich. Für jeden Arbeitsplatz, den man schafft, bekommt ein Medienhaus einen bestimmten Förderbetrag. Das bringt auch langfristig etwas. Eine Vertriebsförderung würde hingegen einfach verpuffen, dadurch würden vielleicht Kostenspitzen abgefangen. Sie hätte aber keinen langfristigen Effekt, insbesondere nicht für Inhalte und für Journalistinnen und Journalisten. Wir werden auf allen Kanälen versuchen, dieses Thema wieder in Fahrt zu bringen und in die richtige Richtung zu drehen – weg von der Zustellförderung, hin zu einer Journalismusförderung, die unter anderem die Tarifbindung als Voraussetzung hat. Dazu hat der Bundesvorstand auch eine Resolution für den Verbandstag erstellt.

Was kann der DJV für die Freien tun? Für sie gibt es theoretisch die gemeinsamen Vergütungsregeln, die aber von Verlegerseite gekündigt wurden. Sehen Sie eine Chance, dass sie irgendwann zur Anwendung kommen?

Dazu führen wir noch Gerichtsverfahren mit zwei Verlagen, die die gemeinsamen Vergütungsregeln unterschreiten. Mit diesen Verfahren wollen wir Fakten schaffen und die Verleger zur Anwendung der gemeinsamen Vergütungsregeln zwingen. In dem Prozess soll nämlich die strittige Frage geklärt werden, ob die gemeinsamen Vergütungsregeln überhaupt wirksam gekündigt werden konnten. Wenn wir diesen Prozess gewinnen, sind wir einen guten Schritt weiter. Falls wir ihn verlieren sollten, müssten wir uns dringend an den Gesetzgeber wenden und um eine Reform des Gesetzes bitten.

Wir helfen den Freien aber natürlich auch anderweitig, zum Beispiel mit Tipps und Beratung. Kürzlich haben wir ein Informationsportal an den Start gebracht, das sich speziell an Freie richtet: die Freien-Info, unter der gleichlautenden Internetadresse www.freien.info.

Eine weitere Herausforderung ist das Thema KI. Das beschäftigt den DJV auch aus juristischer Sicht, zum Beispiel mit Blick auf die nicht vorhandene Vergütung von Text und Data Mining. Wie ist da der aktuelle Stand?

Das Problem ist, dass es für Text und Data Mining keine gesetzliche Vergütungspflicht gibt. Die Software darf also über die Inhalte laufen, und es ist gesetzlich derzeit so vorgesehen, dass das nicht vergütungspflichtig ist – was eine Farce ist, weil die Inhalte der einzelnen Rechteinhaber, darunter Journalistinnen und Journalisten, ja erst die Grundlage dafür bieten, dass derartige KI-Anwendungen so erfolgreich geworden sind und sich weiterhin verbessern. Nicht nur treten diese Anwendungen in manchen Bereichen also in gewisser Weise in Konkurrenz mit Urheberinnen und Urhebern. Sie nutzen dabei auch noch deren Arbeiten – ohne dafür zu zahlen. Ich glaube nicht, dass der Gesetzgeber das damals, als er diese Entscheidung bezüglich Text und Data Mining getroffen hat, hinreichend berücksichtigt hat. Unser Ansatz ist es, auf allen Ebenen, wo es um KI geht, das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass das ein Problem ist. Wir bringen es gerade beim AI Act der EU ein, weil es da thematisch passt, aber rein rechtlich müsste man auf europäischer Ebene auch das Urheberrecht entsprechend anpassen. Das ist aber nur ein Teil von dem, was wir medienpolitisch zu KI machen.

Was machen Sie noch?

Wir versuchen auch, darauf hinzuwirken, dass die Nutzung von KI im Journalismus transparent gekennzeichnet wird, was wiederum den Wert von menschlicher Mitwirkung am Journalismus erhöht. Wichtig wäre auch, dass man kennzeichnet, welche Inhalte die KI verwendet. Dann wäre auch die urheberrechtliche Vergütungsfrage, über die wir gerade gesprochen haben, viel einfacher umzusetzen. Wenn das nicht geht, zum Beispiel aus technischen Gründen, müsste man das über eine Pauschalvergütung lösen. Über die Verwertungsgesellschaften könnten die Vergütungen an die Urheberinnen und Urheber dann ausgekehrt werden. Im Hinblick auf das Text und Data Mining setzt das aber voraus, dass der Gesetzgeber, wie eben angesprochen, seine Entscheidung überdenkt. Bei KI habe ich auch die Befürchtung, dass originäre Inhalte irgendwann vielleicht gar nicht mehr sichtbar sind, weil sie von den großen Technologiekonzernen aufgegriffen und wie eigene Inhalte verpackt und ausgespielt werden. Die originären Inhalte verschwinden dadurch sozusagen. Wenn die Mediennutzung irgendwann so aussieht, kann es passieren, dass nur die großen Plattformen gewinnen.

„Man muss jetzt einfach aufpassen, dass man für die KI-Nutzung im Journalismus ein paar Leitplanken einbaut.“

Das ist jetzt eher die Dystopie. Was wäre die positive Version?

Ich glaube, es gibt auch noch sehr viele Chancen. Man kann sich mit KI ganz neue Formate vorstellen, die eben direkt von Medienhäusern und nicht von den großen Technologieplattformen kommen. KI bietet zudem eine riesige Chance, repetitive Aufgaben wegfallen zu lassen, sodass man sich mehr auf die eigentlichen Kernaufgaben des Journalismus wie beispielsweise Recherche und Hintergrundgespräche vor Ort konzentrieren kann. Und in der Gesellschaft könnte sich die Erkenntnis durchsetzen, dass vieles künstlich erstellt werden kann. Das wiederum könnte solche Marken stärken, bei denen man weiß, dass dort noch menschliche Journalistinnen und Journalisten arbeiten. Marken, denen man vertraut. Man muss jetzt einfach aufpassen, dass man für die KI-Nutzung im Journalismus ein paar Leitplanken einbaut. Diesen Ansatz haben wir auch in unserem KI-Positionspapier gewählt, weil es wichtig ist, dass die Diskussion zu KI im Journalismus nicht in die negative Richtung ausschlägt. Wir begreifen KI insgesamt als Chance für den Journalismus, sofern man die Risiken erkennt und in den Griff bekommt.

Im Positionspapier steht auch, dass der Einsatz von KI nicht dazu führen soll, dass Stellen abgebaut werden.

Ich glaube, es ist unvermeidlich, dass manche Aufgaben wegfallen werden. Das heißt aber nicht, dass Stellen deswegen gestrichen werden müssen. Sowohl Medienunternehmen als auch wir als Verband müssen dafür sorgen, dass man entsprechende Fortbildungsmaßnahmen anbietet, damit Beschäftigte im Umgang mit KI fit werden. Denn die Einführung solcher Software-Tools kann auch neue Stellen schaffen. Das wäre unser Ansinnen: dass Stellen nicht weggestrichen, sondern allenfalls verschoben werden.

Stellenabbau ist auch ein großes Thema gewesen, seit Sie zum DJV gekommen sind, insbesondere bei Gruner + Jahr und Axel Springer.

Das ist natürlich immer eine schlechte Nachricht. Wir unterstützen jeden Einzelnen und versuchen, unser gesamtes Netzwerk zu nutzen, um so etwas noch zu verhindern – wobei die Entscheidungen leider häufig schon feststehen, bevor wir eingebunden sind. Dann versuchen wir, das Prozedere für den Arbeitgeber so schwierig wie möglich zu machen, damit er seine Entscheidung vielleicht noch einmal überdenkt. Ansonsten können wir natürlich Aufmerksamkeit erzeugen, damit die Öffentlichkeit die Entwicklungen wahrnimmt und wir den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen: mit Versammlungen, wie zum Beispiel vor dem Gruner+Jahr-Gebäude, Protestaktionen und so weiter. Und eben auch jedem Einzelnen, der davon betroffen ist, signalisieren, dass wir auch im Nachgang noch da sind und, soweit wir können, Hilfe anbieten.

Ein wichtiges Thema für den DJV ist die Mitgliedergewinnung, weil die Zahl der Mitglieder zurückgeht. Was macht den Verband für junge Journalist*innen attraktiv?

Als Berufsverband haben wir Angebote, die gerade Junge in ihrem beruflichen Fortkommen weiterbringen. Da bieten wir vieles an: Seminare, Vernetzungen, regelmäßigen Austausch zu aktuellen Themen, Rechtsberatung und so weiter. Das kann man ausbauen und noch mehr Angebote schaffen, die relevant sind für die junge Generation. Da sind wir gerade dran und überlegen, ob wir verstärkt Angebote zu aktuellen Entwicklungen, wie beispielsweise KI, anbieten, ob wir mehr Vernetzungsangebote machen, auch auf Bundesebene. Auf Landesebene passiert das ja bereits. Wir versuchen nicht nur, neue Angebote zu schaffen, sondern das auch stärker zu kommunizieren. Gerade arbeiten wir an einer Mitgliederkampagne, die wir mit den Landesverbänden abstimmen. Wir haben ein großes Angebot – das müssen wir, glaube ich, zielgruppengerecht kommunizieren.

Timo Conraths arbeitet seit Juli 2022 in der DJV-Bundesgeschäftsstelle, zunächst als stellvertretender Hauptgeschäftsführer, seit März 2023 als Hauptgeschäftsführer. Vorher war er drei Jahre lang Justiziar bei der Deutschen Fußball-Liga, davor arbeitete er als Rechtsanwalt bei verschiedenen Kanzleien. Nach seinem zweiten juristischen Staatsexamen am Kammergericht Berlin hat er zudem ein Volontariat beim SWR absolviert.

Kathi Preppner ist Medienjournalistin in Berlin.

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